Staatsbesuch des Präsidenten des Staates Israel vom 14. bis 17. Januar 1996 - Ansprache des Bundespräsidenten beim Abendessen im Gästehaus Petersberg bei Bonn

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Staatsbesuch des Präsidenten des Staates Israel vom 14. bis 17. Januar 1996 - Ansprache des Bundespräsidenten beim Abendessen im Gästehaus Petersberg bei Bonn

  • Bulletin 05-96
  • 19. Januar 1996

Der Präsident des Staates Israel, Ezer Weizman, und Frau Reuma
Weizman statteten der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit vom
14. bis 17. Januar 1996 einen Staatsbesuch ab.

Empfang im Gästehaus Petersberg

Ansprache des Bundespräsidenten

Bundespräsident Roman Herzog hielt bei einem Abendessen zu
Ehren des israelischen Präsidenten Ezer Weizman und Frau Reuma
Weizman im Gästehaus Petersberg bei Bonn am 15. Januar 1996
folgende Ansprache:

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr verehrte Frau Weizman,

ich freue mich, Sie auf dem Petersberg begrüßen zu
dürfen. Für uns ist ein Besuch aus Ihrem Lande immer etwas
Besonderes. Ihr Besuch ist der zweite eines israelischen
Staatsoberhauptes in Deutschland. Acht Jahre ist es her, seit Ihr
Amtsvorgänger Chaim Herzog, mein Namensvetter, als erster
israelischer Staatspräsident die Bundesrepublik Deutschland
besuchte. Vor wenig mehr als einem Jahr galt meine erste Reise als
Bundespräsident in ein außereuropäisches Land dem Staat Israel.
Meine Frau und ich waren bewegt von der herzlichen Aufnahme in
Ihrem Land. Der intensive Besuchsaustausch auf allen Ebenen zeigt,
wie sehr sich der Prozeß der Verständigung zwischen unseren
Ländern vertieft hat. Im vergangenen Jahr haben wir den 30.
Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen begangen. Das
deutsch-israelische Verhältnis selbst ist schon ein Stück Geschichte,
und zwar eine Erfolgsgeschichte! Aber die menschlichen
Beziehungen sind es, die zu diesem Erfolg geführt haben und die
dem Verhältnis zwischen unseren beiden Staaten Dauer und Wärme
verleihen. Beide Staaten begannen nach dem Zweiten Weltkrieg neu.
Sie entstanden vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft und ihrer Verbrechen. Wo immer Israelis und
Deutsche aufeinandertreffen, ist diese Vergangenheit gegenwärtig.
Gestern haben wir im Konzentrationslager Sachsenhausen
gemeinsam derer gedacht, die Opfer unfaßbarer Grausamkeit
wurden. Opfer von Verbrechen, die Deutsche begangen haben. Wir
wissen aber: Wer vor seiner Vergangenheit wegläuft, wird von ihr
eingeholt. Wir Deutsche stellen uns der Vergangenheit um der
Zukunft willen. Aus der Erinnerung an die Vergangenheit und aus
dem Wunsch nach einem Neubeginn entstand auch die besondere
Verantwortung, die wir gegenüber dem Staat Israel verspüren. Die
Beziehungen zwischen dem neuen Deutschland und dem jungen
Staat Israel wuchsen auf der Grundlage gemeinsamer demokratischer
und rechtsstaatlicher Werte. David Ben Gurion und Konrad
Adenauer schlugen unter schwierigen Bedingun- gen die ersten
Brücken über Gräben hinweg, die die Geschichte hinterlassen hatte.
Wohl kaum jemand hätte damals oder auch noch bei Aufnahme der
diplomatischen Beziehungen zu hoffen gewagt, daß sich das
deutsch-israelische Verhältnis zu einer so engen und
vertrauensvollen Zusammenarbeit auf nahezu allen Gebieten
