staatsbesuch in nigeria - ansprache vor dem nigerian-german business council in lagos

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bundespraesident richard von weizsaecker hielt bei
einem mittagessen des nigerian-german business
council in lagos am 7. maerz 1988 folgende ansprache:

herr praesident,
meine damen und herren!

ich danke ihnen fuer ihre freundlichen worte der begruessung
und ihnen allen fuer die einladung, waehrend meines
besuches in nigeria auch an einem essen ihrer organisation
teilzunehmen. gern bin ich ihr gefolgt.
einer der hauptakzente unserer bilateralen beziehungen zu
nigeria liegt im wirtschaftlichen bereich. mit kaum einem
anderen land afrikas besteht eine derart intensive bilaterale
wirtschaftliche verflechtung. vor einigen jahren entstand
daher aus ihrer mitte heraus die initiative, sich fuer den
ausbau und die pflege der wirtschaftskontakte ein
gremium zu schaffen. dass diesem vorhaben guter erfolg
beschieden war, zeigt diese eindrucksvolle veranstaltung.
es wird kuenftig von noch groesserer bedeutung sein.
ein staatsbesuch ist der ausdruck freundschaftlich enger
beziehung zwischen zwei laendern und voelkern und der
zufriedenheit ueber den stand dieser beziehungen. er wird
getragen von gegenseitigem vertrauen. dies ist auch bei
meinem besuch in nigeria der grundtenor: das gilt fuer
wirtschaft, politik und kultur gleichermassen.
mit der intensitaet der wirtschaftsbeziehungen zwischen
unseren beiden laendern, aber auch deren schwierigkeiten
sind sie besser vertraut als ich es sein kann. ich bin hier, um
von ihnen zu lernen, statt selbst den versuch zu machen,
bisherige entwicklungen nachzuzeichnen oder die mir
bekannten anliegen einiger wirtschaftsunternehmen und
handelshaeuser im einzelnen aufzugreifen. sie sind heute
morgen von bundesminister klein und staatssekretaer von
wuerzen, die so freundlich sind, mich hier in nigeria
zusammen mit wichtigen repraesentanten der deutschen
wirtschaft zu begleiten, mit den zustaendigen nigerianischen
regierungsstellen besprochen worden.
mir geht es heute vor allem darum, ihnen zu sagen, fuer wie
ueberaus wichtig ich ihre taetigkeit gerade in diesem lande
halte. es ist beeindruckend und erfreulich, wie in diesem
business council nigerianische und deutsche unternehmer
und firmenrepraesentanten zusammenarbeiten, wie eine
gemeinsame zielsetzung, der wille zur verwirklichung
wirtschaftlicher vorhaben, sie eint und zu partnern werden
laesst ebenso ermutigend wie die erzielten ergebnisse sind die
moeglichkeiten, die dieses an menschen und ressourcen so
reiche land fuer die zukunft bietet.
die mutigen schritte zur wirtschaftlichen konsolidierung und
strukturellen anpassung sind beeindruckend, aber sie
verlangen auch von der eigenen bevoelkerung grosse opfer. wir
sind uns bewusst, dass nigeria bei seinen anstrengungen, die
wir begruessen, mit dem verstaendnis und der
zusammenarbeit seiner auslaendischen freunde rechnet.
in der tat ist es gerade auch fuer uns deutsche von grosser
bedeutung, dass nigeria, unser wichtigster handelspartner
in diesem teil der welt, seine wirtschaftliche und damit auch
soziale ordnung stabilisieren kann. wir vertrauen auf ein
wirtschaftlich gesundes, prosperierendes nigeria als
partner eines fruchtbaren wirtschaftlichen austausches. die
wirtschaftliche kraft und der wohlstand dieses landes sind
aber auch die vorausetzungen dafuer, dass nigeria die ihm
zukommende rolle in der welt, und vor allem eine
sprecherrolle in afrika selbst, zu spielen vermag. dies wuenschen
wir nicht nur ihnen, sondern auch uns selbst. mich hat ein
gespraech ermutigt, das ich noch in bonn mit vertretern der
in nigeria taetigen deutschen unternehmen fuehrte. es hat mir
gezeigt, dass die wirtschaftskreise bei uns an die zukuenftige
positive entwicklung ihres landes glauben. nach den
turbulenzen der vergangenheit kehrt das vertrauen zurueck.
ohne bemuehung aller beteiligten wird es nicht gehen. ich
