Regierungserklärung des Bundesministers für Verteidigung, Dr. Peter Struck,

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Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Die Bundeswehr hat in ihrer bald 50-jährigen Geschichte wesentlich zur längsten Friedensperiode in der jüngeren Geschichte unseres Landes beigetragen. Heute ist sie als Institution bei den Bürgerinnen und Bürgern anerkannter denn je. Sie genießt bei den Menschen hohes Ansehen. Das gilt nicht nur in Deutschland.

Durch die Auslandseinsätze ist das Ansehen der Bundeswehr in der Völkergemeinschaft gestiegen, sowohl bei unseren Partnern als auch bei den Menschen in Bosnien, im Kosovo und in Afghanistan. Unsere Soldatinnen und Soldaten überzeugen dort durch hohes Engagement beim Wiederaufbau und beim Erhalt des Friedens. Die Bundeswehr ist zu einem wichtigen Botschafter Deutschlands geworden. Sie ist Botschafter eines Deutschlands, das seine Verantwortung in der Völkergemeinschaft annimmt und wesentliche Aufgaben bei der internationalen Friedenssicherung wahrnimmt. Um dies auch weiterhin leisten zu können, muss sie weiterentwickelt werden.

Die Bundeswehr des 21. Jahrhunderts nimmt Gestalt an. Die neuen Aufgaben sind identifiziert. Die konzeptionellen Grundlagen sind geschaffen, die wesentlichen Entscheidungen getroffen. Der neue Kurs ist eingeschlagen. Wir sind mit diesem neuen Kurs auf dem richtigen Weg.

Die Transformation der Bundeswehr, unter der ich den umfassenden und fortlaufenden Prozess der Ausrichtung von Streitkräften und Verwaltung auf die sich auch weiterhin verändernden Herausforderungen verstehe, ist aus drei Gründen unerlässlich:

Erstens: Die Sicherheitslage hat sich entscheidend verändert. Deutschland wird absehbar nicht mehr durch konventionelle Streitkräfte bedroht. Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt, wenn sich dort Bedrohungen für unser Land wie im Fall international organisierter Terroristen formieren. Im Übrigen wird unsere Sicherheit – um auf den Kollegen Schmidt einzugehen – natürlich auch in Hindelang verteidigt. Ich kann allerdings gegenwärtig dort beim besten Willen keine aktuelle Bedrohung erkennen. Wir müssen Gefahren dort begegnen, wo sie entstehen; denn sie können unsere Sicherheit natürlich auch aus großen Entfernungen beeinträchtigen, wenn wir nicht handeln.

Zweitens: Nato und Europäische Union befinden sich in weitreichenden Prozessen der Anpassung an diese veränderte Situation. Das bringt neue Verpflichtungen für Deutschland auch im militärischen Bereich mit sich. Die Transformation der Nato verlangt eine Transformation der Bundeswehr. Beide müssen in Planung und Vorhaben miteinander übereinstimmen. Wir sind dabei ebenfalls auf einem guten Weg.

Drittens: Die Einsatzrealität der Bundeswehr hat sich längst der neuen Sicherheitslage angepasst. Die Anforderungen an die Streitkräfte steigen weiter. Das Einsatzspektrum umfasst mittlerweile alle denkbaren Einsatzformen, von der Patrouille am Horn von Afrika durch die Marine über zivilmilitärische Projekte bis zur Beobachtung in Georgien. Immer häufiger übernimmt dabei die Bundeswehr auch Führungsaufgaben. Sie wird absehbar einer der größten Truppensteller für internationale Friedenseinsätze bleiben.

