Zum 200. Geburtstag von Heinrich Heine - Rede des Bundespräsidenten in Düsseldorf

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Zum 200. Geburtstagvon Heinrich Heine

Rede des Bundespräsidenten in Düsseldorf

Bundespräsident Roman Herzog hielt auf dem Festakt anläßlich
des 200. Geburtstages von Heinrich Heine am13. Dezember 1997
in der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf folgende Rede:


Meine Damen und Herren,


bedeutende Dichter machen mitunter Ärger. Manche nicht nur zu Lebzeiten, sondern über den Tod hinaus. Heinrich Heine scheidet bis heute die Geister, und immer wieder gibt es Streit, auch wenn es nur eine Straße oder - Sie hier in Düsseldorf wissen es - eine Universität ist, die nach ihm benannt werden soll. Heinrich Heine wurde von den einen bejubelt und von den anderen verworfen. Kein anderer deutscher Dichter hatte bis dahin so heftige Reaktionen hervorgerufen.


Wenn wir ihn heute ehren, hier in seiner Vaterstadt Düsseldorf, dann sicher nicht, um uns von ihm abzusetzen. Aber auch heute können wir ihn nicht vereinnahmen. So sehr Heinrich Heine, wie jeder Künstler, Vorgänger und Nachfolger hatte, so sehr er auch Kind seiner Zeit war, so sehr ist er doch eine singuläre Erscheinung. Er hat sich nicht in Anspruch nehmen lassen, er hat nie geschworen und auch nie abgeschworen. Er war nie Parteigänger, was doch die Versuchung vieler Intellektueller gewesen ist.


Heine hatte keine Rezepte zu geben. Das Unbequeme an ihm war und bleibt, daß er aufwecken und furchtlos aufklären will, daß er aus ideologischem Schlummer oder aus parteilicher Verblendung aufweckt:


Trommle die Leute aus dem Schlaftrommle Reveille mit Jugendkraftmarschiere trommelnd immer vorandas ist die ganze Wissenschaft.


Das ist kein Aufruf zur Revolution. Heine wollte wachtrommeln, den Zustand der Welt zeigen, wie sie ist. Ein solcher Trommler zieht keinem Regiment voran, sondern einem Spielmannszug: Bei aller Schärfe geschieht die Aufklärung poetisch, kunstvoll, auch im Spiel der Sprache. Heine ist zuerst und zuletzt Artist - auch als politischer Kommentator - das macht ihn allen verdächtig, die die Kunst in Dienst nehmen wollen. Bei aller Unabhängigkeit scheute er sich allerdings auch nicht, sich von seinem wohlhabenden Onkel Salomon oder später vom französischen Innenministerium oder vom Hause Rothschild finanzieren zu lassen. Nicht wegen einzelner Aussagen, wohl aber weil er weder finanziell noch ideologisch korrumpierbar war, konnte Heine vielen Intellektuellen zum nicht immer erreichten Vorbild werden.


Heine war Außenseiter - in vieler Hinsicht. Als Deutscher in Frankreich, als Poet unter Korrespondenten, als politischer Autor unter Romantikern, vor allem aber und zuerst: als Jude in Deutschland. Auch wenn er sich hat taufen lassen - etwa so, wie man sich eine notwendige Eintrittskarte besorgt, um dazuzugehören - bleibt für ihn sein Judentum existenzbestimmend. Zugleich bleibt das Ausgestoßensein eine dauernde Verletzung. Er mußte erleben, wie in Hamburg die Gleichstellung der Juden, 1810 unter napoleonischem Einfluß er-reicht, nach der Niederlage Napoleons wieder aufgehoben wurde. Auch in dieser Erfahrung mag seine lebenslange Verehrung für den französischen Kaiser begründet gewesen sein, die vielen seiner deutschen Zeitgenossen nachgerade skandalös erschien.


Der vielfach verletzte Heine konnte übrigens auch gnadenlos zu- und zurückschlagen - und durchaus nicht nur mit dem eleganten Florett. Sein Spott konnte messerscharf und sein Haß grenzenlos sein. Er hat also viele, nicht nur sympathische Gesichter.


Immer aber wurden seine großen Gefühle - ob nun Liebe oder Haß - von seinem Humor und seiner Ironie gebrochen. Ja, man kann mit Recht sagen, daß mit Heine zum ersten Mal ein durchgängig ironischer Ton in die bis dahin so ernste deutsche Lyrik gekommen ist. Das war genauso bahnbrechend wie die Tatsache, daß er früher als andere Dichter auf das Deutsch des Alltags zurückgriff. Grillparzer sagte nach einer Begegnung mit Heine treffend: "Ich erfreute mich des seltenen Vergnügens, bei einem deutschen Literator gesunden Menschenverstand zu finden."


