Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier

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Sie alle heute hier in Schloss Bellevue begrüßen zu dürfen, das ist mir eine große Freude! Und es ist mir ein Herzensanliegen! Seien Sie sehr herzlich willkommen! Wenn ich mich umschaue hier im Saal, dann spüre ich unglaublich viel Energie und Motivation. Ich weiß, dass Sie alle sehr verschiedene Lebensgeschichten mitbringen. Einige von Ihnen sind in Deutschland geboren und aufgewachsen und haben Eltern oder auch Großeltern, die aus einem anderen Land zu uns gekommen sind. Andere von Ihnen sind als Kinder oder Jugendliche mit ihren Familien nach Deutschland gekommen, nicht selten geflüchtet vor Krieg und Verfolgung. Und Sie haben Wurzeln auf der ganzen Welt, in Italien, Spanien, Polen und in der Ukraine, in der Türkei, in Syrien, in Afghanistan, in Angola und Äthiopien, in Pakistan und Vietnam, in Argentinien und Peru.

Aber so verschieden Ihre Biografien sind, Sie alle verbindet etwas: Sie stehen für das weltoffene, vielfältige Deutschland, das wir heute sind und das wir sein wollen.

Wir wollen Vielfalt in Deutschland, und wir wollen vor allem eine friedliche Vielfalt. Das zu betonen ist mir gerade in diesen Tagen wichtig. Gerade weil es in vielen Regionen dieser Welt keinen Frieden gibt, ist es umso wichtiger: Zeigen wir, dass in Deutschland ein friedliches Zusammenleben möglich ist, von Menschen mit jüdischen und arabischen, christlichen und muslimischen, russischen und ukrainischen Wurzeln. Und zeigen wir vor allem: Wir dulden keine Gewalt in Deutschland, nicht auf unseren Straßen, nicht gegen Minderheiten.

Ja, wir sind längst ein Land mit Migrationshintergrund, wie ich gern sage – Sie sind dafür der schönste Beweis. Und Sie bringen so viel mit, was wir dringend brauchen, um unser Land voranzubringen und in die Zukunft zu führen – und sind dabei sehr erfolgreich. Sie machen akademische Karrieren, Sie übernehmen früh Verantwortung als Führungskräfte, Sie sind unendlich kreativ und innovativ, Sie gründen Firmen und Start-ups. Wie Sie alle Ihren Weg gehen, das beeindruckt mich sehr!

Wenn ich sage, dass wir ein Land mit Migrationshintergrund sind, dann bin ich mir bewusst, dass Anspruch und Realität im Alltag leider immer wieder auseinanderklaffen – wer wüsste das besser als Sie. Auch in der zweiten, dritten, ja vierten Generation leiden Menschen, die zu uns gekommen sind, darunter, dass ihnen etwas fehlt: Anerkennung und das Gefühl der Zugehörigkeit. Sie erleben immer wieder, ausgegrenzt, diskriminiert und diffamiert werden, weil sie einen ausländisch klingenden Namen oder eine dunklere Hautfarbe haben. Und ich kann mir vorstellen, dass auch einige von Ihnen solche Erfahrungen gemacht haben. Dass Sie erleben, dass auch Erfolg nicht vor Ablehnung schützt.

Umso wichtiger ist die Arbeit der Deutschlandstiftung Integration, die junge Menschen fördert, die eine Einwanderungsgeschichte haben, ihnen Mentorinnen und Mentoren an die Seite stellt und hilft, Netzwerke aufzubauen. Netzwerke, in denen man sich austauschen kann, die aber auch Karrierechancen eröffnen. Eine ehemalige Stipendiatin hat berührend geschildert, wie glücklich sie war, in diesem Mentoringprogramm eine Familie gefunden zu haben. Eine Familie, in der man nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist mit seiner Biografie und seinen Erfahrungen, so beschrieb es ein anderer.

Liebe Stipendiatinnen und Stipendiaten, Sie alle sind wirklich leuchtende Vorbilder und eine Inspiration für andere junge Leute, die ebenfalls aus einer Familie mit einer Einwanderungsgeschichte kommen. Sie sind Mutmacher im besten Sinne, und zwar für uns alle. Ich bin überzeugt: Unser Land braucht Menschen wie Sie. Menschen, die sich mit ihren vielfältigen Biografien und Lebenswegen, mit ihren Erfahrungen und ihrem ganz eigenen Blick auf die Welt unser Land, unsere Demokratie bereichern. Sie alle stärken damit den Zusammenhalt, und den brauchen wir so nötig in diesen Zeiten. Zeiten, in denen unsere Gesellschaft gefordert und herausgefordert ist wie lange nicht.

Sie leben Zusammenhalt. Zusammenhalt, den wir als Land mit Migrationshintergrund immer wieder aufs Neue aushandeln müssen, anders geht es nicht in einer Demokratie. Denn klar ist doch, dass auch in Zukunft Menschen in unser Land kommen werden. Menschen, die vor Krieg und Gewalt geflüchtet sind, aber auch Menschen, die hier leben und arbeiten wollen. Seit Jahren ist klar, dass wir sogar Zuwanderung brauchen, wenn wir in den nächsten Jahren unseren Wohlstand sichern und unser Land zukunftsfest machen wollen. Und deshalb müssen wir Zuwanderung gestalten. Das heißt, nicht nur illegale Zuwanderung eindämmen. Was wir brauchen, ist Steuerung, ist geordnete Zuwanderungspolitik inklusive legaler Zugangswege und eine kluge Integrationspolitik – beides gehört untrennbar zusammen in einem Land mit Migrationshintergrund.

Eines möchte ich ebenfalls ganz klar sagen: Rassismus und Menschenfeindlichkeit dürfen wir in unserem Land nicht dulden. Unsere Demokratie unterscheidet nicht nach Abstammung und Religion. Das gilt auch in diesen Schreckenstagen seit dem 7. Oktober, an dem die Terrororganisation Hamas 1.400 Israelis grausam ermordete und seitdem mehr als 200 Menschen in Geiselhaft hält. Ich weiß, dass viele Muslime in Deutschland diese Tat verurteilen. Einen Generalverdacht gegen Muslime darf es nicht geben.

Aber verstehen muss auch jeder, dass wir es nicht dulden können, wenn Jüdinnen und Juden in unserem Land wieder in Angst leben müssen. Wer in unserem Land lebt, der muss wissen, was Auschwitz war und welche Verantwortung uns aus Auschwitz erwächst, der muss die Werte unseres Grundgesetzes respektieren. Jüdisches Leben in Deutschland zu schützen, das ist eine Aufgabe, die jeden in unserem Land etwas angeht. Jede und jeder muss sie zu seiner Sache machen. Denn es ist doch unser aller Sache, wenn wir auch in Zukunft in Frieden und Freiheit zusammenleben wollen, auf gutem Grund leben wollen, wie Ihre Kampagne zum 70. Jahrestag des Grundgesetzes hieß. Leben auf gutem Grund, das ist ein wunderbares Motto für die Zukunft, für Ihre Zukunft, liebe Stipendiatinnen und Stipendiaten.

Ich möchte Ihnen allen und der Deutschlandstiftung Integration ganz herzlich danken für Ihre Leidenschaft, Ihre Zielstrebigkeit, Ihr Engagement und dies verbinden mit einer Bitte: Lassen Sie sich nicht beirren! Gehen Sie Ihren Weg weiter! Ihnen allen wünsche ich weiterhin viel Erfolg. Und jetzt freue ich mich auf das Gespräch mit Ihnen.