Rede der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries,

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Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Die Bundesregierung begrüßt es sehr, dass Sie heute über alle Fraktionsgrenzen hinweg die Einsetzung einer gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung einsetzen wollen. Morgen wird ein vergleichbarer Beschluss im Bundesrat gefasst werden. Beide Institutionen sind sich darin einig, dass unsere bundesstaatliche Ordnung modernisiert werden muss.

Diese Erkenntnis teilt die Bundesregierung. Wir haben deshalb schon vor gut einem Jahr auf Initiative des Bundeskanzlers eine Arbeitsgruppe eingesetzt, geleitet vom Bundeskanzleramt, die Vertreter der Ministerien und der Staats- und Senatskanzleien der Länder umfasst, in der wir uns mit eben diesem Thema befasst haben, das Sie sich vorgenommen haben.

Wir haben auch den Befund zur Kenntnis nehmen müssen, dass, wie Herr Gerhardt gerade sagte, für die Bürgerinnen und Bürger offenbarer werden muss, wer in diesem Lande eigentlich wofür zuständig ist, wer die politische Verantwortung trägt und wen demzufolge Bürgerinnen und Bürger bei der nächsten Wahl, sei es die Bundestagswahl oder eine Landtagswahl, wieder abwählen können, weil er nicht das gemacht hat, was sie sich vorgestellt haben.

Diese Wahrnehmung ist heute nicht mehr möglich. Denken Sie an die großen Verfahren. Das letzte war das Zuwanderungsgesetz. Es ist nicht mehr klar, wer eigentlich die politische Verantwortung trägt. Das muss wieder geändert werden. Das muss aber im Rahmen dieses Systems geändert werden, denn der Föderalismus hat sich im Grundsatz in Deutschland bewährt. Dagegen wird man sicherlich nichts sagen können. Insofern, glaube ich, ist der Begriff Konvent, Herr Gerhardt, eher mit einer grundsätzlichen Reform der Verfassung oder mit einer Neuschaffung von Verfassung belegt. Das ist etwas, was wir nicht brauchen. Wir brauchen bestimmte Korrekturen an Stellschrauben, und zwar im Blick auf Probleme, die noch nicht einmal vom Grundgesetz selber verursacht worden sind, sondern im Wesentlichen von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung der letzten 50 Jahre. Diese Korrekturen sind notwendig, nicht aber grundsätzlich neue Überlegungen im Sinne eines Konvents. Von daher halte ich es für richtig, dass Sie sich auf die Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung beschränkt haben und sich damit ausdrücklich auf die bestehende bundesstaatliche Ordnung beziehen.

Wenn wir feststellen, dass wir den Föderalismus zukunftsfähig gestalten und mehr Handlungsfähigkeit für Bund und Länder erreichen müssen, dann würde ich – das sehen Sie mir sicherlich nach – darauf Wert legen, dass auch der Bund mehr Zuständigkeiten bekommt. Es kann nicht nur darum gehen, dass die Länder mehr Gesetzgebungskompetenzen und Verantwortung bekommen, sondern auch für den Bund ist dies notwendig. Denn viele der Veränderungen beziehen sich auf eine verminderte Verantwortung des Bundes. Ich denke in diesem Zusammenhang an Art. 84 Grundgesetz und die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen.

Die Bundesregierung geht davon aus, dass wir mit der angestrebten Reform drei Ziele verwirklichen müssen. Wir brauchen mehr Klarheit und Wahrheit bei der Aufgabenverteilung – das erwähnte ich bereits –, straffere Entscheidungsprozesse und vor allen Dingen einen europatauglichen Bundesstaat. Das heißt, wir brauchen eine Form der Gesetzgebung, die auch auf die Anforderungen reagieren kann, die aus Europa auf uns zukommen.

