Abschied von Hans Klein - Staatsakt im Deutschen Bundestag

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Ansprache von Bundesminister Dr. Waigel

Bundesminister Dr. Theo Waigel, Vorsitzender der Christlich-Sozialen Union,
hielt bei dem Staatsakt folgende Ansprache:

Liebe Frau Klein, liebe Familie Klein,
sehr verehrte Frau Präsidentin,
Herr Bundesratspräsident,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

wir haben uns im Plenarsaal des Deutschen Bundestages versammelt, um Abschied
zu nehmen von einer Persönlichkeit, die 20 Jahre Mitglied des Hohen Hauses war
und seit 1990 zu dessen Vizepräsidenten gehörte.

Hans Klein ist nicht mehr. Kurz nach seinem 65. Geburtstag – ein Alter, in
dem andere nach einem arbeitsreichen Leben ihren wohlverdienten Ruhestand
antreten – wurde er jäh aus unserer Mitte gerissen.

Wir alle, seine Frau, seine Kinder, seine Freunde, Mitarbeiter und
Weggefährten, haben bis zuletzt gehofft, daß es Hans Klein wieder schaffen
würde. Aber bei unserem letzten Telefongespräch, liebe Frau Klein, wenige
Stunden vor seinem Tod – ohne daß wir darüber redeten – wußten wir: Es wird
wohl nicht sein. Unsere Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Der Allmächtige über
uns wollte es anders.

In dieser Stunde der Trauer gilt unsere Anteilnahme seiner Familie, besonders
seiner Frau, die ihm in guten und in schweren Tagen aufopferungsvoll zur Seite
stand.

Der berufliche Lebensweg des von uns Gegangenen vollzog sich auf der Bühne
der Diplomatie, des Journalismus und der Politik. Seit 1972 war Hans Klein
Mitglied der Christlich-Sozialen Union. Er hat dabei die Politik meiner Partei
in entscheidenden Positionen mitgestaltet und ihr seinen unverwechselbaren
persönlichen Stempel aufgedrückt.

Sein außenpolitisches Engagement galt der europäischen Einigung und der
Festigung der transatlantischen Gemeinschaft ebenso wie der Friedenssicherung
durch gleichgewichtige Abrüstung und Rüstungskontrolle zwischen den großen
Blöcken. In seine Zeit als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit
fielen grundlegende Entscheidungen der Umschuldungs- beziehungsweise
Schuldenerlaß-Abkommen für die Länder der Dritten und der Vierten Welt. Auf der
internationalen Bühne gelang es ihm, den Menschen zu helfen und Deutschlands
Ansehen in der Welt zu stärken.

Seine Jugendzeit war überschattet vom braunen wie vom roten Terror. Bei der
Machtergreifung der Nazis war er zwei Jahre alt. Den Einmarsch der Roten Armee
erlebte er als 14jähriger. Seine Antwort auf Totalitarismus und Unrecht war
sein unverbrüchliches Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaat.

Demokratie braucht Spielregeln. Als Vizepräsident des Deutschen Bundestages
fühlte sich Hans Klein stets bemüht, beim demokratischen Streit auf einen
Ausgleich zwischen den Fraktionen hinzuwirken. Die Rolle als Vermittler
übernahm er in staatsmännischer Weise. Seine Amtsführung war bis zuletzt durch
Souveränität geprägt.

Er zählte zu den wenigen Seiteneinsteigern, die den Sprung in die große
Politik geschafft haben. Seine ursprünglichen beruflichen Ambitionen galten
dem Journalismus. Als Pressesprecher bei den Olympischen Spielen 1972 fiel ihm
die schwere Aufgabe zu, die Welt über den schrecklichen Terroranschlag in
München unterrichten zu müssen. Ende der 80er Jahre fand er noch einmal den
Weg zu den von ihm immer geschätzten Kollegen der schreibenden und
berichtenden Zunft zurück – als Regierungssprecher und Chef des
Bundespresseamtes, an der Schaltstelle zwischen Medien und Regierung.

In jenen politisch bedeutsamen Monaten zwischen der Öffnung der Mauer und der
Verwirklichung der staatlichen Einheit Deutschlands hat er sein exzellentes
journalistisches Einfühlungsvermögen immer wieder unter Beweis gestellt. Die
Teilnahme an den historischen Gesprächen im Kaukasus über die
Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und mit voller Westbindung zählte
zu den Höhepunkten seines Lebensweges.

Ob in Amman oder Damaskus, ob in Washington oder Moskau – Hans Klein war
weltweit zu Hause. Aber wirklich daheim war er in Bernau und in München,
dessen Mitte er einmal als Deutschlands schönsten Wahlkreis bezeichnet hat.

