zum gedenken an jakob kaiser - ansprache von bundesminister dr. wilms im berliner reichstag

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der bundesminister fuer innerdeutsche beziehungen,
dr. dorothee wilms, hielt anlaesslich der verleihung des
jakob-kaiser-fernsehpreises und des ernst-reuter-
hoerfunkpreises am 4. februar 1988 im reichstagsgebaeude
in berlin folgende ansprache:

es gibt wohl kaum einen ort in deutschland, der in solch
dichter symbolik fuer geschichte und gegenwart in unserem
lande steht wie das gebaeude des deutschen reichstages
hier in berlin, in blicknaehe zum brandenburger tor und zur
mauer, die diese stadt teilt.
hier wird deutsche geschichte in freiheitlicher europaeischer
tradition manifest. aber auch jenes duestere kapitel der
nationalsozialistischen gewaltherrschaft hat seine schatten
auf dieses haus geworfen - mit den gerade hier ins blickfeld
gerueckten politischen und menschlichen folgen fuer europa
und deutschland bis auf den heutigen tag.
es gibt kaum einen anderen ort in deutschland, an dem
sich verpflichtung so sehr aufdraengt, fuer eine ordnung des
zusammenlebens zu kaempfen, die auf dem
selbstbestimmungsrecht des menschen aufbaut und im eigentlichen
wortsinne menschengerecht ist, als hier.
ich bin dem herrn bundestagspraesidenten dankbar, dass ich
heute zur verleihung des jakob-kaiser- und ernst-reuter-
preises 1987 hier in diesem hause zu gast sein darf. hier
spannt sich ein bogen zwischen dem, was sich an
geschichtlicher und politischer erfahrung im bau des
deutschen reichstages zusammenfuegt, und dem, was auch in
den anliegen der beiden preise zum ausdruck gelangt. ich
meine das fortbestehen der einheit der deutschen nation
trotz der gegen das selbstbestimmungsrecht erzwungenen
staatlichen teilung.
lassen sie mich an dieser stelle einige ausfuehrungen zu
dem einen der beiden namensgeber, zu jakob kaiser,
machen. in wenigen tagen, am 8. februar 1988, jaehrt sich
sein geburtstag zum 100. mal. und es mag auch eine
besondere anerkennung fuer die mit diesem preise
ausgezeichneten sein, wenn wir bei diesem anlass die gestalt
jakob kaisers als der des ersten bundesministers fuer
gesamtdeutsche fragen wuerdigen.
jakob kaiser wurde am 8. februar 1888 in hammelburg in
unterfranken geboren. er lernte das handwerk seines
vaters, das des buchbinders, und zeigte sich sehr frueh
aufgeschlossen fuer soziale fragen. schon vor dem ersten
weltkrieg arbeitete er als sekretaer des koelner kartells
christlicher gewerkschaften. nach zweimaliger schwerer
verwundung im ersten weltkrieg nimmt er die gewerkschaftliche
taetigkeit wieder auf, arbeitet im reichsvorstand des
zentrums und wird im januar 1933 bei der letzten, schon
nur bedingt freien wahl in den reichstag gewaehlt.
hieran ist in diesem hause zu erinnern, auch wenn sein
mandat mit der aufloesung dieses parlaments durch die
hitlerdiktatur schon wenige wochen spaeter erlosch. es
kennzeichnet die auffassung jakob kaisers von der
verantwortung eines demokratisch legitimierten mandats, wenn er
fortan kontinuierlich gegen die braune diktatur arbeitete.
sein weg war von der ueberzeugung geleitet, dass das volk
seine nationale einheit in der ueberwindung der vielfachen
inneren und sozialen gegensaetze bewahren muesse. die
totalitaetsansprueche von links und rechts hatte er schon in
der weimarer zeit konsequent abgelehnt. seine wohnung
in berlin wurde zum treffpunkt der bedeutendsten koepfe
des widerstandes gegen hitler, er selbst entging der
toedlichen verfolgung nach dem 20. juli 1944 wie durch ein
wunder.
nach kriegsende stellte sich jakob kaiser ohne zoegern
dem aufbau des gewerkschaftswesens in berlin und in der
sowjetischen besatzungszone. er war mitbegruender der
cdu in der sowjetzone und wurde ende 1945 deren
vorsitzender, als andreas hermes von der besatzungsmacht
abgesetzt worden war, weil dieser sich weigerte, der
entschaedigungslosen enteignung im zuge einer sowjetisierten
bodenreform zuzustimmen.
es bleibt ein entscheidendes kriterium der betrachtung aller
dieser vorgaenge in der zeit von 1945 bis 1955, dass wir
heute aus der rueckschau der ereignisse "klueger" sind als
jene, die damals nach der katastrophe der hitlerdiktatur und
des kriegsendes in die verantwortung taeglicher
entscheidung gezwungen wurden. jakob kaiser und mit ihm der
uebergrossen zahl der deutschen war die zukunft dunkel.
