Rede des Bundesministers für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir,

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Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen! Meine Herren!

Zurzeit hungern weltweit über 800 Millionen Menschen. In dieser ohnehin schon dramatischen Situation setzt Putin Hunger als Waffe ein. Er klaut Getreide, er stiehlt, er zerstört Trecker und Mähdrescher. Besonders durch die steigenden Lebensmittel- und Energiepreise sind Millionen von Menschen weltweit zusätzlich von Hunger bedroht. Wir sehen dramatische Bilder aus Indien, wo der Weizen buchstäblich auf dem Feld verbrennt. Ostafrika leidet unter einer langanhaltenden Dürreperiode. Der Hunger ist – schon vor dem Krieg – dort groß, wo die Klimakrise bereits voll zuschlägt.

Genau über diese sich gegenseitig verstärkenden Krisen werde ich in den kommenden Tagen mit den Agrarministerinnen und Agrarministern der G7 in Stuttgart sprechen. Vor Ort anwesend wird auch mein ukrainischer Kollege Solskyy sein. Auch im Namen dieses Parlaments werde ich ihm meine und unsere Solidarität und Anteilnahme ausdrücken. Nach der letzten Rede würde ich vielleicht einschränkend hinzufügen: im Namen der demokratischen Mehrheit des Hauses, nicht des rechten Randes. Da könnte ich ihn ja gleich von Herrn Putin grüßen. Ich glaube, das kann man ihm nicht zumuten.

Wir werden mit ihm darüber beraten, wie wir sein Land und den Agrarsektor unterstützen können. Wir werden natürlich auch beraten, wie wir die globalen Folgen dieses völkerrechtswidrigen Angriffskriegs für die Welternährung begrenzen. Es geht jetzt um kurzfristige Maßnahmen, damit wir den akuten Hunger bekämpfen können. Da wäre diese Aktuelle Stunde eigentlich eine großartige Gelegenheit, um eine ersthafte Debatte zu führen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union. Stattdessen wollen Sie tatsächlich über Grenzertragsflächen, über Hecken, über Feldgehölze diskutieren, die, wie Sie wissen, sehr wertvoll sind für Artenschutz, Nutzinsekten und Bestäuber. Diese Artenvielfaltsflächen dienen dazu, unsere Ernährung auch morgen noch zu sichern. Auf diese Artenvielfaltsflächen wollen Sie teuren Dünger schütten, der dann übrigens woanders in der Welt fehlt, um das Recht auf Nahrung der Menschen vor Ort zu stärken.

Spannend ist ja das, worüber Sie nicht reden. Darauf sollte man eigentlich aufmerksam achten. Dass 60 Prozent des Getreides von Kühen, Schweinen und Hühnern gefressen werden, darüber wollen Sie nicht reden. Bei CDU/CSU sind Logik einerseits und Ideologie andererseits zwei Seiten derselben Medaille. Nur so kann man Ihre zukunftsvergessene Agrarpolitik verstehen.

Wir unterstützen unsere Landwirtschaft mit zielgerichteten Hilfsmaßnahmen. Wir erhöhen die 60 Millionen Euro aus der EU-Krisenreserve um die maximal möglichen 120 Millionen Euro auf 180 Millionen Euro – dafür bin ich dem Finanzminister sehr dankbar –, und diese wollen wir schnell und effizient an die Bäuerinnen und Bauern bringen. Wir werden die aktuell besonders von steigenden Energiepreisen betroffenen Gartenbaubetriebe, den Obst- und Weinbau und die Tierhaltungsbetriebe entlasten. Bei der Frage nach Tank, Trog und Teller sage ich: Teller zuerst! Wir müssen die Flächenkonkurrenz zulasten der Lebensmittelerzeugung endlich auflösen. Deshalb unterstütze ich den Vorschlag des federführenden Bundesumweltministeriums und von meiner Kollegin Steffi Lemke ausdrücklich, die Beimischquoten für Agrosprit abzusenken.

Wir schauen uns jeden einzelnen Punkt an. Wir drehen jedes Korn um und wägen die Kosten gegen den Nutzen. Ich habe deshalb die Nutzung des Aufwuchses von Brachflächen und der Zwischenfrüchte auf ökologischen Vorrangflächen für zusätzliche Futterkapazitäten ermöglicht. Das war ein pragmatischer Kompromiss; denn diese Artenvielfaltsflächen müssen auch weiter vor einem intensiven Einsatz von Düngern und Pestiziden geschützt werden. Gleichzeitig setze ich mich in Brüssel dafür ein, dass die neue Regelung zum Fruchtwechsel verschoben wird, damit unsere Bauern mehr Weizen produzieren können. Damit kann bei dieser Herbstaussaat Weizen auf Weizen angebaut werden. Ich sage allerdings auch – das muss man ehrlicherweise sagen –: Dafür zahlen Umwelt und Böden einen Preis. Aber ich finde, dieser Kompromiss steht in einem vertretbaren Verhältnis zur Notwendigkeit.

Die Bundesregierung unterstützt das Welternährungsprogramm und die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen mit 370 Millionen Euro. Sie setzt 430 Millionen Euro für die globale Ernährungssicherung ein. In der Taskforce „Ernährungskrise“ arbeiten wir mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gemeinsam an Maßnahmen, um kurzfristig humanitäre Hilfe in die von Hunger bedrohten Länder dieser Welt zu bringen, um ihnen zu helfen, die Erzeugung vor Ort zu stärken; denn die weltweite Ernährung wird vor allem von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern vor Ort geleistet. Dort müssen wir unterstützen. Dort liegt ein gewaltiges Potenzial, um die Ernährung weltweit zu sichern.

Wir handeln konkret. Sie hingegen haben schon ab dem ersten Tag des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine Ihre alten Sprechzettel wieder ausgepackt. Dabei ist Ihre Bilanz – ich wollte nicht darüber reden, weil der Blick nach vorne eigentlich weiterführen würde, aber nach der Rede vorhin muss man es geradezu – nach 16 Jahren schwarzgeführtem Agrarministerium, wie Sie sicherlich selber einräumen würden, doch sehr verheerend. Vertragsverletzungsverfahren: nicht gelöst. Der Umbau der Tierhaltung: vertrödelt. Höfesterben: nicht gestoppt. Ich frage mich eigentlich, wenn ich Ihnen zuhöre: Woher nehmen Sie das Selbstbewusstsein angesichts dieser desaströsen Bilanz?

Ich ringe um jede Maßnahme, und dann höre ich Ihnen zu und denke: wenig leisten, viel reden. Wir machen es jetzt umgekehrt. Die Landwirtinnen und Landwirte in diesem Land verdienen Besseres, vor allem verdienen sie Ernsthaftigkeit.

Wir müssen mehrere Krisen gleichzeitig lösen, ohne die eine gegen die andere auszuspielen, sie dadurch zu verschärfen. Deshalb wünsche ich mir hier eine ernsthafte Debatte, die den Problemen der Menschen gerecht wird – hier wie auch weltweit, heute wie auch morgen. Herzlichen Dank.