Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek,

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Liebe Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere der Linken!

Liebe Frau Gohlke, ich glaube, jetzt wollen wir ein bisschen aufräumen mit all dem, was Sie behauptet haben. Sie fordern: Weg mit den Dauerbefristungen! Das Gesetz, an dem Sie sich reiben, ist genau dazu da. Es zielt nämlich darauf, Dauerbefristungen zu verhindern. Es begrenzt die Zeit, in der sich junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf befristeten Stellen qualifizieren. Wären diese Stellen nicht befristet, bekämen deutlich weniger qualifizierte junge Menschen die Chance, sich weiter zu qualifizieren, und viel weniger könnten zeigen, was sie können.

Genau diese Einengung wollen wir nicht. Wir wollen Zugang und Chancen für viele. Chancen für alle, die den Willen und das Potenzial haben, wissenschaftlich etwas zu bewegen, etwas zu gestalten und unser Land voranzubringen. Wir brauchen ein Sonderbefristungsrecht für die Wissenschaft; denn die Wissenschaft ist besonders.

Derzeit erwerben jedes Jahr mehrere Zehntausend Personen in Deutschland wissenschaftliche Qualifikationen. Nicht alle können in der Wissenschaft bleiben – da müssen wir uns ehrlich machen –, und etliche wollen das übrigens auch gar nicht. Sie bringen ihre Expertise ein, ihre Ideen, erwerben auch einen Doktortitel, weil er ihnen bessere Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt verschafft, bessere Positionen und auch bessere Bezahlung.

Ich empfehle an dieser Stelle einen Blick in den Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs: Unter Promovierten herrscht Vollbeschäftigung. Zwei Drittel von ihnen arbeiten bereits ein Jahr nach der Promotion außerhalb der Wissenschaft. Sie finden attraktive Jobs und erzielen höhere Einkommen als nichtpromovierte Akademikerinnen und Akademiker.

Gleichwohl ist die persönliche Situation manchmal unbefriedigend; das bestreite ich auch überhaupt nicht. Nach dem langen Ausbildungsweg sind viele in einem Alter, in dem sie irgendwo ankommen wollen – im Beruf, an einem Ort und in einer Familie. Was die jungen Männer und Frauen unter dem Hashtag #IchBinHanna berichten, ist ohne Frage bewegend.

Das sind zum Teil schwierige Situationen, in denen die Autorinnen und Autoren stecken, für die sie ihren Umgang finden müssen, ihren Weg, auch ihre Form, diese Herausforderung zu meistern. Die Frage ist aber: Liegt das an dem Gesetz, auf das Sie sich gerade alle stürzen? Da sage ich ganz klar: Nein, das tut es nicht. Das Gesetz wird zum Sündenbock. So können manche von eigenen Versäumnissen ablenken und so tun, als gäbe es einfache Lösungen.

Der Wunsch nach besseren Perspektiven in der Wissenschaft und verlässlichen Karrierewegen ist verständlich. Das heißt auch: mehr Dauerstellen, erst recht jenseits der Qualifizierungsphase. Genau dieses Ziel teile ich mit denen, die unter dem Hashtag #IchBinHanna geschrieben haben.

Wir haben in den vergangenen Jahren in diesem Zusammenhang viel unternommen. Seit Januar ist der Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“ in Kraft. Darin haben sich die Länder verpflichtet, mehr unbefristete Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen. Dazu kommt, dass wir das Tenure-Track-Programm auf den Weg gebracht haben. Der Bund gibt Geld für 1.000 Tenure-Track-Professuren, um frühzeitig bessere Planbarkeit in die Wissenschaft zu bringen. Dafür haben wir von den Hochschulen, wenn sie teilnehmen wollten, verbindliche Konzepte zur Personalentwicklung verlangt.

Denn es ist doch so: Der Bund gibt dauerhaft mehr Geld für eine Aufgabe, für die die Länder die Hauptverantwortung tragen. Damit sind natürlich von unserer Seite auch Erwartungen verbunden: Wir erwarten, dass die Länder ihrer Verantwortung gerecht werden. Diese Erwartungshaltung habe ich übrigens auch mehrfach im Kreise der Wissenschaftsallianz, wo Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen mit am Tisch sitzen, sehr deutlich geäußert. Von den Hochschulen als Arbeitgeber erwarten wir, dass Planungssicherheit, die Bund und Ländern ihnen geben, auch größere Planungssicherheit für mehr Beschäftigte bedeutet.

