Rede der Bundesministerin der Verteidigung, Annegret Kramp-Karrenbauer,

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Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Unter dem komplizierten Titel dieses Gesetzes verbirgt sich die Wiedergutmachung von menschlichem Leid. Es sind ganz besondere Momente in der Politik, wenn Regierung und das Parlament die Gelegenheit haben, Gerechtigkeit herzustellen, wo früher Unrecht war.

In der Bundeswehr war die systematische Benachteiligung von homosexuellen Soldaten Praxis, und sie war per Erlass festgeschrieben. Diese Soldaten mussten im Extremfall mit Entlassung rechnen. Sie wurden als ungeeignet für das Führen und Anleiten anderer Soldaten eingestuft. Sie wurden am Aufstieg in den Streitkräften gehindert. Sie mussten deswegen oft ein heimliches Privatleben führen und galten dann gerade deswegen als Sicherheitsrisiko und erpressbar, übrigens auch, wenn ihre Kameraden und Vorgesetzten sich für sie einsetzten. Die Truppe war nämlich oft schon weiter und toleranter, als die Amtsstuben und Disziplinargerichte sich das vorstellen konnten.

Schon 1969 war die generelle strafrechtliche Verfolgung von Homosexualität in Deutschland beendet worden. Doch die Bundeswehr hielt an ihrer diskriminierenden Praxis fest. Immer deutlicher blieb sie in dieser Frage hinter der gesellschaftlichen Entwicklung zurück. Berufliche Ambitionen wurden zerstört, bleibende Wunden entstanden. Erst am 3. Juli 2000 wurde diese Praxis geändert – durch den damaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping. Dafür möchte ich mich auch an dieser Stelle bei ihm bedanken.

Die Stigmatisierung und Demütigung, die damals erlebt und gefühlt wurde, wirkte und wirkt bei vielen der Betroffenen aber bis heute nach. 2017 hat meine Vorgängerin im Amt, Ursula von der Leyen, entschieden, das ganze Bild dieser inakzeptablen Praxis nachzuzeichnen, wissenschaftlich fundiert und in enger Zusammenarbeit mit den Betroffenen. Die Studie „Tabu und Toleranz“ des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr haben wir im vergangenen Jahr veröffentlicht. Sie hat Wellen geschlagen und die vielschichtigen und oft niederschmetternden Details des Umgangs mit Homosexuellen in der Bundeswehr ans Licht gebracht. Und sie war ein wichtiger Schritt zur Anerkennung und hoffentlich auch Heilung des geschehenen Leids.

Ein Ergebnis dieser Aufarbeitung ist auch, dass die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld die Erforschung der Geschichte homosexueller Menschen in der Bundeswehr im Sinne eines kollektiven Ansatzes weiter vorantreibt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr unterstützen diese Forschung. Auch dafür möchte ich meiner Vorgängerin im Amt danken.

Heute wollen wir den nächsten Schritt auf diesem Weg gehen: von der Anerkennung zur – wenn auch eher symbolischen – Wiedergutmachung. Die Bundesregierung legt Ihnen deshalb heute den Entwurf des Gesetzes zur Rehabilitierung der wegen ihrer homosexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität benachteiligten Soldatinnen und Soldaten vor. Das Gesetz sieht vor, dass Betroffene der Bundeswehr und der NVA eine pauschale Entschädigung von 3.000 Euro für jedes aufgehobene wehrdienstgerichtliche Urteil erhalten sollen. Dieselbe Summe wird zudem einmalig fällig für weitere erhebliche dienstliche Benachteiligungen. Zeitlicher Anknüpfungspunkt ist dabei die Aufhebung des diskriminierenden Erlasses. Und schließlich können jene Soldaten der Bundeswehr, die wegen ihrer Homosexualität oder sexuellen Identität degradiert wurden, wieder den alten Dienstgrad führen, wenn sie das wollen. Auch das gehört zur Wiedergutmachung.

Mir liegt besonders am Herzen: Die Voraussetzungen für den Zugang zu den Entschädigungen sind bewusst niedrig angesetzt. Die pauschale Summe macht eine zügige Bearbeitung möglich. Vor allem aber: Für die Feststellung des Anspruchs reicht eine Glaubhaftmachung der Benachteiligung, beispielsweise durch eidesstattliche Versicherung. Dieses Vorgehen erspart den Betroffenen, sich noch einmal durch die Bundeswehr bewerten zu lassen und Nachweise vorlegen zu müssen. Es folgt auch der Erkenntnis, dass es den Betroffenen in den wenigsten Fällen gelingen dürfte, einen vollständigen Nachweis darüber zu erbringen, wie ihr Werdegang bei der Bundeswehr verlaufen wäre, wenn es die Benachteiligungen nicht gegeben hätte.

Gegen die umfassenden Restitutionsregelungen, die bisweilen gefordert werden, sprechen grundsätzliche Gründe, aber auch die Möglichkeit, dass die Betroffenen, die heute Opfer von Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Identität werden, gut geschützt sind. Denn seit 2006 können sie sich auch nach dem Soldatinnen- und Soldaten-Gleichbehandlungsgesetz wehren und Entschädigungsansprüche geltend machen.

Mir – uns allen – ist bewusst, dass erlebtes Leid nicht rückgängig gemacht werden kann und entgangene berufliche Verwirklichung nicht nachgeholt werden kann. Aber wir alle hoffen, dass die Anerkennung und die symbolische Entschädigungssumme verstanden werden als das, was sie sind: als Zeichen eines tiefen Bedauerns.

Mein besonderer Dank gilt den Kolleginnen und Kollegen der beteiligten Ressorts, die uns bei diesem Gesetzesvorhaben unterstützt haben. Ohne sie wäre die jetzt gefundene Regelung nicht möglich gewesen.

Die Bundeswehr bekennt sich zu Toleranz und Vielfalt, und sie steht nicht zuletzt im Einsatz – im Inneren und im Äußeren – für diese Werte der offenen Gesellschaft ein, oft auch unter Inkaufnahme der Gefahr für das eigene Leben.

Wir können unseren Männern und Frauen solche Einsätze aber nur dann abverlangen, wenn sie die Werte im Alltag auch selbst erleben. Der vorliegende Gesetzentwurf leistet deswegen mehr als Anerkennung von Unrecht, Leid und Rehabilitierung. Er stärkt die Bundeswehr auch von innen her.

Ich bitte Sie um Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf.

Herzlichen Dank.