abschied von karl schiller - staatsakt in hamburg - ansprache von bundesminister dr. Rexrodt

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Der Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Günter Rexrodt, hielt bei dem Staatsakt die folgende Ansprache: Verehrte Familie Schiller, Herr Bundespräsident,

Exzellenzen,
meine Damen, meine Herren,

wir nehmen heute Abschied von einem Mann, der Maßstäbe gesetzt hat - als Ökonom und als Politiker.

Wir nehmen Abschied von einem streitbaren Anwalt und weitsichtigen Gestalter der Sozialen Marktwirtschaft. Wir ehren Karl Schiller als einen Mann, dessen Beiträge und Ansichten zur Wirtschaftspolitik wegweisend blieben bis in unsere Tage, bis hin zur Gestaltung der deutschen Einheit. Karl Schiller bleibt uns Vorbild auch als Persönlichkeit. Gute Wirtschaftspolitik war für ihn niemals nur die technische Erfüllung makroökonomischer Zielvorgaben. „Globalsteuerung" war nur das Instrument, Karl Schiller hat immer den Menschen in den Mittelpunkt seines wirtschaftspolitischen Handelns gestellt.

In einem berühmt gewordenen Aufsatz definiert er sich selbst, wenn er sagt: „Der Ökonom muß ... betonen, daß seine Wertvorstellungen wie materielle Wohlfahrt, volkswirtschaftliches Gleichgewicht, hohe Beschäftigung unter dem Gesetz von obersten gesellschaftlichen Werten wie Freiheit und Gerechtigkeit stehen."

Karl Schiller war niemals Technokrat. Wirtschaftspolitik war für ihn Gesellschaftspolitik, Politik für einen freien und selbstbestimmten Menschen. Er hat das Element Demokratie in unserer Wirtschaftsordnung gestärkt. Sein Werk und sein Anliegen sind für uns dauernde Verpflichtung.

An die Spitze des Bundeswirtschaftsministeriums kam Karl Schiller mit dem Ziel, „Stabilität und Wachstum in einer offenen und freien Gesellschaft" herzustellen. Ein ehrgeiziges Ziel in einer Zeit währungspolitischer Umbrüche, heraufziehender Inflation und - damals für die Bundesrepublik noch ungewohnt - zunehmender Arbeitslosigkeit.

Neue wirtschaftspolitische Antworten waren gefragt. Karl Schiller hat diese Antworten gegeben; oft genug gegen den Zeitgeist und gegen politischen Opportunismus. Seine Antworten wurzelten immer im Vertrauen auf die Leistungsfähigkeit der Marktwirtschaft und ihrer sozialen Verpflichtung. Es ging ihm nicht darum, Bewährtes über Bord zu werfen; sondern darum - wie er es ausdrückte - diese Wirtschaftsordnung mit einer „Synthese zwischen Keynes und Freiburger Imperativ" seiner Zeit anzupassen.

Es ging ihm nicht um eine Wirtschaftspolitik, die den Wirtschaftsablauf plant und steuert, sondern um eine Wirtschaftspolitik, die- Fehlentwicklungen vermeidet, um die Voraussetzungen für erfolgreiches, eigenverantwortliches Handeln zu schaffen. Es ging ihm nicht um den Verteilungsstaat, sondern um die Bündelung gesellschaftlicher Kräfte in gesamtwirtschaftlicher und sozialer Verantwortung.

Karl Schiller brachte den Menschen sein wirtschaftspolitisches Credo mit großer Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit, mit brillanter Rhetorik und meisterhafter Darstellung nahe. Und er setzte dieses Credo ebenso meisterhaft in konkretes, zielgerichtetes politisches Handeln um.

Mit dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz hat er das Instrumentarium der Wirtschaftspolitik geschärft, und er hat es mit Präzision und Augenmaß eingesetzt.

Die Konzertierte Aktion wurde in seiner Amtszeit zum erfolgreichen Forum gegenseitiger Information. Sie trug dazu bei, gesellschaftliches Handeln an gesamtwirtschaftlichen Notwendigkeiten auszurichten.

