Rede der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries,

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Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Herr Bosbach, Sie haben ja Recht, wenn Sie sagen, wir sollten alles tun, was rechtsstaatlich möglich und rechtspolitisch notwendig ist. Dafür haben Sie den Beifall von der rechten Seite dieses Hauses zu Recht bekommen. Aber wenn wir beginnen wollen, ernsthaft darüber zu diskutieren, was zu tun ist, dann bedeutet das auch, dass wir redlich sein müssen. Zur Redlichkeit gehört, dass man zwischen den gesetzlichen Strafandrohungen und dem unterscheidet, was im Vollzug geschieht. Fast alle Fälle, die Sie zu Beginn Ihrer Rede populistisch aufgelistet haben, waren ja nicht so gelagert, dass das Maß der Strafandrohung nicht ausreichend gewesen wäre. Das sind doch alles Fälle, in denen es im Vollzug gehapert hat, in denen die Täter vorzeitig freigelassen wurden oder sich zum Beispiel selbst befreit haben. Das müssen wir sauber auseinander halten.

Sie haben dankenswerterweise anerkannt – auch ich möchte das betonen –, dass uns an einer sachlichen Debatte über das zur Diskussion stehende Thema liegt. Das ist in der Tat so; denn dieses Thema ist keines, das sich für kleinliches politisches Gezänk eignet. Wir müssen hier sachlich sein, weil wir sonst nicht weiterkommen. Zur Sachlichkeit gehört aber auch, dass Sie anerkennen müssen, dass die jetzige Koalition in der vergangenen Legislaturperiode den Schutz gerade vor gefährlichen Sexualstraftätern ganz erheblich verbessert hat und dass die Bundesländer, egal ob sie von der SPD oder der Union regiert werden, in den letzten Jahren im Bereich des Strafvollzugs und des Maßregelvollzugs deutliche Verbesserungen erzielt haben. Auf diesem Weg müssen wir sie unterstützen. Darauf zielt ja auch Ihr weiter gehender Antrag, den Sie gestellt haben.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Auch wir sind der Auffassung, dass jedes Opfer einer Gewalttat ein Opfer zu viel ist. Deswegen dürfen wir hier keine halben Sachen machen. Wir dürfen – das will ich an dieser Stelle betonen – dabei allerdings nicht nur den strafrechtlichen Rahmen sehen, sondern es geht auch darum, die Länder mit ins Boot zu bekommen. Wir haben in der kriminologischen Forschung und in der forensischen Psychiatrie erhebliche Fortschritte zu verzeichnen. Wir verfügen heute über bessere Prognosemethoden, über bessere Behandlungsmethoden und über eine bessere Aus- und Fortbildung der forensisch-psychiatrischen Gutachter. Auf diesem Weg müssen wir weitergehen und die Länder dabei unterstützen, dass sie das, was in ihrer Verantwortung liegt, auch tun.

Ich komme nun auf einzelne Punkte zu sprechen, auf die ich schon in meiner Rede bei der Aussprache zur Regierungserklärung des Kanzlers eingegangen bin. Bei der Neugestaltung von Strafvorschriften, namentlich beim sexuellen Missbrauch von Kindern, stimmen wir mit Ihnen insoweit überein, als die Verwerflichkeit dieser Taten durch das Strafmaß zum Ausdruck gebracht werden muss. Man muss aber trotzdem zu einer notwendigen Abstufung nach der Schwere der Tat kommen, da sich das sonst im Vollzug als kontraproduktiv erweisen könnte, weil sich keiner mehr traut, diese Taten anzuklagen, weil es sich immer gleich um schwere Verbrechen handelt. Ich bitte Sie ganz herzlich: Lassen Sie uns im Verlauf der Ausschussberatungen gemeinsam darüber reden, wie wir das sinnvoll regeln. Die Strafandrohung alleine bringt es eben nicht.