Vor dem Hintergrund der veränderten sicherheitspolitischen Lage musste gehandelt werden. Wir haben gehandelt. Wir haben zunächst die konzeptionellen Grundlagen geschaffen. In den im Mai 2003 erlassenen Verteidigungspolitischen Richtlinien wurden das Aufgabenspektrum der Bundeswehr neu gewichtet und das erforderliche Fähigkeitsprofil für unsere Streitkräfte entwickelt. Daraufhin habe ich im Oktober 2003 einen neuen Kurs für die Reform der Bundeswehr eingeleitet. Das neue Aufgabenspektrum der Bundeswehr verlangt nach Einsatzbereitschaft und Fähigkeiten differenzierte Streitkräfte, die schnell, wirksam und gemeinsam mit Streitkräften anderer Nationen eingesetzt werden können.

Sämtliche relevanten Parameter – operative Vorgaben, Strukturen, Organisation, Kräfte, Ausrüstung und Standorte – wurden deshalb mit einem klaren Ziel überprüft: Die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr für die wahrscheinlichsten Einsätze, nämlich Konfliktverhütung und Krisenbewältigung einschließlich des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus, ist konsequent und nachhaltig zu erhöhen. Das wird unsere Streitkräfte künftig noch besser in die Lage versetzen, unseren Beitrag zur Unterstützung von Bündnispartnern, zur Sicherung des Friedens und zur Wahrung der außenpolitischen Handlungsfähigkeit Deutschlands zu leisten.

Das wird auch die Fähigkeit der Bundeswehr stärken, zum unmittelbaren Schutz Deutschlands sowie seiner Bürgerinnen und Bürger beizutragen. Der Schutz Deutschlands bleibt eine Kernaufgabe der Bundeswehr. Er hat sogar eine neue, umfassendere Bedeutung gewonnen; denn neben der unwahrscheinlicher gewordenen Landesverteidigung im herkömmlichen Sinne ist der Schutz unserer Bevölkerung und lebenswichtiger Infrastruktur vor terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen zu gewährleisten. Im Januar dieses Jahres habe ich die wichtigsten Entscheidungen und Wegmarken des neuen Kurses öffentlich vorgestellt. Sie sind weitreichend und zukunftsweisend. Die Weichen für die Bundeswehr dieses Jahrhunderts sind gestellt.

Erstens zu den Umfängen: Die Umfänge werden neu festgelegt. Die neuen Umfangszahlen stehen in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und den internationalen Verpflichtungen unseres Landes. Der Umfang liegt bei 250.000 aktiven Soldatinnen und Soldaten im militärischen Bereich und bei 75.000 Stellen für die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir werden die Reduzierung des Zivilpersonals sozialverträglich gestalten. Es wird keine betriebsbedingten Kündigungen geben.

Zweitens zu den neuen Kräftekategorien: Bis zum Jahr 2010 wird die neue Bundeswehr nach völlig neuen Kräftekategorien gegliedert. Es wird Eingreifkräfte, Stabilisierungskräfte und Unterstützungskräfte geben. Diese unterscheiden sich in Struktur, Ausrüstung und Ausbildung und sind dadurch optimiert für das veränderte und differenzierte Einsatzspektrum. Die Eingreifkräfte sind vorgesehen für multinationale, streitkräftegemeinsame und vernetzte Operationen hoher Intensität und kürzerer Dauer, vor allem im Rahmen der Friedenserzwingung. Ihr Einsatz wird im Rahmen der schnellen Nato-Eingreiftruppe oder der EU-Eingreiftruppe erfolgen. Außerdem können Operationen zur Rettung und Evakuierung in Kriegs- und Krisengebieten durchgeführt werden. Ihr Umfang beträgt insgesamt 35.000 Soldaten.

Die Stabilisierungskräfte sind vorgesehen für streitkräftegemeinsame militärische Operationen niedriger und mittlerer Intensität und längerer Dauer im breiten Spektrum friedensstabilisierender Maßnahmen. Darunter fallen das Trennen von Konfliktparteien, die Überwachung von Waffenstillstandsvereinbarungen, das Ausschalten friedensstörender Kräfte oder auch das Durchsetzen von Embargomaßnahmen. Ihr Umfang beträgt insgesamt 70.000 Soldaten. Dies ermöglicht den zeitlich abgestuften Einsatz von bis zu 14.000 Soldaten, aufgeteilt auf bis zu fünf verschiedene Einsatzgebiete.

