Rede der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries,

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Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Vor ungefähr einem Jahr hat die Bundesregierung das Gesetz zur Modernisierung der Justiz eingebracht, das im September des letzten Jahres die erste Beratung in diesem Hohen Hause erfahren hat. Unser Ziel damals war, zu den Bestrebungen der Bundesregierung zum Bürokratieabbau insgesamt auch im Bereich der Justiz beizutragen. Das erklärte Ziel war, Vorschriften vorzulegen, hinter die sich alle stellen können und die eine Vereinfachung in der Justiz bewirken, ohne gleichzeitig einen Rechtsabbau zu betreiben, ohne Instanzen aufzuheben, ohne Angeklagtenrechte zu beschneiden und Ähnliches mehr.

Die Debatte, die wir dann in der Folge gehabt haben, insbesondere auch die Anhörung im November des letzten Jahres, hat gezeigt, dass die Frage, was denn eigentlich Beschleunigung und Modernisierung in der Justiz bedeuten, doch sehr unterschiedlich beantwortet wird. Wir haben den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung der Justiz, einen Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Justiz, der von der Opposition und parallel vom Bundesrat vorgelegt worden war und in dem noch andere Vorschläge enthalten waren, diskutiert. Wie gesagt, die Anhörung hat uns allen gezeigt, dass die Praxis nicht unbedingt der Auffassung ist, der wir sind; vielmehr gab es in vielen Punkten durchaus unterschiedliche Stellungnahmen.

In der letzten Zeit hat es ausgeprägte Diskussionen gegeben. Wenn ich jetzt sage, wir alle haben uns den Anforderungen der Praxis gebeugt, dann hört sich das etwas krasser an, als es eigentlich ist. Ich würde eher sagen, wir haben gelernt, dass es sinnvoll ist, die Wünsche der Praxis zu berücksichtigen, wenn es um Vereinfachungen in der Justiz gehen soll. Das hat dazu geführt, dass wir noch zwei Paragraphen aus unserem Gesetzentwurf herausgenommen haben, nämlich die §§ 415 a und 374 ZPO. Da ging es um die Frage, inwieweit Erkenntnisse aus Verfahren in anderen Rechtszweigen verwertet werden können.

Insofern haben wir gelernt. Die Opposition hat gelernt, dass viele der Vorschläge, die Sie in Ihrem Entwurf eines Beschleunigungsgesetzes gemacht haben, offenbar doch nicht das Richtige sind, und deshalb darauf verzichtet. Insgesamt hat sich der Rechtsausschuss – ich muss sagen, zu meiner Freude; denn ich finde, es ist eine gute Übung, dass gerade die Justizthemen in diesem Haus im Wesentlichen einvernehmlich geregelt werden – dazu verstanden, das ganze Gesetz "Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz" zu nennen und einen gemeinsamen Gesetzentwurf, eine gemeinsame Ausschussempfehlung von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP vorzulegen. Das freut mich sehr. Es täte mir auch leid, wenn Sie sich an Ihre Verabredungen der letzten Tage nicht mehr halten könnten. Erkenntnisgewinn ist immer ein Gegenstand von Freude.

Wesentlicher Inhalt dieses Gesetzes – insofern ist dieser Entwurf wirklich ein Gewinn für die Praxis – sind in der Tat Vereinfachungen sowohl für den Ablauf der Verfahren als auch für die Frage der internen Gerichtsorganisation. Soweit es um den Ablauf der Verfahren geht, werden wir die Regelvereidigung abschaffen, die Vereidigungsregeln insgesamt neuer und übersichtlicher gestalten. Das heißt, Zeugen sind danach nur noch dann zu vereidigen, wenn es das Gericht wegen der Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Bekundung für erforderlich hält. Das spart Arbeit und vor allen Dingen viele mögliche anschließende Verfahren.

Der wesentliche Punkt – das ist auch der Punkt, auf den die Länder vor allen Dingen warten – ist die Möglichkeit der Unterbrechung für die Hauptverhandlung im Strafprozess, die Änderung des § 229 StPO. Das ist eine der Regelungen, bei denen viele gesagt haben: Warum ist das eigentlich nicht schon längst Gesetz? Künftig kann die bisher geltende Unterbrechungsfrist von zehn Tagen auf drei Wochen verlängert werden. Damit gibt es für das Gericht die Möglichkeit, auf unvorhergesehene Wendungen in der Hauptverhandlung besser zu reagieren und damit die zeit- und kostenintensiven Schiebetermine oder gar die Neuauflage eines Verfahrens zu vermeiden. Wir werden diese Dauer der Unterbrechungsfrist nicht nur bei der Erkrankung des Angeklagten vorsehen, sondern auch bei Erkrankung eines Richters oder eines Schöffen.

