Rede der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries,

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Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete!

Die Enquete-Kommission hatte sich mit allen Themen an der Schnittstelle von Ethik und Recht zu befassen. Das sind immer Themen, die ganz besonders emotional bestimmt sind und deren rechtliche Bedeutung ganz besonders schwierig zu definieren ist. Das zeigt sich auch wieder an der Debatte um den Geltungsbereich der Patientenverfügung.

Es stellt sich die Frage, wie diese Gesellschaft mit dem Tod umgeht. Sie steht immer im Hintergrund und wurde von den Vorrednerinnen und Vorrednern schon diskutiert. Jeder Einzelne hat aufgrund familiärer Ereignisse oder aufgrund von Sterbefällen im Freundeskreis einen eigenen Erfahrungshintergrund und meint, in gewisser Weise mitreden zu können, wenn ich das so sagen darf. Eine andere Frage ist, welche rechtliche Verbindlichkeit Entscheidungen in diesem Rahmen haben können.

Ich finde es schön, dass die Debatte wieder einen gewissen Grad an Sachlichkeit erreicht hat. Insbesondere danke ich meiner Vorrednerin dafür; denn das ist mir wichtig. Ich möchte auch gerne, dass Sie hier zur Kenntnis nehmen, dass ich das Recht des Parlaments sehr wohl achte. Es kann deshalb keine Rede davon sein, dass ich einen Gesetzentwurf zurückgezogen habe. Der entsprechende Entwurf war noch gar nicht eingebracht, weil er über das Stadium eines Referentenentwurfs überhaupt nicht hinausgekommen ist.

Anlass dafür, dass wir angefangen haben, uns mit diesem Thema zu beschäftigen, war die Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Dass ein Bedarf besteht, sich mit der Frage "Wie gehen wir in unserer Gesellschaft mit Patientenverfügungen um?" auseinander zu setzen, erhellt doch nicht zuletzt die Tatsache, dass es in Deutschland bereits sieben Millionen Patientenverfügungen gibt. Trotzdem besteht große Rechtsunsicherheit darüber, welchen Geltungsbereich sie haben. Sie alle haben dazu viel Post bekommen. Bei uns im Ministerium ist bisher zu keinem anderen Thema so viel Post wie zu dieser Frage eingegangen. Die Mehrzahl der Menschen treibt die Frage um: Wie kann ich mich darauf verlassen, dass das, was ich will, tatsächlich gemacht wird? Dieses Problem bewegt die Menschen. Ich meine, dass sich der Bundestag damit auseinander setzen muss.

Der Gesetzentwurf wurde also nicht zurückgezogen. Vielmehr wird der Entwurf von Joachim Stünker, dem rechtspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, und anderen Rechtspolitikern übernommen. Dieser Gesetzentwurf ist nicht allein in unserem Hause entstanden, sondern er beruht auf der langen Arbeit einer Arbeitsgruppe, in der Ärzte, Juristen, Vertreter der Hospizbewegung, Wohlfahrtsverbände, Patienten- und Verbraucherschutzverbände sowie die beiden großen Kirchen mitgewirkt haben. Es ist also nicht so, dass an diesem Entwurf zwei Beamte gearbeitet und vorgegeben haben, wie er aussehen soll, sondern all diejenigen, die sich auch jetzt an diesem gesellschaftlichen Diskussionsprozess beteiligen, waren auch damals dabei.

Ausgangspunkt der Überlegungen dieser Arbeitsgruppe, die ich mir zu Eigen gemacht habe, war in der Tat die Feststellung, dass jeder Mensch das Recht hat, in jeder Phase seines Lebens für sich zu entscheiden, ob und welche medizinischen Maßnahmen für ihn ergriffen werden. Ich sage immer: Der Arzt empfiehlt die Therapie und der Patient muss entscheiden, ob er sie macht. Das ist der normale Gang der Dinge. Umgekehrt ist schön, dass auch klargestellt wurde, dass wir nicht über aktive Sterbehilfe reden. Niemand darf – das ist ganz klar – einen anderen Menschen aktiv töten. Tötung auf Verlangen ist und bleibt strafbar. Darüber reden wir in diesem Zusammenhang gar nicht.

Wir stellen uns die Frage: Wie kann der Wille der Menschen, die sich nicht mehr artikulieren können, transportiert werden? Das kann sich zum einen auf die Frage beziehen – das möchte ich gerne noch einmal deutlich machen –, was alles nicht gemacht werden soll; dieser Aspekt ist schon mehrfach beleuchtet worden. Das kann sich zum anderen auch darauf beziehen, dass jemand in seiner Patientenverfügung festlegt, dass für ihn alles medizinisch Mögliche getan wird, damit er so lange wie möglich lebt. Ich möchte herzlich darum bitten, dies bei der ganzen Debatte nicht zu vergessen. Es geht nicht um die Frage: Wie sterbe ich schneller? Vielmehr geht es darum: Wie transportiere ich meinen Willen? Natürlich kann der Wille auch darauf gerichtet sein – das sagte ich eben –, dass alles medizinisch Mögliche unternommen wird. Diesen Punkt sollten wir nicht vergessen.