bin zuversichtlich, dass das ergebnis guenstig sein wird, so
dass der bundesrepublik nigeria kuenftig wieder
ausfuhrbuergschaften gewaehrt werden koennen.
die felder, auf denen wir uns gemeinsam bemuehen, das
heisst auch immer wieder gemeinsam neu nachdenken
muessen, sind offenkundig mannigfaltig:
-nigeria ist im begriff, seine wirtschaft umzustrukturieren.
hier koennen wir eigene erfahrungen einbringen. zugleich
wird dieser prozess eine herausforderung an die
flexibilitaet und leistungsfaehigkeit unserer in und mit nigeria
arbeitenden landsleute sein. er erfordert wahre
unternehmer, mut, durchstehvermoegen, eine art
verschwoerung der nigerianischen und der deutschen
wirtschaftskreise. sie gehen von denselben grundsaetzen aus, sie
brauchen politische stabilitaet, einen freien markt sowie
diversifizierte industrien, um die exportkapazitaet zu
verbessern, arbeitsplaetze zu schaffen und die inlaendische
kaufkraft zu erhoehen.
-der weg in die zukunft erfordert menschen, die ihn aus
eigenem wissen und mit eigener verantwortung gehen
koennen. so kommt der ausbildung eine entscheidende
bedeutung zu. ich weiss, dass hier schon durch viele
unternehmen vorbildliches geleistet wird, die bundesregierung
selbst hat durch den aufbau des metallurgical training
institute dazu beigetragen. ich habe vom unentbehrlichen
gegenseitigen vertrauen gesprochen. es geht nicht nur
um das vertrauen in die qualitaet von waren, sondern um
das vertrauen zu den menschen, die sie produzieren,
verkaufen und kaufen. nichts kann eine bessere
grundlage dieses vertrauens sein als die durch eine solide
ausbildung erworbene professionalitaet.
-nigeria bedarf zur realisierung seiner ressourcen
hochwertiger technik. es geht um eine moderne
landwirtschaft, die ihre basis, den boden, heute ebenso nutzt wie
um der zukuenftigen nutzung willen pflegt. es geht um die
erschliessung der immensen gasvorkommen. fuer die
verwirklichung seiner moeglichkeiten und der nutzung seiner
menschlichen faehigkeiten bedarf ein so volkreiches land
wie nigeria einer hochentwickelten infrastruktur fuer den
personen- und gueterverkehr, nicht weniger auch fuer die
nachrichtenkommunikation.
-je differenzierter die erfordernisse und angebote
nigerias werden, um so breiter und zugleich vielfaeltiger wird
das feld der kooperationen. kleineren und mittleren
unternehmungen wird eine groessere rolle zuwachsen. sie
haben in meinem lande eine grosse tradition, sie sind mit
ihren spezialisierten leistungen eine tragende saeule
unserer wirtschaft. aber gerade fuer sie ist das
auslandsengagement riskant. gerade sie, deren beitrag ich fuer
hoechst effizient, unentbehrlich halte, muessen darauf
vertrauen koennen, dass ihr mut, den wir ihnen zusprechen,
sich nicht als tollkuehnheit herausstellt, die sie eigentlich
nicht vor ihren unternehmen - und das sind eben auch
arbeitnehmer - haetten verantworten duerfen.
ein drittel, moeglicherweise die haelfte der menschheit im
erwerbsfaehigen alter ist unterbeschaeftigt. die
lebenschancen unserer menschen zu sichern, ihre menschenwuerdige
zukunft ist die herausforderung an unsere zeit, an unser
handeln. gleichgueltigkeit gegenueber ihrem schicksal waere
unmenschlich, waere auf die dauer fuer alle toedlich in nord
und sued, fuer arm und reich. armut, wo immer sie besteht,
gefaehrdet die zukunft aller. sie und ihre firmen haben durch
unternehmerische investitionsentscheidungen
beschaeftigung bewirkt, zum wohle beider volkswirtschaften und der
menschen beider laender.
bei der aufgabe, die deutsch-nigerianischen
wirtschaftsbeziehungen zur bluete zu bringen und beiden
volkswirtschaften neue impulse zu geben, kommt ihren firmen und
dem nigerian-german business council eine bedeutsame
aufgabe zu. dafuer wuensche ich allen hier versammelten
nigerianichen und deutschen wirtschaftsvertretern und
geschaeftsleuten von herzen gutes gelingen. sie sind
der harte kern und das rueckgrat von zusammenarbeit,
partnerschaft und freundschaft zwischen unseren beiden
voelkern.