Daneben müssen wir auch prüfen, ob Paragraph 140 StGB, also die Belohnung und die Billigung von Straftaten, um den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern erweitert werden muss. Ich bin der Auffassung, dass ein neuer Tatbestand, nach dem sich strafbar macht, wer auf ein Kind einwirkt, um es zu sexuellen Handlungen zu bringen, präventiv wirken wird.

Ich möchte einen Bereich aufgreifen, der in Ihrem Gesetzentwurf nicht zufriedenstellend beachtet wird. Wir müssen adäquat auf die neuen Möglichkeiten des Internet reagieren. Es gibt dort andere Formen, wie man Straftaten begehen kann. Darauf müssen wir eingehen. Schließlich halte ich es auch für notwendig, die Strafvorschriften gegen Verbreitung und Besitz kinderpornographischer Schriften zu verschärfen.

In einem Punkt – Herr Bosbach, Sie haben das eben angesprochen – gibt es zwischen uns allerdings keine Gemeinsamkeit: in der Frage der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Eine isoliert angeordnete Sicherungsverwahrung ist aus unserer Sicht Gefahrenabwehr und damit reine Ländersache. Wir haben in der letzten Legislaturperiode dazu Vorschläge vorgelegt und haben den Richtern die Möglichkeit gegeben, einen Vorbehalt auszusprechen. Das heißt, alle betreffenden Urteile seit dem letzten Jahr sind abgedeckt, es gibt also kein Regelungsdefizit mehr.

Ihr Vorstoß bezüglich der nachträglichen Sicherungsverwahrung ist erstaunlich. Gerade die unionsregierten Länder folgen doch unserer Rechtsauffassung und haben entsprechende Landesgesetze verabschiedet. Die ersten Gerichtsentscheidungen zeigen zwar, dass in dem Bereich in den Ländern noch nachgebessert werden muss. Ich denke aber, auch das werden wir schaffen.

Ihr Vorschlag würde darüber hinaus neben den Ersttätern auch die Mehrfachtäter umfassen und damit echte Verwerfungen zur eigentlichen Anordnung der Sicherungsverwahrung zur Folge haben. Das müssten Sie einmal überprüfen.

All diese Punkte erwähne ich nur am Rande; denn ich möchte viel lieber die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund stellen und Sie auffordern, da, wo wir uns einig sind, gemeinsam zu überlegen, wie wir die Situation verbessern können. Dabei sollten wir den Blick auch auf die Felder richten, die für den Schutz der Bevölkerung entscheidend sind und wozu das Strafrecht, wie wir meinen, einen wichtigen Beitrag leisten kann. Deswegen halten wir es für richtig, auch die Sicherungsverwahrung für Heranwachsende vorzusehen. Es geht darum, dass die Heranwachsenden, die nach dem Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden, in die Sicherungsverwahrung überführt werden können. Um es klar zu sagen: Es sind nur ganz wenige Fälle. Es gibt aber besonders gefährliche frühkriminelle Hangtäter, bei denen die Prognose bereits gestellt werden kann. Für diese ganz wenigen Fälle sollten wir so etwas vorsehen.

Im Rahmen meiner Antrittsrede habe ich schon darauf hingewiesen, dass wir mit dem gesamten Arsenal der strafprozessualen Möglichkeiten gegen die Verbreitung der Kinderpornographie vorgehen müssen, wobei ich aber nicht glaube, dass jetzt ein Galopprennen zur Änderung des Paragraphen 100 a StPO beginnen muss. Wir haben bereits in der letzten Legislaturperiode entscheidende Veränderungen durchgeführt. Seither gibt es die Möglichkeit, zur Aufklärung des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, des Missbrauchs mit Todesfolge und vor allen Dingen – das ist ein wichtiger Aspekt für mich – der gewerbs- oder bandenmäßigen Verbreitung der Kinderpornographie die Telekommunikationsüberwachung einzusetzen. Für meine Begriffe ist dieses Instrumentarium insbesondere für diese Bereiche besonders gut geeignet.