Die Unterstützungskräfte sind vorgesehen für die umfassende, streitkräftegemeinsame und durchhaltefähige Unterstützung der Eingreif- und Stabilisierungskräfte sowie für den Grundbetrieb der Bundeswehr, einschließlich der Führungs- und Ausbildungsorganisation. Ihr Umfang beträgt 147.500 Dienstposten. Mit der Einnahme dieser neuen Strukturen wird Deutschland in der Lage sein, seine internationalen Verpflichtungen gegenüber den Vereinten Nationen, der Nato und der Europäischen Union nachdrücklich zu erfüllen.

Beim Schutz Deutschlands wird es keine Abstriche geben. Hilfeleistungen im Inland werden überwiegend durch Kräfte erbracht werden, die nicht in Einsätzen gebunden und im Inland verfügbar sind. Auch die neue Bundeswehr wird in Katastrophenfällen wie bisher die Hilfe bereitstellen, die unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger von uns erwarten. Nur wird sie nicht, wie manche das wollen, die Hilfstruppe der Polizei. Ich lehne das ab, dazu ist die Bundeswehr nicht da. Alle Kräfte werden – wie im Fall einer Verschlechterung der politischen Lage – natürlich auch in der Lage sein, das Land zu verteidigen.

Drittens zur neuen Einsatzsystematik.: Die Ausrichtung der Bundeswehr auf die wahrscheinlicheren Einsätze geht einher mit einer neuen Einsatzsystematik. Sie löst sich vom bisherigen Kontingentdenken und erfordert stattdessen das Bereitstellen von spezifischen Fähigkeiten für bestimmte, wechselnde Zeiträume. Dies schließt die grundsätzliche Verkürzung der Einsatzdauer auf künftig vier Monate ein. Wir werden keine Stehzeit von sechs Monaten mehr haben. Abhängig von den Einsatzerfordernissen, der Verfügbarkeit von Kräften und der persönlichen Situation können in Einzelfällen jedoch auch längere oder auch kürzere Stehzeiten festgelegt werden. Meine Erfahrung bei den Besuchen im Einsatz ist, dass gerade so genannte CIMIC-Kräfte durchaus sinnvoll auch länger als sechs Monate eingesetzt werden können.

Viertens zur Neugestaltung des Grundwehrdienstes: Die allgemeine Wehrpflicht ist fester Bestandteil der neuen Bundeswehr. Der Grundwehrdienst wird allerdings an das veränderte Aufgabenspektrum angepasst.

Fünftens zur Neuorientierung der Material- und Ausrüstungsplanung: Das für die neue Bundeswehr in den Verteidigungspolitischen Richtlinien festgelegte Fähigkeitsprofil macht eine Neuorientierung auch bei den Rüstungsbeschaffungsvorhaben notwendig. Der entscheidende Maßstab ist die Fähigkeit der Bundeswehr als Ganzer, nicht der einzelnen Teilstreitkräfte. Das alte Kästchendenken muss aufhören und wird aufhören.

Wir investieren ab sofort in die prioritären Fähigkeiten, das heißt in Führungs-, Informations- und Kommunikationssysteme, in die Fähigkeit zur weltweiten Aufklärung, in die Fähigkeit zum strategischen Lufttransport und zu Mobilität im Einsatz, in die Fähigkeit zum geschützten Transport, in die persönliche Ausstattung und Bewaffnung, in eine Vielzahl von Projekten zur Erhöhung der Wirksamkeit im Einsatz. Wir beschaffen das, was die neue Bundeswehr braucht, und wir streichen Vorhaben, die dem neuen Anforderungsprofil und dem streitkräftegemeinsamen Ansatz nicht mehr entsprechen.