Heine hat in Deutschland immer polarisiert. In einer deutschen Literaturgeschichte aus dem Jahre 1881 ist von der "gottlosesten Frivolität und widrigsten Obszönität" seines Werkes die Rede, und selbstverständlich fehlt auch der Hinweis auf den "verderblichen" Einfluß seiner jüdischen Herkunft nicht. Ganz zweifelsfrei aber war, auch bei entschiedenen Kritikern, die Anerkennung seiner sprachlichen Könner-schaft. Selbst der Verfasser, den ich gerade zitiert habe, mußte auch bekennen: "Manches im Buch der Lieder gehört zu dem Schönsten, was unsere ganze Lyrik aufzuweisen hat."


Viele Verse Heines sind so bekannt, daß man seinen Namen damit gar nicht mehr in Verbindung bringt. So hatte man im "Dritten Reich" auf abgründige Weise recht, als man, weil der Name und das Werk Heines verpönt und verboten waren, seine bekanntesten Lieder, wie die "Loreley", unter der Autorenangabe "Volksgut" herausbrachte. Viel mehr Ehre kann man - wenn auch gegen die Intention - einem Autor nicht antun.


Seine Gedichte erreichten schon früh europäischen, ja Weltruhm. Sie sind - ein ganz seltener Fall in der Lyrik - auch übersetzbar und anderen Kulturen sofort verständlich.


Seinem deutschen Vaterland hat er ein, bei aller sarkastischen Kritik, von tiefer Liebe geprägtes Denkmal gesetzt. "Deutschland - ein Wintermärchen" ist eine Liebeserklärung an das Land, das zwar besser, freundlicher, gelassener sein könnte, als es der Dichter erlebte, das aber doch seine geliebte Heimat war und blieb. Heimatliebe heißt schließlich nicht Kritiklosigkeit.


Schriftsteller und Intellektuelle, für deren Typus Heine noch heute ein Modell ist, dienen ihrem Land oft auch mit ätzender Kritik. Darauf gelassen zu hören, sich selber zu befragen und eventuell umzudenken, müssen wir zu jeder Zeit neu lernen. Schriftsteller und Intellektuelle haben keineswegs die Wahrheit gepachtet, schon gar nicht, wenn sie sich auf das Feld des Politischen begeben. Doch ist die Wahrheit auch nicht automatisch bei der Mehrheit oder den jeweils Herrschenden.


Deshalb will ich gerade beim heutigen Anlaß festhalten: Ohne kritischen Einspruch, ohne das Engagement unbequemer Denker verkümmert eine Gesellschaft. Wir brauchen Streit und Widerspruch, wir brauchen die Zumutungen und Fragen unabhängiger Köpfe. Man kann sogar sagen: Nie ist der sperrige Individualist wichtiger gewesen als heute, besonders wenn er mit Ironie, Witz und Eigensinn die am laufenden Band produzierten intellektuellen, kulturellen und politischen Moden auf ihren tatsächlichen Gehalt prüft.


Heinrich Heine hat nicht an kollektive Glücksversprechen geglaubt. Das hat ihn nicht nur mit seinem zeitweiligen Gefährten Karl Marx entzweit. Die gegenwärtigen Glücksversprechungen einer universalen Informations- und Warenwelt würden bei ihm wohl mindestens die gleiche Kritik und den gleichen Spott hervorrufen.


Wahrscheinlich gab es im 19. Jahrhundert keinen bedeutenderen Botschafter zwischen Deutschland und Frankreich als Heinrich Heine, der auf der einen Seite in Paris mit Wehmut an Deutschland dachte und aus Heimweh um den Schlaf gebracht war, der sich auf der anderen Seite aber freute, daß am Morgen "französisch-heit'res Tageslicht" durch die Scheiben brach. Heine war Europäer - mit seiner Menschlichkeit war und ist er in jedem freiheitsliebenden Gemeinwesen willkommener Adoptivsohn. Alexandre Dumas hat es so gesagt: "Wenn Deutschland Heine nicht will, werden wir ihn gerne adoptieren, aber leider liebt Heine Deutschland mehr, als es das verdient."


In all seiner Widersprüchlichkeit hat Heine bis heute seineLeser und Hörer verzaubert. Seine Lieder sprechen bis heute Gefühle an und rühren uns an. So ist es zu verstehen, daß auf seinem Grab auf dem Montmartre-Friedhof in Paris, wie man hört, immer frische Blumen liegen. Er bleibt gegenwärtig und aktuell. Die Gräber seiner Kritiker und Verfolger sind demgegenüber vergessen.


Als er einmal an seine Mutter schrieb: "Es ist mir nichts geglückt in dieser Welt", hat er sich doch wohl geirrt: Er hat unzählige Leser, die er bis heute beschenkt und beglückt.