aber sie durften nach den erklaerungen der siegermaechte
damit rechnen, dass die einteilung in besatzungszonen
voruebergehend sein werde und dass ein friedensvertrag mit
deutschland allen deutschen ein gleiches geschick
auferlegen werde.
die gefahr lang anhaltender teilung wurde fuer die
allermeisten erst im laufe von jahren erkennbar. sie war keine
unmittelbar zwingende folge des kriegsendes, resultierte
sie doch aus der abgrundtiefen entzweiung der sieger-
maechte
und stellte sich zugleich als deutsche und
europaeische teilung dar.
worin besteht nun die grosse und aktuelle bedeutung, die
jakob kaiser fuer die deutschen gewonnen hat?
er hat, bevor er schon zwei jahre spaeter mit seinem
stellvertreter ernst lemmer das schicksal seiner vorgaenger,
naemlich die absetzung durch die sowjetische
besatzungsmacht erlitt, unter aufbieten aller persoenlichen energie
einen demokratisch-parlamentarischen neubeginn auch im
sowjetisch besetzten teil deutschlands versucht. unter
welchen umstaenden dies gewagt wurde, mag der hinweis
auf die zwangsvereinigung von kpd und spd zur sed im
april 1946 verdeutlichen: tausende sozialdemokraten, die
sich dem brutalen druck zur roten diktatur widersetzten,
fanden sich in den gefaengnissen und jenen
konzentrationslagern von buchenwald und sachsenhausen wieder, deren
ueberlebende nationalsozialistische opfer erst wenige
monate zuvor die freiheit zurueckerhalten hatten.
als kaiser und der legale hauptvorstand in die
westsektoren berlins entweichen mussten, setzte er dort den kampf fuer
einen gesamtdeutschen neubeginn fort. das letzte motiv fuer
seine leidenschaftlichen bemuehungen, die deutschen
parteien und die besatzungsmaechte zu einem konsens bei der
wiederherstellung des in besatzungszonen aufgeteilten
deutschlands zu bewegen, war die empoerend rechtlose
lage der menschen in der sowjetisch besetzten zone. die
wiederherstellung der einheit deutschlands war fuer kaiser
kein selbstzweck und schon gar nicht eine
nationalpolitische prestigeangelegenheit aus dem geist der
jahrhundertwende. die deutsche einheit sollte - und darum allein
ging es jakob kaiser - die freiheit auch fuer unsere
landsleute zwischen ostsee und thueringer wald bringen.
jakob kaiser kannte aus eigenem erleben, wie in der
sowjetzone die braune durch die rote diktatur abgeloest
worden war. ein mann seines temperaments konnte sich
nicht so leicht freimachen von dem moralischen zwang,
jede, aber auch jede konstellation daraufhin zu pruefen, ob
sich - auch wider nuechternes kalkuel - vielleicht nicht doch
eine moeglichkeit eroeffnete, die sowjets von der
vorteiaftigkeit einer beseitigung der teilung deutschlands zu
ueberzeugen und den siebzehn millionen landsleuten damit die
ersehnte freiheit zu verschaffen. es war die sowjetische
politik selbst, die ihn zu der einsicht fuehrte, dass hoffnung
auf ein einlenken auf absehbare zeit zu nichts fuehrte.
lassen sie mich dies an worten jakob kaisers
verdeutlichen, aus denen - nach ausbruch des koreakrieges im
jahre 1950 - die persoenliche not, aber schliesslich auch die
einsicht jakob kaisers beeindruckend deutlich wird:
ich habe - weiss gott - zu jeder zeit einer politik der
unabhaengigkeit von ost und west das wort geredet. ich
habe aber in jahrelanger auseinandersetzung mit den
kommunistischen kraeften erfahren muessen, dass diese
kraefte die sprache der versoehnung recht schwer
verstehen. ich habe vor allen dingen erkennen muessen, dass
sie die sprache der freiheit und des rechtes nur dann
verstehen, wenn kraft und staerke dahinterstehen. wollen
wir deshalb recht und freiheit fuer uns, dann muessen wir
die gemeinschaft derer staerken, die fuer die freiheit in der
welt eintreten. nur dann haben wir aussicht, recht und
freiheit auch in unserem lande wiederzugewinnen. auf
friedlichem wege, mit den mitteln der politik, wollen wir
unser nationales ziel, die wiedervereinigung
deutschlands, erreichen. das soll mit der sinn unserer
bereitschaft sein, die gemeinschaft der freien voelker staerken zu
helfen.

