Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier,

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Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Wirft man einen Blick auf den westlichen Balkan durch die Brille der Mehrzahl der Kommentatoren, so müsste man in diesen Tagen eigentlich ein durch und durch kritisches Bild erkennen. Ich bitte aber: Seien wir ein wenig gerechter und erinnern wir uns an die Situation kurz vor der Jahrtausendwende.

In Belgrad regierte Milošević, und drei blutige Kriege in Kroatien, Bosnien und im Kosovo hatten tiefe Wunden gerissen. Die Aufgabe, vor der ja nicht nur die Menschen in der Region, sondern auch die internationale Staatengemeinschaft standen, schien – wir erinnern uns an die Diskussionen bei uns – fast unlösbar zu sein.

Betrachten wir die Situation aus heutiger Sicht, so muss man, ohne sie schönzureden, sagen, dass die grausamen Konflikte der 90er Jahre, von denen ich gesprochen habe, Gott sei Dank der Vergangenheit angehören. In den meisten Teilen des ehemaligen Jugoslawiens hat die Demokratie Fuß gefasst. Die Wirtschaft entwickelt sich allmählich. Aber vor allen Dingen ist wichtig, dass die Menschen die Chance bekommen haben, Kraft zur Aussöhnung zu finden und Mut für eine gemeinsame Zukunft zu entwickeln. Das ist der Weg der letzten zehn Jahre.

Diese Entwicklungen – wir wissen das aufgrund der schmerzlichen Entscheidungen, die bei uns getroffen werden mussten – haben sich nicht von allein ergeben. Wir verdanken sie unserer Bereitschaft, einerseits mit militärischen Mitteln in die damaligen mörderischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan einzugreifen und andererseits unsere euro-atlantischen Strukturen für die Länder des westlichen Balkans zu öffnen. Das führte zu dem heutigen Ergebnis, dass EU- und Nato-Mitgliedschaften für die Menschen auf dem Balkan zu einer greifbaren Perspektive geworden sind, einer Perspektive, die, wie ich finde, zugleich Ansporn für die notwendigen Reformen sein sollte, die in vielen Regionen noch durchzuführen sind.

Ich schließe ausdrücklich die gegenwärtige Situation in Serbien ein. Belgrad hat bei weitem – darüber brauchen wir nicht zu streiten – noch nicht alle Hürden genommen. Insbesondere ist die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof noch nicht bestätigt. Aber – das ist der Obersatz meiner Betrachtungen – auch die Zukunft Serbiens wird und kann nur in Europa liegen. Davon bin ich fest überzeugt.

Ich hoffe deshalb, dass jetzt nach den Parlamentswahlen – ihr Ausgang war anders, als noch wenige Tage vor den Wahlen vorausgesagt wurde – eine Regierung gebildet wird, die sich

erstens den Reformen verpflichtet fühlt und die

zweitens die nächsten Schritte Serbiens in Richtung Europa unternimmt.

Das, was uns alle in Atem gehalten hat, ist allerdings die Kosovo-Frage, die Lösung des Statusproblems im Kosovo – wenn Sie so wollen, die letzte offene Frage aus dem Zerfallsprozess des alten Jugoslawiens. Wir haben in den letzten zehn Jahren – ich selbst erinnere mich daran – in allen erdenklichen internationalen Foren, in den Vereinten Nationen, in der Europäischen Union, in der Nato, über diese Statusfrage diskutiert und beraten. Wir haben nach einvernehmlichen Lösungen zwischen Priština und Belgrad gesucht, weil wir alle der Meinung waren: Eine einvernehmlich gefundene Lösung ist allemal die bessere. Diese Einsicht hat uns dazu geführt, dass wir im vergangenen Sommer noch einmal den Troika-Prozess eingeführt haben, um dort Gespräche zwischen Priština und Belgrad zu ermöglichen. Am Ende haben die Kraft, die Bereitschaft, das Potenzial oder was auch immer nicht für eine einvernehmliche Lösung ausgereicht. Kosovo hat vor drei Monaten seine Unabhängigkeit erklärt, und am Ende – das ist meine Überzeugung – gab es dazu auch tatsächlich keine glaubhafte Alternative mehr. Jetzt geht es darum – darüber sollten wir uns einig sein –, den Kosovo auf diesem Weg von unserer Seite aus nach Kräften zu unterstützen.

