Rede des Bundesministers für Gesundheit, Dr. Karl Lauterbach,

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Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Kolleginnen und Kollegen!

Wir gehen jetzt in den dritten Herbst der Pandemie, und wir wissen wirklich nicht, wie sich die Pandemie im Herbst entwickeln wird. Der Expertenrat der Bundesregierung hat mit drei Szenarien gearbeitet: einem leichten Szenario, einem mittelschweren Szenario und einem schweren Szenario. Das mittelschwere Szenario ist im Moment am wahrscheinlichsten und sähe vor, dass wir es mit einer Variante wie der derzeit dominierenden BA.5-Variante oder einer vergleichbaren Variante wie BA.2.75 zu tun hätten. Egal was kommen wird, egal wie das Szenario zum Schluss aussehen wird: Wir werden diesmal sehr gut vorbereitet sein. Und ich kann jetzt schon sagen: Wir werden die Lage im Herbst gemeinsam im Griff haben dank der Vorbereitung, die wir hier gemacht haben.

Ich will das hier auch ausleuchten. Wir haben die Vorbereitung im Prinzip mit vier grundsätzlichen Initiativen gestartet. Zum Ersten: Wir sind jetzt mit Impfstoffen ausgestattet, die sehr wirksam sind. Zum Zweiten: Wir haben eine viel bessere Arzneimitteltherapie organisiert. Zum Dritten: Wir haben eine viel bessere Datenlage, als wir sie jemals hatten. Zum Vierten: Wir haben ein Infektionsschutzgesetz vorbereitet, womit wir auf jedes der drei Szenarien sofort reagieren könnten.

Ich fange mit der Impfkampagne und mit den Impfstoffen an. Wir haben Impfstoffe, die bei den Varianten, die wir derzeit kennen und sehen, eine sehr gute Wirkung haben und somit nicht nur besser vor schwerem Verlauf schützen, sondern auch – abgeleitet aus den Studien, die wir derzeit haben – besser vor der Infektion schützen.

Das heißt, wir können über die Impfungen auch die Zahl der Infektionen wieder zurückdrängen. Diese Impfstoffe, die besonders gut wirken, sind für diejenigen, die besonders gefährdet sind. Wir werden in den nächsten Wochen eine Kampagne machen, sodass jeder genau versteht, wie diese Impfstoffe wirken, für wen sie besonders geeignet sind.

Wir werden die Impfstoffe auch so verteilen, dass sie leicht zugänglich sind: über die Impfzentren, über die Praxen, über die Apotheken. Leichter Zugang von Impfstoffen, die gut wirken, über die wir im Rahmen einer deutschlandweiten Kampagne gut aufgeklärt haben!

Ich möchte noch einmal ganz ausdrücklich sagen: Es wird immer wieder bemängelt, wenn ich über Medikamente spreche, das wäre nicht angemessen, wir würden Reklame für Medikamente machen. Wir können dankbar sein, dass wir jetzt erstmalig Medikamente haben, die bei älteren Menschen und bei Menschen, die Risikofaktoren haben, die Sterblichkeit um 80 bis 90 Prozent reduzieren. Wir können alle dankbar sein, dass wir diese Medikamente haben.

Dieser pauschale, billige Vorwurf gegen die pharmazeutische Industrie ist nicht platziert. Die pharmazeutische Industrie hat diese Medikamente entwickelt. Wir werden sie anwenden. Wir nutzen sie derzeit zu wenig; aber wir können damit die Zahl der Todesfälle reduzieren. Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass wie jetzt jeden Tag 100 Menschen sterben. Wir dürfen das nicht zur Normalität werden lassen. Wir müssen die Sterblichkeit mit Impfungen und Arzneimitteln senken. Das ist unsere moralische Pflicht.

Ich komme zum dritten Punkt, dem Pandemieradar. Wir haben diesmal deutlich bessere Daten. Wir haben bis zu 2.000 Krankenhäuser über das DEMIS-System an das Robert-Koch-Institut angeschlossen, sodass wir jetzt tagesaktuell die Zahl der Fälle haben, die behandelt werden.

Wir haben die tatsächlich belegbare Bettenzahl. Wir können auch zu jedem Zeitpunkt die Entwicklung der Pandemie verfolgen. Wir haben zum ersten Mal ein Abwassermonitoring. Wir haben die Fallzahlen aus den Intensivregistern.