jakob kaiser sagte dies damals allen denjenigen, die
besorgt waren, die gruendung der bundesrepublik
deutschland trage zur vertiefung der spaltung deutschlands bei und
die hinwendung der bundesrepublik deutschland zu den
voelkern des westens koenne die wiederherstellung der
einheit deutschlands erschweren. damals war viel von den
teilweise unterschiedlichen ansichten jakob kaisers und
konrad adenauers die rede. adenauer misstraute der
sowjetischen politik von anfang an. er hatte stets den willen
moskaus im blick, die einmal eroberten gebiete in
mitteleuropa nicht mehr aufzugeben und sie als sprungbrett fuer
eine wachsende einflussnahme auf das uebrige westeuropa
zu nutzen.
adenauer zweifelte, ob die freien demokratien des westens
diese herausforderung dauerhaft erkennen und annehmen
wuerden. einigung der entzweiten siegermaechte auf kosten
des geteilten deutschlands - aus bequemlichkeit und
leichtglaeubigkeit des westens gegenueber dem
zielbewussten osten -, das war seine staendige und - angesichts
der damaligen, zwischen ost und west zugespitzten
weltpolitischen lage - nicht unberechtigte sorge.
diese beiden unterschiedlichen blickrichtungen - die
kaisers und die adenauers - warfen im laufe der ersten
haelfte der fuenfziger jahre immer wieder die grundfrage auf,
ob nicht der anschluss der bundesrepublik deutschland an
den westen die chance zur wiedervereinigung auf dem
wege von verhandlungen der vier siegermaechte ueber
einen friedensvertrag verschlechtere oder ganz unmoeglich
mache.
tatsaechlich war diese frage insofern grundsaetzlich offen,
weil damals nie mit letzter sicherheit zu erkennen war, ob
moskau nicht vielleicht doch seine interessenlage neu
einschaetzte und zu einem arrangement mit dem westen bereit
war.
mit ziemlicher sicherheit koennen wir annehmen, dass dies
wohl zu keiner zeit der fall gewesen ist. adenauers instinkt
behielt recht, sich durch sowjetische scheinangebote nicht
von dem beschrittenen weg der gemeinsamen staerkung
des westens weglocken zu lassen und so das beginnende
vertrauen der westlichen nachbarn und partner wieder zu
verspielen. jakob kaiser hat dies - bei allem abwaegen -
schliesslich auch so gesehen.
gelegentlich wird auch heute noch der eindruck zu
erwecken gesucht, als habe die von adenauer gefuehrte
bundesregierung eine chance verpasst, als stalin - der mit
hitler bekanntlich vor kriegsbeginn 1939 den beruechtigten
hitler-stalin-pakt abgeschlossen hat - in einer note im maerz
1952 den westmaechten die neutralisierung deutschlands
vorschlug.
eine stellungnahme jakob kaisers - sechs wochen nach
eingang dieser an die westlichen besatzungsmaechte
gerichteten note - kann als ein zeugnis dafuer genommen
werden, dass selbst dieser mann, der fuer serioese chancen
zur einheit deutschlands empfaenglich war wie kaum ein
anderer, die aufrichtigkeit des sowjetvorschlags bezweifelte
und dessen tatsaechliche zielrichtung erkannte. ich zitiere
etwas ausfuehrlicher, um die vielschichtigkeit der
ueberlegungen zu verdeutlichen:
russland ist inzwischen zu einem koloss geworden. dieser
koloss wuerde deutschland einfach erdruecken, wenn es der
unterstuetzung der freien welt nicht sicher waere. deshalb
wird es ziel und aufgabe der deutschen politik bleiben
muessen, sich dieses rueckhalts zu versichern. darueber
sind sich wohl alle politisch verantwortlichen kraefte
vnseres volkes im klaren . . . dazu gehoert auf unserer seite
vor allem die klare erkenntnis, dass uns an der
verstaendigung zwischen west und ost ueber das schicksal unseres
landes, unseres volkes gelegen sein muss, denn diese
verstaendigung ist nun einmal die voraussetzung fuer die
friedliche wiedervereinigung unseres landes.
in dieser hinsicht moechte ich auch die bedeutung, die
dem notenwechsel zwischen der sowjetunion und den
westmaechten zukommt, nicht unterschaetzen. allerdings
gehoere ich nicht zu den leuten, die nun die deutsche
wiedervereinigung in eiligem tempo im anmarsch sehen.
das konnte und kann nur leuten passieren, denen die
sowjets nur aus der ferne bekannt sind. oder
in berlin und in der zone haben wir unsere erfahrungen
mit dem taktischen spiel der sowjets gemacht. deshalb
wissen wir: eine schwalbe macht noch keinen sommer.
