auf der BDI-Infrastrukturkonferenz "Netzindustrien im 21. Jahrhundert – Lebensqualität, Sicherheit, Wohlstand" am 26. Mai 2008 in Berlin:
- Bulletin 50-1
- 26. Mai 2008
Sehr geehrter Herr Thumann,
meine Damen und Herren!
Ich bin sehr gern zu dieser Konferenz gekommen, weil ich glaube und das durch meine Anwesenheit unterstreichen möchte – womit es sozusagen im ersten Schritt Chefsache geworden ist –, dass das Thema Infrastrukturnetze ein zentrales Thema einer modernen Industriegesellschaft ist.
Ich habe vorhin ein bisschen gezögert, als Sie uns nahelegen wollten, einen neuen Bericht zu verfassen, bei dem keine zusätzliche Bürokratie entstehen soll. Vielleicht erstellt der BDI einen solchen Bericht und zeigt uns, wie man das ohne Bürokratie schafft. Ich glaube, das wäre das allerbeste. Der VDA, die Energieversorger und die Telekom hätten bestimmt ein großes Interesse daran und wir nähmen das auch gern zur Kenntnis. – Das meine ich jetzt gar nicht so. Ich meine aber, es ist halt nicht so einfach.
Dennoch bin ich sehr gern hierher gekommen. Ich glaube, die Sache mit dem Weckruf ist auch richtig. An der Thematik schätze ich besonders, dass wir einen ressortübergreifenden Blick auf die Lebensadern unserer modernen Gesellschaft gewinnen.
Ich habe bei einem Kongress zur Logistikwirtschaft bereits einmal deutlich gesagt: Die Dinge hängen heute in einem großen Maße zusammen. Die Attraktivität eines Wirtschaftsstandorts definiert sich nicht mehr allein aus der Straße, aus dem Hafen oder aus der Eisenbahn, sondern die Dinge greifen ineinander. So hängen zum Beispiel die Verkehrswege zusammen mit Internet- und Datenverarbeitungsstrukturen, also mit Autobahnen in anderer Form. Vor allem im Bereich der Energiewirtschaft stehen wir vor einer großen Aufgabe, vor sehr großen Herausforderungen.
Wir sind vielleicht noch nicht gut genug, aber auch nicht schlecht. Wir haben ein Schienennetz von knapp 40.000 Kilometern Länge. Wir haben 50.000 Kilometer Autobahnen und Bundesstraßen. Die Zahl der Breitbandanschlüsse ist inzwischen auf 20 Millionen angewachsen – mit einem ziemlich großen Gradienten. Bei der Zuverlässigkeit der Stromnetze sind wir Spitzenreiter in Europa. Die Stromausfälle hierzulande belaufen sich im Jahresdurchschnitt auf rund 22 Minuten pro Stromkunde. Der EU-Durchschnitt liegt bei über 120 Minuten. Dies sei nur einmal gesagt, damit wir sehen, wo wir stehen.
Wir sind gemeinsam der festen Überzeugung, dass leistungsstarke Infrastrukturen die Voraussetzung für eine reibungslose Produktion und einen zügigen Transport von Waren in alle Welt sind. Sie sind zudem Voraussetzung für die Zuverlässigkeit der Produzenten gegenüber ihren Kunden. Ohne eine vernünftige Infrastruktur hätte Deutschland nicht Exportweltmeister werden können und kann Deutschland auch nicht einen führenden Platz im Bereich der Exporte behalten.
Wenn wir über die Chancen der Globalisierung sprechen und wenn wir sie nutzen wollen, dann heißt das auch, dass wir ein völlig neues Verständnis von der Vernetzung von Infrastrukturen bis in den politischen Raum, aber auch in den wirtschaftlichen und den gesellschaftlichen Raum hinein schaffen müssen. Daran muss gearbeitet werden. Somit haben Sie genau auf das richtige Thema gesetzt.