Wir werden auch erstmalig besser unterscheiden können: Wer kommt wegen Covid ins Krankenhaus? Wer kommt mit Covid ins Krankenhaus? Wobei unterschieden wird, ob sich die Krankheit mit Covid verschlimmert und man vielleicht sogar an dieser Krankheit stirbt, welche aber ohne die Covid-Infektion nicht so tödlich verlaufen wäre, oder ob es eine Covid-Infektion ist, die sich auf den Krankheitsverlauf nicht auswirkt. Somit können wir tagesaktuell deutlich bessere Daten anbieten. Daran haben wir monatelang gearbeitet. Das ist viel zu spät gekommen. Das ist genau das, was uns im letzten Herbst gefehlt hat. Jetzt haben wir es über den Sommer vorbereitet. Wir werden es nutzen.

Schließlich der vierte Punkt: Ich komme zum Infektionsschutzgesetz. Das Infektionsschutzgesetz erlaubt es uns, auf jedes der drei Szenarien sofort einzugehen. Wir haben Basismaßnahmen; aber wir können zusätzliche Maßnahmen über die Länder einbringen, wenn dies notwendig ist.

Wir schützen mit der FFP2-Maske im Fernverkehr in der Bahn, im Fernverkehr in Bussen diejenigen, die dort lange Strecken fahren. Wir schützen in den Krankenhäusern, in den Kliniken, in den Praxen, in den Pflegeeinrichtungen über den verschärften Schutz mit der FFP2-Maske deutlich besser als in der Vergangenheit und werden somit in diesen Bereichen, wo wir sonst viele gefährliche Infektionen erwarten müssten, die Zahl der Infektionen deutlich senken. Ich möchte das hier klar sagen.

Ich höre das oft: Jetzt haben wir hier leichtere Varianten, und trotzdem wird die Maskenpflicht verschärft. Macht das Sinn, jetzt von der OP-Maske zur FFP2-Maske überzugehen? Eine harmlosere Variante und trotzdem eine wirksamere Maske? Ja, und zwar deshalb, weil die weniger gefährliche Variante deutlich ansteckender ist. Das ist wissenschaftlich gesichert. Wir müssen das so bewerten: Wenn wir Masken tragen, müssen sie auch wirken. Bei Varianten wie BA.2.75 oder BA.5 schützen nur FFP2-Masken sicher vor Ansteckung.

Ich bedanke mich daher, dass Kollege Buschmann, aber auch die Fraktionen hier mitgegangen sind und dem wissenschaftlichen Sachstand Platz gemacht haben. Ich weiß, dass das schwer zu erklären ist. Es gibt auch Leute, denen werden wir das niemals erklären können; aber darauf verzichten wir. Wir halten zusammen. Wir gehen mit der Wissenschaft. Wir gehen mit dem Expertenrat. Die niederträchtigen Bemerkungen von der rechten Seite werden nicht dazu beitragen, dass wir das nicht umsetzen; denn das ist auch in der Medizin mittlerweile Konsens. Die Wissenschaft geht voran. Wir steigen da nicht mehr aus.

Ich komme zu den weiteren Maßnahmen, die wir ergriffen haben. Wir ermöglichen es den Ländern, die Maskenpflicht in Innenräumen wieder einzuführen, sollte dies medizinisch geboten sein. Wir ermöglichen es den Ländern, die Maskenpflicht durch Testungen zu ergänzen.

Wir ermöglichen es den Ländern, mit Nachweisen einer frischen Genesung oder einer frischen Impfung das Einlassmanagement in den Innenräumen, in der Gastronomie, bei den Veranstaltungen zu verbessern. Wir ermöglichen dies, indem wir die Corona-Warn-App vereinfachen, indem dort ein frischer Test, eine frische Impfung oder ein frischer Genesenenstatus durch eine grüne Farbe sofort erkennbar ist.

Wir ermöglichen es den Ländern, je nach pandemischer Lage zielgenau das anzubieten, was notwendig ist – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Länder sind dann zu jedem Zeitpunkt vorbereitet und können und werden auf diese Maßnahmen zurückgreifen.