eine sowjetische note macht den weg noch nicht frei zur
wiedervereinigung. und eine zweite note tut es auch
noch nicht . . . der inhalt dessen, worauf moskau wirklich
lossteuert, ist noch im dunkel. greifbar ist nur, was der
kreml verhindern will: naemlich den staerkezuwachs der
freien welt durch das deutsche potential.
und schliesslich noch diese passage jener im april 1952 in
berlin gehaltenen rede jakob kaisers, deren formulierung
nicht einer gewissen aktualitaet zu entbehren scheint:
ich weiss den faktor sowjetunion sehr wohl
einzuschaetzen. ich weiss, dass dort das entscheidende hemmnis
liegt. ich weiss, dass eine echte wandlung in der sowjetischen
politik einsetzen muss, ehe wir weiterkommen koennen.
noch liegen keine ueberzeugenden beweise fuer eine
solche wandlung vor. solche beweise aber brauchen wir.
denn wenn der kreml auch den eindruck zu erwecken
versucht, dass er zu fruchtbaren verhandlungen bereit sei,
muss das in der freien welt zunaechst doch noch immer
zweifeln begegnen. wir haben ja schliesslich seit vielen
jahren erfahren, wie konferenzen dazu veranstaltet
wurden, um ergebnisse zu verhindern. nicht aber um positive
ergebnisse zu erzielen.
das mag pessimistisch klingen. aber gerade in berlin und
in der sowjetzone weiss man besser als irgendwo in der
welt zwischen den worten und den taten des
kommunismus zu unterscheiden. ihnen gegenueber wappnet man
sich am besten mit pessimismus. dann kann man nicht
enttaeuscht werden. das hindert nicht, dass wir auch die
vielschichtigkeit, die wandlungsfaehigkeit sowjetischer
politik in rechnung stellen koennen.
es ist dabei schon ein fortschritt, dass ueberhaupt schon
wieder verhandlungen zwischen ost und west erwogen
werden koennen. die freie welt ist eben schon staerker
geworden. das gibt ihr die moeglichkeit, auf
politischdiplomatischem gebiet den capriolen des ostens
gegenueber souveraen zu sein. es gibt ihr aber auch die
moeglichkeit - gestuetzt auf ihre staerke -, sich echtem
verhandlungswillen nicht zu verschliessen. und wir - die
deutschen - muessen wuenschen, dass der rechte zeitpunkt
nicht verpasst wird.
die schwache hoffnung kaisers, es moege doch etwas fuer
die einheit foerderliches hinter den damaligen sowjetischen
avancen stecken, wurde schon in den naechsten wochen
zunichte gemacht. die sowjetzonenregierung errichtete
- kaum dass der notenwechsel der vier maechte begonnen
hatte - den todesstreifen durch deutschland und um die
berliner westsektoren, die stacheldrahtzaeune, die
wachtuerme. hierzu jakob kaiser:
entscheidend fuer den fortgang unserer politik auf die
wiedervereinigung unseres landes hin ist das verhalten
der sowjetunion. sicherlich ist es ein fortschritt, dass die
sowjets durch ihre noten selber hervorgetreten sind.
aber was sie in diesem augenblick gegen berlin und die
sowjetzone unternehmen, ist eine trostlose interpretation
fuer das, was sie in ihren noten orakeaft andeuten. ihr
ganzes verhalten verstaerkt nur den verdacht, dass sie
verhandlungen - wie schon so oft - nur zu taktischen
verzoegerungen missbrauchen wollen. die sowjetunion
muss sich eben erst einmal ganz anders verhalten, als sie
es tut. dann ist es moeglich, dass wir - die deutschen - auf
verhandlungen draengen, ohne gefahr zu laufen, als
utopisten verlacht zu werden.
das war eindeutig. der ganze vorgang bestaetigt, dass
adenauer recht behalten hatte, der dem sowjetischen
vorstoss von allem anfang an misstraut hatte. kaiser hatte
moskau die moeglichkeit eingeraeumt, durch verdeutlichen des
vorschlages und entsprechende haltung in deutschland
glaubwuerdig zu signalisieren, dass eine fuer die deutschen
akzeptable loesung ihrer nationalen frage in aussicht steht.
aber obwohl die sowjets mit ihrem vorstoss damals die
einigungsbestrebungen des westens auf das nachhaltigste
haetten beeintraechtigen koennen, sahen sie sich offensichtlich
ausserstande, die einheit deutschlands in freiheit
einzuraeumen, und zwar nicht einmal unter der fuer deutschland
ohnehin unakzeptablen bedingung bewaffneter neutralitaet.
der betont verstaendigungsbereite jakob kaiser ist uns
heute ein unwiderleglicher zeuge, dass moskau zu keiner
zeit ein fuer deutschland und europa akzeptables angebot
gemacht hat - denn jakob kaiser waere der erste gewesen,
der ein solches angebot aufgegriffen haette -, und moskau
wusste dies.