Was müssen wir aus politischer Sicht ins Auge fassen? Natürlich sind die finanziellen Ressourcen – ich sage zum Schluss noch etwas dazu – sehr wichtig. Ohne sie kann man wenig bewegen. Ich glaube, es geht aber auch um drei Punkte, über die ich sozusagen übergreifend sprechen möchte. Es geht darum, dass wir private Strukturen und Wettbewerbsbedingungen stärken. Zudem geht es darum, dass wir verlässliche Rahmenbedingungen für die Netzindustrien schaffen. Darunter fallen natürlich die finanzielle Frage, aber auch viele andere Fragen. Außerdem geht es darum, dass wir die Investitionen in die Modernisierung voranbringen, wobei heute Investitionen in die Modernisierung nicht immer nur Fragen des Geldes sind. Beispielsweise könnten Kohlekraftwerke gebaut werden. Sie werden aber nicht gebaut. Stromleitungen könnten gebaut werden. Häufig dauert das aber zu lange. Das heißt, wir haben oftmals ein Geflecht von Bedingungen, die verbessert werden müssen.
Lassen Sie mich diese drei Punkte kurz erläutern.
Erstens: Ich glaube, wo immer möglich, sollten wir privater Initiative und offenen Märkten den Vorrang geben. Ich sage das gerade auch im 60. Jahr der Sozialen Marktwirtschaft. Der Vorrang für privatwirtschaftliches Engagement ist natürlich eine tragende Säule unseres Wirtschaftssystems. Deshalb haben wir – auch das ist sehr im gesellschaftlichen Wandel begriffen – eine Privatisierungspolitik betrieben.
Als der heutige VDA-Präsident noch Verkehrsminister war, haben wir über die Privatisierung von Flughäfen gesprochen. Wir haben über die Frage gesprochen, wie wir auch an anderer Stelle privatisieren können. Die großen Privatisierungen im Bereich der Telekommunikation haben uns überhaupt erst in die Lage versetzt, den heutigen Investitionsanforderungen zu entsprechen. Die Privatisierungen im Bereich der Bahn haben uns beschäftigt und werden uns weiter beschäftigen.
Wir müssen feststellen, dass die Bedenklichkeit gegenüber Privatisierungen gestiegen ist und international zum Teil Erfahrungen gemacht wurden, die Warnsignale gegen eine reine Privatisierung waren. Ich denke beispielsweise an den Rückkauf des Eisenbahnschienennetzes der britischen Regierung. Privatisierung muss in einem sehr ausgewogenen Maße mit staatlichen Rahmenbedingungen einhergehen. Denn letztlich – das ist auch ein Kernbestandteil der Sozialen Marktwirtschaft – ist der geordnete Wettbewerb die interessante Frage. Wie sieht diese Wettbewerbsordnung im Infrastrukturbereich aus? Das beschäftigt uns heute und wird uns auch in Zukunft beschäftigen.
Die Erfahrungen im Bereich der Telekommunikation sind ein eindeutiger Beleg dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Natürlich ist die Deutsche Telekom auf verschiedenen Teilmärkten noch marktbeherrschend. Natürlich konnten wir die Beschäftigten aus Rahmenbedingungen des Staates nicht sofort in Rahmenbedingungen der freien Wirtschaft entlassen. Das heißt, es waren schwierigste Übergangsprozesse zu bewältigen. Ich will an dieser Stelle sagen, dass sie sowohl bei der Bahn als auch bei der Telekommunikation als auch bei der Post in hohem Maße im Geiste der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland bewältigt worden sind. Dafür gilt sowohl denjenigen, die die Unternehmen leiten, als auch den Betriebsräten ein herzliches Dankeschön.
Ich komme zurück zur Telekommunikation. Die Erfolge sind offensichtlich. Bei den neuen Anbietern von Telekommunikationsdienstleistungen sind immerhin 50.000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Weitere Arbeitsplätze sind in den sich sehr dynamisch entwickelnden Zulieferindustrien entstanden. Dass das bei uns so möglich war – ich sage das oft und will hier auch noch einmal daran erinnern –, hat auch an kluger Rahmensetzung gelegen. Zum Beispiel hat sich der Mobilfunkbereich durch die vorausschauenden Weichenstellungen des damaligen Postministers Schwarz-Schilling in Deutschland und auch in Europa sehr schnell entwickeln können, weil die Funknetzfrequenzen eben einheitlich verteilt wurden und kein Flickenteppich geschaffen wurde.
