abschied von franz josef strauss - staatsakt in der residenz muenchen

  • Bundesregierung ⏐ Startseite
  • Bulletin

  • Schwerpunkte

  • Themen   

  • Bundeskanzler

  • Bundesregierung

  • Aktuelles

  • Mediathek

  • Service

am 7. oktober 1988 nahm die bundesrepublik deutschland
mit einem staatsakt im herkulessaal der residenz muenchen
nach einem pontifikalrequiem im dom zu unserer lieben frau
abschied von franz josef strauss, ministerpraesident
des freistaates bayern und vorsitzender der christlich-
sozialen union. in anwesenheit der familienangehoerigen,
mitgliedern des parlamentes, der bundesregierung,
der bayerischen staatsregierung und der bundeslaender,
des diplomatischen korps und zahlreicher auslaendischer
trauergaeste sowie von repraesentanten des oeffentlichen
lebens und der kirchen wuerdigten der stellvertretende
bayerische ministerpraesident, der bundeskanzler, der
praesident des bundesrates und der bundespraesident
leben und verdienste von franz josef strauss.

ansprache des bundeskanzlers

bundeskanzler dr. helmut kohl wuerdigte franz josef
strauss mit nachstehender ansprache:

wir sind in dieser stunde zusammengekommen, um von
franz josef strauss abschied zu nehmen. sein tod hat uns
alle sehr bewegt.
unser tiefes mitgefuehl gilt seinen angehoerigen - vor
allem ihnen, der tochter, und ihnen, den beiden soehnen.
sie haben ihren vater verloren. wir trauern mit ihnen.
mit dem tod von franz josef strauss ist die deutsche politik
aermer geworden. die unionsparteien verlieren mit ihm eine
ihrer bedeutendsten persoenlichkeiten. ich selbst verliere
einen weggefaehrten, mit dem ich in vielen jahren fuer unsere
gemeinsamen ideale gekaempft habe.
franz josef strauss hat sich auf grund seiner
lebenserfahrungen in krieg und diktatur schon in jungen jahren
der politik verschrieben. er tat dies, um sich der moralischen
und historischen herausforderung der katastrophe und des
neubeginns 1945 zu stellen.
er wollte seinen beitrag dazu leisten, um unser vaterland
zurueckzufuehren in eine ordnung des rechts, der freiheit
und der sozialen gerechtigkeit. er wollte europa und die
christlich gepraegte abendlaendische welt in einer
dauerhaften architektur des friedens und der freiheit
zusammenfuegen.
diese verantwortung vor der geschichte und dieser auftrag
fuer die zukunft verbanden ihn, den sehr viel juengeren,
mit den herausragenden gruendungsvaetern unserer
bundesrepublik deutschland: mit konrad adenauer, ludwig
erhard, mit theodor heuss, mit kurt schumacher.
franz josef strauss hat die geschichte des neuen, des
freiheitlichen deutschland ueber 40 jahre lang massgeblich
mitgestaltet. er hat die kontinuitaet des aufbruchs
und des neuanfangs ueber die generationen hinweg
gesichert.
er war der letzte grosse repraesentant der
gruendergeneration, die die bundesrepublik deutschland gepraegt
hat. zugleich war er der einzige aus diesem kreis, der bis in
die gegenwart hinein als politisch handelnder die geschicke
unseres landes mitbestimmt hat.
er kam aus der kriegsgeneration. sein leidenschaftliches
engagement gruendete in den bitteren erfahrungen mit krieg
und gewaltherrschaft und deren schlimmen folgen.
er war - wie viele andere - zurueckgekommen mit all diesen
erfahrungen und hatte sich geschworen: nie wieder krieg -
und alles fuer die freiheit. aus dieser ueberzeugung hat er
unserem lande gedient, geformt von seinem christlichen
elternhaus, gepraegt von seiner humanistischen bildung und
geleitet von der christlich-sozialen idee, die zeit seines
politischen lebens fuer ihn wegweisung war.
vor bald vierzig jahren wurde das grundgesetz fuer die
bundesrepublik deutschland verkuendet. es ist das dokument
des freiheitswillens aller deutschen - einschliesslich
jener deutschen, "denen mitzuwirken versagt war", wie es
in der praeambel unserer verfassung heisst.
das handeln von franz josef strauss war bestimmt von
diesem freiheitswillen. dies war das fundament seiner
leidenschaftlichen mitwirkung an allen wesentlichen innen-
und aussenpolitischen entscheidungen, die den weg der
bundesrepublik deutschland bis heute bestimmt haben und
auch in zukunft bestimmen werden:

- die entscheidung fuer die soziale marktwirtschaft als
gesellschaftsordnung der freiheit und solidaritaet,
- die entscheidung fuer die staatsordnung der
freiheitlichen demokratie und des foederalismus,
- die entscheidung fuer das buendnis mit dem westen als
werte- und verteidigungsgemeinschaft.
die geschichte der vergangenen vier jahrzehnte hat
bewiesen, dass diese drei entscheidungen untrennbar
zusammengehoeren. ihnen verdanken wir ein nie gekanntes
mass an freiheit, an frieden und wohlstand.
dies ist mit das verdienst von franz josef strauss.

mit konrad adenauer war er zutiefst ueberzeugt, dass diese
innen- und aussenpolitischen festlegungen unser land von
neuem an seine freiheitlichen und humanen traditionen
anbinden wuerden. genauso ueberzeugt war er andererseits
davon, dass sich in den beiden weltkriegen die europaeische
ordnung der nationalstaaten und deren ideologien erschoepft
hatte und dass europa eine neue innere ordnung und
weltpolitische aufgabe finden muesse.
franz josef strauss hat es stets als eine seiner vornehmsten
aufgaben angesehen, das bewusstsein der deutschen fuer
diese zusammenhaenge zu schaerfen. leidenschaftliches
engagement fuer die sache der freiheit zeichnete ihn dabei
ebenso aus wie ein klarer blick fuer die realitaeten und ein
scharfer analytischer verstand. er dachte dabei stets in
historischen dimensionen.
er war sich bewusst, dass nur der demokratische rechtsstaat
unserem gemeinwesen jenen inneren frieden bringen
wuerde, der zur entfaltung aller schoepferischen kraefte in
staat und gesellschaft notwendig ist.
er setzte darauf, dass die soziale marktwirtschaft stabile
grundlagen fuer sozialen ausgleich und soziale sicherheit
schaffen und damit entscheidend zur stabilitaet des
demokratischen rechtsstaates beitragen wuerde. so vertrat er
engagiert das von ludwig erhard vorgelegte konzept der
sozialen marktwirtschaft. es ging ihm und uns gemeinsam
um die vision einer gesellschaft, in der freiheit und
selbstverantwortung und solidaritaet mit dem naechsten und in
uebereinstimmung mit dem gemeinwohl gelebt werden koennen.
im zeichen des ost-west-gegensatzes wurde schon
bald nach kriegsende die erkenntnis unabweisbar, dass
der innere friede auch nach aussen abgesichert werden
muesse - im buendnis mit den freien voelkern des westens.
der massgebliche anteil von franz josef strauss am aufbau
unserer bundeswehr ist unbestritten. dies wird mit
dem begriff "wiederbewaffnung" nur sehr unzureichend
beschrieben. denn im kern ging es dabei um die
unwiderrufliche bindung unseres landes an die
wertegemeinschaft freiheitlicher demokratien: gewissermassen
um das aussenpolitische gegenstueck zur innenpolitischen
entscheidung fuer den absoluten vorrang der menschenwuerde,
fuer rechtsstaatlichkeit und demokratie.
diese politischen grundueberzeugungen waren fuer ihn
konsequenz aus seinem christlichen menschenbild, aus
seinem verstaendnis der werteordnung.
fuer franz josef strauss konnte es nach den bitteren
erfahrungen dieses jahrhunderts patriotismus nur noch in
europaeischer perspektive geben, vaterlandsliebe und
freiheitsliebe bildeten fuer ihn ein untrennbares ganzes.
deshalb betonte er in der deutschlandpolitik - ganz im sinne
adenauers -, dass die freiheit bedingung der einheit sei -
und nicht ihr preis.
die forderung nach friede und freiheit und einheit fuer alle
deutschen war fuer ihn eine selbstverstaendlichkeit, gerade
weil er die perversion dieser ideale durch den
nationalsozialismus erfahren hatte.
mit franz josef strauss verlieren wir einen mutigen und
entschlossenen vorkaempfer fuer die freiheit der deutschen
im innern und nach ausseine voraussetzung fuer
diese freiheit war die deutsch-franzoesische
aussoehnung - und deshalb stritt er ganz
entschieden fuer sie. er war einer der wegbereiter dieser
versoehnung, die zu den groessten werken des friedens in
unserem jahrhundert zaehlt.
ich moechte hier auch seinen unermuedlichen einsatz fuer
die europaeische einigung wuerdigen. er war mit ganzem
herzen europaeer, und er war es aus vernunft.
doch auch hier blieb er foederalist: was ihm vorschwebte,
war nicht eine kuenstliche einheit - gleichsam ein europa aus
der retorte -, sondern eine ordnung, in der die nationalen
traditionen und regionalen eigenheiten sich voll entfalten
koennen.
dabei verlor er nie aus dem auge, dass der europaeische