damals - in der ersten haelfte der fuenfziger jahre - hat sich
in der spannung zwischen den demokratischen exponenten
jakob kaiser und konrad adenauer herausgestellt, dass es
unter den damaligen umstaenden keine chance fuer die
einheit deutschlands in freiheit gab. und die logik gebot
denjenigen, die ernsthaft - also auch auf lange sicht - am
ziel der freiheit aller deutschen festhielten, die
ausgangspositionen fuer das ringen um die einheit zu verbessern.
wir koennen heute davon ueberzeugt sein, dass die einbindung
in das westliche buendnis sowie die bestrebungen fuer die
einigung europas genau jenen weg bezeichnen, der sich zu
einer soliden verbesserung der chancen fuer die einheit der
deutschen in frieden und freiheit aufgetan hat. was diese
einsicht damals erschwerte, das war das gewicht, das in all
diesen rechnungen dem faktor zeit zugemessen wurde.
die skepsis war verbreitet, dass, wenn nicht in absehbarer
zeit - auf welchem wege auch immer - die spaltung
ueberwunden werden koenne, die sache der einheit verloren waere.
die menschen wuerden sich bis zur gaenzlichen verfremdung
auseinanderleben, und die jugend, die das einheitliche
deutschland gar nicht mehr kenne, werde vom kindergarten
bis zum eintritt ins berufsleben so indoktriniert, dass sie
nichts anderes als einen ueberzeugten kommunismus
vertreten werde. diese allgemein verbreitete einschaetzung setzte
alle ueberlegungen zur ueberwindung der teilung unter
zeitlichen zugzwang und vermutete vertane chancen allein
schon wegen des ablaufs von zeit.
dass dieser pessimistische schluss fehl am platze war, kann
heute jedermann sehen. in den letzten jahren hat sich der

zusammenhalt der menschen im geteilten deutschland
wesentlich verbessert. ich weise nur auf die ausweitung des
besucherverkehrs aus der ddr in die bundesrepublik
deutschland einschliesslich von berlin (west) hin. seit 1984
stieg die zahl der juengeren landsleute, denen die reise zu
verwandten und freunden in den westen erlaubt wurde,
von 40 000 auf ueber 1 million im jahre 1987 - das ist das
fuenfundzwanzigfache. im vorigen jahr reisten mithin mehr
juengere menschen hierher, als seit dem mauerbau vor
26 jahren jaehrlich verzeichnet worden sind. und diese
kommen ebensowenig als fremde, entfremdete oder
ueberzeugte kommunisten, wie sie hier gleichgueltige oder
national demotivierte und desorientierte verwandte antreffen.
die anstrengungen, die 1954 durch das initiativ von jakob
kaiser ins leben gerufene kuratorium unteilbares
deutschland unternommen wurden, um die deutsche oeffentlichkeit
ueber die rechtliche, moralische und politische unmoeglichkeit
der teilung deutschlands aufzuklaeren, hat fruechte
getragen. es ist nicht zu uebersehen, dass dieser impetus in der
zwischenzeit schon einmal nachgelassen hatte. die folgen
fuehrten zum beispiel 1978 zum beschluss der kultusminister
der laender, wonach die deutsche frage - das ist die
gegenwaertige teilung und die notwendigkeit ihrer ueberwindung -
im schulunterricht wieder verstaerkt behandelt werden
muesse.
auch hier gibt es inzwischen erfreuliche entwicklungen.
1982 moegen schaetzungsweise 5 800 schueler, studenten
und jugendliche in die ddr gefahren sein, um jenen teil
ihres vaterlandes kennenzulernen. 1987 waren es mehr als
70 000. durch nichts ist die pessimistische these, dass die
zeit gegen die ueberwindung der teilung arbeite, so
ueberzeugend widerlegt worden, wie durch diese und andere
tatsachen.
ich glaube nicht, dass jakob kaiser und seine zeitgenossen
eine solche entwicklung fuer wahrscheinlich gehalten haetten.
wenige wochen nach seinem tode im mai 1961 versuchte
die sed im einvernehmen mit moskau, jede hoffnung auf
die einheit der nation in freiheit durch den bau der mauer
zu erdrosseln. aber das deutsche volk hat diesem
menschenverachtenden anschlag auf den zusammenhalt und
die einheit der deutschen wie auf die integritaet europas
tapfer standgehalten. es ist fast so, als haetten die
abgrenzungs- und spaltungsmassnahmen das gegenteil von dem
bewirkt, was ihre initiatoren bezweckten.