Sechstens zum neuen Stationierungskonzept: Auf der Grundlage der neuen Umfänge und Strukturen wird bis Ende des Jahres ein neues Stationierungskonzept vorliegen. Durch das Ressortkonzept Stationierung 2001 ist bereits entschieden worden, die Zahl der Standorte von circa 600 auf rund 500 zu reduzieren. Der neue Kurs wird zur Schließung von weiteren etwa 100 Standorten führen. Dies bedeutet weitere schmerzliche Einschnitte. Mir ist bewusst, dass viele Bürgerinnen und Bürger in den Stationierungsorten trotz erheblicher Belastungen immer zu ihren Soldaten gestanden haben, aber wir haben keine Alternative. Die entscheidenden Kriterien für die Stationierung sind militärische und funktionelle Notwendigkeiten sowie die betriebswirtschaftliche Verantwortbarkeit.

Mit diesen Kernelementen der neuen Bundeswehr erreichen wir folgende wesentliche Ziele:

Erstens: Wir entwickeln die Fähigkeiten der Bundeswehr so, dass sie der neuen Qualität der sicherheitspolitischen Herausforderungen entsprechen: in der internationalen Gefahrenabwehr und der Krisenbewältigung genauso wie beim umfassenden Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger.

Zweitens: Wir optimieren die Fähigkeiten der Bundeswehr als Ganzer und setzen konsequent einen streitkräftegemeinsamen Ansatz um. Nur so ist gewährleistet, dass die Bundeswehr integraler Teil des sicherheitspolitischen Transformationsprozesses der Nato und der Europäischen Union bleibt. Dabei bleiben die Streitkräfte ein Instrument der Politik und unterliegen natürlich der kontinuierlichen Anpassung.

Drittens: Wir stellen die Bundeswehrplanung auf eine realistische und tragfähige finanzielle Grundlage. Die mittelfristige Finanzplanung gibt der Bundeswehr Planungssicherheit. Wir beschaffen, was die Sicherheitslage und die Aufgaben der Bundeswehr verlangen. Die Investitionsquote wird auf mittlere Sicht weiter erhöht werden. Dazu trägt auch die für das Jahr 2007 vorgesehene substanzielle Erhöhung des Verteidigungshaushaltes um rund einer Milliarde Euro bei. Darüber hinaus bleiben alle im Zuge der Bundeswehrreform durch mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit erzielten Einsparungen dem Verteidigungshaushalt erhalten.

Bei unseren Bemühungen um mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit in der Bundeswehr sind wir sehr weit vorangekommen. Die Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb, abgekürzt GEBB, hat bereits erhebliche Einsparpotenziale erschlossen, die auch in Zukunft zur Effizienzsteigerung in den Streitkräften beitragen werden. Ich möchte bei dieser Gelegenheit betonen, dass in der Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Wirtschaft wie zum Beispiel bei dem IT-Projekt Herkules die private Seite beweisen muss, dass sie solch anspruchsvolle Vorhaben auch durchführen kann.

Gegenüber diesen von mir skizzierten, unabdingbar notwendigen Entscheidungen zur Schaffung einer leistungsfähigen Bundeswehr nehmen sich die Vorstellungen der Opposition rückwärts gewandt und unrealistisch aus. Es geht gegenwärtig um grundsätzliche sicherheitspolitische Weichenstellungen, über die ausführlich im Parlament debattiert werden muss. Ich bin froh, dass wir heute damit beginnen. Der Kollege Schmidt hat in diesem Zusammenhang der Regierung öffentlich unterstellt, die Sicherheitsvorsorge in Deutschland abzuschaffen. Dieser Vorwurf ist in jeder Hinsicht haltlos. Sie sollten ihn zurücknehmen. Umgekehrt lässt sich aber mit Fug und Recht behaupten, dass das, was die Union zu dieser Debatte beiträgt, wenig geeignet ist, die Sicherheit des Landes zu erhöhen. Wer den Eindruck erweckt, er könne Verteidigungspolitik gänzlich ohne Blick auf die verfügbaren Ressourcen gestalten, gibt sich als politischer Traumtänzer zu erkennen. Wer noch immer glaubt, auf eine konsequente Neuausrichtung der Bundeswehr verzichten zu können, und gleichzeitig mit unrealistischen finanziellen Annahmen Verteidigungspolitik betreibt, wird es niemals schaffen, Aufgaben und Mittel zu harmonisieren und die Bundeswehr auf die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts einzustellen.

