Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement,

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Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

An diesem sehr schwierigen Tag und angesichts einer ungewöhnlichen Haushaltsdebatte möchte ich innerhalb von neun Minuten einige Bemerkungen zu dem machen, was die Wirtschafts- und Haushaltspolitik angeht. Dies kann natürlich nur in Stichworten erfolgen.

Erstens: Ihnen geht es wahrscheinlich so wie mir: Ich werde in diesen Tagen oft gefragt, was dieser Krieg für die Weltwirtschaft und damit für die deutsche Wirtschaft bedeutet. Meine Antwort darauf ist, dass zurzeit wahrscheinlich unser aller Gedanken vor allem bei den Menschen in der Region, in der diese kriegerische Auseinandersetzung stattfindet, sind. Ansonsten kann ich nur auf das hinweisen, was bereits im Jahreswirtschaftsbericht dargestellt worden ist. Da lautet es: Die wirtschaftlichen Folgen eines Krieges sind – wie auch andere Folgen, die wichtiger, schwieriger und belastender sind – unkalkulierbar.

Wichtig ist, dass die Staaten, die Volkswirtschaften auf alle Eventualitäten vorbereitet sind. Deshalb ist es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Internationale Energie-Agentur sowohl weltweit als auch im Hinblick auf uns sagt – auch ich kann das feststellen –, dass beispielsweise die Ölversorgung gesichert ist und keinerlei Anlass zu Unruhe besteht.

Natürlich müssen die Verantwortlichen darauf vorbereitet sein, dass eine solche kriegerische Entwicklung tiefer gehende Wirkungen auf die Weltwirtschaft haben und die Abschwächungstendenzen, die es zurzeit in der Weltwirtschaft gibt, insgesamt verstärken kann. Es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass im europäischen Stabilitätspakt für diesen Fall, für solche außergewöhnlichen Situationen, Reaktionsmöglichkeiten vorgesehen sind. Es kommt darauf an, diese Reaktionsmöglichkeiten, insbesondere in Europa und im Rahmen der G8-Staaten, im Rahmen des Stabilitätspaktes so koordiniert wie möglich zu nutzen. Wir sollten uns vor Augen führen, dass solche Reaktionsmöglichkeiten selbstverständlich möglich sind, ohne dass deshalb das Vertrauen in den Stabilitätspakt und damit in die europäische Währungspolitik gefährdet würde.

Zweitens: Ich bedanke mich sehr herzlich bei den Berichterstattern zum Haushalt, bei Kollegin Hajduk sowie den Kollegen Kröning, Rossmanith, Fuchtel und Rexrodt. Die Beratung, die wir geführt haben, habe ich als gelegentlich hart, aber fair empfunden. Daher frage ich mich, warum wir nicht die Fähigkeit aufbringen, diese Fairness auch in einer solchen Debatte, zumal an einem so schwierigen Tag, zu dokumentieren.

Drittens: Der Haushalt des Wirtschafts- und Arbeitsministeriums umfasst 18,5 Milliarden Euro; davon sind 12,3 Milliarden Euro für die Arbeitslosenhilfe reserviert. Dies zeigt wie auch andere Daten, dass wir uns in einer überaus schwierigen Arbeitsmarktsituation befinden und alle Kräfte darauf konzentrieren müssen, die Arbeitsmarktlage zu verbessern.

Viertens: Der Bundeskanzler hat am 14. März die Leitlinie der Bundesregierung und die konkreten Vorhaben dargestellt. Wir haben dies unter dem Stichwort Agenda 2010 in ganz konkreten Reformschritten diskutiert; angesichts der Bedingungen, unter denen wir heute diese Debatte führen, muss dies nicht wiederholt werden. Daher weise ich nur darauf hin, worum es geht: Wenn wir über eine Verbesserung der Situation am Arbeitsmarkt sprechen, dann sprechen wir vor allen Dingen darüber, dass wir mehr öffentliche und private Investitionen brauchen, dass die Investitionsfähigkeit der Städte und Gemeinden wiederhergestellt und die private Investitionskraft gesteigert werden muss.

In diesem Zusammenhang – darüber muss man sich im Klaren sein – reden wir über Steuern, Abgaben und Tarifpolitik. Auf allen drei Feldern brauchen wir Tendenzen nach unten und nicht nach oben. Deshalb sind Beiträge zu Steuererhöhungsdiskussionen, wie sie beispielsweise Herr Kollege Müller aus dem Saarland jetzt geliefert hat, in der gegenwärtigen Situation Gift. Die Lage in unserem Land ist unsicher genug; da sind solche Beiträge alles andere als hilfreich.

