Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel

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Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Vor uns liegt ein schwieriges Jahr. Gerade deswegen ist heute ein entscheidender Tag. Ich sage: Es ist ein guter Tag; denn mit dem Pakt für Beschäftigung und Stabilität in Deutschland gibt die Bundesregierung eine umfassende Antwort auf die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise, die uns alle Handlungsoptionen eröffnet. Und genau das ist gut für unser Land in einer solchen Situation.

Bund, Länder und Kommunen werden ein Maßnahmenpaket auf den Weg bringen, das es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland so noch nicht gegeben hat. Zusammen mit den schon im Herbst beschlossenen Maßnahmen werden wir über 80 Milliarden Euro einsetzen. Das ist ein Impuls von mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, auf zwei Jahre gerechnet. Die Bundesregierung verfolgt dabei ein großes, ja ein überragendes Ziel. Wir wollen die Krise nicht einfach überstehen. Deutschland soll aus dieser Krise stärker und zukunftsfester herauskommen, als es hineingeht. Wir wollen diese Krise als Chance nutzen.

Viele rufen nach kurzfristigen Stabilisierungsmaßnahmen in 2009. Wir wollen diese Maßnahmen gleichzeitig für einen Modernisierungsschub für das kommende Jahrzehnt nutzen. Viele rufen nach Aktionen, um jetzt Entlassungen zu vermeiden. Wir werden den Unternehmen nicht nur helfen, ihre Fachkräfte zu halten, sondern wir werden auch eine breite Qualifizierungsoffensive starten, um die Beschäftigungschancen im nächsten Aufschwung zu verbessern. Es werden schnelle Nachfrageimpulse gefordert, zum Beispiel durch zusätzliche Zahlungen an die privaten Haushalte. Wir bleiben nicht bei Einmalmaßnahmen stehen, sondern wir werden die Privathaushalte verlässlich und dauerhaft entlasten.

Das ist unsere Leitlinie: Alles tun, um die Krise abzumildern, aber eben nicht dabei stehen bleiben, sondern die Chancen suchen und finden, die diese Herausforderung mit sich bringt.

In den Mittelpunkt unserer Maßnahmen stellen wir die Arbeitsplätze: die vorhandenen Arbeitsplätze, die wir sichern wollen, und die künftigen, für die wir trotz aller Sorgen des Tages jetzt die Grundlagen legen wollen. Arbeit für die Menschen – daran richten sich alle unsere Maßnahmen aus. Jede der Maßnahmen trägt auf ihre Art und Weise dazu bei. Das ist unser Maßstab. Ich halte ihn mit Blick auf die Menschen in unserem Land für absolut richtig.

Richtig ist: Deutschland kann sich vor den Verwerfungen an den Finanzmärkten und auch vor dem weltweiten Wachstumseinbruch nicht abschotten. Wir erleben die erste umfassende Krise der Weltwirtschaft in der modernen Globalisierung. Diesmal sind nicht nur einzelne Regionen, Länder oder Branchen davon erfasst, nein, diese Krise geht rund um den Globus alle an.

Was zuerst Möglichkeit war und dann Wahrscheinlichkeit wurde, das ist jetzt Gewissheit. Auch Deutschland befindet sich infolge der weltweiten Krise in der schwierigsten wirtschaftlichen Phase seit vielen Jahrzehnten. Glücklicherweise spüren das noch nicht alle in unserem Land – ich hoffe, das bleibt auch so –, aber manche Branchen, manche Bereiche trifft es dramatisch. Gerade heute haben wir wieder gehört: Auftragseinbrüche im Maschinenbau um 30 Prozent allein im November 2008. Das sind Signale, die nicht übersehen werden dürfen und zum Handeln auffordern.