Herr Thumann hat mit Recht über die 59 Regulierungsbereiche des "Single European Sky" gesprochen. Aber dahinter stehen natürlich auch Besitzstände. Lieber Herr Thumann, ich werde Sie einmal zur Verhandlung mitnehmen. Dann werden Sie sehen, dass es nicht nur am Willen der Bundesregierung mangelt, sondern dass die verschiedensten kulturellen Gegebenheiten von 27 Mitgliedstaaten aufeinander stoßen. Aber das Ziel darf natürlich nicht aus den Augen verloren werden, sondern ist vollkommen klar.
Wir haben im Zuge der Privatisierung erlebt, wie die Preise für Telefonate gesunken sind und wie sich auch verschiedenste Dienstleistungen entwickelt haben. Wir haben im Zusammenhang mit der Aufhebung des Briefmonopols, bei der wir in Europa immer noch eine riesige Aufgabe vor uns haben – das ist sozusagen eine unsichtbare Infrastruktur –, immer wieder diskutiert: Was passiert eigentlich, wenn Monopole aufgehoben werden? Dazu gibt es dann Aussagen wie die: Ein Brief muss immer von A nach B gebracht werden und es ist egal, wer das macht. Aber es ist eben nicht egal. Denn unter der freiheitlichen, wettbewerblichen Bedingung ergeben sich plötzlich auch ganz neue Marktsegmente, neue Produkte. Sie setzt Kreativität frei. Das, was man sich vorher gar nicht vorstellen konnte, ist dann plötzlich möglich. Das heißt, wir dürfen diesbezüglich wirklich nicht statisch denken.
Zur spürbaren Qualitätsverbesserung der Netze und zu den zweistelligen Wachstumsraten der Breitbandanschlüsse will ich allerdings sagen: Wir haben bei diesen sich sehr stark verändernden Infrastrukturaufgaben ein strukturelles Problem zwischen städtischen Räumen und Ballungsgebieten auf der einen und dem ländlichen Raum auf der anderen Seite. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen: 50 Prozent der Menschen in Deutschland leben in ländlichen Räumen. Dort für Anschlüsse zu sorgen, ist eine Aufgabe, bei der der Staat auch einmal Hilfestellung geben kann. Aber es ist auch eine Aufgabe der privaten Anbieter, das Leben in den ländlichen Räumen weiterhin attraktiv zu halten. Ich sage Ihnen nämlich voraus: Wenn unsere Gesellschaft nur noch in Ballungsgebieten organisiert ist, dann führt das zu schwerwiegenden Sekundärschäden, an denen wir dann alle zu knabbern haben. Deshalb spricht vieles dafür, sich hierbei sehr stark zu engagieren.
Es ist also, glaube ich, unstrittig, dass wir Erfolge im Telekommunikationsbereich zu verzeichnen haben. Und diese positive Erfahrung wollen wir jetzt auch im Bahnbereich nutzen. Sie alle haben die Diskussion verfolgt. Wir sind ein Stück vorangekommen. Wir werden demnächst private Investoren mit 24,9 Prozent am Verkehrs- und Logistikbereich der Deutschen Bahn AG beteiligen. Ich glaube, wir können erst einmal sagen, dass mit diesem Privatisierungsschritt bei der Bahn, bei der der Bund bis jetzt noch in allen Bereichen 100 Prozent der Anteile hält, schon vieles in Gang gekommen ist.