Die Anerkennung des Kosovo läuft. 20 der 27 europäischen Mitgliedstaaten haben ihn anerkannt. Außerhalb der Europäischen Union haben dies 22 weitere Staaten getan. Jetzt kommt Peru als erstes südamerikanisches Land hinzu. Der Kosovo besitzt – lassen Sie mich das sagen – genauso eine europäische Perspektive wie all die anderen Staaten auf dem westlichen Balkan.

Wenn ich das sage, weiß ich, dass dieser Weg für den Kosovo kein einfacher sein wird. Die Herausforderungen im Kosovo in wirtschaftlicher und institutioneller Hinsicht sind groß. Aber immerhin, die Regierung im Kosovo hat sich im Zusammenhang mit der Unabhängigkeitserklärung Gott sei Dank unmissverständlich zur Umsetzung des Ahtisaari-Plans bekannt. Sie hat sich vor allen Dingen dazu bekannt, alle Minderheitenrechte, wie international verlangt, umzusetzen. Wir von europäischer Seite wollen – das ist bekannt – mit der Rechtsstaatsmission EULEX unseren Beitrag dazu leisten, dass dort rechtsstaatliche Institutionen, Polizei und Justiz, aufgebaut werden. Unser Bemühen hält unverändert an, dass wir in den nächsten Tagen und Wochen eine Vereinbarung mit den Vereinten Nationen über die Ablösung der bisherigen UNMIK-Zuständigkeiten und die Überführung in EULEX-Zuständigkeiten auf den Weg bringen und baldmöglichst die Übergabe der Verantwortlichkeit stattfinden kann.

Seit Beginn der Auseinandersetzungen hat sich die internationale Gemeinschaft wirklich bemüht, für Sicherheit im Kosovo zu sorgen. Ich glaube, man darf sagen: Das ist uns weitgehend gelungen. KFOR insbesondere hat sich in diesen zehn Jahren Anerkennung bei allen Bevölkerungsgruppen im Kosovo erarbeitet. Die Fortsetzung dieser Arbeit – lassen Sie mich auch das hier einmal sagen; das sage ich ganz besonders mit Blick auf einige Skeptiker, die heute auch noch an das Mikrofon treten werden – sollte in erster Linie im Interesse der serbischen Bevölkerungsminderheiten im Kosovo sein.

So komme ich zu dem Ergebnis: Die Regierung in Priština wünscht sich die Fortführung von KFOR. Die Nato ist bereit, ihr Engagement fortzusetzen. Wir sind uns mit den Partnern darüber einig, dass KFOR im Rahmen seines Mandates zukünftig am Aufbau der kosovarischen Sicherheitsstrukturen mitwirken wird, damit der Kosovo nach und nach in der Lage ist, seine Sicherheitsaufgaben selbstständig zu verantworten.

Ich erhoffe mir deshalb eine breite Zustimmung für die Verlängerung des KFOR-Mandates im Deutschen Bundestag. Sie wissen, dass wir mit 2.700 von insgesamt 15.600 Soldaten das größte KFOR-Kontingent stellen. Wenn ich den Blick auf den westlichen Balkan richte und unser Engagement in Bosnien-Herzegowina mitberücksichtige, dann leisten deutsche Soldatinnen und Soldaten seit mehr als 13 Jahren Dienst auf dem Balkan.

Ich glaube, wir dürfen sagen: Deutsche Soldatinnen und Soldaten haben an der Stabilisierung der gesamten Region einen wesentlichen Anteil. Dafür gilt ihnen unser ganz besonderer Dank und unsere Anerkennung. Auf diesen Dank und diese Anerkennung sollten die Soldatinnen und Soldaten auch in Zukunft rechnen können.