Weil das so ist, ist Nichtstun keine Alternative. Weil das so ist, reichen die herkömmlichen Instrumente nicht aus. Die Selbstheilungskräfte des Marktes können erst wieder voll wirken, wenn die Marktkräfte auch wirklich funktionieren. Wenn zum Beispiel ein gesundes Unternehmen mit Weltmarktführung für seine Investitionen heute keine Kredite bekommt oder nur Kredite zu Konditionen, die ein rentables Wirtschaften nicht mehr möglich machen, weil die Banken sich untereinander noch nicht richtig vertrauen, dann muss der Markt – das ist unsere politische Aufgabe – wieder funktionstüchtig gemacht werden. Wir müssen den Kräften des Marktes Hilfestellung leisten, um sie gesunden zu lassen.

Deshalb sind Strohfeuerprogramme früherer Zeiten oder gar protektionistische Maßnahmen ungeeignet. Deshalb darf unsere Diskussion auch nicht darauf hinauslaufen, dass wir jetzt immer nur fragen: Ist das gut für deutsche Produkte? Wir sind in einer weltweiten Krise. Daher ist Protektionismus mit Sicherheit das falsche Denken. Genau deshalb werden wir für die Offenheit der Märkte eintreten.

Es ist sehr wichtig – das ist auch die Begründung unseres Handelns –, sich klarzumachen: Dies ist eine außergewöhnliche Situation, für die die herkömmlichen Lehrbücher nicht ausreichen. Diese Einschätzung teilt die gesamte Bundesregierung, und nur sie erklärt unser Vorgehen. Deswegen greift die Bundesregierung eben auch zu außergewöhnlichen Maßnahmen.

Die Menschen in Deutschland können sicher sein: Wir handeln gut überlegt, und wir sind entschlossen, Deutschland mit aller Kraft gut durch die Krise zu bringen und unser Land, wo immer es möglich ist, stärker zu machen. Dieses Ziel zu erreichen, das kann nur gelingen, wenn wir gleichzeitig an den wichtigsten Schlüsselstellen unserer Wirtschaft ansetzen. Die wichtigsten Schlüsselstellen, das sind die Innovationskraft der Unternehmen, die Kreativität und Ausbildung der Menschen und die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Infrastruktur. An genau diesen Schlüsselstellen setzt unser Maßnahmenpaket an.

Erstens: Wir starten eine Investitionsoffensive von Bund, Ländern und Kommunen im Bildungsbereich und bei der Modernisierung der Infrastruktur. Der Bund wird zusammen mit den Ländern in den nächsten zwei Jahren knapp 20 Milliarden Euro zusätzlich einsetzen. Das wird ein richtiger und wichtiger Impuls für unsere Infrastruktur sein. Dass wir dies auf den Weg gebracht haben – zusammen mit den Ländern, zusammen mit den Kommunen –, das zeigt, dass unser Land handlungsfähig ist, nicht nur in der Bankenkrise, sondern auch, wenn es darum geht, unser Land stärker zu machen. Dafür allen Beteiligten herzlichen Dank.

Wir wissen, dass die Kreativität der Menschen unsere wichtigste Produktivkraft ist. Deshalb steht der Bildungsbereich im Mittelpunkt der Investitionen; dafür werden zwei Drittel der Investitionen, die von Bund und Ländern gemeinsam getätigt werden, bereitgestellt. Dabei geht es auch um die Verbesserung der Situation in Kindergärten, in Schulen, in Fachhochschulen und Hochschulen. Ich glaube, das ist genau das, was wir meinen, wenn wir sagen: Wir wollen eine Bildungsrepublik sein. Wir setzen jetzt die notwendigen, zusätzlichen Impulse, um die Zukunft zu meistern.

Seit gestern höre ich: Es ist ja schön, wenn man die Schulen renoviert. Aber was hilft das, wenn nicht ausreichend Personal da ist? Deshalb füge ich gleich an dieser Stelle hinzu: Der Bundesarbeitsminister hat dafür Sorge getragen, dass im Bereich der Kleinkinderbetreuung – hier erhöhen wir gerade die Zahl der Betreuungsplätze, und hier entstehen neue Rahmenbedingungen – vorrangig Qualifizierung betrieben wird, genauso wie auch im Pflegebereich. Wir werden diese Dinge kombinieren. Aber es kann doch wohl nicht sein, dass wir die Schulen nicht renovieren, weil vielleicht irgendwo noch ein Lehrer fehlt. Vielleicht kann dies dazu beitragen, dass mehr Lehrer und Betreuer eingestellt werden.