An der Bahn können Sie quasi exemplarisch erkennen, welche Sorte von Umdenken stattfindet. Es gibt auf der einen Seite die Frage der Regionalverkehre – für jeden nachvollziehbar und erlebbar –, und auf der anderen Seite die Fragestellung an Herrn Mehdorn zur Unternehmensstrategie – ich habe ihn hier zwar nicht gesehen; er ist wahrscheinlich mit seiner globalen Aufgabe beschäftigt, und ich sage das voller Hochachtung –, der die Bahn inzwischen auch als einen internationalen Logistikkonzern aufstellt und dem natürlich immer wieder Fragen gestellt werden wie die: Was musst du dich in den Emiraten herumtreiben und was geht dich eigentlich der Hafen in Slowenien an?
Wir lernen mühselig, sozusagen "bottom-up", wie sich heutzutage Logistik entwickelt und wie es heutzutage eben wichtig ist, den richtigen Hafenanschluss, den richtigen Schienenanschluss und den richtigen Lkw-Anschluss zu haben, um sich damit völlig neue Konzerne zusammenbauen zu können, wie es auch die Post mit DHL getan hat. Deshalb haben wir bei der Bahn gesagt: Jetzt gehen erst einmal 24,9 Prozent an private Investoren – wir gehen dabei einen kontinuierlichen Weg –, während Netz, Bahnhöfe und Energie zu 100 Prozent von der Holding DB AG im Eigentum des Bundes gehalten werden. Wir werden aber schauen, welche neuen Möglichkeiten sich ergeben.
Die Schulden der Bahn sind, wenn Sie 20 Jahre zurückdenken oder an den Anfang der 90er Jahre, trotz hoher Bundeszuschüsse unaufhörlich angewachsen. Die Bahn ist damals durch Schuldenmachen mitnichten besser geworden. Das hat sich aber, seitdem wir den Weg der Privatisierung gegangen sind, deutlich geändert. Den Schuldenzuwachs gibt es nicht mehr. Wir haben nun Möglichkeiten, das, was der Staat an Geld gibt, für den Ausbau der Infrastruktur einzusetzen. Wir geben dafür 2,5 Milliarden Euro pro Jahr aus – dazu könnte man sagen, das könnte mehr sein; aber die Marktanteile der Bahn sind in den letzten Jahren jedenfalls wieder gestiegen – und wir geben auch den Ländern sechs Milliarden Euro, um die Möglichkeit des Regionalverkehrs zu erhalten. Auch das sollte hier nicht vergessen werden. Eine Möglichkeit, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit zu fahren, ist nämlich für Millionen von Menschen von entscheidender Bedeutung.
Zweitens brauchen wir einen verlässlichen Rahmen für Investitionen in die Netze. Hierzu sage ich, auch im Hinblick auf unsere Diskussion mit der Europäischen Union, in der nicht zu 100 Prozent geklärt ist, wie weit denn nun der Einfluss eines einheitlichen Binnenmarktes im Infrastrukturbereich reicht und wie weit – ich sage das insbesondere in Bezug auf die aktuellen Diskussionen über das Strom- und das Gasnetz – nationale Regelungen gelebt werden können: Im Energiebereich, Herr Thumann, sind wir uns vollkommen einig. Wir brauchen einen verlässlichen Energiemix in Deutschland. Ich bin absolut der Meinung, dass ein Industrieland wie Deutschland – wir haben natürlich einen einheitlichen europäischen Markt oder arbeiten daran – im Grundsatz seinen Strom, den es braucht, selbst herstellen sollte; ein Land wie Deutschland allemal. Das geht am besten auf der Basis eines Energiemix. Dieser Energiemix wird sich über die Zeit verändern.
Wenn wir über Energiemix und über Stromverbrauch sprechen, dann sollten wir nie vergessen, dass das Energiesparen immer noch einer der besten Wege ist. Aber wer glaubt, er könne gleichzeitig aus der Kohle und aus der Kernenergie aussteigen, der macht Deutschland in einem nicht verantwortbaren Maß von ausländischen Energielieferanten abhängig, schadet der Volkswirtschaft und tut damit diesem Land absolut nichts Gutes. Das will ich ausdrücklich sagen.