Genau das ist aber unsere gemeinsame Aufgabe. Hierzu brauchen wir auch ein gemeinsames Verständnis von Sicherheit und Verteidigung in Deutschland. Es geht nicht darum, eine Interventionsarmee aufzubauen und sich, wie manche fälschlicherweise befürchten, ohne Not in die Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen, sondern darum, gemeinsam mit unseren Verbündeten und Partnern für die gemeinsame Sicherheit dort eintreten zu können, wo es notwendig ist. Dies erwarten zu Recht unsere Verbündeten, auf deren Solidarität wir angewiesen sind. Es entspricht einem zeitgemäßen Verständnis von Sicherheitsvorsorge, das folgerichtig natürlich auch in unserem ureigensten deutschen Interesse liegt.

Es ist gleichermaßen unredlich und irreführend, den Eindruck zu erwecken, der Schutz deutschen Territoriums würde in irgendeiner Weise vernachlässigt. Das Gegenteil ist der Fall. In den Verteidigungspolitischen Richtlinien habe ich die erweiterte Schutzaufgabe für Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger herausgestellt. Sie reicht von der Landverteidigung im herkömmlichen Sinn über die Abwehr terroristischer und neuartiger Bedrohungen bis hin zur Überwachung des deutschen Luft- und Seeraums.

Die Bundeswehr ist und bleibt natürlich in die gesamtstaatliche Vorsorgepflicht eingebettet. Unserer Bundeswehr fällt hier im Rahmen der bestehenden Gesetze aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten eine wichtige Rolle zu. Dabei kommen gerade Grundwehrdienstleistende und Reservisten zum Einsatz. Gemeinsam mit dem Innenministerium haben wir mit dem Luftsicherheitsgesetz eine gesetzliche Grundlage für die Ausübung des Air Policing auf den Weg gebracht. Am 1. Oktober 2003 haben wir in Kalkar das "Nationale Lage- und Führungszentrum – Sicherheit im Luftraum" in Betrieb genommen. Das sind wichtige Schritte, die zeigen, dass wir die neuartigen Gefährdungen von Deutschland ernst nehmen und handeln.

Wer behauptet, die laufende Reform schaffe eine Zweiklassenarmee, irrt. Wir schaffen eine Bundeswehr, die der streitkräftegemeinsamen Planung, Ausbildung und Einsatzfähigkeit folgt. Dabei ist Differenzierung in Ausrüstung und Ausbildung, die unterschiedlichen Einsätzen entspricht, unerlässlich. Wer mit Blick auf die Ausrüstung eine Anschubfinanzierung fordert, sollte auch sagen, wie und in welchem Umfang er sie bereitstellen will. Hierzu enthält der Unionsantrag überhaupt nichts.

Unterschiedliche Anforderungen verlangen Reaktionsmöglichkeiten durch unterschiedliche Kräfte. Deshalb haben wir die drei genannten neuen Kräftekategorien eingeführt. Nur unter dieser Voraussetzung bleibt die Bundeswehr fähig, sowohl die wichtigen Aufgaben im Inland als auch die Aufgaben im Ausland verantwortungsvoll wahrzunehmen. Die Vorstellung der Opposition von rotierenden Einsätzen der gleichen Kräfte im Inland wie im Ausland führt zu Überforderung und Missachtung des differenzierten Aufgabenspektrums. Nicht jeder Verband muss alles können. Ein solcher Ansatz ist im Übrigen nicht mit den künftigen Aufgaben der Wehrpflichtigen, wie sie auch die Union vorsieht, vereinbar. Die Grundwehrdienstleistenden sollen künftig noch besser auf Aufgaben sowohl im Inland, zum Beispiel den Schutz Deutschlands, Hilfeleistung in Katastrophenfällen, als auch auf Einsatzunterstützung im Ausland vorbereitet werden. Ihre Einplanung wird entsprechend ihren Vorkenntnissen und beruflichen Qualifikationen optimiert. Das ist im Interesse der Streitkräfte und erhöht natürlich auch die Attraktivität des Wehrdienstes.

