zur entscheidung von bundesminister de maiziere

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der bundesminister des innern, dr. wolfgang
schaeuble, erklaerte am 17. dezember 1990 in bonn:

am freitag der vorvergangenen woche (7. dezember 1990)
hat der bundeskanzler mich beauftragt und herr de maiziere
mich gebeten, die vorwuerfe hinsichtlich einer angeblichen
mitarbeit von herrn de maiziere als informeller mitarbeiter
der staatssicherheit aufzuklaeren, soweit dies eben moeglich
sei.
ich habe auf grund dieses auftrages und auf grund dieser
bitte von herrn de maiziere mich mit dem beauftragten fuer
die akten der staatssicherheit, mit herrn gauck, am montag
vergangener woche (10. dezember 1990)
zusammengesetzt. wir haben ein intensives gespraech darueber
gefuehrt, welche aufklaerungsmassnahmen auf grund der
vorhandenen akten der staatssicherheit, soweit sie ueberhaupt
bisher durch herrn gauck und seine mitarbeiter gesichtet
waren und gesichtet werden konnten, vorgenommen
worden sind.
ich habe herrn gauck gebeten, angesichts der besonderen
situation und der besonderen persoenlichkeit, die von
diesen vorwuerfen oder verdaechtigungen betroffen ist - der
ministerpraesident der ehemaligen ddr bis zur
wiedervereinigung und mitglied der bundesregierung, lothar
de maiziere -, jede nur moegliche anstrengung zu
unternehmen und insbesondere, soweit moeglich, den
gesamtbestand an akten der abteilung xx/4, das ist die abteilung
der staatssicherheit, die sich mit aufklaerung oder bespitzelung
oder beschnueffelung - wie immer sie das nennen wollen -
der evangelischen kirche befasst hat, durchzuschauen, um,
unbeschadet der tatsache, dass eine akte ueber herrn
de maiziere nicht vorhanden war, was ja seit langem
bekannt ist und alle wissen, zu pruefen, ob es anhaltspunkte
gibt, die diese verdaechtigungen bestaetigen oder widerlegen
koennen.
herr gauck hat mir heute vormittag das vorlaeufige ergebnis
seiner intensiven untersuchungen in diesen acht tagen
mitgeteilt. wir haben das auch in anwesenheit von herrn
de maiziere eroertert, und ich moechte zunaechst einmal
mich bei herrn gauck und seinen mitarbeitern fuer die sehr
intensiven arbeiten in kurzer zeit bedanken. das vorlaeufige
ergebnis dieser untersuchungen laesst sich in der juristischen
reduktion auf das, was man als gegeben oder nicht
gegeben ansehen kann, in wenigen saetzen zusammenfassen:
zunaechst einmal spricht das, was aus den akten der
staatssicherheit herausgefunden werden konnte oder in dieser
woche gefunden wurde, dafuer, dass es seit dezember 1981
bei der staatssicherheit einen informellen mitarbeiter unter
dem decknamen czerny gegeben hat. dafuer spricht die
aktenlage sehr eindeutig.
es spricht die aktenlage auch eindeutig dafuer, dass diese von
der stasi als informeller mitarbeiter behandelte person
angesetzt war aus dem verstaendnis der staatssicherheit auf
die aufklaerung der evangelischen kirche - deswegen auch
diese abteilung der staatssicherheit xx/4. es gibt hinweise
jahre, diese person, die mit dem decknamen czerny erfasst
ist, mitglied der bundessynode gewesen sein koennte.
es gibt keinerlei hinweise in den aufgefundenen akten, was
dieser fuer den decknamen czerny erfasste informelle
mitarbeiter oder diese person muendlich oder schriftlich
berichtet hat oder nicht. es gibt hinweise darauf, dass die
gesamte durch den fuehrungsoffizier erfasste oder gefertigte
berichterstattung insgesamt vier aktenordner umfasst hat. aber
wir haben lediglich die leeren aktendeckel, bei denen auch die
aufschriften durch radierungen entfernt worden sind,
jedenfalls bis auf bruchstueckhafte rudimente: vier
aktenordner mit bis zu 300 seiten oder 300 blatt koennten in
diesen jahren seit 1981 das material, was als
berichterstattung dieser quelle oder dieses mitarbeiters erfasst
worden ist, gewesen sein.
aber, wie gesagt, es ist voellig unklar, es gibt keine
anhaltspunkte, keine unterlagen - jedenfalls sind keine bisher
gefunden worden -, was gegenstand dieser
berichterstattung gewesen ist.
es gibt zum dritten einzelne hinweise in den akten, die fuer
eine identitaet von lothar de maiziere mit dieser person, die
bei der staatssicherheit unter dem decknamen czerny
erfasst ist, sprechen koennten. die hinweise sind allerdings
nicht klar und deutlich genug, sie sind auch nicht so
zahlreich, dass man nach der vorhandenen aktenlage von einem
beweis sprechen koennte.
es gibt allerdings in den akten auch keine hinweise auf die
identitaet einer dritten persoenlichkeit mit diesem mitarbeiter.
wie gesagt, einzelne hinweise koennten fuer eine identitaet
sprechen - mehr ist es nicht, aber weniger auch nicht.
das vierte, das ich auch feststellen kann - jedenfalls als
vorlaeufiges ergebnis der untersuchungen -, ist, dass es aus
dem gesamtmaterial keinerlei zwingenden hinweis dafuer
gibt, dass diejenige person, die in dem verstaendnis der
staatssicherheit czerny war, ueberhaupt selbst wusste, dass
sie czerny ist.
es ist durchaus moeglich - das wird durch das material
ueberhaupt nicht ausgeschlossen, dass, wer immer diese
persoenlichkeit war, die mit dem decknamen czerny in den
akten der staatssicherheit erfasst war, gar nicht wusste, dass
sie als informeller mitarbeiter bei der staatssicherheit
gefuehrt worden ist oder nicht und dass sie mit einem
decknamen czerny erfasst worden ist oder nicht.
auch dafuer - weder fuer die positive aussage noch fuer das
gegenteil - gibt es klare hinweise in den akten. ich sage
das deswegen, weil ich ja die dritte bemerkung auch
machen musste, dass es einzelne hinweise auf die identitaet
mit herrn de maiziere gibt. aber selbst wenn es diese
hinweise gibt, gibt es keine irgendwie zwingenden oder
schluessigen hinweise, die belegen, dass der oder die
betroffene es selbst gewusst hat. das ist das vorlaeufige
ergebnis der untersuchungen.
wir werden versuchen, aus den akten, mit hilfe der akten
weitere klarheit zu finden. die wahrscheinlichkeit, dass sich
aus den vorhandenen akten weitere klarheit ergeben wird,
ist allerdings nicht sehr gross, weil in dieser woche schon
intensiv gearbeitet worden ist.
wir werden auch versuchen, mit denjenigen, die als
belastungszeugen sich auch gegenueber medienorganen der
bundesrepublik deutschland in der vergangenheit
hervorgetan haben, in unmittelbaren kontakten weiter
aufklaerung zu finden. soweit kann und muss ich zum stand
der aufklaerungsarbeiten berichten.