Alles, was wir im Infrastrukturbereich machen, verbinden wir auch mit zusätzlichen Impulsen für Klimaschutz und Energieeffizienz. Das bringt uns der Erfüllung unserer Klimaschutzziele näher. Das ist ein wichtiger Beitrag für die Zukunft.

Um die Schwerpunkte schnell, effizient und sichtbar umzusetzen, werden die Finanzhilfen unter dem Gesamtdach des kommunalen Investitionsprogramms zur Verfügung gestellt. Wir vereinfachen das Vergaberecht, damit Aufträge möglichst schnell vergeben werden können. Das sichert nicht nur kurzfristig Aufträge für die Wirtschaft und Arbeitsplätze, sondern es bringt für Deutschland auch die Chance auf einen umfassenden Modernisierungsschub. Ich sage: Das ist ein Qualitätssprung, der sonst viele Jahre gebraucht hätte. Bei den Besuchen, die ich gemacht habe, habe ich gespürt – das wird jedem so ergangen sein –, dass gerade die kommunalen Verantwortlichen sehr verantwortlich mitmachen und dieses Programm sehr intensiv aufgreifen werden.

Zweitens handeln wir für eine gesicherte Kreditversorgung der Wirtschaft, damit Investitionen und Innovationen der Unternehmen trotz der Verwerfungen auf den Finanzmärkten möglich bleiben. Dazu wird die Bundesregierung als Schwerpunkt ein besonderes Kredit- und Bürgschaftsprogramm einrichten. Über das schon heute laufende KfW-Sonderprogramm hinaus werden wir mit einem Bürgschaftsvolumen von 100 Milliarden Euro sicherstellen, dass die Kreditversorgung durch die Banken auch funktioniert. Wir brauchen heute zusätzliche Absicherungen, damit die Banken ihrer Tätigkeit nachkommen können.

Mithilfe der staatlichen Bürgschaften werden wir ein Vielfaches an privaten Investitionen auslösen. Ziel dieses Bürgschaftsprogramms ist, dass keine gesunden, wettbewerbsfähigen Betriebe, die häufig mit ausgezeichneten Weltmarktpotenzialen ausgestattet sind, aufgrund der Verwerfung im Bankensektor verloren gehen. Das ist ein vernünftiger Ansatz. Es geht nicht um Betriebe, die Schwächen haben. Es geht um Betriebe mit herausragendem Potenzial, die zu jeder normalen Zeit sofort Kredite bekommen würden und die wir jetzt besonders schützen.

Zur Stärkung der Innovationskraft der Wirtschaft gehören auch eine Umweltprämie für die Automobilwirtschaft, die Umstellung der Kfz-Steuer zum 1. Juli 2009 auf CO2-Basis und eine besondere Forschungsförderung für innovative Antriebstechnologien.

Ich weiß sehr wohl, dass gerade das Thema Umweltprämie erhebliche Diskussionen auslöst, da man sich fragt: Ist es eigentlich gerechtfertigt, eine Branche in besonderer Weise zu stützen? Dies hat – das muss man der Automobilindustrie sagen – zum Teil auch damit zu tun, dass die Automobilindustrie mit ihren Zulieferern in den vergangenen Jahren nicht immer langfristig und nachhaltig umgegangen ist – um das ganz freundlich zu sagen.

Wir haben uns für die Umweltprämie entschieden, weil die Automobilbranche gerade in Deutschland nicht irgendeine Branche ist. Die großen Automobilunternehmen bilden mit ihrem Netz von Zulieferern einen weltweit einmaligen Technologie- und Innovationscluster. Sie gehören zur Kernsubstanz unseres Industrielandes Deutschland.