Ich möchte gerne noch drei Punkte ansprechen.

Erstens: Es muss klargestellt werden, dass eine Patientenverfügung so lange gilt, wie keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie widerrufen wurde. Das heißt, man muss von einer bestimmten Aktualität ausgehen. Ihre Beispiele von mehrere Jahre alten Verfügungen lassen natürlich den Patientenwillen fragwürdig erscheinen, weil man nicht weiß, was sich in der Zwischenzeit verändert hat. Unsere Arbeitsgruppe hat empfohlen – das hat mir eingeleuchtet –, an das Ende eine Gesamtschau des Lebens zu stellen und die Lebenssituation des Patienten zu beschreiben, damit sich Arzt oder Ärztin ein Bild über die Person machen können.

Die Patientenverfügung muss in jedem Krankheitsstadium gelten. Die Einschränkung der Reichweite, die hier auch schon behandelt wurde, halte ich für nicht vertretbar. Ich möchte Sie bitten, dass bei der sicherlich stattfindenden Anhörung dazu auch Verfassungsrechtler gehört werden.

Zweitens: Mir scheint es in der Tat auch ein verfassungsrechtliches Problem zu sein, inwieweit der Staat legitimiert ist, das Selbstbestimmungsrecht der Menschen für einen bestimmten Zeitraum ihres Lebens einzuschränken. Solange jemand reden kann, ist das unbestritten. Wenn die Krankheit einen irreversiblen tödlichen Verlauf genommen hat, ist es auch unbestritten. Die Frage ist: Woraus ergibt sich die staatliche Legitimation, in einem bestimmten Stadium festzulegen, dass nun der Mensch nicht mehr selber entscheiden darf? Das müssen wir, der Gesetzgeber, legitimieren; denn sonst darf er nicht in die Grundrechte eingreifen. Das ist das kleine Einmaleins der Grundrechte.

Drittens: Natürlich müssen Patientenverfügungen immer in irgendeiner Form ausgelegt werden. Es wird selten sein – das wurde schon gesagt –, dass der Fall hundertprozentig eintritt. Insofern kann ich Ihr Beispiel, Herr Wodarg, nicht ganz nachvollziehen. Selbstverständlich steht dahinter die Einschätzung, dass nach einer bestimmten Zeit im Koma ein bestimmter Prozess eingetreten ist. Wenn Ärzte aber bescheinigen können, dass dieser Prozess eben nicht eingetreten ist, sondern es nur eine Woche länger dauert als üblicherweise, dann ist die Auslegung der Patientenverfügung, dass er es so nicht gemeint hat, nur natürlich.

Ich komme zur Frage der zwingenden Formvorschriften. Wir hatten ursprünglich gesagt, dass die Patientenverfügung nicht schriftlich vorliegen muss. Wir haben jetzt mit Herrn Stünker darüber gesprochen und sind zu der Überzeugung gekommen, dass es doch sinnvoll sein kann, der Schriftform wenigstens eine stärkere Verbindlichkeit zu geben. Das werden wir noch diskutieren. Wie das ausformuliert wird, muss Herr Stünker mit seiner Gruppe entscheiden. Es kann in der Tat so sein, dass der schriftlich geäußerte Wille gegenüber dem mündlichen besonders hervorgehoben werden soll. Mir wäre wichtig, dass klar ist, dass erstens der mündliche Wille gilt und dass zweitens die schriftliche Verfügung auch mündlich widerrufen werden kann.

Wir wollen hinterher am Krankenbett nicht einen Streit über Formalitäten austragen. Das würde niemand wollen.

Ein Aspekt ist mir noch wichtig: Die generelle Einschaltung des Vormundschaftsgerichts, die Sie und die Mehrheit der Enquete vorsehen, und auch die vorgeschaltete Einbindung eines Konsils scheint mir in dieser Generalität nicht praktikabel. Wir müssen auch darauf achten, was vernünftig ist. Wenn weder beim Arzt noch beim Betreuer Zweifel über den Patientenwillen bestehen, dann kann ich nicht erkennen, warum ein Gericht angerufen werden soll. Ich würde herzlich bitten, darüber noch einmal zu diskutieren. Das Gericht sieht die Sache völlig von außen und kennt weder den Patienten noch den Arzt oder den Krankheitsverlauf. Darüber hinaus hat es keinen medizinischen Sachverstand. Das scheint mir nicht vernünftig.

Ich freue mich auf eine sachliche und intensive Diskussion mit Ihnen in der nächsten Zeit.