Es ist nur eben so, dass sich die Diskussion in den letzten Jahren extrem gewandelt hat, psychologisch völlig anders geworden ist und weit über das Spektrum einer Partei hinaus zum Beispiel Vorbehalte gegen Kernkraftwerke, aber vor allen Dingen und zunehmend auch gegen Kohlekraftwerke bestehen. Wir haben uns – Sie haben das Thema Lubmin genannt – sehr eindeutig positioniert. Aber Sie haben ein Publikum, dem Sie Rede und Antwort stehen müssen, das weit über das Wählerpublikum einer Partei hinausgeht. Dem müssen wir uns stellen, und zwar auch durch einen vernünftigen Diskussionsmodus und durch die Entkräftung von Argumenten. Man kann nicht einfach nur sagen: Das kommt jetzt, Ende der Diskussion. So einfach ist das nicht mehr, denn die kommunalen Planungsbehörden und vieles andere können die Verfahren sehr in die Länge ziehen. Die politische Bestimmung allein reicht also nicht mehr aus.
Ich glaube, dass wir uns insgesamt überlegen müssen, wie wir mit den Netzen umgehen. Sie haben hier davon gesprochen, dass wir ein Gesetz zur Beschleunigung der Netzinfrastrukturplanung im Strombereich schaffen. Man kann natürlich sagen, dass Erdkabel teuer sind – das ist richtig. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch immer die Balance in der Diskussion mit den Menschen finden. Wir müssen uns jetzt überlegen, ob wir auch im Erdkabelbereich Pilotprojekte durchführen und bei den gerichtlichen Klagemöglichkeiten eine Instanz einsparen wollen. Das könnte sich in einigen Bereichen als sinnvoller erweisen, als wenn man mit dem Kopf durch die Wand alles durch die Luft baut, wobei dann aber alle Möglichkeiten der Planungsverzögerung bestehen.
Diese Diskussion führen wir im Augenblick innerhalb der Bundesregierung. Ich denke, wir werden hier im Zusammenhang mit dem Klimapaket zu einem vernünftigen Kompromiss kommen. Das müssen wir auch, denn unsere Netzinfrastruktur ist gefährdet, weil wir eine unglaubliche Verschiebung bei den Orten der Stromerzeugung haben, die heute durch die erneuerbaren Energien zum Teil weiter von den Orten des Stromverbrauchs entfernt sind, als das früher der Fall war. Früher hat man ein Kraftwerk neben den großen Industriebetrieb gesetzt und dann hat das einigermaßen geklappt. Bei den erneuerbaren Energien können Sie das in den Ballungsgebieten so nicht machen. Deswegen haben wir hinsichtlich der Netzinfrastruktur eine riesige Aufgabe vor uns.
Das trifft sich nun mit einer strittigen Diskussion mit der EU-Kommission. Die Kommission ist der Meinung, ein europäischer Binnenmarkt im Bereich der Energieerzeugung könne nur dann gewährleistet werden, wenn Erzeugung und Transport von Strom – Ähnliches soll auch für Gas gelten – eigentumsrechtlich strikt getrennt sind. Ich habe darüber eine Vielzahl von Diskussionen mit der Kommission geführt und andere tun das auch. Wir haben ein Kompromissmodell vorgeschlagen, indem wir sagen: Transparenz ja, aber wir können nicht erkennen, warum mit einer Situation, in der man vier oder vielleicht nur noch zwei Anbieter für die Stromerzeugung hat – es gibt keine Fusionspläne, das ist nur ein Modellfall – und vielleicht einen, der das Netz betreibt, automatisch mehr Wettbewerb verbunden sein soll, als wenn eine Vielzahl von Anbietern sowohl Strom erzeugt als auch Netze bereitstellt.
Ich glaube gar nicht, dass die Europäische Kommission hier in auch traditionell gewachsene Strukturen eingreifen kann. Sie soll Transparenz fordern, aber sie soll uns in diesen Angelegenheiten nicht detaillierteste Vorschriften machen, die noch lange nicht zu einem einheitlichen europäischen Energiemarkt führen. Ich kann Ihnen die vielen Hemmnisse eines einheitlichen europäischen Energiemarktes erklären und darstellen. Angesichts dieser Hemmnisse sind wir besser beraten, lieber erst einmal ein paar Interkonnektoren an den Grenzen zu bauen und zu schauen, dass wir über die Pyrenäen kommen und nach Italien nicht immer den Umweg über Frankreich nehmen müssen. Das würde hinsichtlich der Herausbildung eines einheitlichen Strompreises schon manches erleichtern.