der bundesminister fuer besondere aufgaben, lothar
de maiziere, erklaerte am 17. dezember 1990:

sie haben die ausfuehrungen des herrn
bundesinnenministers gehoert. ich habe ihnen in auswertung
des gespraechs mit herrn gauck nichts hinzuzufuegen.
ob im ministerium fuer staatssicherheit eine akte ueber mich
gefuehrt wurde oder nicht, kann ich weder bestaetigen noch
verneinen.
ich bleibe bei meinen bisherigen aussagen und lege auf
folgende feststellungen wert:
- meine kontakte zum ministerium fuer staatssicherheit
ergaben sich aus meiner anwaltlichen taetigkeit und
waren darauf gerichtet, meinen mandanten zu nuetzen und
ihnen behilflich zu sein.
- zu keinem zeitpunkt habe ich eine
verpflichtungserklaerung gegenueber dem ministerium fuer
staatssicherheit unterzeichnet oder berichte geliefert.
- ich habe weder geld noch sonstige verguenstigungen
entgegengenommen.
ich muss erkennen, dass bei der bewaeltigung der
stasiproblematik die schwierige situation entsteht, dass der
so beschuldigte seine unschuld beweisen muss und dass
in den raum gestellte verdaechtigungen ein hohes gewicht
haben.
ich moechte weder die regierungstaetigkeit noch die taetigkeit
meiner partei mit der unklaren situation belasten. ich habe
mich daher zu folgendem entschieden:
1.
dem herrn bundeskanzler habe ich mitgeteilt, dass ich
um meine abberufung als bundesminister fuer besondere
aufgaben bitte, und zugleich, dass ich fuer ein
regierungsamt nicht zur verfuegung stehe.
2.
bezueglich meiner parteiaemter als stellvertretender
bundesvorsitzender der cdu und landesvorsitzender der
cdu-brandenburg habe ich gebeten, einen beschluss
herbeizufuehren, dass diese aemter ruhen.
3.
mein abgeordnetenmandat werde ich wahrnehmen und
gleichzeitig alles in meinen kraeften stehende
unternehmen, um den erhobenen verdacht auszuraeumen.
4.
den herrn bundesminister dr. schaeuble habe ich
gebeten, die untersuchungen fortzufuehren.
seit der wende und seit meiner wahl zum cdu-vorsitzenden
der damaligen ddr habe ich meine ganze kraft in den
unterschiedlichen positionen, in die ich gestellt wurde,
eingesetzt, um freiheitliche, demokratische und
rechtsstaatliche verhaeltnisse in einem geeinten deutschland
aufbauen zu helfen. ich habe mich nicht geschont.
mir ist bewusst, dass neben gelungenem auch weniger
gelungenes steht. fuer meine taetigkeit habe ich zustimmung
ebenso erhalten wie kritik. ich gewann freunde und
machte mir offensichtlich auch feinde.
ich will klarheit in der sache, und zwar im interesse meiner
familie, meiner person und im interesse der politischen
kultur.

bundeskanzler dr. helmut kohl erklaerte am 17.
dezember 1990 zu der entscheidung von bundesminister lothar
de maiziere:

ich respektiere die entscheidung von lothar de maiziere.
sie hat mich menschlich tief bewegt. ich kenne lothar
de maiziere jetzt seit etwa einem jahr und habe ihn waehrend
dieser zeit in politischer und menschlicher hinsicht sehr zu
schaetzen gelernt.
ich weiss um die grossen verdienste, die er sich insbesondere
als ministerpraesident der ehemaligen ddr erworben hat,
und um seinen unermuedlichen einsatz fuer die menschen.
lothar de maiziere hat mein volles vertrauen gewonnen,
und ich habe auch heute keinen anlass, an seinem wort zu
zweifeln.
auch fuer lothar de maiziere muss der allgemeine
rechtsstaatliche grundsatz beachtet werden, dass jede form
von vorverurteilung unzulaessig und ungerecht ist.

entlassung aus dem amt als bundesminister

die pressestelle des bundespraesidenten teilt mit:

bundespraesident richard von weizsaecker hat am 19.
dezember 1990 gemaess art. 64 abs. 1 des grundgesetzes auf
vorschlag des bundeskanzlers
den bundesminister fuer besondere aufgaben
herrn lothar de maiziere
auf seinen antrag aus dem amt als bundesminister
entlassen.