Zum Thema Gesetzgebungskompetenzen – ich habe das eben schon angedeutet – bestand in der Arbeitsgruppe zwischen Bund und Ländern auf der Ebene der Staats- und Senatskanzleien und des Kanzleramtes bereits in einem Punkt grundsätzlich Einigkeit, nämlich dass die Rahmengesetzgebung – das heißt, die Kompetenzverteilung, nach der zunächst der Bund einen Rahmen setzt, innerhalb dessen den Ländern die Ausführung obliegt – abgeschafft werden sollte.

Diese Form der Gesetzgebung führt dazu, dass Verantwortlichkeiten verschwimmen. Sie führt aber auch dazu, dass wir EU-Vorgaben nicht in der von der EU vorgesehenen Zeit umsetzen können. Der Bund hat in der Vergangenheit schon häufiger erhebliche Strafen zahlen müssen, weil einzelne Länder bestimmte Voraussetzungen nicht erfüllt haben. Wir meinen, das geht zukünftig nicht mehr an. In diesem Bereich müssen wir insgesamt schneller tätig werden.

Wir sind in dieser Debatte sehr offen in der Frage, inwieweit den Ländern Kompetenzen übertragen werden beziehungsweise inwieweit sie vollständig dem Bund übertragen werden sollten. Das muss man im Einzelfall prüfen, um dann zu einer Entscheidung zu kommen.

Man muss sich aber auch über eines im Klaren sein: Der Bundesgesetzgeber wird sich nicht einfach aus Bereichen zurückziehen können, in denen er bisher bundeseinheitliche Regelungen geschaffen hat. Das heißt, es muss im Einzelfall geprüft werden, wo im Sinne der Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit in Deutschland oder auch zur Wahrung der gleichwertigen Lebensverhältnisse einheitliche Regelungen notwendig sind. Johannes Rau hat einmal festgestellt, wir hätten keinen föderalen Bundesstaat beschlossen, damit alle Länder möglichst heftig gegeneinander kämpfen und abweichende Regelungen schaffen; vielmehr sei das Ziel eines solchen Staates, im Grundsatz die gleiche Richtung einzuschlagen. Ich glaube, wir sollten diese sehr einleuchtende Erkenntnis, die nur unterstrichen werden kann, auch in dieser Debatte zur Kenntnis nehmen. Es kann nicht darum gehen, dass wir die Vielfalt um der Vielfalt willen propagieren. Ansatzpunkt sollten vielmehr die Interessen der Menschen sein, die in diesem Staat leben, und die Frage, wie die Zuständigkeiten in deren Interesse formuliert werden sollten. Das bedeutet auch, dass wir einheitliche umweltrechtliche und soziale Schutzstandards bewahren müssen. Es geht nicht an, dass Sozialgefälle von Ost nach West oder von Nord nach Süd entstehen.

Die Frage ist, wen irgendwann der Mut verlässt, weil das nämlich auch heißt, dass man Kompetenzen abgeben muss. Das wird in dieser Debatte gerade für die Länder nicht einfach werden. Denn der wesentliche Punkt im Zusammenhang mit der Verantwortungsteilung nach Art. 84 wird von den Ländern sehr viel Mut erfordern.

Das Grundgesetz sieht in Art. 84 das Erfordernis einer Zustimmung der Länder eigentlich nur dort vor, wo es um Verwaltungsverfahren und die Einrichtung der Behörden geht. Die enorme Menge von Zustimmungsgesetzen, die hier schon mehrfach beklagt worden ist, geht auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurück.