Weil wir diese Substanz nicht nur erhalten, sondern auch modernisieren wollen, sagen wir: Wir entschließen uns zu einer solchen außergewöhnlichen Hilfe. Deshalb sind die Hilfen so konzipiert, dass sie Anreize bieten, verbrauchsarme und klimafreundliche Fahrzeuge zu entwickeln und zu kaufen; das gilt gerade für die CO2-basierte Kfz-Steuer. Das ist aus meiner Sicht eine vertretbare und akzeptable Hilfe, die gleichzeitig in die Zukunft führt.

Zur Modernisierung der Infrastruktur gehört in unserem Land natürlich auch der Ausbau des Breitbandnetzes. Wir wollen damit zeigen, dass alle Regionen unseres Landes von der Modernisierung profitieren müssen, gerade auch die ländlichen Räume, die bis jetzt nicht ausreichend mit Breitbandtechnologie versorgt sind.

Deshalb wird es darauf ankommen, unser Programm so umzusetzen, dass alle Regionen Deutschlands davon profitieren können – nicht nur wichtige oder scheinbar wichtige Regionen, in denen Unternehmen angesiedelt sind oder die aus anderen Gründen bekannt sind. Ich finde, das ist ein wichtiges Signal mit Blick auf die Gerechtigkeit in unserem Land, ein Signal an die Menschen und vor allem an diejenigen, die in den Kommunen Verantwortung tragen und deren Engagement wir jetzt dringend brauchen.

An dieser Stelle möchte ich sagen: Unsere Hilfen für Unternehmen sind nicht an deren Größe orientiert. Es geht nicht darum, ob ein kleines Unternehmen einen Arbeitsplatz, ein Mittelständler mehrere Hundert Arbeitsplätze oder ein DAX-Unternehmen Zehntausende Arbeitsplätze hat. Jeder Arbeitsplatz steht in unserem Bemühen an gleicher Stelle. Wir unterscheiden nicht; denn für uns sind alle wichtig.

Drittens: Wir ergreifen Maßnahmen zur direkten Sicherung von möglichst vielen Arbeitsplätzen, verbunden mit einer umfassenden Qualifizierungsoffensive. Bei allem Einsatz – wir wissen das –: Die Bundesregierung kann nicht versprechen, dass die Krise den Arbeitsmarkt weitgehend unberührt lässt. Das wäre vollkommen unredlich. Ich kann Ihnen aber versprechen, dass die Politik den Betrieben hilft, bis zum nächsten Aufschwung eine Brücke für die Arbeitnehmer zu bauen. Eine solche Brücke hat in unserem Programm eine ganz zentrale Bedeutung.

Deshalb haben wir die Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld bereits im Herbst verlängert und werden jetzt die Bedingungen dafür schaffen, dass die Betriebe dieses Instrument der Kurzarbeit auch nutzen können, indem wir 50 Prozent der Sozialversicherungskosten übernehmen und das Angebot machen, wenn Qualifizierung angefordert wird, dann auf Antrag bis zu 100 Prozent der Sozialversicherungskosten zu übernehmen. Das ist wieder die Kombination: Nicht einfach nur warten, nicht einfach nur nichts tun, sondern Anreize setzen, um sich auf die Zukunft vorzubereiten. Das kann ein Beitrag sein, um zukünftigen Fachkräftemangel zu überwinden, und so entsteht wieder eine Chance, aus der Krise herauszukommen.

Wir wissen, dass die Qualifizierung nicht alleine von den Betrieben geleistet werden kann. Deshalb kommt der Bundesagentur für Arbeit und ebenso den Trägern der Grundsicherung, bei denen Arbeitnehmer und Arbeitsuchende aktiviert und qualifiziert werden, eine erhebliche Bedeutung zu. Deshalb erweitern wir hier auch den Umfang der Stellen.