erklaerung vor der presse in lagos

bundespraesident richard von weizsaecker erklaerte
am 7. maerz 1988 auf einer pressekonferenz in lagos
zur suedafrika-politik:

die apartheid in suedafrika ist moralisch und politisch
untragbar. sowohl innerhalb suedafrikas als auch in den
nachbarstaaten kann dieses system nicht hingenommen werden.
es stellt eine diskriminierung des menschen dar, die elend
und hass verursacht und extremisten beguenstigt.
meine eigenen persoenlichen eindruecke und informationen
stammen aus schon lange bestehenden verbindungen - in
erster linie nicht im politischen bereich, sondern im
weltkirchenrat, in dem ich viele jahre taetig war, beispielsweise
als mitglied des exekutivausschusses dieses weltrats, dem
auch erzbischof tutu angehoerte.
ebenso bin ich mit pastor boesak, dem praesidenten des
reformierten weltbundes, und mit molobi bekannt. molobi
wurde im herbst 1987 inhaftiert. unsere appelle haben
bisher nicht zu seiner freilassung gefuehrt.
darueber hinaus habe ich vor einigen jahren nicht nur die
suedafrikanische regierung auf diplomatischem weg um die
begnadigung und freilassung nelson mandelas gebeten,
sondern mich dafuer auch oeffentlich in europa und in meinem
eigenen land eingesetzt. alle suedafrikaner, zu denen ich
freundschaftliche beziehungen unterhalte, bitten uns um
einen festen standpunkt, den wir aber im sinne friedlicher
mittel einsetzen sollten.
nun gibt es, wie wir alle wissen, vor allem in bezug auf
verbindliche sanktionen eine vielzahl von vorschlaegen und
meinungen. ich weiss sehr wohl, dass zum teil scharfe kritik
geuebt wird. das argument, dass die hauptlast von
sanktionen auf schwarzen suedafrikanern ruhen wuerde, mag
manchmal eher zynisch als ueberzeugend klingen, wenn es
von denjenigen vorgebracht wird, die bisher bewusst oder
unbewusst zur apartheid beigetragen haben. es ist wirklich
noetig, die eigene glaubwuerdigkeit nicht dadurch aufs spiel
zu setzen, dass man scharfe erklaerungen abgibt, hinter denen
man vielleicht nur eigene geschaeftsinteressen verbirgt.
es ist jedoch nicht leicht, verantwortungsbewusste
entscheidungen zu treffen. bisher herrschen nicht nur unter den
europaeern entgegengesetzte ansichten vor, sondern wir
erhalten auch widerspruechliche ratschlaege aus afrika:
-waere ein voelliger zusammenbruch der suedafrikanischen
wirtschaft eine grundlage fuer einen neubeginn nach der
abschaffung der apartheid?
-gibt es eine moeglichkeit, offene gewalt, die letztlich durch
sanktionen beguenstigt werden koennte, zu verhindern?
-wie soll man die gefahr der sich verstaerkenden "wagenburg"-
mentalitaet und schliesslich eines kampfes zwischen
den gewalt anwendenden extremistischen gruppen
eindaemmen, die es auf beiden seiten gibt ("mk" auf der
einen seite und "awb" von terreblanche auf der
anderen seite)?