Verständlicher und weiter gefasst werden die Vorschriften über die Verlesung von Schriftstücken; das war insoweit unstreitig. Wir werden § 256 StPO insoweit ergänzen, als Erklärungen allgemein vereidigter Sachverständiger sowie Protokolle und Erklärungen von Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen künftig auch verlesen werden können. Das heißt, wir ermöglichen damit, auf die Vorladung von Zeugen und Sachverständigen zu verzichten. Wir sparen dadurch Kosten und wir beschleunigen die Verfahren, ohne dass – um das zu wiederholen – in die Rechtsschutzmöglichkeiten der Angeklagten eingegriffen wird. – Dies war der Bereich des Strafprozesses.

Aber auch im Amtsgerichtsprozess wollen wir Vereinfachungen ermöglichen. Ein Beitrag dazu ist die Möglichkeit, in der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter von der bislang obligatorischen Hinzuziehung von Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abzusehen. Richterinnen und Richter sollen darüber frei entscheiden können. Im Strafbefehlsverfahren gibt es künftig eine vereinfachte Möglichkeit, auch im Beschlussverfahren über die Höhe der Tagessätze einer Geldstrafe zu entscheiden, sie entweder heraufzusetzen oder herabzusetzen oder aufrechtzuerhalten. Wir wollen es auch erleichtern, in ein Strafbefehlsverfahren überzugehen. Die Idee dabei ist: Wenn der Angeklagte nicht erscheint, dann soll auch in der Hauptverhandlung auf mündlichen Antrag ein Strafbefehl erlassen werden können; das erleichtert die Verfahren sehr.

Im Zivilprozess erhalten die Richterinnen und Richter die Möglichkeit, gerichtliche Sachverständigengutachten aus vorangegangenen Verfahren zu bewerten und in geeigneten Fällen vom strengen Beweis abzusehen. Das heißt, moderne Techniken werden auch insoweit in den Gerichten Einzug halten, als dass Sachverständige gegebenenfalls auch einmal telefonisch oder per E-Mail befragt werden können.

Intern, was die Arbeitsabläufe in der Justiz anbelangt – ein Thema, das insbesondere für die Länder wichtig ist –, sollen zukünftig mehr Aufgaben auf die Rechtspfleger übertragen werden können. Das betrifft vor allen Dingen die Nachlasssachen und den Bereich des Handelsregisters; da sollen die Rechtspfleger künftig auch für sämtliche Eintragungen der Kapitalgesellschaften zuständig sein. Auch im Bereich der Strafvollstreckung werden wir die Aufgabenverteilung zwischen Staatsanwälten und Rechtspflegern neu ordnen.

Ich bin sicher, dass der Bundestag eine gute Entscheidung fällt, wenn er diesem Gesetzentwurf heute zustimmt. Er wird für die Praxis in der Tat Erleichterungen bringen. Ich würde gern auf den Anfangsgesichtspunkt zurückkommen: Das Gesetz heißt jetzt "Erstes Justizmodernisierungsgesetz". Ich denke, wir alle sollten uns darüber verständigen, dass wir die Bereiche, die wir noch nicht angesprochen haben, wo aber in der Praxis nach wie vor ein Bedürfnis besteht, noch einmal aufgreifen, dass wir uns künftig vielleicht vorher gemeinsam darüber verständigen, was gemacht werden soll, was gemacht werden muss, und das Ganze vielleicht auch durch eine Praxisanhörung begleiten. Es hat sich doch gezeigt, dass es sinnvoll ist, gerade soweit es um konkrete Verfahrensabläufe geht, stärker auf die Praxis zu hören. Da könnte man sich vorstellen, dass man auch einmal im Vorhinein eine Anhörung macht und Vorschläge einholt, wo die Gerichtsbarkeit Änderungsbedarf sieht. Mein Interesse wäre es jedenfalls, dass wir nicht bei diesem ersten Justizmodernisierungsgesetz stehen bleiben, sondern dass wir zu einem zweiten kommen, um damit Richterinnen und Richtern mehr Spielraum zu geben, in ihrem Bereich sachgerecht entscheiden zu können. Nicht jeder Prozess ist wie der andere: Es gibt ganz viele verschiedene, differenzierte Formen in den jeweiligen Gerichtsbarkeiten. Die Praxis muss auf diese differenzierten Formen besser reagieren können. Das wäre wenigstens mein Ziel. Wir dürfen nicht glauben, das alles durch strikte gesetzliche Regelungen lösen zu können.