Gerade an dieser Stelle zeigt sich, wie wertvoll es ist, dass die Bundesagentur für Arbeit mit den Reformen der letzten Jahre wirkungsvoll umorganisiert wurde und schlagkräftiger geworden ist. Sie wird eine sehr wichtige Säule im Einsatz für Beschäftigung und Qualifizierung sein. Deshalb möchte ich von dieser Stelle aus den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Nürnberg und auch in den Argen vor Ort ein ganz herzliches Dankeschön sagen. Von ihnen wird in den nächsten Monaten viel abhängen.

Viertens: Die Privathaushalte und auch die Personengesellschaften des Mittelstandes werden bei Steuern und Abgaben spürbar und dauerhaft entlastet. Insgesamt entlasten wir mit den gestrigen Beschlüssen die Bürger bei Steuern und Abgaben in den nächsten zwei Jahren um rund 18 Milliarden Euro. Bei der Einkommensteuer wird der Grundfreibetrag angehoben, der Eingangssteuersatz auf 14 Prozent gesenkt und eine Rechtsverschiebung der Kurve vorgenommen. Damit wird der "kalten Progression" ein Stück weit Einhalt geboten.

Ich möchte darauf hinweisen, dass eine solche Steuersenkung die Nachfrage insbesondere bei den arbeitenden, gut ausgebildeten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit niedrigen und mittleren Einkommen stärken wird. Genau diese sind durch die Wirkung der "kalten Progression" in besonderer Weise belastet. Künftig wird ihnen mehr von jedem mehr verdienten Euro bleiben als bisher.

Diese Steuersenkung – auch das will ich noch erwähnen – entlastet auch viele Personengesellschaften gerade im Mittelstand. Mit dieser Steuersenkung geht es um mehr als nur um einen finanziellen Konjunkturimpuls. Im Kern geht es mit dieser Maßnahme darum, die Leistungsgerechtigkeit und den Optimismus der Menschen zu stärken. Deshalb ist sie eine wichtige Maßnahme in unserem Paket.

Die Entlastungen sind keine Einmalmaßnahme, sondern wirken dauerhaft, genauso wie die Senkung der Beiträge. Die paritätische Senkung der Beiträge zur Krankenversicherung um 0,6 Punkte wird sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer noch einmal entlasten. Um den Umfang einmal darzustellen: Eine Familie mit zwei Kindern und einem Erwerbstätigen mit einem Durchschnittseinkommen von etwa 30.000 Euro wird im Jahr 314 Euro mehr zur Verfügung haben. Das ist ein Beitrag, um Vertrauen zu schaffen.

Ich will an dieser Stelle noch eines deutlich machen. Wir gehen in verschiedenen Schritten vor. Auch das ist gestern kritisiert worden. Aber worum geht es bei diesen Beitrags- und Steuersenkungen? Es geht darum, dass wir Vertrauen mit Blick auf den Konsum der Bevölkerung schaffen. Glücklicherweise befinden wir uns in einer Situation, in der die Inflationsrate und die Energiepreise in diesem Jahr niedriger sein werden. Es gibt die Entlastungen für Familien ab 1. Januar. Es wird ab 1. Juli Rentenerhöhungen und Erhöhungen bei den Leistungen für Hartz-IV-Empfänger geben. Es gibt die steuerlichen Entlastungen und die Gesundheitskostenentlastungen, und dann zum 1. Januar 2010 noch einmal mehr.

Das heißt, die Menschen können darauf vertrauen, dass das ihnen zum Konsum zur Verfügung stehende Einkommen möglichst gleich oder höher sein wird. Das stärkt dann die Konjunktur. Das ist ein innerer Impuls, und das ist unsere Philosophie: Nicht einmal, sondern dauerhaft Hoffnung geben, damit sich die Dinge möglichst vernünftig entwickeln.

