tag der deutschen einheit 1991 - fernsehansprache des bundeskanzlers

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bundeskanzler dr. helmut kohl hielt zum ersten
jahrestag der deutschen wiedervereinigung am 3. oktober 1991
nachstehende fernsehansprache:

liebe mitbuergerinnen und mitbuerger!

heute vor einem jahr haben wir die einheit unseres
vaterlandes in freiheit wiedererlangt. wir alle erinnern uns an
die gluecklichen stunden in der nacht vom 2. auf den 3. oktober
1990, als wir die wiedervereinigung in unserer hauptstadt
berlin feierten. fuer mich persoenlich war dies eines der
schoensten ereignisse in meinem leben.
in den zurueckliegenden zwoelf monaten hat es in
deutschland und bei unseren oestlichen nachbarn viele
ermutigende entwicklungen gegeben. wir erleben einen epochalen
wandel im zeichen von freiheit, demokratie und sozialer
marktwirtschaft.
jetzt ist auch in der sowjetunion das zeitalter des
kommunismus zu ende gegangen. die baltischen staaten sind frei
und unabhaengig. leningrad heisst wieder st. petersburg. wir
deutsche haben seit der wiedervereinigung gemeinsam
groesste anstrengungen unternommen, um den aufbau in
den neuen bundeslaendern voranzubringen. auf diesem weg
haben wir schon gute fortschritte erzielt.
ich weiss aber auch, dass gerade in den neuen bundeslaendern
viele menschen sich sorgen machen - vor allem wegen ihres
arbeitsplatzes. die zeichen einer wirtschaftlichen
gesundung in den neuen bundeslaendern werden tag fuer tag
deutlicher erkennbar. mehr als zwei millionen menschen
haben eine neue beschaeftigung gefunden. rund eine halbe
million firmen sind neu gegruendet worden. besonders im
baugewerbe sind die fortschritte eindrucksvoll. aber auch
in der industrieproduktion ist der rueckgang gestoppt.
fuer die grosse mehrheit der menschen zwischen ruegen und
plauen haben sich schon nach einem jahr die lebensverhaeltnisse
spuerbar verbessert. und gerade menschen mit
geringem einkommen - wie den rentnern - ist dieses erste jahr
im wiedervereinigten deutschland besonders zugute
gekommen. jeder weiss: es bleibt noch viel zu tun. aber wir haben
allen grund zur zuversicht. gemeinsam werden wir es schaffen.
wirtschaftliche, soziale und oekologische fragen sind nicht
die einzigen aufgaben, die wir loesen muessen. noch wichtiger
ist es, dass alle deutschen auch in ihren herzen und ihren
koepfen die folgen der teilung ueberwinden. dazu gehoert,
dass wir verstaendnis fuereinander aufbringen, dass wir
einander mit achtung und toleranz begegnen.
achtung und toleranz schulden wir auch unseren auslaendischen
mitbuergern. viele von ihnen leben seit langem in
unserer mitte und tragen mit ihrem fleiss zu unser aller
wohlstand bei. deutschland ist ein auslaenderfreundliches
land - und wird es auch bleiben. das heisst jedoch nicht, dass
wir dem missbrauch des asylrechts tatenlos zusehen duerfen.
ich weiss, dass viele menschen bei uns sich deswegen grosse
sorgen machen. energisches handeln unseres rechtsstaates
ist dringend geboten, und ich werde alles in meiner macht
stehende tun, damit dem missbrauch des asylrechts so
schnell wie moeglich ein ende gesetzt wird. dabei ist fuer mich
selbstverstaendlich, dass auch kuenftig bei uns jeder aufnahme
findet, der aus rassischen, politischen oder religioesen
gruenden in seiner heimat verfolgt wird.
meine damen und herren, ueber vierzig jahre der teilung
haben tiefe spuren hinterlassen. wir brauchen geduld
miteinander. wir muessen aufeinander zugehen: die menschen
im westen ohne ueberheblichkeit, denn sie hatten das glueck,
jahrzehntelang in freiheit zu leben. die menschen in den
neuen bundeslaendern in der gewissheit, dass sie jetzt ihre
chance wahrnehmen und ihre zukunft selbst gestalten
koennen. ueber vierzig jahre lang wurden sie von der sed um
die fruechte ihrer harten arbeit betrogen. um so mehr gilt
ihnen mein respekt fuer ihren tatkraeftigen einsatz fuer den
schwierigen neuaufbau ihrer heimat.
meine damen und herren, die deutsche wirtschaft nimmt
heute im internationalen vergleich eine spitzenstellung ein,
und ich bin sicher, wir werden unseren platz behaupten.
unsere freiheit und unser wohlstand sind untrennbar mit
der europaeischen gemeinschaft und der atlantischen
allianz verknuepft. gemeinsam mit unseren freunden und
partnern wollen wir unseren beitrag zum bau der
vereinigten staaten von europa leisten.
deutschland ist unser vaterland, europa unsere zukunft.
es liegt im interesse des gesamten westens, dass freiheit,
demokratie und soziale marktwirtschaft in ganz europa zu
hause sind. wir deutsche tun sehr viel dafuer. aber wir
koennen diese last nicht allein tragen. nur gemeinsame
anstrengungen aller westlichen industrienationen
versprechen auf dauer erfolg.
liebe mitbuergerinnen und mitbuerger, jeder spuert, wir
stehen mitten in einer zeitenwende. der 3. oktober 1990 war
darin ein entscheidendes datum. der umbruch in der
sowjetunion beendet das zeitalter des totalitarismus auf
unserem kontinent. wir alle hoffen, dass dies bald auch fuer
die voelker jugoslawiens gilt.
deutschland liegt im herzen eines zusammenwachsenden
europa. es hat heute die moeglichkeit, an einer freiheitlichen
und friedlichen entwicklung europas mitzuwirken - zum
wohle heutiger und kuenftiger generationen. wir haben vor
einem jahr einigkeit und recht und freiheit fuer das
deutsche vaterland erreicht. dies ist ein tag der freude fuer
alle deutschen. einigkeit und recht und freiheit sind des
glueckes unterpfand.