pfeiler des nordatlantischen buendnisses gestaerkt werden
muss, wenn die bruecke, die europa und amerika miteinander
verbindet, auf dauer halten soll. diese ueberlegung war bei
ihm nie gegen amerika gerichtet, sondern - im gegenteil -
ausdruck eines besonders wachen interesses an einer
stabilen, an einer gleichberechtigten partnerschaft mit
unseren freunden jenseits des atlantiks.
franz josef strauss war ein streitbarer demokrat. er besass
die faehigkeit, in leidenschaftlicher auseinandersetzung um
den richtigen weg der politik zu ringen. er war einer von
denen, die hart agieren, reden, angreifen konnten. er war
auch einer, der in diesen jahren und jahrzehnten viele
angriffe und anfeindungen erfahren hat. ich weiss, dass er
darunter auch gelitten hat.
er zitierte gern den athener staatsmann solon mit dem
wort, dass es schwer sei, bei grossen unternehmungen
allen zu gefallen. franz josef strauss hat, wie kaum ein
anderer, diese erkenntnis erfahren - und auch erleiden -
muessen. die pfeile waren haeufig auf ihn gerichtet, aber er
hat sie auch immer wieder auf sich gezogen.
in der zuspitzung suchte er klaerung und diese klaerung war
fuer ihn voraussetzung fuer verantwortliches handeln. franz
josef strauss hat, wo er das fuer richtig hielt, polarisierung
nicht gescheut - aber er hat ebenso integriert, versoehnt und
menschen zusammengefuehrt. seine grosse integrationsleistung
in der christlich-sozialen union ueber jahrzehnte hinweg
wird vielleicht deshalb so wenig herausgestellt, weil ihr
erfolg inzwischen als selbstverstaendlich gilt, diese leistung
bleibt ein sicheres fundament fuer die gemeinsame zukunft
der union.
franz josef strauss war aber ebenso faehig, dem politischen
gegner respekt zu erweisen und menschlich versoehnlich
zu begegnen. in seinen reden vermochte er die menschen
mitzureissen und zu begeistern - vor allem auch deshalb,
weil er stets wusste, was sie bewegte, er war ein
volkstuemlicher politiker im besten sinne dieses wortes.
seine ueberzeugungskraft beruhte auf seinen analytischen
faehigkeiten, auf seiner sprachgewalt - und nicht zuletzt
darauf, dass er hier in seiner bayerischen heimat
verwurzelt war, die ihm so viel bedeutete und die er in
einer ganz unvergleichlichen weise repraesentierte.
er bezog seine kraft aus seiner heimat. menschliches
glueck war fuer ihn nur im zuhause zu finden - bei den
menschen, die ihn trugen. er brauchte diese spannung
zwischen geborgenheit und weltweiter neugier und
aktivitaet, um sich voll entfalten zu koennen.
sein name steht fuer das moderne bayern, fuer den
beispielhaften strukturwandel, der sich vor allem dank
seiner initiative in bayern vollzogen hat. er war ein
moderner konservativer.
franz josef strauss bewies eine weltoffenheit, die mit der
liebe zur heimat in einklang stand, und er stand fuer jene
spezifische form der liberalitaet, deren quelle grossmut ist
und nicht die gleichgueltigkeit gegenueber sittlichen werten.
das grosse erbe bayerischer tradition hat er bewahrt und
fortgefuehrt.
waslaezchkeit deutlich
wurde, das war sein sinn fuer geschichte, sein historisches
bewusstsein: er war ein mensch, der die geschichte kannte
und der aus der geschichte lebte.
er war einer, der wusste, dass die welt von morgen nur
gestaltet werden kann, wenn man die welt von gestern und
heute begreift. diese gemeinsame ueberzeugung war eine
wesentliche grundlage fuer unsere gemeinsamkeit im
handeln.
ich erinnere mich dankbar an die anregungen, die ich in
den langen jahren unseres gemeinsamen weges bei
gespraechen und diskussionen von ihm erhalten habe. dies
hat uns mehr verbunden, als mancherlei diskussion im
politischen alltag zu trennen vermochte.
franz josef strauss war ein mann voller leidenschaft, ein
urgestein, oft hart und schroff, an dem man sich reiben
konnte und auch reiben musste.
freunde und gegner haben immer wieder versucht, ihn in
ein schema zu zwaengen. doch keiner dieser versuche
konnte und kann gelingen. wir wollen diesen mann als das
gelten lassen, was er wirklich war: eine grossartige, eine
kraftvolle persoenlichkeit mit all ihren kanten, aber stets
von herausragendem format.
franz josef strauss war eine der grossen persoenlichkeiten
der deutschen nachkriegsgeschichte. wir - cdu und csu -
verdanken ihm viel.
franz josef strauss hat sich um unser vaterland verdient
gemacht.