Wir tun das, weil uns wichtig ist, dass alle Bürger spüren: Es ist eine gemeinsame Herausforderung, und deshalb soll es auch eine gemeinsame Chance geben. Jeder wird gebraucht, und jeder soll gestärkt werden. Deshalb ist der Mix aus Lohnzusatzkostensenkung und Steuersenkung auch richtig, weil die unterschiedlichen Bevölkerungsteile unterschiedlich betroffen sind. Es gibt auch viele, die keine Steuern zahlen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, es ist richtig: Wir nehmen viel Geld in die Hand. Wir nehmen sogar sehr viel Geld in die Hand. Aber wir haben auch darauf geachtet, dass wir den richtigen Zeitpunkt wählen. Wir sind bewusst nicht in einen Überbietungswettbewerb auf europäischer Ebene eingestiegen. Wir sind der Überzeugung: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Wir brauchen mit unserer Antwort allerdings den Vergleich mit den Initiativen anderer Länder wahrlich nicht zu scheuen.

Ich erinnere daran: Die Europäische Union hat – so haben wir es im Rat beschlossen – ein gemeinsames europäisches Programm mit einem Volumen von 200 Milliarden Euro gefordert. Deutschland ist jetzt mit 80 Milliarden Euro dabei. Wir leisten als größte Volkswirtschaft unseren Beitrag. Ich finde das richtig. Aber ich finde, wir alle können das auch selbstbewusst sagen.

Die volle Wirkung dessen, was wir hier zur Diskussion stellen, entfaltet sich im Übrigen erst im Zusammenwirken aller Maßnahmen. Ich habe von den Schlüsselstellen gesprochen, an denen wir ansetzen müssen. Sie erfordern verschiedene Maßnahmen. Wer nur auf die eine oder andere Maßnahme setzt, der wird eine Halbierung der Wirkung erleben.

Wer auf alle Maßnahmen setzt, der wird erleben, dass sich die Wirkung vervielfacht. Das muss das Ziel sein; denn eindimensionale Antworten sind in der Globalisierung definitiv zum Scheitern verurteilt. Gerade deswegen hat sich die Bundesregierung bewusst für einen breiten und vernetzten Ansatz entschieden. Gerade weil es heute keine isolierten nationalen Maßnahmen mehr geben kann, möchte ich noch einmal betonen, dass dieser Pakt für Beschäftigung und Stabilität nur die eine Seite der Medaille, der internationalen Situation ist. Die andere Seite der Medaille ist die aktive Gestaltung der internationalen Ordnung. Ich werde nicht lockerlassen – das gilt für die gesamte Bundesregierung –, bis wir international eine neue Finanzmarktverfassung, einen fairen Freihandel, eine bessere Beachtung von sozialen Mindeststandards, einen Abbau der wirtschaftlichen Ungleichgewichte und den Ausbau des internationalen Klimaschutzregimes geschafft haben.

Die Gruppe der G20-Länder wird – Großbritannien hat in diesem Jahr den Vorsitz – am 2. April wieder tagen. Ich habe die europäischen Teilnehmer dieser G20-Gruppe nach Berlin eingeladen, um dieses Treffen vor-zubereiten; denn die europäische Stimme wird von großem Gewicht sein. Dahinter steht die Erkenntnis, dass wir für die Globalisierung keine ausreichende internationale Architektur haben. Deshalb werde ich Anfang Februar mit den internationalen Organisationen, mit OECD, WTO, ILO, der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds – genauso, wie wir das schon während unserer G8-Präsidentschaft gemacht haben –, wieder Gespräche führen, um alles mit den Aktivitäten der Vereinten Nationen zusammenzuführen. Wir brauchen eine bessere internationale Architektur, die uns in Zukunft vor solchen Krisen wie der jetzigen schützt. Deutschland muss dabei eine starke, eine führende Rolle spielen.