Der Bundeskanzler hat deutlich gemacht, worum es geht; ich wiederhole es anhand von drei Stichworten:

Erstens: Wir müssen die allgemeinen Rahmenbedingungen für Investitionen verbessern. Dies bedeutet weitere Steuersenkungen und ein Festhalten an den nächsten Steuerreformrunden in den Jahren 2004 und 2005. Dies betrifft auch die so genannten Lohnnebenkosten, die wir mit den Reformen im Renten-, Gesundheits- und nicht zuletzt im Arbeitsmarktbereich ebenfalls absenken werden. Hinsichtlich des Arbeitsmarktes verweise ich auf die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Fast alle dazu notwendigen Gesetzentwürfe werden Sie vor der Sommerpause vorgelegt bekommen. Wir werden Sie bitten, sie so rechtzeitig zu beraten, dass sie am 1. Januar 2004 in Kraft treten können. Frau Kollegin Wöhrl, das hat nichts mit Ankündigungen zu tun, sondern mit parlamentarischem Handeln. Aber zu jedem Handeln gehört, dass man darüber zumindest ein Wort austauschen darf. Das tun wir hiermit.

Insbesondere am Arbeitsmarkt stehen wir vor der tiefst greifenden Veränderung, die in der Geschichte der Bundesregierung auf diesem Feld jemals vorgenommen worden ist. In der Arbeitsmarktpolitik – das sage ich jetzt schlagwortartig – werden wir damit ernst machen müssen, dass es nicht unsere Aufgabe ist, Arbeitslosigkeit zu finanzieren, sondern es darum geht, die Vermittlung in Arbeit zu fördern. Dazu werden wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fördern und fordern müssen.

Zweitens: Wir müssen Kräfte freisetzen, Spielräume eröffnen und den Zutritt zum Arbeitsmarkt so leicht wie möglich machen. Das betrifft die Reformen, die der Bundeskanzler angekündigt hat: Reformen des Arbeitsrechtes und beim Kündigungsschutz. Das betrifft die Reform des Handwerksrechtes, Herr Kollege Hinsken, und das betrifft Reformen im berufsständischen Bereich, wo wir uns fragen müssen, welche Regulierungen in Deutschland abgebaut werden können. Das betrifft auch den Bürokratieabbau und reicht von der Arbeitsstättenverordnung bis hin zu den Verpflichtungen, Statistiken zu liefern. Dies alles sind Kosten und Arbeitsbelastungen für die Unternehmen, die wir überwinden müssen, soweit es irgend geht.

Drittens: Einen Bereich, der am wichtigsten ist, aber am wenigsten erwähnt wird,  überschreibe ich mit "Stärken stärken und dadurch die Zukunft sichern". Dies betrifft Bildung und Ausbildung und bedeutet Investitionen in Forschung und Entwicklung. Ich setze darauf, Herr Kollege Laumann, dass die Reformen, die seit PISA unabweisbar und für jeden unübersehbar notwendig sind, in den Ländern, die beispielsweise für die Berufsschulen Verantwortung tragen, auf den Weg gebracht werden.

Ich bitte von hier aus – dies ist heute mein wichtigstes Anliegen – alle Unternehmer, alle Vorstände, alle Manager, alle Gewerkschafter, alle Tarifpartner, alle Betriebsräte, alle Personalräte, die Wissenschaftler und die in der Verwaltung Tätigen, die dafür Verantwortung tragen: Tun Sie mehr für die Ausbildung in Deutschland! Wir dürfen nicht zulassen, dass der gegenwärtige Trend des Abbaus von Ausbildungsplätzen anhält. Wir müssen unser Ziel erreichen, dass jeder junge Mann und jede junge Frau in Deutschland, die eine berufliche Ausbildung wahrnehmen wollen und können, dazu auch einen Ausbildungsplatz erhalten. Lassen Sie uns für dieses Ziel zusammenarbeiten!

Ich bin sehr froh darüber, dass das Signal, das der Bundeskanzler gegeben hat, offensichtlich verstanden worden ist. In München konnte ich Gespräche mit den vier großen Wirtschaftsverbänden Deutschlands führen. Sie werden eine, wie dies heutzutage heißt, Task Force einrichten und gemeinsam mit der Bundesregierung sowie allen anderen, die sich daran beteiligen können – dazu möchte ich auffordern und darum möchte ich Sie bitten –, das Nötige tun, damit wir die drohende Misere am Ausbildungsmarkt in diesem Jahr verhindern können.

Trotz der Probleme, die der Haushalt bereitet, müssen wir – auch das geht sowohl an die Adresse der Wirtschaft wie an unsere eigene Adresse und an die Adresse aller Verantwortlichen in den Ländern – alles tun, um mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung zu mobilisieren. Wir brauchen hier eine wesentlich größere Anstrengung, wenn wir das Ziel erreichen wollen, Deutschland beziehungsweise Europa wieder zur innovativ stärksten Wachstumsregion der Welt zu machen.