wenn ich sagte, dass jakob kaiser eine solche entwicklung
nicht fuer wahrscheinlich gehalten hat, so hielt er sie doch
ganz gewiss fuer moeglich. dafuer sprechen seine
unermuedlichen appelle an den geist der sozialen und nationalen
einheit. damit wollte er ja nicht nur einfach massen
bewegen, ihm ging es darum, die deutschen aus dem schock
von 1933 und 1945 zu loesen und um des friedens willen an
ihrer einheit festzuhalten.
der harmel-bericht der nato-staaten von 1967, an dem
sich noch heute die ost- und sicherheitspolitik unseres
buendnisses orientiert, sagt: "eine endgueltige und stabile
regelung in europa ist jedoch nicht moeglich ohne eine
loesung der deutschlandfrage, die den kern der
gegenwaertigen spannungen in europa bildet. jede derartige regelung
muss die unnatuerlichen schranken zwischen ost- und
westeuropa beseitigen, die sich in der teilung deutschlands am
deutlichsten und grausamsten offenbaren." damit
wiederholte der bericht eine staendig vorgebrachte sorge jakob
kaisers, mitteleuropa werde ein unruheherd bleiben, bis die
teilung ueberwunden sei, und dass wirklicher friede erst
einkehren werde, wenn die deutsche frage im sinne des
selbstbestimmungsrechts der deutschen geloest sei.
an all dies koennen wir uns mit genugtuung erinnern. jakob
kaisers wille zur gesicherten freiheit fuer ganz deutschland
zaehlt zu den quellen, aus denen sich auch die heutige
deutschlandpolitik speist. er regte den willen und die
phantasie so vieler an, deren handeln zu jenem zusammenhalt
beitrugen, den wir heute - dreiundvierzig jahre nach
kriegsende - feststellen koennen.
was damals wie ein unternehmen mit ungewissem
ausgang wirkte und mit dem mauerbau unwiderruflich verloren
schien - der versuch, die zusammengehoerigkeit der
deutschen zu wahren -, das bildet heute den fundus einer
deutschlandpolitik, die unbeirrbar auf die verwirklichung
des selbstbestimmungsrechts der deutschen gerichtet ist.
dieses ziel des selbstbestimmungsrechts ruft uns aber
auch ins bewusstsein, dass wir nachbarn haben, vor allem
auch solche, die nicht ohne zutun des
nationalsozialistischen deutschlands und gegen ihren willen unter
sowjetische hegemonie geraten sind. die deutsche teilung und die
teilung europas sind nicht voneinander zu trennen. jakob
kaiser hatte schon - in voller uebereinstimmung mit den
vorstellungen der widerstandskreise des 20. juli 1944 um
carl goerdeler - die einbindung kuenftiger nationaler
entwicklung in die gemeinschaft der europaeischen voelker klar
im auge. aus dieser gemeinschaft leitete er geradezu den
anspruch der deutschen auf ihre einheit ab. am 30. januar
1946 erklaerte kaiser in erinnerung an die gruendung des
zweiten deutschen reiches 1871:
gerade wenn sich die junge deutsche demokratie zu der
grossen umfassenden einheit aller nationen bekennt und
ganz besonders sich eingliedern will in die gemeinschaft
der europaeischen voelker, dann verlangt dieses hohe
friedensziel eine ungeschmaelerte deutsche einheit.
wir haben gerade in den letzten monaten ueberzeugende
beweise dafuer erfahren duerfen, dass der moderne
europaeische geist, der aus den bitteren konflikten und
katastrophen der europaeischen geschichte gelernt hat, eine
von nationalegoistischen interessen unvoreingenommene
haltung gegenueber dem nationalen willen des deutschen
volkes einzunehmen vermag.
so haben wir heute guten anlass, uns dieses grossen
patrioten jakob kaiser dankbar zu erinnern. die unbeirrbare
entschlossenheit konrad adenauers, den deutschen nach
der katastrophe den anschluss an die neue phase
europaeischer geschichte zu ermoeglichen, hat das deutsche
verlangen nach selbstbestimmung auf eine feste basis gestellt.
das unablaessige muehen jakob kaisers um den
zusammenhalt der deutschen und seine bereitschaft, jede
verantwortbare moeglichkeit zu nutzen, um unseren landsleuten durch
einheit die freiheit zu verschaffen, haben zum deutschen
selbstverstaendnis einen unverzichtbaren beitrag geleistet.
ich kehre zurueck zum anlass, der uns hier und heute
zusammengefuehrt hat.
beide preise, der jakob-kaiser-preis fuer das fernsehen und
der ernst-reuter-preis fuer den hoerfunk, sollen - so heisst es
in der bekanntmachung ueber die stiftung der preise -
sendungen auszeichnen, "die ihr thema aus dem problem
der teilung deutschlands und dem verhaeltnis der
menschen in den beiden deutschen staaten zueinander
herleiten".