Ehe man eine Erweiterung ins Auge fasst, muss man bedenken, welche Fälle man damit einschließt. Bei den Abhörmaßnahmen muss man immer auch in Rechnung stellen, dass man eine erhebliche Anzahl von Unschuldigen und nicht Betroffenen einbezieht. Deshalb muss man ganz besonders prüfen, ob das im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu realisieren ist. Ich glaube, wir gingen über das Ziel hinaus, wenn wir generell sagen würden, dass bei sämtlichen Formen des sexuellen Missbrauchs – auch wenn bei Einzeltätern nur ein Verdacht besteht – eine entsprechende Überwachung zugelassen werden muss.

Ich denke, eine verantwortliche Kriminalpolitik zeichnet sich dadurch aus, dass sie den Ermittlungsbehörden nur die Instrumente an die Hand gibt, die nötig sind. Wie Sie aus der Rechtsprechung wissen, ist gerade in diesen Fällen ausgesprochen streng zu überprüfen, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wurde. Deshalb haben wir schon in der vergangenen Legislaturperiode beim Max-Planck-Institut eine Untersuchung in Auftrag gegeben. Wir wollen feststellen, wie das tatsächlich wirkt und was dabei herauskommt. Wenn dieser Bericht des Max-Planck-Instituts vorliegt, werde ich ihn gerne gemeinsam mit Ihnen erörtern. Wir werden dann gemeinsam überlegen, welche Schlussfolgerungen wir daraus zu ziehen haben.

Meine Damen und Herren von der Union, die Vorschläge, die Sie zur DNA-Analyse machen, entsprechen weitgehend einem Vorschlag, der im letzten Jahr im Bundesrat eingebracht worden und dort stecken geblieben ist. Wir müssen darüber nachdenken, ob nur Straftaten mit erheblicher Bedeutung Anlasstaten für die DNA-Analyse sein sollen oder ob wir die Schwelle absenken wollen. Es gibt Untersuchungen über die Rückfallquote exhibitionistischer Straftäter, die besagen, dass etwa ein bis zwei Prozent dieser Straftäter später wegen eines sexuellen Gewaltdeliktes erneut verurteilt werden. Genau hier würde ich ansetzen. Diese Straftäter müssen verhaftet und vor Gericht gestellt werden. Deshalb bin ich dafür, die Möglichkeiten zur Durchführung der DNA-Analyse auszuweiten. Das kann aber nur im Einzelfall geschehen. Wenn der Richter die Prognose stellt, dass mit einer Schuld des Betroffenen zu rechnen ist, ordnet er sie an.

Herr Bosbach, ich danke Ihnen, dass Sie in Ihrem Redebeitrag darauf hingewiesen haben, dass Sie das inzwischen wie wir sehen. Auch Sie halten es für besser, die Formulierung "sexueller Bezug", anstatt "sexueller Hintergrund" zu wählen. Damit sind Sie ein wenig konkreter geworden. Es ist sehr gut, dass wir uns insoweit einig sind.

Zum Abschluss möchte ich noch einige Worte zur Evaluation sozialtherapeutischer Maßnahmen sagen. Es gibt einen Antrag von Ihnen. In diesem unterstreichen Sie völlig zu Recht die Notwendigkeit einer Begleitforschung, was die sozialtherapeutische Behandlung von Sexualstraftätern angeht. Auch ich bin der Auffassung, dass wir diese durchführen müssen. Ich will mit den Länderkollegen gerne darüber reden. Die Länder müssen diese Aufgabe übernehmen, da sie in ihrem Verantwortungsbereich liegt; dort gehört sie hin. Sie sind dafür verantwortlich.

Die kriminologische Zentralstelle liefert Daten dazu. Das Justizministerium wird die kriminologische Zentralstelle selbstverständlich darum bitten, diesen Themenbereich weiter zu verfolgen und die Daten auch weiterhin zu liefern, damit wir auf der Basis vernünftiger, empirisch erhobener Daten überlegen können, was zu tun und zu ändern ist.

Wie Sie sehen, bin ich der Meinung, dass wir bei der Beratung dieser Gesetzentwürfe in den Ausschüssen zu überzeugenden gemeinsamen Ergebnissen kommen werden.