entwickeln würde. Ihr Besuch, Herr Präsident, bezeugt die
Freundschaft, die unsere Beziehungen heute kennzeichnet. Politiker
und Beamte, Wissenschaftler und Künstler, Gewerkschafter und
Wirtschaftsvertreter, Repräsentanten der Kirchen und viele andere
engagierte Bürger in Deutschland und in Israel arbeiten in Politik und
Wirtschaft zusammen, im kulturellen und wissenschaftlichen Bereich,
in unzähligen Städtepartnerschaften sowie im Jugendaustausch und
in den Freundschaftsgesellschaften. Die Geschichte dieser letzten
dreißig Jahre hat gezeigt, daß die Vergangenheit, die zwischen uns
steht, zwar nicht verdrängt werden kann und darf. Wohl aber ist es
möglich, sie zu überbrücken und ihr so das Trennende zu nehmen.
Unser gestriges Gespräch mit den Jugendlichen in Berlin hat mir
gezeigt, wie groß die Bereitschaft zum gegenseitigen Kennenlernen
und zum verstärkten Austausch ist. Wir wollen diese Bereitschaft
nutzen. Sie, Herr Präsident, sind bereits ein Kenner unseres Landes.
Sie haben die Bundesrepublik Deutschland unter anderem im April
1989 als Minister für Wissenschaft und Technologie besucht. Damals
wußte noch niemand, daß wenige Monate später die Berliner Mauer
fallen würde und daß dies den Weg zur Vereinigung Deutschlands
ebnen sollte. Seither haben wir große Anstrengungen unternommen,
deren Früchte Sie zu einem kleinen Teil bereits in Berlin gesehen
haben und die Sie bei Ihrem Besuch in Sachsen noch sehen werden.
Mir liegt sehr daran, daß Sie sich selbst einen Eindruck von der
Wirklichkeit und vom Alltag des vereinten Deutschland machen
können. Ihr erster Besuchstag galt Berlin, einem Brennpunkt
deutsch-jüdischer Geschichte, in all ihren glänzenden und ihren
düsteren Facetten. Das geistige Berlin, zu dem unsere Landsleute
jüdischen Glaubens über Jahrhunderte hinweg hervorragende
Beiträge geleistet haben, hat sich von dem Verlust durch den
Naziterror bis heute nicht erholt. Ein Kernelement deutscher Kultur
wurde damals ausgelöscht. Darum sind wir über die Ansätze einer
wieder wachsenden jüdischen Gemeinde sehr froh. Auch auf dem
Gebiet der Wirtschaft nimmt die Kooperation zwischen unseren
beiden Ländern zu. Es freut mich besonders, daß sich die deutsche
Wirtschaft in Israel und auch die israelische Wirtschaft in
Deutschland verstärkt engagieren. Ihr Besuch in Wolfsburg wird
Gelegenheit geben, der bilateralen Zusammenarbeit besonderes
Augenmerk zu widmen. Ich hoffe, daß das Zusammenwirken der
"Dead Sea Works" und der "Volkswagen AG", die vor einigen
Monaten ein Joint Venture als bisher größtes gemeinsames
deutsch-israelisches Unternehmen vereinbarten, Schule machen
wird. Ich kann von den Beziehungen zwischen unseren beiden
Ländern nicht reden, ohne das Ereignis anzusprechen, das uns alle
entsetzt und erschüttert hat: die Ermordung von Ministerpräsident
Yitzhak Rabin. Dieser Mord stellte eine Zäsur dar, die jeden von uns
innehalten ließ. Ihre Bedeutung wird uns in ihrer ganzen Tragweite
erst allmählich bewußt. Wir befinden uns an einem Wendepunkt, an
dem es gilt, mit einem klaren Bekenntnis zum Frieden ein Zeichen zu
setzen -gegen all jene, die den Frieden mit Gewalt verhindern wollen.
Wir bezeugen unseren Respekt vor dem Mann, der die Stärke und
den Mut hatte, Ausgleich mit den ehemaligen Gegnern zu suchen.