Hinzu kommen so interessante Fragen wie die, wie denn die Regulierungsbehörden arbeiten sollen. Diese Frage ist, wie ich finde, wirklich spannend. Denn in dem Moment, in dem es mehr Transparenz bei den Netzen gibt, muss praktisch eine Regulierungsbehörde, wie wir sie haben, die sich jetzt auch um den Energiebereich kümmert, quasi festlegen, welche Renditeerwartungen denn noch legitim sind und welche nicht. Damit kommen wir an einen ganz spannenden Punkt: Wer investiert noch in Bereiche, die so reguliert sind, dass quasi staatliche Stellen darüber entscheiden, wie viel Rendite man bekommen kann und wie viel nicht? Da befinden wir uns im Augenblick in einem ganz spannenden Lernprozess. Es darf natürlich nicht so sein, dass sich vor lauter Transparenz zum Schluss kein Investor mehr findet, der die Investitionen vornimmt. Denn wenn der Staat auch noch ins Stromnetz investieren muss, kommt noch weniger für die Straße heraus. Deshalb kann ich davon nur abraten. Wir müssen hier privates Engagement behalten. Da muss man den Betreibern natürlich gewisse wettbewerbliche Spielräume eröffnen und kann nicht eine einheitliche Regulierung voraussetzen.
Als ich Umweltministerin war und wir die Energienovelle verabschiedet haben, war der damalige Wirtschaftsminister Rexrodt der Meinung, das könne man alles durch Selbstregulierung schaffen. Inzwischen gibt es allerdings kaum noch jemanden, der sagt, dass es ganz ohne Regulierungsbehörde ginge. Bei der Bahn und bei der Telekommunikation hat sich bewährt, dass eine neutrale Stelle ein Auge auf die Wettbewerbssituation wirft. Das haben wir jetzt auf den Strombereich ausgedehnt. Langer Rede kurzer Sinn: Wir sind in Europa im Augenblick dabei, einen sogenannten dritten Weg zu verhandeln, auf dem wir mehr Spielräume haben. Ich bin für absolute Transparenz, ich bin auch für Regulierung. Ich bin aber nicht für eine Form von Regulierung, die den Investor quasi abstößt und letztlich zu einem Stillstand in bestimmten Investitionsbereichen führen würde.
Ich glaube, ich muss Ihnen hier keine langen Vorträge über die Vorteile moderner Kraftwerke halten. Wenn wir es nicht mehr schaffen, moderne Kohlekraftwerke zu bauen, wird das auch dazu führen, dass unser Exportschlager Kraftwerke längst nicht mehr so gefragt sein wird wie bisher. Die Wirkungsgrade – Herr Thumann hat es gesagt – sind bei Kohlekraftwerken dramatisch gestiegen. Die Möglichkeiten der Kraft-Wärme-Kopplung und viele andere technische Möglichkeiten sollten genutzt werden. Wir dürfen nicht vergessen: Die Energieerzeugung durch Kohle deckt heute etwa 25 Prozent des Weltenergieverbrauchs. Sie ist mit 40 Prozent an der internationalen Stromerzeugung beteiligt. Der Energieträger Kohle ist weltweit verfügbar, er ist gut zu lagern und er ist bis heute relativ preisstabil. Das wird wegen der hohen Verfügbarkeit auch weiter so sein. Wenn wir uns die Entwicklung auf den Öl- und Gasmärkten anschauen, dann sehen wir, dass dies auch ein Stück Stabilität im Bereich der Energiewirtschaft ist. Ich glaube, das können wir recht gut gebrauchen.