Dies trägt auch einem Grundsatz Rechnung, auf den ich großen Wert lege: Die Bundeswehr will ihren Nachwuchs gewinnen, nicht kaufen. Damit ist sie in ihrer Geschichte gut gefahren. Ebenso wird sie weiterhin nicht als Dienstleistungsbetrieb für riskante Auslandsaufgaben verstanden werden. Eine Entfremdung zwischen Gesellschaft und Streitkräften darf und wird es nicht geben.

Auch das neue Stationierungskonzept wird die feste Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft nicht beeinträchtigen. Die Opposition fordert in ihrem Antrag pauschal viele Standorte. Diese Forderung ist schlicht unseriös, unredlich und sicherheitspolitisch überhaupt nicht begründbar. Es macht keinen Sinn, an Vorgaben für die Anzahl und Verteilung der Bundeswehrstandorte festzuhalten, die in vergangenen Jahrzehnten sicherlich berechtigt waren, heute aber militärisch nicht mehr notwendig und ökonomisch nicht mehr zu rechtfertigen sind. Weder die gesellschaftliche Einbindung der Bundeswehr noch das Sicherheitsempfinden der Bürger hängt primär davon ab, ob wir 500 oder 600 Bundeswehrstandorte in Deutschland haben.

Die Motivation der Soldatinnen und Soldaten, den Weg der neuen Bundeswehr mitzugehen, ist hoch. Dies zeigt sich auch im Bericht des Wehrbeauftragten, nach dem sich die Anzahl der Eingaben gegenüber dem letzten Jahr sogar verringert hat. Auch wenn die Anzahl der Eingaben gerade einmal nur gut zwei Prozent der Gesamtzahl der Soldatinnen und Soldaten ausmacht, nehme ich jede einzelne Eingabe sehr ernst, da ich um die ohnehin hohen Belastungen der Soldatinnen und Soldaten – zum Beispiel durch häufige Versetzungen – weiß.

In den nächsten Wochen und Monaten werden die getroffenen Entscheidungen planmäßig umgesetzt. Der Generalinspekteur der Bundeswehr wird eine neue Konzeption der Bundeswehr als Dokument für die Ausplanung der Strukturen vorlegen. Das Stationierungskonzept wird bis Ende 2004 vorliegen. Das neue Weißbuch wird 2005 folgen. Die Grundlagen für die Transformation der Bundeswehr, die weit über das Jahr 2010 hinausreicht, sind damit gelegt. Damit ist gewährleistet, dass Deutschland auch in Zukunft gemeinsam mit seinen Verbündeten und Partnern seiner gewachsenen außenpolitischen Verantwortung gerecht werden kann, dass Deutschland seine Interessen und seinen Einfluss international – in einer starken Nato, in einer sicherheitspolitisch handlungsfähigen Europäischen Union und in den Vereinten Nationen, die als globaler Ordnungsfaktor unverzichtbar bleiben – geltend machen kann und dass Deutschland in der Lage ist, Friedenspolitik mit der Bundeswehr zu gestalten.

Ich bin der Meinung, die Kardinal Meisner kürzlich beim internationalen Soldatengottesdienst in Köln, an dem ich teilgenommen habe, geäußert hat: Diese Bundeswehr ist die größte Friedensbewegung Deutschlands.