diese fragen muessen in nuechtern-sachlicher weise und
nicht ideologisch beantwortet werden.
1.unsere regierung unterstuetzt in erster linie die
sogenannten frontstaaten und ihre organisation, die konferenz
fuer die koordinierung der entwicklung im suedlichen afrika
(sadcc). von 1981 bis 1987 geschah dies durch beitraege
in hoehe von 2,1 milliarden dm mit dem ziel, die wirtschaftliche
abhaengigkeit von suedafrika zu verringern. innerhalb
von zehn jahren erhielten diese organisation und ihre
mitglieder durch das uebereinkommen von lome weitere
5,5 milliarden dm, 30 prozent davon aus meinem land.
2.unsere regierung unterstuetzt den dialog zwischen allen
gruppen in suedafrika, natuerlich einschliesslich des anc.
meine sehr verehrten damen und herren, es ist nicht fair
zu behaupten, die deutsche regierung haette angst vor
einer einbeziehung des anc in einen dialog in
suedafrika, das ist einfach nicht wahr. der aussenminister der
bundesrepublik deutschland, hans-dietrich genscher, war
der erste westliche aussenminister, der den praesidenten
des anc, oliver tambo, zu einem besuch eingeladen hat.
3.minister genscher ging nach angola, um mit vertretern
des landes zusammenzutreffen und mit der
angolanischen fuehrung zu sprechen. der deutsche
bundeskanzler reiste nach mosambik und kenia, wo er oeffentlich und
mit nachdruck zu einem dialog mit dem anc, den anderen
gruppen der schwarzen und der weissen regierung riet.
4.wir unterstuetzen gewaltfreie antiapartheid-gruppen,
hauptsaechlich durch kirchliche kanaele.
5.es wurden verbindliche embargos fuer alle waffen,
ebenso wie fuer "dual-use-equipment" verhaengt.
6.zusammenarbeit im nuklearen bereich darf nicht stattfinden.
7.eisen, stahl und goldmuenzen aus suedafrika duerfen nicht
eingefuehrt werden.
8.neue investitionen werden nicht genehmigt.
9.wir begruessen den von den mitgliedern der
commonwealth-gruppe, die im februar dieses jahres in lusaka
das apartheidsystem eroerterten, getroffenen beschluss,
rasch fertigzustellende untersuchungen ueber die
vorhersehbaren auswirkungen von sanktionen anzuordnen.
dieser beschluss scheint aus der einsicht heraus gefasst
worden zu sein, dass gruendlichere analysen hinsichtlich
der konseqenzen noetig sind und weniger allgemeine und
ideologische auseinandersetzungen stattfinden sollten.
unsere regierung haelt an der grundlage der resolution 435
der vereinten nationen fest, wodurch in namibia
unabhaengigkeit und freie wahlen erreicht werden sollen. eine neue
initiative zur wiederbelebung der kontaktgruppe wird
ergriffen werden. die unterstuetzung fuer angola kam, wie ich
bereits erwaehnt habe, im besuch unseres aussenministers in
luanda zum ausdruck. bundeskanzler kohl besuchte
mosambik, um diesem land hilfe zu bringen.
zusammenfassend moechte ich folgendes feststellen:
wir koennen weder die verantwortung fuer entscheidungen,
die letztlich nicht bei uns, aber bei anderen zu gewalt
und katastrophen fuehren koennten, auf die leichte schulter
nehmen, noch sollte sich irgend jemand in pretoria auf einen
freibrief verlassen, wonach zusaetzliche verbindliche
massnahmen bei uns nicht mehr erwogen wuerden.
die forderung nach einem friedlichen dialog unter
einbeziehung aller gruppen wird immer problematischer, bedenkt
man die folgen des juengsten beschlusses der suedafrikanischen
regierung, alle diese gruppen und ihre taetigkeiten
einschliesslich der friedlichen zu verbieten, zu unterdruecken
und schliesslich in den untergrund zu treiben. meine aufgabe
besteht nicht darin, ideologien zu verkuenden, sondern einen
meinungsaustausch zu fuehren. ich moechte zuhoeren und lernen.
dies haben mir die fuehrenden persoenlichkeiten dieses landes
in aeusserst offener und zuvorkommender weise ermoeglicht,
und ich bin dafuer sehr dankbar. auch zu diesem zweck bin ich
in dieses land gekommen, und auch deswegen werde ich von
hier aus nach simbabwe weiterreisen.