Deshalb und auch aus Klimaschutzgründen muss unser Ziel sein, nicht nur in Deutschland modernste Kohlekraftwerke zu haben, wo es notwendig ist, sondern auch in den Schwellenländern dafür zu werben und den Bestand an Kohlekraftwerken sowie Neubauten möglichst schnell in die richtige und effizienteste Richtung zu führen. Wenn es bei uns aber Diskussionen gibt, ob man aus einem älteren Kraftwerk ein neueres machen soll, dann kann man die Schwellenländer natürlich nur viel schwieriger davon überzeugen, dass das dringend notwendig ist.
Es gibt Methoden zur CO2-Abtrennung und -Speicherung. Diese werden noch ganz andere Infrastrukturprobleme mit sich bringen. Auch hier ist es so, dass die Speicherräume in Deutschland eher dort sind, wo nicht die ganz großen Kraftwerkskapazitäten vorhanden sind. Ich als jemand, der wenigstens ansatzweise einmal in physikalische Chemie hineingerochen hat – ich bin ja Physikern –, finde es intellektuell höchst unzufriedenstellend, dass man CO2 abscheidet und irgendwo hinpackt. Man denkt immer, dass man irgendetwas damit tun können muss. Wenn die Natur das kann, muss der Mensch das auch irgendwie schaffen. Das heißt, ich rate dringend – das tun viele Unternehmen im internationalen Bereich –, zu überlegen, wie man die CO2-Umwandlung katalytisch oder sonstwie schafft, um daraus wieder etwas Nutzbares zu machen. Die Speicherung allein wird auch nicht die Antwort auf die Probleme der CO2-Minderung sein. Das hier nur als Anmerkung nebenbei.
Bei den gesamten Fragen des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes, beim Kraft-Wärme-Koppelungsgesetz und beim Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz arbeiten wir weiter und versuchen, ein Optimum an Innovation, Effizienz und CO2-Minderung zu erreichen.
Drittens: Erhalt und Modernisierung der Netze.
Natürlich müssen alle – Bund, Länder, Kommunen und Unternehmen – diesem Anspruch gerecht werden. Die Bundesregierung hat sich zu Beginn der Legislaturperiode – das haben wir nicht aufgegeben – die Aufgabe "Sanieren, Investieren, Reformieren" gesetzt. Für uns sind das keine Gegensätze. Allerdings ist es automatisch so, dass man, wenn es höhere Wachstumsraten gibt, mehr Spielräume hat und bestimmte Aufgaben einfacher erfüllen kann.
Wir haben Einiges in die Netze investiert, gerade in die Verkehrsinfrastruktur. Spätestens seit den 90er Jahren ist der Bundesverkehrswegeplan unterfinanziert. Ich habe es auch nicht aufgegeben – ich will Ihnen ausdrücklich meine Unterstützung zusichern –, dass wir mit den Public Private Partnership-Projekten besser vorankommen.
Die Zahl der Rechtsfragen, die sich dabei ergeben – man darf nicht unterschätzen, was in Deutschland zum Teil an Klagen anhängig ist, insbesondere bei öffentlichen Bauten, die privat genutzt werden –, sowie die Fragen der impliziten Belastungen der Haushalte kann man nicht ganz wegstecken. Wir haben ein großes Interesse daran, nicht immer neue attraktive Schattenhaushalte zu diskutieren.
Herr Thumann, ich bin auf Ihrer Seite: Wir müssen in die investiven Aufgaben unsere Schwerpunkte setzen. Deshalb sind wir der Meinung, dass der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit das A und O ist, bei dem wir keine Fehler machen dürfen. Der Armuts- und Reichtumsbericht, der neulich debattiert wurde und auf den wir im Juni im Kabinett zurückkommen werden, ist ein Bericht, der die Statistiken bis 2005 beinhaltet, also nicht diese Legislaturperiode betrifft. Dieser besagt, dass die größte Gefahr für Armut aus der Langzeitarbeitslosigkeit heraus entsteht. Die Langzeitarbeitslosigkeit muss bekämpft werden. Je stärker die Arbeitslosenzahlen insgesamt sinken, bleibt das weiter unser Problem, weil die geringer Qualifizierten schwerer in der Lage sind, wieder in den Arbeitsprozess zu kommen. Deshalb muss alles getan werden, um die Aufstiegschancen für diejenigen, die jahrelang daran keinen Anteil hatten, zu erhöhen. Deshalb gibt es innerhalb der Bundesregierung heiße Debatten um die Frage eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns, weil dieser mehr sperren kann, als dass er Chancen eröffnet.