Ich rede nicht darum herum: Der Weg, den wir eingeschlagen haben, um unser Land durch die Krise zu bringen, bringt eine deutliche Neuverschuldung mit sich, in diesem Jahr und auch im nächsten. Das muss klar gesagt werden. Darum brauchen wir nicht herumzureden. Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Auch ich habe sie mir nicht leicht gemacht. Ich will deutlich sagen: Es ist bisher die schwerste innenpolitische Entscheidung, die ich als Bundeskanzlerin zu treffen hatte. Aber ich glaube, wir haben sie so getroffen, dass wir der außergewöhnlichen Dimension dieser Krise gerecht werden. Eine solche Antwort ist nicht nur notwendig, sondern definitiv geboten, weil nichts tun – daran möchte ich noch einmal erinnern – schwerstwiegende Folgen hätte, nicht nur wegen des Rückgangs bei Aufträgen und Arbeitsplätzen in der Krise, die an sich schon erhebliche Mindereinnahmen für die staatlichen Kassen bedeuten würde, sondern vor allem auch, weil zu viele Quellen unseres Wohlstands in Gefahr geraten würden und versiegen könnten, weil im nächsten Aufschwung dann wichtige Firmen, wichtiges Know-how, wichtige Facharbeiter einfach nicht mehr da gewesen wären, um wieder neues Wachstum in Deutschland zu schaffen. Ich denke, wir alle sollten vermeiden, dass wir in eine Situation kommen, in der wir sagen müssen: Hätten wir doch damals etwas getan, hätten wir das, was uns stark macht, gerettet. – In diese Situation möchten wir nicht kommen, möchte ich nicht kommen. Deshalb handeln wir so, wie wir handeln.

Die Neuverschuldung ist nicht Ausdruck einer falschen Politik, sondern sie ist Ausdruck der Krise selbst. Sie ist Bestandteil der Herausforderung, die wir zu meistern haben. Dafür werden wir – auch das ist schon heute absehbar – viel Ausdauer und Geduld brauchen. Aber auch das können wir schaffen. Wer Schulden aufnimmt, muss sie zuverlässig tilgen. Wir haben im Übrigen beim Erblastentilgungsfonds bewiesen, dass wir das können. Er wurde 1995 eingerichtet und hatte damals einen Schuldenstand von umgerechnet 171 Milliarden Euro. Jetzt ist er getilgt.

Viele sagen, das habe 14 Jahre gedauert. Darauf sage ich: Aber es ist geschafft. – Um die Verlässlichkeit der Politik zu zeigen, muss man auch einmal sagen, wenn man so etwas geschafft hat. Die deutsche Einheit war doch keine Kleinigkeit. Wir können sagen, dass wir das gehalten haben, was wir versprochen haben. Daraus erwächst auch das Vertrauen, dass wir, wenn wir jetzt wieder einen Fonds einrichten und einen Tilgungsplan verabreden – der Finanzminister wird dazu Vorschläge machen –, die Schulden genauso tilgen, wie wir sie früher getilgt haben. Dafür stehe ich ein, dafür stehen wir ein.

Wir werden darüber hinaus – auch angesichts dieser Krise – nach Beratungen in der Föderalismuskommission eine Schuldenbremse einführen, also für die zukünftigen, die normalen Zeiten verabreden, dass wir kein Defizit oberhalb von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erlauben dürfen. Es ist interessant: Dinge, die fast unerreichbar schienen, scheinen jetzt wieder in Reichweite. Ich jedenfalls werde mit aller Intensität dafür eintreten – ich weiß, dass die Mitglieder der Föderalismuskommission das auch tun –, dass wir das jetzt schaffen und die Schuldenbremse ins Grundgesetz bringen, um für zukünftige Generationen ein klares Zeichen zu setzen.