Herr Kollege Ullrich, die erste Frage ist eine sehr wichtige Frage, also wieso wir keine fixen Grenzwerte genommen haben, zum Beispiel beim Inzidenzwert oder bei der Belegung von Betten. Nun, beim Inzidenzwert könnte es zum Beispiel davon abhängen: Was ist das für eine Variante? Wie gefährlich ist die Variante? Oder wenn Sie die Bettenbelegung ansprechen, dann ist die Frage: Wie lange liegen die Patienten? Was sind das für Betten? Die beste Herangehensweise ist somit – das haben uns die Rechtsgelehrten, aber auch die erfahrenen Experten gesagt; und da bin ich auch der Expertise des Kollegen Marco Buschmann gefolgt –, dass man die sogenannte Gesamtschau heranzieht, aber bei der Gesamtschau müssen Daten berücksichtigt werden. Somit ist die schnelle Antwort: Daten, ja – hier haben wir gemeinsam mit dem Pandemierat auch viel vorbereitet –, aber keine fixen Grenzwerte. Das ist der rechtliche Stand; damit arbeiten wir.

Das ergab auch übrigens die Auswertung der Gerichtsurteile in der Vergangenheit. Gerichtsurteile in der Vergangenheit haben in der Regel die getroffenen Maßnahmen dann bestätigt, wenn eine Gesamtschau mit Daten unterlegt wurde, man aber zugleich nicht versucht hat, das mit einem fixen Grenzwert zu arrondieren.

Das ist die Lage. Und da bin ich Marco Buschmann wirklich dankbar. Wir haben darüber sehr viel gesprochen. Wir haben uns auch mit Rechtsexperten sehr intensiv ausgetauscht. Es klingt zunächst weniger plausibel, aber ich sage mal so: In der Vergangenheit hatten wir wenig Daten, aber fixe Werte. Diesmal haben wir viele Daten, arbeiten aber ohne fixe Werte. Das wird besser sein.

Der zweite Punkt war, wo der Unterschied zwischen einem Zug und einem Flugzeug liegt. Zunächst einmal: Es geht ja um die Gesamtgefahrenabwehr. Es sind in Deutschland natürlich sehr viel mehr Menschen in Zügen unterwegs als mit dem Flugzeug. Darüber hinaus ist es einfach so: Obwohl die Luftdurchwälzung im Flugzeug nicht perfekt ist, ist sie doch deutlich intensiver, auch ausweislich der Studien, als in einem Bus oder in einem Zug. Somit ist das ein großer Unterschied. Die Situation in den Zügen ist also deutlich gefährlicher, und sie betrifft auch eine viel größere Gruppe von Menschen.

Dennoch ist es so: Wenn die pandemische Lage es notwendig macht, dann können und werden wir als Regierung auch in den Flugzeugen die Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske wieder einführen.

Wenn es tatsächlich pandemisch notwendig ist, dann haben wir dafür die Verordnungsermächtigung, und wir werden dann auch nicht zögern, die Maßnahmen umzusetzen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt kann man es gut vertreten, von der Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken in den Flugzeugen noch Abstand zu nehmen; insbesondere da sie sehr schwer durchzusetzen ist. Die Flugbegleiter können das zum Teil nicht durchsetzen. Es mussten ganze Flüge abgesagt werden, weil es nicht durchsetzbar war.

Ich komme zum Schluss. Wir werden in diesem Herbst sehr gut vorbereitet sein. Wir sind auch gut vorbereitet, wenn das passiert, was ich nicht hoffe und auch nicht voraussage: Wenn es wirklich so käme, dass wir tatsächlich eine Entwicklung mit hohen Fallzahlen und vielen Patienten mit großem Schweregrad, wenn wir mehr Sterblichkeit und auch viele Long-Covid-Fälle hätten, dann haben wir das Instrumentarium, um zu reagieren. Dann kann Maskenpflicht mit Testung auf Innenräume ausgedehnt werden, ohne dass eine Impfung oder ein Genesenenstatus eine Alternative ist. Dann können wir sogar die Maskenpflicht in den Außenräumen, zum Beispiel bei großen Veranstaltungen, einführen. Dann können wir auch Begrenzungen bei der Zahl der Personen vornehmen, die an Veranstaltungen teilnehmen. Dafür haben wir wirklich ein umfassendes Instrumentarium.

Ich fasse zusammen: Wir sind auf alle drei Szenarien sehr gut vorbereitet. Wir werden die Lage im Griff haben. Wir werden mit so wenig Einschränkung der Freiheit der Menschen wie möglich, aber mit so viel wie nötig versuchen, zu verhindern, dass wir viele Tote haben, dass wir viele schwere Fälle haben, dass wir viele Fälle von Long Covid haben. Das schulden wir der Bevölkerung.

Wir haben die Lage im Griff, aber wir werden nicht zögern, die Instrumente, die wir haben, auch einzusetzen.