abschied von kurt georg kiesinger - ansprache des ministerpraesidenten von baden-wuerttemberg

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der ministerpraesident des landes baden-wuerttemberg,
lothar spaeth, hielt folgende ansprache:

sehr verehrte frau kiesinger,
sehr verehrter herr bundespraesident,
verehrte trauergemeinde!

kurt georg kiesinger, hat die acht jahre, die er vom
17. dezember 1958 bis 30. november 1966 ministerpraesident
von baden-wuerttemberg war, als die "schoenste zeit"
seines lebens bezeichnet. nun, es waren auch fuer die
buerger unseres landes schoene jahre, in denen sie von
ihrem landsmann und landesvater klug regiert und
glanzvoll repraesentiert wurden.
ich will nun nicht die ganze skala politischer leistungen des
ministerpraesidenten kiesinger fuer den deutschen
suedwesten auflisten: meine rede wuerde dann die mir
zugemessene zeit bei weitem uebersteigen.
hervorzuheben ist auf jeden fall, dass das neue bundesland
baden-wuerttemberg erst gar nicht zustande gekommen
waere, wenn der bundestagsabgeordnete kiesinger nicht
dafuer gesorgt haette, dass das zweite neugliederungsgesetz
1951 mit hilfe auch von cdu-stimmen verabschiedet
werden konnte. gerade weil er ein foederalist aus ganzem
herzen war, kam es kurt georg kiesinger auf lebensfaehige
bundeslaender an. er sagte selber dazu: "ich war nach
langen inneren auseinandersetzungen tief ueberzeugt davon,
dass der zusammenschluss richtig war. hier ging es darum,
einer aelteren tradition zum durchbruch zu verhelfen."
er selbst war, wie wohl kein zweiter, glaubwuerdiger
repraesentant gerade dieser verbindenden traditionen des neuen
bundeslandes - und schon deshalb war kurt georg kiesinger
als ministerpraesident ein gluecksfall fuer die geschichte
badenwuerttembergs. seine persoenliche integrationskraft, die auch
spaeter immer wieder und mit recht geruehmt worden ist,
erwuchs aus der synthese von geschichts- und
menschenkenntnis, von humanistischer bildung und politischer kultur,
von philosophie und philanthropie.
dass man ein land nicht lieben kann, ohne seine menschen
zu lieben, war fuer ihn eine bare selbstverstaendlichkeit. und
dass man, um die menschen zu verstehen, zu den menschen
gehen muss, ebenso. so wurde er im besten sinne des
wortes volkstuemlich, ohne je auch nur ein quentchen des
ihm ueberall entgegengebrachten respekts einzubuessen,
und so gab er, dank dieser einzigartigen mischung aus
natuerlicher autoritaet und ungekuenstelter liebenswuerdigkeit,
dem noch jungen land baden-wuerttemberg das, was es am
dringendsten brauchte: personalisierte identitaet,
ausgleichende toleranz und die kraft zur zusammenfassenden
perspektive. baden-wuerttemberg fand seine wichtigsten
traditionen, tugenden und temperamente, humanistisch
erhoeht und weltbuergerlich abgerundet, in diesem mann
wieder, und deshalb schaetzte und achtete ihn die bevoelkerung
aus tiefstem herzen.
kurt georg kiesinger hat unserem land aber auch
internationales flair gegeben, beispielsweise bei den besuchen
des franzoesischen staatspraesidenten de gaulle und der
britischen koenigin elizabeth ii. in stuttgart und ludwigsburg.
bei solchen anlaessen ist glanz auf das land gefallen, und
dieser glanz ging nun in einer ganz besonderen art und
weise von kurt georg kiesinger aus. ich spreche in diesem
zusammenhang nicht nur von dem glanzvollen rhetoriker
kiesinger, dem es zu einer zeit, da die konkurrenz
rhetorischer begabungen im bundestag zweifellos groesser war als
heute, scheinbar fast muehelos gelang, in die erste reihe
derer aufzuruecken, die des wortes in dem wahrsten sinn
"maechtig" waren.
ich spreche vielmehr von dem glanz, den kurt georg
kiesinger ebenso auch als figur, als erscheinung, als
persoenlichkeit ausstrahlte. zweifellos verstand er es, "figur zu
machen", aber das kann eben auch nur einer, der eine
statur hat. was ihm eignete, kann wohl am besten mit
dem - heute leider einigermassen aus der vorstellungswelt
gerueckten - begriff der "wuerde" umschrieben werden.
einer wuerde nun freilich, die sich nicht zu spreizen und zu
zieren braucht, die ueberhaupt nicht auf bloss aeusserliche
accessoires angewiesen ist und schon gar nicht auf stelzen
zu steigen noetig hat, um sich den menschen mitzuteilen, auf
sie zu wirken und sie zu beeindrucken.
wuerde vielmehr als eigenschaft, inneren glanz nach aussen
zu verstroemen, helligkeit in einem raum zu verbreiten, der
sonst vielleicht dunkel bliebe. ich moechte es in die worte
von la rochefoucauld kleiden: "es gibt eine hoheit, die vom
schicksal unabhaengig ist: das ist eine gewisse
ueberlegenheit, die uns fuer grosse dinge zu bestimmen scheint, ein
wert, den wir unmerklich uns selbst verleihen. dies noetigt
anderen ehrfurcht ab und stellt uns hoeher als geburt,
wuerden und verdienste."
kurzum: kurt georg kiesinger stand ueberall ganz von selbst
im mittelpunkt, er war unuebersehbar und ansehnlich in einem.
so haben sie ihn gekannt und geliebt, die buerger dieses
landes ihren landesvater, der neben der hoheit auch eine
unverkennbare guete, ein sichtbarliches wohlwollen
ausstrahlte, das nicht herablassung bedeutete, sondern
zuwendung und dementsprechend mit zuwendung erwidert wurde.
und sie haben vieles an ihm bewundert: seine geistigkeit, die
auf gemuet und empfinden nicht herabschaute, seinen
brillanten umgang mit der sprache, der den dialekt nicht
verschmaehte, das liebevolle verstaendnis fuers gewordene neben
dem empfindlichen sensorium fuer zukuenftig-notwendiges.
vielleicht ist das gemeinte am besten im bild des
wanderers zusammengefasst - und kurt georg kiesinger war
immer ein passionierter wanderer -, in der verbindung von
daheimbleiben und von schreitend-ausgreifen, von
beisich-selber-bleiben und weitergehen.
kurt georg kiesinger hat sich um das von ihm wesentlich
mitgestaltete land baden-wuerttemberg wahrlich verdient
gemacht, ja mehr noch, er war und bleibt ein teil dieses landes,
er hat baden-wuerttemberg in seiner persoenlichkeit verkoerpert.