In diesem Jahr wird die Bundesrepublik Deutschland 60 Jahre alt. Ein Drittel dieser Zeit, nämlich fast 20 Jahre, gehen Ost und West einen gemeinsamen Weg. Vor 20 Jahren, am 9. November, war der Fall der Berliner Mauer. Die beiden Daten, finde ich, zeigen uns, dass Deutschland schon ganz andere Herausforderungen gemeistert hat. Das ist Grund zur Zuversicht; das ist Grund, auf Deutschlands Kraft und Stärke zu vertrauen. Das Allerwichtigste, so heftig der Wachstumseinbruch auch ausfallen kann, ist: Dies ist keine Krise – das, finde ich, ist die wichtige Botschaft – der ökonomischen, sozialen oder finanziellen Grundstrukturen unserer Bundesrepublik Deutschland.

Unsere Wirtschaft ist stark. Unsere Produkte sind weltweit wettbewerbsfähig. Wir haben 1,5 Millionen neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in den letzten drei Jahren geschaffen. Das soziale Netz ist stabil; es ist durch die Reformen der letzten Jahre gestärkt worden. Wir hatten 2007 und 2008 einen ungefähr ausgeglichenen Haushalt. Heute sind die Zahlen gekommen: Das Bruttoinlandsprodukt weist ein Wachstum von minus 0,1 Prozent auf, die Verschuldung von Deutschland ist nahezu ausgeglichen. Das gibt uns mehr Handlungsspielräume. Dies alles zeigt: Die soziale Marktwirtschaft bewährt sich in der Globalisierung. Deutschland ist im Kern gesund und stark.

Finanzielle Exzesse und mangelndes soziales Verantwortungsbewusstsein haben die Welt dagegen genau in diese Krise geführt. Nur wenn wir diese Ursache klar benennen, dann können wir die Welt tatsächlich gemeinsam mit anderen Staaten aus dieser Krise führen. Dazu brauchen wir klare Grundsätze. Der Staat ist der Hüter des wirtschaftlichen und sozialen Ordnungsrahmens. Der Wettbewerb braucht Augenmaß und soziale Verantwortung. Das sind die Prinzipien unserer sozialen Marktwirtschaft. Sie gelten bei uns, aber es hat sich gezeigt, dass genau das nicht reicht. Diese Prinzipien müssen weltweit beachtet werden. Erst das wird die Welt aus dieser Krise führen.

Die Krise wird nicht spurlos an uns vorübergehen. Sie wird uns auch in der nächsten Zeit viel abverlangen. Es kommt jetzt mehr denn je auf den Zusammenhalt aller Kräfte in unserer Gesellschaft an, auf das, was wir Gemeinsinn nennen: Betriebe und Behörden, Banken und Sparkassen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Verbände und Bürgerinitiativen, jeder ist aufgerufen, wenn er kann, seinen Teil dazu beizutragen. Ich werde in den nächsten Monaten – wie auch die Mitglieder der Bundesregierung – immer wieder das Gespräch mit allen Gruppen in der Gesellschaft suchen.

Der Pakt für Beschäftigung und Stabilität bietet für jeden einen Ansatzpunkt, seinen Teil der Verantwortung wahrzunehmen. Er ist ein Pakt für alle, und deshalb ist er ein Pakt für Deutschland, so haben wir ihn konzipiert: für die Unternehmen, indem sie jetzt ihre Beschäftigten halten, für die Arbeitnehmer, indem sie sich weiterqualifizieren, für die Ingenieure und Forscher, indem sie neue Ideen entwickeln und Innovationen vorantreiben, für die ehrenamtlich Tätigen, indem sie mithelfen, unsere soziale Infrastruktur stabil zu erhalten, für die Verbraucher, indem sie sich umweltbewusster verhalten. Vertrauen wir auf das, was wir gut können, was wir vielleicht sogar besser können als andere! Das ist gerade jetzt wichtig. Es ist mehr als manche denken; davon bin ich überzeugt.

Ich sage Ihnen: Die Regierung hat jetzt viel Arbeit hinter sich. Aber sie hat in den kommenden Monaten auch einiges an Arbeit vor sich. Ich sage Ihnen: Das werden wir mit Verantwortung, Kraft und Zuversicht und, wie ich hoffe, auch mit der Unterstützung dieses Hohen Hauses tun.