die preise, 1960 zum erstenmal vergeben, sind ueber die
wechselvolle zeit seither zu einer bestaendigen tradition
auch mit einem erfreulichen ansehen im feld der
zahlreichen fernseh- und hoerfunkprese geworden.
die moeglichkeit zu freier information und damit freier
meinungsbildung gehoert zum recht des menschen auf freie
selbstbestimmung. die menschen zwischen rostock und
dresden, zwischen oder und elbe wissen dies mehr zu
schaetzen als wir, fuer uns ist der wert freier information und
meinung zur selbstverstaendlichkeit geworden. die intensive
nutzung von hoerfunk- und fernsehprogrammen aus der
bundesrepublik deutschland in der ddr belegt bestaendig
nicht nur das interesse der deutschen in der ddr am leben
in der bundesrepublik deutschland, sondern zugleich auch
das gefuehl der zusammengehoerigkeit ueber die grenze
hinweg.
zwei ereignisse haben im vergangenen jahr die bedeutung
vor allem des fernsehens im innerdeutschen verhaeltnis in
besonderer weise in den vordergrund gerueckt. das eine
waren die berichterstattung und sendungen aus anlass des
besuches von sed-generalsekretaer honecker in der
bundesrepublik deutschland. die ausserordentliche beachtung
dieses besuchs durch die medien in west wie in ost ist ein
vielsagender ausdruck der besonderen situation des
geteilten und immer noch zusammengehoerenden deutschlands.
das fernsehen der ddr hatte waehrend der fuenf tage ueber
zwanzig stunden berichterstattung in seinem programm,
darunter auch eine uebertragung der wichtigen rede von
bundeskanzler helmut kohl in der godesberger redoute.
waehrend jener tage gab es jedoch auch sonst eine reihe
bemerkenswerter ereignisse, so die erstmalige volle
uebernahme einer politischen sendung aus der bundesrepublik
deutschland im i. programm des ddr-fernsehens oder
auch live-zuschaltungen aus der ddr im rahmen von
magazin-sondersendungen in der bundesrepublik
deutschland - ich beachte dies als schritt zur guten
nachbarschaft, zu der beide seiten sich verpflichtet haben.
hierzu zaehlen ferner die vereinbarungen von ard und zdf
mit dem fernsehen der ddr ueber mehr kooperation und
austausch von programmen. diese vereinbarungen sind
nach abschluss des kulturabkommens zwischen der
bundesrepublik deutschland und der ddr und unter
zugrundelegung dieses abkommens zustande gekommen, sie haben
die grundlage geschaffen zur intensivierung bereits in gang
gekommener zusammenarbeit wie auch zu neuen formen
der kooperation. ich moechte die fernsehanstalten in der
bundesrepublik deutschland ermutigen, diese
vereinbarungen intensiv zu nutzen.
ich komme nun zur verleihung des jakob-kaiser- und des
ernst-reuter-preises 1987.
zum jakob-kaiser-preis hatten die fernsehanstalten
34 sendungen nominiert, fuenf weitere beitraege sind von
autoren bzw. produktionsfirmen benannt worden. die
preisrichter standen so vor einem erheblichen stueck
arbeit, als sie insgesamt 39 sendungen - darunter fuenf
fernsehfilme - zu bewerten hatten.
nicht geringer war die arbeit der preisrichterkollegen zur
vergabe des ernst-reuter-preises. dort waren 48
sendungen von hoerfunkanstalten eingereicht worden, zwei weitere
von autoren. unter den 50 zu beurteilenden sendungen
befanden sich fuenf hoerspiele.
dies gibt mir veranlassung, den beiden preisrichtergremien
herzlich zu danken, der jury fuer den jakob-kaiser-preis
unter vorsitz von herrn wolfgang hammerschmidt wie der
jury fuer den ernst-reuter-preis unter vorsitz von herrn
winfried keil. ich schliesse mich den entscheidungen der
preisgerichte gerne an.
zunaechst hat die jury fuer den ernst-reuter-preis die
sendung ". . . aus der assimilation mitten ins thora-judentum
hinein" von peter und barbara honigmann und paul assall
als original-ton-hoerspiel ausgezeichnet, die aus der
gemeinsamen arbeit der drei autoren entstanden ist. die
sendung war am 25. januar 1987 vom suedwestfunk
ausgestrahlt worden. nach auffassung der jury verfolgt sie
beispieaft mit der im originalton erzaehlten, unredigierten
biographie von peter und barbara honigmann den weg zweier
junger menschen aus der ddr - junger menschen, die aus
ihrer religioesen, politischen und sozialen grenzsituation im
geteilten deutschland einen europaeischen, vielleicht sogar
einen weltbuergerlichen, ausweg suchen. soweit die
formulierung der preisrichter, die den hoerspielpreis von
10 000 dm wie folgt verteilten: je 3 500 dm an peter und
barbara honigmann und 3 000 dm an paul assall.