Gegen alle Widerstände schritt er auf dem begonnenen Weg fort und
ist dadurch zu einem bleibenden Symbol des Friedens geworden. Die
große internationale Teilnahme an den Trauerfeierlichkeiten in
Jerusalem war eine eindrucksvolle Demonstration der Solidarität mit
dem israelischen Volk und mit seinem Willen zum Frieden. Das
bedeutet einen schwierigen und langen Prozeß, der von allen
Beteiligten Geduld und Stärke verlangt. Geduld, weil nach
Jahrzehnten der Feindschaft Vertrauen erst wachsen muß. Stärke,
um den Widerständen zu begegnen, die oft aus jener Unsicherheit
und Angst erwachsen, die jedem Umbruch innewohnt. Nach den
historischen Vereinbarungen mit Ägypten, den Palästinensern und
Jordanien ist ein wichtiges Element in diesem Prozeß jetzt der
Ausgleich Israels mit Syrien und dem Libanon. Es ermutigt, daß die
israelisch-syrischen Gespräche in den letzten Wochen wieder
aufgenommen wurden. Wir alle hoffen, daß sie in Kürze zu
substantiellen Ergebnissen führen werden. Sie selbst, Herr
Präsident, haben mehrfach Ihre Bereitschaft zu einer Begegnung mit
dem syrischen Präsidenten bekundet und damit Entgegenkommen
signalisiert. Frieden und Sicherheit sind unteilbar. Frieden ist uns nur
vergönnt, wenn auch unser Nachbar in Frieden lebt. Und Frieden ist
nur sicher, wenn seine Früchte für den Einzelnen spürbar werden.
Das gilt im großen wie im kleinen, sowohl innerhalb der Region als
auch zwischen benachbarten Regionen. Schon deshalb ist der
Friedensprozeß auch für uns Europäer von eminenter Bedeutung.
Solidarität erschöpft sich nicht in Worten, sie muß sich in Taten
erweisen. Wir wissen um die Notwendigkeit der Fortsetzung unserer
Hilfe, und wir sind dazu bereit. Deutschland will weiterhin bilateral
und gemeinsam mit seinen europäischen Partnern zum
Friedensprozeß beitragen, indem wir helfen, dessen
Rahmenbedingungen zu verbessern. Die Hilfe der Europäischen
Union und Deutschlands soll zu einer Stabilisierung der Region
insgesamt beitragen. Dazu dient die Unterstützung beim Aufbau der
palästinensischen Verwaltung und bei den bevorstehenden Wahlen in
den autonomen Gebieten ebenso wie die Verstärkung der
Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Israel, für die
sich die deutsche Seite stets nachdrücklich eingesetzt hat und die
mit dem Abschluß des Assoziierungsabkommens und der
Erarbeitung eines Abkommens zur wissenschaftlich-technischen
Zusammenarbeit eine neue Qualität gewonnen hat. Zu Beginn habe
ich die deutsch-israelischen Beziehungen eine Erfolgsgeschichte
genannt. Das war gewiß richtig. Aber auf dem Erfolg soll man sich
nicht ausruhen. Um ihn zu bewahren, bedarf es weiterer
Anstrengungen und intensiver Pflege. Wir sind bereit dazu. Ich kann
Ihnen versichern, daß die Bundesrepublik Deutschland nach Kräften
alles dazu tun wird, um den Austausch zwischen unseren beiden
Ländern fortzuführen und zu vertiefen und zu dem Aufbau eines
sicheren und friedlichen Nahen Ostens beizutragen. Lassen Sie mich
nun das Glas erheben und anstoßen auf das Wohl von Präsident
Weizman und Frau Weizman, auf die freundschaftlichen und
vertrauensvollen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern
und auf eine gesicherte und glückliche Zukunft des israelischen
Volkes in einem friedlichen Nahen Osten.

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