Ich sage das, weil in dem Moment, in dem wir das schaffen, die Lohnzusatzkosten sinken können. Die Senkungsmöglichkeiten im Bereich der Arbeitslosenversicherung sind im Wesentlichen durch die bessere Einnahmesituation und die geringere Zahl der Arbeitslosen hervorgerufen – zum Teil auch durch strukturelle Maßnahmen, aber sehr viel stärker durch die sinkende Zahl der Arbeitslosen. Diesen Weg müssen wir vorantreiben, damit wir in die Lage versetzt werden, mehr im investiven Bereich ausgeben zu können.
Herr Thumann hat geschickt die Frage gestellt, wo die 107 Milliarden Euro bleiben. Ich kann Ihnen das noch nicht schlüssig vorrechnen. Ich will nur sagen: Ein paar Milliarden Euro haben wir schon bei der Unternehmenssteuerreform verbraucht. Wir haben uns insgesamt ein Investitionsprogramm von 25 Milliarden Euro in den vier Jahren vorgenommen, und zwar von Abschreibungsregelungen bis zu vielem anderen mehr. Wir geben sechs Milliarden Euro mehr für Forschung und Innovation aus. Es wird nicht alles in Ritzen und Kanten der Bundesregierung verfrühstückt oder verstaut, sondern wir haben Einiges auf den Weg gebracht. Dass Sie mahnen und sagen, dass das noch nicht reicht, kann ich gut nachvollziehen.
Es ist nicht der einzige Punkt, bei dem es um Infrastrukturen geht. Es geht um ein modernes Verständnis. Es geht um den Abbau von Hindernissen, moderne Infrastruktur zu schaffen. Es geht um die Zurverfügungstellung der finanziellen Möglichkeiten, die zum Teil privater Natur sind. Das ist spannend. Wir sprechen heute über drei Infrastrukturbereiche. Bei der Telekommunikation wird fast alles alleine investiert, bis auf Unterstützungsmaßnahmen im ländlichen Bereich. Bei der Verkehrsinfrastruktur wird die Schiene immer noch stark von den öffentlichen Haushalten getragen, aber der Verkehrsträger selber wird privat erneuert. Ich brauche einen anständigen Zug, der auf einer anständigen Schiene fährt. Es gibt die Straßen, bei denen wir bis auf die Lkw-Maut weitestgehend im öffentlichen Bereich arbeiten. Hier müssen wir aber auch sehen, dass wir über Tunnel und Brücken hinaus auf Dauer auch mehr Public Private Partnership erreichen.
Insofern dem BDI noch einmal ein herzliches Dankeschön. Denn das ist ein Thema, das bei allen Jahreskongressen schnell hinten herunterfällt, weil man dann doch eher über Lohnzusatzkosten, steuerliche Rahmenbedingungen und den Arbeitsmarkt spricht. Ich glaube aber – das zeigt auch die Zahl der Anwesenden hier –, dass dieses Thema von allergrößter Bedeutung ist. Ich finde es überdies ausgesprochen spannend, weil es uns immer wieder zwingt, völlig neu zu denken: beim Übergang von staatlichen Strukturen zu privaten, bei vielen Fragen – Wie sieht die Rahmensetzung aus? Wo überregulieren wir? Wo unterregulieren wir? –, bei der Teilung von Verantwortlichkeit und bei der internationalen Vernetzung. Wenn Sie uns in zwei, drei Jahren einen kleinen Bericht vorlegen, komme ich gerne wieder und diskutiere mit Ihnen darüber.