Karl Schiller hat auch ihre Grenzen erkannt, als die „Aktion" zur „Institution" zu werden drohte. Und auch insoweit sind seine Vorstellungen und Erfahrungen Maßstab für unsere Politik. Karl Schillers Politik war erfolgreich. Er war auf dem richtigen Weg. Daß sein Instrumentarium nicht unverändert auf spätere Zeiten übertragen werden konnte, hat niemanden überrascht. Am wenigsten Karl Schiller selber, der den Weg zur „aufgeklärten Marktwirtschaft" immer als Entwicklungsprozeß verstanden hat.

Diesem Entwicklungsprozeß aber hat er auch nach seiner aktiven Zeit entscheidende Anstöße gegeben. Von dauerhafter Bedeutung bleibt sein Engagement für eine offene Gesellschaft, das sich wie ein roter Faden durch sein Denken und Handeln gezogen hat.

Im vergangenen Jahr erschien sein letztes Werk, das im Hinblick auf die deutsche Vereinigung den „schwierigen Weg in diese offene Gesellschaft" als Bilanz und als Vermächtnis beschreibt:

Karl Schillers Vision war eine Gesellschaft, in der - nach Karl Popper „die Freiheit der Individuen ... und der Schutz der Schwachen« wichtige Werte sind, die Vision einer Gesellschaft der „kollektiven Vernunft", die sich auch in seinem Konzept des offenen Dialogs über gesellschaftliche Gruppeninteressen hinweg ausdrückte.

Heute wie damals sollten wir den notwendigen gesellschaftlichen Dialog in diesem Sinne verstehen - als Verbindung von gesellschaftlichem Konsens und individueller Eigenverantwortlichkeit.

Von dauerhafter Bedeutung bleibt auch, daß Karl Schiller in der Blütezeit des Glaubens an staatliche Weitsicht und „Planification" die Grenzen staatlichen Handelns erkannt und klar gezogen hat. Er war sich immer bewußt, daß nicht Bürokratien, sondern Eigenverantwortung Wohlstand und Beschäftigung garantieren. Wir bauen auf seinen Erfahrungen auf, wenn wir heute für weniger Staat, mehr Wettbewerb und Marktwirtschaft am Standort Deutschland eintreten. In das Bild des aufgeklärten Marktwirtschaftlers Karl Schiller fügt sich auch das Verhältnis, daß er zu seinem Ressort entwickelt hatte.

Sein Ministerium war ihm nie nur ausführendes Organ; seine Konzepte entstanden in offenen, intensiven Diskussionen mit seinen Mitarbeitern. Karl Schiller hat die Angehörigen des Bundeswirtschaftsministeriums gefordert. Und er vermochte sie mit seinem Engagement, seiner fundierten Sachkenntnis und seiner Offenheit anzuspornen und zu motivieren. Er war umgekehrt immer bereit, die - wie er sagte - „Injektionen marktwirtschaftlicher Denkungsart" aus seinem Haus aufzunehmen und in der politischen und öffentlichen Diskussion zu vertreten. Karl Schiller ist in dem Hause, für das ich hier spreche, unvergessen.

Als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft gab Karl Schiller der wirtschaftspolitischen Diskussion auch nach seiner Bonner Amtszeit immer wieder wichtige Impulse.

In den letzten Jahren war es vor allem die Vollendung der deutschen Einheit, die er mit fundierter Sachkenntnis und konstruktiver Kritik begleitet hat. Mit eindringlichen Worten hat er den wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern als Investition in die Zukunft und als Verantwortung aller beschrieben, bei der kein Raum für dirigistische Aufbaupläne, für Kleinmut und Egoismus sein darf. Er hat sich damit wohltuend von anderen Stimmen unterschieden.

Karl Schiller ist seiner marktwirtschaftlichen Berufung und seinem Engagement für das Wohlergehen der Menschen in unserem Land bis zu seinem Tode treu geblieben. 1979 erhielt Karl Schiller aus den Händen von Friedrich A. von Hayek den Ludwig-Erhard-Preis mit dem Hinweis, damit werde der Mann geehrt, der nach Ludwig Erhard unter den Staatsmännern die größten Verdienste um die Erhaltung der Marktwirtschaft hat.

Seine Verdienste reichen über diesen Tag hinaus. Seine Leistungen verpflichten uns zu tiefer Dankbarkeit. Sein Vermächtnis wird uns Mahnung und Ansporn sein. Wir werden Karl Schiller nicht vergessen.