Bayerns Metropole als Wahlheimat galt seine Liebe. Doch gleichzeitig blieb
seine Treue zum Sudetenland als seiner wahren Heimat ungebrochen. Als
gebürtiger Sudetendeutscher sah er seine Aufgabe immer darin, die berechtigten
Belange der Heimatvertriebenen politisch zu vertreten und gleichzeitig den
Ausgleich und die Versöhnung zwischen dem deutschen und dem tschechischen Volk
voranzubringen. Revanchismus war ihm zutiefst fremd. Er wußte um die Bedeutung
von Rechtspositionen. Aber das Entscheidende sah er immer im Bekenntnis zur
historischen Wahrheit und in der Verständigung zwischen konkret Betroffenen.

Mit Hans Klein hat die Christlich-Soziale Union einen Politiker verloren, dem
es stets gelang, politische Loyalität mit eigenständigem Denken zu verbinden.
Er war einer, auf den man sich verlassen konnte, der den jüngeren Kollegen mit
Rat und Tat zur Seite stand und der im politischen Bereich jenes Maß an
Menschlichkeit und Fröhlichkeit bewahrt hat, das für die politische Kultur
unseres Landes so wichtig ist.

In der parteipolitischen Auseinandersetzung stand er immer für Sachlichkeit
und Fairneß. Seine Arbeit in Partei, Fraktion und Bundestag war bestimmt durch
den Willen und die Fähigkeit zum konstruktiven Dialog. Für mich war er ein
vorbildlicher Demokrat, mitunter hart in der Sache, aber immer konziliant im
Ton und zum vernünftigen Kompromiß bereit.

Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schätzten seine Hilfsbereitschaft und
seinen Humor. Für viele seiner Bewunderer war er der Inbegriff eines Kavaliers
der alten Schule, dessen Markenzeichen die stets korrekt gebundene Fliege war.
Was ihn in den Augen seiner Kolleginnen und Kollegen auszeichnete, war sein
durch Charme, Esprit und Noblesse geprägtes Verhalten. Er hatte viel zu tun
und hatte doch immer viel Zeit für seine Freunde und alle, die seinen Rat
suchten – für alle von uns ein Vorbild. In der Nacht, wenn ihn jemand besuchte
– und sein nächstes Buch mußte am nächsten Vormittag fertig sein –, hatte er
dennoch Zeit – fünf, zehn Minuten oder mehr –, um mit dem, der zum ihm kam,
mit ihm reden wollte, von ihm Rat suchte, zu sprechen. Für seine Weggefährten
war er schlicht die Verkörperung der vielzitierten "liberalitas bavariae".

Wir nehmen heute Abschied von Hans Klein, der in der Christlich-Sozialen
Union wie im Hohen Haus eine große Lücke hinterläßt. Wir sagen ihm ein
herzliches Wort des Dankes für seine Arbeit. Er hat sich um sein deutsches
Vaterland und seine bayerische Heimat verdient gemacht.

Im Schnellzug von München nach Bonn hatte der Tod bei Hans Klein angeklopft.
"Mir wird plötzlich so kalt", sagte er zum Schaffner, nichtsahnend, daß es
seine letzte Fahrt werden würde.

Der tschechische Dichter Jan Skácel, dessen Heimat wie die von Hans Klein in
Mähren liegt, beschreibt in einem Feuilleton über den eigenen Tod "Die letzte
Fahrt mit der Lokalbahn":

Wenn ich einmal sterben muß, hole ich mir den Tod mit der Lokalbahn, die von
Heinrichsburg nach Neuwildenbrunn fährt ...
Die Strecke führt durch eine Landschaft mit Teichen und Schilf, das scharf
ist wie die Sehnsucht ...
Die Stille dort ist süß und dicht ...
Die Minuten sind dünn wie die Seiten der Heiligen Schrift, die Begebenheit
liebenswert, die Lieder ohne Worte ...
Ab und zu, wenn ich genug habe vom langen Sitzen, werde ich neben dem Zug
hergehen und mir für das Grab einen Strauß Pechnelken pflücken ...
Ankommen werden wir am Abend.
... und auf dem Bahnhof wird auf mich der Tod warten. Ich werde ihm die Hand
geben und sagen:
"... Der Weg hat mich ganz geschafft."

Hans Klein ist angekommen. Er ist daheim.

Aus seiner Heimat in Mährisch-Schönberg über Wallerstein, Heidenheim,
München, Bonn und Bernau, über Großbritannien, Jordanien, Syrien, den Irak und
Indonesien ist er in seiner letzten, der ewigen Heimat angekommen.

Ortega schrieb einmal: "Wie einsam sind doch die Toten!"

Wenn jemand in dieser Stunde einsam ist, so sind das wir, die wir einen
unvergessenen Politiker und einen großartigen Menschen verloren haben. Es ist
kälter geworden, seit Hans Klein nicht mehr unter uns ist.

Ich betrauere einen meiner engsten politischen Weggefährten und einen wahren
Freund.

Wir verneigen uns vor ihm.