Dauerhafte Förderung soll zu dauerhaften Stellen führen, auch ohne Professur; da sind wir gar nicht auseinander. Die Hochschulen haben die Verantwortung. Sie entscheiden, wie sie die Möglichkeiten nutzen, die das Gesetz schafft. Genau das Gleiche gilt für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Für sie haben wir die Dauer des Paktes für Forschung und Innovation um zehn Jahre verlängert. Noch nie hat es so viel Geld für Forschung und Entwicklung gegeben, noch nie hat es so viel Planungssicherheit gegeben.

Der Gestaltungsspielraum ist damit groß. Es gibt keine Pflicht zu Befristungen, und es gibt schon gar keine Pflicht zu unverschämten Befristungen; ganz im Gegenteil. Befristungen müssen angemessen sein. Auch dafür hat der Bund mit dem Gesetz zu Wissenschaftszeitverträgen gesorgt. Die Novelle von 2016 dient dazu, unsachgemäße Kurzbefristungen zu unterbinden.

Verträge müssen so gestaltet sein, dass die Zeit für die angestrebte Qualifizierung reicht, also etwa für eine Promotion. Bei Projektstellen muss die Vertragslaufzeit der Dauer des Projektes entsprechen. Eigentlich sollte das selbstverständlich sein, war es an vielen Hochschulen aber eben nicht. Deshalb haben wir gehandelt.

Ob das Gesetz jetzt auch so wirkt, wie wir es erwarten, lassen wir gerade evaluieren. So ist es im Koalitionsvertrag vereinbart. Daran war übrigens auch Minister Hubertus Heil beteiligt. Das ist genau wie Gesetz und Novelle in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales entstanden. Die Ergebnisse der noch laufenden Evaluation liegen im Frühjahr 2022 vor. Aber Sie können eine Evaluation nicht vornehmen, wenn an Hochschulen im Moment gar nichts stattfindet. Wir haben aufgrund der Pandemie die Höchstbefristungsdauer im Wissenschaftszeitvertragsgesetz verlängert. Das können Sie doch aber in so eine Evaluation nicht einfließen lassen. Sie brauchen doch einen Zeitraum, in dem sie das auch beurteilen können. Die Evaluation hat am 1. Januar 2020 begonnen. Wir erhalten zum Ende des Jahres erste Ergebnisse, und dann liegt im Frühjahr das Ergebnis vor.

Eines kann ich Ihnen hier und heute übrigens schon versprechen: Wir haben 2016 eine klare Erwartungshaltung mit dem Gesetz verbunden. Wenn unsere Erwartungen nicht erfüllt werden, dann kommt das Thema zügig wieder auf die Tagesordnung dieses Hohen Hauses.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in unserem Land leisten jeden Tag hervorragende Arbeit. Sie tragen zu Wohlstand und Fortschritt entscheidend bei. Sie entwickeln Impfstoffe, sie helfen, dem Klimawandel entgegenzutreten. Dafür verdienen sie Respekt und Dank und Unterstützung.

Sie verdienen aber auch eines: Aufrichtigkeit. Das, was hier nun von verschiedenen Seiten gefordert wird, sind leere Versprechungen. Bevor Sie auf der linken Seite des Hauses hier das Blaue vom Himmel versprechen – Dauerstellen für alle –, sprechen Sie mit der Wissenschaft, mit den Hochschulen, mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Genau die werden Ihnen sagen: Wir brauchen Befristungsregeln. Wir können nicht allen Promovierten eine dauerhafte Perspektive bei uns eröffnen, wenn wir die Dynamik und den Erfolg unseres Wissenschaftssystems erhalten wollen. Und sprechen Sie mit Ihren Parteifreunden in den Landesregierungen. Fragen Sie dort: Warum schafft Ihr nicht mehr Dauerstellen?

Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg. Wir als Bundesregierung sind in dieser Zeit nun wirklich sehr engagiert im gesamten Bildungswesen unterwegs. Das, und nicht Wahlkampfgetöse, können wir auch von allen anderen erwarten – im Interesse der Wissenschaft und im Interesse der jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Herzlichen Dank.