in der kategorie "informationssendung" sind die beiden
beitraege "grenzuebertritt - aus dem tagebuch einer
ankunft" von roland mischke und "auf den spuren der
refugie's in ost und west - ein nachtrag zum
hugenottenjubilaeum" von lutz meunier zu gleichen teilen -
das heisst je 5 000 dm - ausgezeichnet worden.
der beitrag von roland mischke ist im sender freies berlin
am 28. mai 1987, der beitrag von lutz meunier im rias
berlin am 19. november 1986 gesendet worden.
die sendung "grenzuebertritt - aus dem tagebuch einer
ankunft" von roland mischke ist nach dem urteil der jury
nicht nur ein stueck bemerkenswerter radioprosa, sondern
vor allem eine wertvolle zeitgeschichtliche darstellung der
innerdeutschen situation am beispiel des berichts von einer
uebersiedlung. nach auffassung der jury erweist sich der
autor als vorbildlicher journalist durch die intensitaet in der
reportage seines erlebens und durch die sensibilitaet seiner
beobachtungen in einer oftmals ernuechternden neuen umwelt.
in der sendung "auf den spuren der refugie's in ost und
west - ein nachtrag zum hugenotten-jubilaeum" von lutz
meunier erkennt das preisgericht ein klassisches feature
ueber die nachfahren einer konfessionellen minderheit, die
als fluechtlinge vor 300 jahren in deutschland toleranz und
aufnahme gefunden haben. die jury weiter: "die
hugenotten haben in ihrer neuen umgebung sehr bald
entscheidenden anteil an der entwicklung von handwerk, wirtschaft und
kultur gehabt. das feature gibt insbesondere einen guten
einblick in die situation der hugenotten, die heute in der
ddr leben."
zum jakob-kaiser-preis: hier hat die jury in der kategorie
"fernsehfilm" mit je 5 000 dm den autor erich loest und
den hauptdarsteller heinz schimmelpfennig fuer die
produktion "voelkerschlachtdenkmal" ausgezeichnet, die - vom
norddeutschen rundfunk produziert - in der ard am
17. juni 1987 ausgestrahlt worden ist.
das urteil des preisgerichts dazu: "der autor gestaltet hier
das spannungsverhaeltnis zwischen der kontinuitaet eines
lebensschicksals und der ideologischen umdeutung
deutscher geschichte. der sprengmeister alfred linden steht fuer
redlichkeit, um derentwillen er leiden muss in einem system,
das geschichte zum werkzeug seiner interessen macht."
das preisgericht hat diese beurteilung ergaenzt: "obwohl die
produktion filmische moeglichkeiten zur vermittlung dieses
stoffes ungenutzt laesst, ueberzeugen doch die sprachkraft
des autors und die eindringlichkeit der gestaltung durch
den hauptdarsteller."
ich moechte von meiner seite diese bewertung auch zum
anlass nehmen, den kritischen gedanken, der hier zum
anklingen gebracht ist, zu unterstreichen.
bleibt zu guter letzt der jakob-kaiser-preis fuer die
kategorie "informationsendung". das preisgericht hat hierzu
beschlossen - wie es erklaerte, ebenfalls einstimmig -, den
preis in voller hoehe von 10 000 dm an die vom
norddeutschen rundfunk produzierte sendereihe "deutsches aus
der anderen republik" zu verleihen, und zwar redaktion
und korrespondenten gemeinsam. die begruendung dazu:
"die jury zeichnet damit eine vielseitige, differenzierte und
sensible berichterstattung ueber das leben in der ddr aus.
gemeinsamkeiten werden deutlich, verstaendnis wird
gefoerdert, verbindendes wird gestaerkt."
meine damen und herren, ich beglueckwuensche sie zu
diesen auszeichnungen!
mein glueckwunsch geht auch an die sendeanstalten, von
denen ihre beitraege produziert und ausgestrahlt worden
sind. ich hoffe, dass diese auszeichnungen auch ansporn
und ermutigung sind fuer autoren, redakteure und
programmverantwortliche, das anliegen des ernst-reuter- und
des jakob-kaiser-preises aufzugreifen und sich weiterhin
in hoerfunk und fernsehen in anspruchsvoller weise mit
themen zu beschaeftigen, die das "problem der teilung
deutschlands" ebenso zum gegenstand haben wie das
"verhaeltnis der menschen in den beiden deutschen staaten
zueinander".
meine dame, meine herren, ich darf ihnen nunmehr die
urkunden ueber die preise aushaendigen.