Ich weise noch auf zwei andere Probleme hin:

Erstens geht es mir um Probleme, die wir zurzeit mit der Finanzierung des Mittelstandes, der kleinen und mittleren Unternehmen haben, und zwar sowohl wegen der konjunkturellen Lage als auch wegen der strukturellen Veränderungen der deutschen Kreditwirtschaft. Wenn soeben eine Umfrage des "Handelsblattes" ergeben hat, dass jeder vierte Manager sagt, er habe kein Kreditangebot seiner Bank bekommen, und wenn 72 Prozent der Manager in Deutschland sagen, dies behindere einen wirtschaftlichen Aufschwung, dann sind die Signale klar. Meine Bitte an die Banken lautet, ihre Aufgabe besser wahrzunehmen, den Mittelstand ausreichend mit Krediten zu versorgen und ihm Eigenkapital zur Verfügung zu stellen. Auch hinsichtlich einer Kooperation in diesen Sektoren muss alles getan werden, um hier besser zu werden. Mit der neuen öffentlich-rechtlichen Mittelstandsbank werden wir alles tun, um die Banken dabei zu unterstützen; die Verbriefungsaktion – eine ganz ungewöhnliche Aktion – für die Kredite der Hausbanken ist ein Signal dafür.

Zweitens wollen wir uns um die innovativen jungen Technologieunternehmen kümmern, die im Zuge der Entwicklung um die New Economy in Bedrängnis geraten sind. Die Beteiligungskapitalzufuhr ist fast versiegt. Wir werden deshalb versuchen, ein positives Signal für eine Trendumkehr zu setzen. Mit innovativen Produkten, Verfahren und Dienstleistungen entstehen neue Arbeitsplätze. Deshalb ist die Arbeit meines Hauses schwerpunktmäßig auf die Unterstützung des innovativen Mittelstandes, auf die Verbreiterung von Informations- und Kommunikationstechnologien sowie auf die Bereiche der Energie- und der Luftfahrtforschung gerichtet. Wir haben dazu im Haushalt rund eine Milliarde Euro vorgesehen, allein für kleine und mittlere Unternehmen circa eine halbe Milliarde Euro, davon – weil Sie sich auf Ostdeutschland bezogen haben, Herr Kollege – etwa die Hälfte für die ostdeutschen Unternehmen.

Wir haben eine ganze Menge weiterer Punkte angepackt, zum Beispiel das Ladenschlussgesetz und das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Hier leiten wir Reformschritte ein; Sonderaktionen des Handels zum Beispiel werden in größerem Rahmen erlaubt sein. Der Bundeskanzler, der französische Präsident und der britische Premierminister werden eine neue industriepolitische Initiative auf europäischer Ebene einleiten, die nichts anderes zum Ziel hat, als die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen zu sichern, die Märkte zu öffnen, neue bürokratische Auflagen für die Industrie zu verhindern und eine bessere Vermarktung von Forschungsergebnissen zu erzielen.

Wir haben uns viel vorgenommen. Jetzt kommt es darauf an, diese Maßnahmen nicht kaputtzureden, sondern sie auch tatsächlich umzusetzen. Das ist meine dringende Bitte an uns. Die Lage am Arbeitsmarkt und die Notwendigkeit der konsequenten Modernisierung unserer sozialen Marktwirtschaft verpflichten uns alle dazu. Es geht um nicht weniger als um die Sicherung der wirtschaftlichen und sozialen Zukunft Deutschlands, um die Sicherung des Wohlstandes für alle, um soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit, um unser Modell einer modernen und sozialen Gesellschaft.

Seit der Regierungserklärung des Bundeskanzlers habe ich eine Reihe von Gesprächen mit Vertretern der führenden Wirtschaftsverbände, mit Gewerkschaftern in München, Düsseldorf und vielen Regionen der Bundesrepublik geführt. Diese Gespräche haben mich sehr ermutigt. Alle haben noch Wünsche und Kritik geäußert, aber ich habe den Eindruck, dass die Bereitschaft zu einer großen Kraftanstrengung in Deutschland, dazu, alles Sonstige zurückzustellen und sich auf das zu konzentrieren, was jetzt zu entscheiden ist, besteht.

Was diese vortragen, unterscheidet sich in Wahrheit nicht sehr von dem, was die Bundesregierung vorgelegt hat. Sie beschäftigen sich nicht bei jedem Problem mit der Frage, wie ich dem Nächsten ein Bein stelle. Vielmehr wird sich mit der Frage beschäftigt: Wie kommen wir zum Ziel, die Modernisierung der modernen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland voranzubringen?

Ich bin davon überzeugt, dass wir erfolgreich sein werden. Ich bin auch davon überzeugt – das habe ich schon gesagt –, dass sich niemand von Ihnen den jetzt fälligen Entscheidungen entziehen kann. Wir sollten es anpacken.