Im Grunde muss eine Norm gefunden werden, aus der hervorgeht, dass die Verfassungsgeber das Grundgesetz nicht so gemeint haben, wie es das Bundesverfassungsgericht auslegt, sondern so, wie es in der Verfassung steht. Eine solche Norm zu formulieren wird schon schwierig genug sein. Wir können allerdings insofern entspannt reagieren, als die Rechtsprechung des Karlsruher Gerichts erkennen lässt, dass inzwischen auch die Bundesverfassungsrichter der Meinung sind, dass ihre bisherige Auslegung nicht mehr zeitgemäß ist. Es gibt erste Bewegungen, die vermuten lassen, dass das Bundesverfassungsgericht selber Art. 84 des Grundgesetzes wieder anders auslegen wird. Wir müssen das auf jeden Fall auf die ursprüngliche Formulierung zurückführen. Das wird von den Ländern erheblichen Mut erfordern; denn das bedeutet natürlich, dass die Ministerpräsidenten nicht mehr in der bisherigen Weise über den Bundesrat bei Themen mitregieren können, für die sie nicht gewählt sind. Zu welchem Ergebnis die Kommission à la longue kommen wird, ist für meine Begriffe noch nicht geklärt. Allein die Tatsache, dass die Landesparlamente dafür mehr Kompetenzen erhalten werden, wird die Ministerpräsidenten im Zweifel nicht entschädigen. Die Frage nach dem Mut muss also auch auf der Seite der Länder beantwortet werden.

Lassen Sie mich noch einen Gesichtspunkt erwähnen, den ich schon eben angesprochen habe. Die föderale Ordnung muss auch europatauglich werden. Wir müssen also sehen, dass in den Kompetenzbereichen wie zum Beispiel dem Umweltrecht ein übergreifender Ansatz besteht. Es interessiert in Europa niemanden, wie wir unser innerstaatliches Rechtssystem, zum Beispiel die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, organisiert haben. Es wird vielmehr verlangt, dass wir insgesamt reagieren. Es wird in Brüssel nicht wahrgenommen, dass wir bei den Gesetzgebungskompetenzen jeweils nach Luft, Wasser und Boden unterscheiden und dementsprechend differenziert handeln müssen. Es kann außerdem nicht sein – das sagte ich bereits –, dass wir in Brüssel Strafen dafür zahlen müssen, dass einzelne Länder ihre Hausaufgaben nicht machen und das, was beschlossen worden ist, nicht rechtzeitig umsetzen. Deshalb brauchen wir auch im Hinblick auf Europa eine Straffung der Kompetenzen und eine deutlichere Zuordnung der Zuständigkeiten.

Wenn die Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung Erfolg haben soll, dann – so meine ich – sollte sie sich zunächst auf das beschränken, was unter den ersten beiden Spiegelstrichen im Einsetzungsantrag behandelt ist, nämlich auf die Beantwortung der Frage nach der bundesstaatlichen Ordnung. Das, was unter dem letzten Spiegelstrich aufgeführt ist – hier geht es um die Finanzverfassung –, sollte erst dann behandelt werden, wenn man hinter die ersten beiden Spiegelstriche einen Haken machen kann.

Es besteht – so meine ich wenigstens – eine erhebliche Gefahr, dass das eintritt, was der Bundestagspräsident heute Morgen in seiner Rede sagte, nämlich dass der Berg kreißt und ein Mäuschen gebiert. Das kann geschehen, wenn man zu viele Themen auf einmal anpackt und sich in der zur Verfügung stehenden Zeit – das ist die laufende Legislaturperiode – nicht darauf verständigen kann, alles zum Abschluss zu bringen. Die Probleme der Welt, die heute Morgen teilweise als Probleme des Bundes, der Länder und der Kommunen diagnostiziert wurden – hinzu kommt noch die europäische Verfassung –, wird die Kommission sicherlich nicht lösen können. Deshalb meine ich, dass wir schon eine Menge geschafft hätten, wenn es uns gelingen sollte, die Zuständigkeiten im Zusammenhang mit der Rahmengesetzgebung, mit Art. 84 und in anderen Punkten wirklich zu reformieren. Im Interesse eines solchen Ergebnisses sollte man also bei der Wahl der Aufgaben bescheiden bleiben. Man sollte zunächst mit einfachen Schritten beginnen und die von mir angesprochenen Themen abarbeiten. Erst dann sollte man sich an den finanzverfassungsrechtlichen Teil heranwagen.

Ich jedenfalls wünsche allen Mitgliedern der Kommission eine glückliche Hand und den erforderlichen Mut. Die Bundesregierung wird die Arbeit der Kommission unterstützen, wo immer sie es kann.