Rede des Bundesministers der Justiz und für Verbraucherschutz, Heiko Maas,

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Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ich sitze regelmäßig mit dem Kollegen de Maizière in Brüssel im JI-Rat. Dort vertreten wir die Flüchtlingspolitik der deutschen Bundesregierung. Ich würde Ihnen wünschen, dass Sie sich einmal das anhören müssen, was wir uns dort anhören müssen.

Sie sagen hier zur Flüchtlingspolitik der Bundesregierung: schäbig, inhuman, unchristlich, Skandal, Zynismus, Grausamkeiten. Schauen Sie sich mal in Europa um! Es gibt kein anderes Land, das seiner humanitären Verpflichtung gegenwärtig so gerecht wird wie Deutschland.

Die beiden Gesetzentwürfe, die heute vorliegen, haben ein gemeinsames großes Ziel:

Sie stärken die Handlungsfähigkeit des Staates. Das ist, finde ich, ein ganz grundlegendes Problem geworden. Wenn in Deutschland zu viele Menschen den Eindruck gewonnen haben, dass der Staat die Kontrolle über die Flüchtlingspolitik verloren hat, wenn zu viele Menschen den Eindruck gewonnen haben, dass nach den Ereignissen in Köln der Staat nicht mehr handlungsfähig ist, weil er seine Gesetze dort nicht durchgesetzt hat, dann geht es hier nicht mehr um eine Angelegenheit zwischen Regierung und Opposition. Glauben Sie im Ernst, dass die Bürgerinnen und Bürger zwischen Ihnen und uns unterscheiden? Jede der hier vertretenen Parteien ist in der Verantwortung, entweder irgendwo in den Ländern oder hier.

Es geht um die Handlungsfähigkeit des Staates. Wenn Menschen den Glauben daran verloren haben, dann ist es ihnen egal, welche Antworten sie von uns oder von Ihnen bekommen. Deshalb müssen wir mit dem, was wir hier vorlegen, vor allen Dingen eins dokumentieren: Der Staat ist handlungsfähig, und er ist in der Lage, auf Herausforderungen zu reagieren. Genau das tun wir.

Wir stellen sicher, dass unsere Behörden die Aufnahme der geflüchteten Menschen besser bewältigen können, als das bisher der Fall gewesen ist. Mit Blick auf die Silvestervorfälle in Köln senden wir auch eine klare Botschaft aus, und zwar an alle – egal ob mit oder ohne Pass; egal was für einen Pass sie haben –: Wer vor Verfolgung, Krieg und Terror flieht, der findet bei uns Schutz. Aber wer hierherkommt und dabei diesen Schutz ausnutzt, um schwere Straftaten zu begehen, für den ist bei uns kein Platz. Wir sind hilfsbereit, aber nicht blind.

Was die Veränderungen im Ausweisungsrecht angeht, sage ich: Ja, sie sind eine Reaktion auf die Ereignisse in Köln. Für sexuelle Übergriffe auf Frauen gibt es keine Rechtfertigung und auch keine Entschuldigung. Ich sage aber auch: Ein besserer Schutz für Frauen vor sexueller Gewalt ist bitter nötig. Das hat mit Köln überhaupt nichts zu tun. Dieses Bedürfnis gibt es nicht erst seit den Ereignissen in Köln.

Das, was wir im Ausweisungsrecht verändert haben, ist: Wer schwere Straftaten begeht, wer vorsätzlich Straftaten gegen Leib und Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung oder gegen Ordnungskräfte begeht, wer als Serientäter Eigentumsdelikte begeht, wird in Zukunft leichter ausgewiesen werden können, und das ist auch richtig.

Wir haben die Voraussetzungen dafür herabgesetzt: In Zukunft kann bei der Abwägung der Frage – es ist nicht die Entscheidung –, ob eine Ausweisungsverfügung ergeht, bereits die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe auch auf Bewährung als ein schweres Ausweisungsinteresse zu einer Ausweisungsverfügung führen. Ich sage das nicht nur mit Blick auf die Straftaten, für die wir das qualifiziert haben, sondern auch mit Blick darauf, dass in Deutschland niemand wegen Bagatelldelikten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird. Deshalb ist es auch gerechtfertigt, daran anzuknüpfen.

Herr von Notz, ja, die Ausweisungsverfügung hat noch nichts mit der Abschiebung zu tun. Aber es ist nicht so, dass wir die Probleme, die es dort gibt, einfach bestehen lassen. Wir reden mit den Staaten, die nicht bereit sind, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen, weil sie ihre Papiere weggeworfen haben. Wir wollen Laissez-passer-Abkommen, wie wir sie mit anderen Staaten, etwa auf dem Balkan, geschlossen haben, auch mit nordafrikanischen Staaten schließen. Natürlich muss eine Ausweisungsverfügung auch umgesetzt werden. Wir arbeiten daran genauso intensiv wie an diesem Gesetzentwurf, weil wir nicht nur Verfügungen erlassen wollen, sondern weil wir die Verfügungen auch durchsetzen wollen. Das gehört dazu.

Die vorgeschlagenen Änderungen sind, wie ich finde, nicht nur verhältnismäßig, sondern sie sind richtig, notwendig und maßvoll. Aber ich sage auch: Das Gleiche kann ich nicht von allen Wortmeldungen behaupten, die es in jüngster Zeit zu diesem Thema gegeben hat. 

Frau Keul, ich mache auch gar keinen Hehl daraus, dass diese Gesetzesänderung eine Reaktion auf die Ereignisse in Köln gewesen ist. Es gibt Situationen, in denen der Staat – auch aus übergeordneten Motiven heraus – in der Lage sein muss, schnell zu reagieren und Gesetze, die noch nicht lange in Kraft sind, noch einmal zu verändern. Wir haben das getan. Ich bitte, das nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, weil wir nach diesen Ereignissen eine schwierige Debatte, eine sehr emotionale Debatte in Deutschland geführt haben. Es wurde von uns getan, weil ich es für richtig halte, dass ein großes Ausweisungsinteresse schon vorliegen kann, wenn in Deutschland jemand zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird.

Im Übrigen sage ich auch das: Wir wollen damit nicht nur mögliche Opfer – sie hat es in Köln gegeben – besser vor Straftätern schützen, sondern wir wollen auch die Hunderttausende von Flüchtlingen, die in diesem Land angekommen sind und hier unbescholten leben, davor schützen, dass sie mit solchen Kriminellen in einen Topf geworfen werden. Deshalb mussten wir schnell reagieren.

Ja, ich komme auch schon zum Schluss. Über das Sexualstrafrecht, Frau Göring-Eckardt, werden wir hier, glaube ich, bei anderer Gelegenheit noch einmal reden können. Darauf bin ich schon sehr gespannt.

Ich will noch Folgendes sagen: Über den richtigen Weg in der Flüchtlingspolitik können wir alle lebhaft streiten. Auch das gehört zur Demokratie. Ich finde es, ehrlich gesagt, gar nicht so schlecht, dass in Deutschland wieder über Werte und nicht nur über Wohlstand und Wohlfahrt – das war in der letzten Zeit immer so – diskutiert wird.

Natürlich: Diese Diskussion kann und soll auch leidenschaftlich geführt werden. Wenn man über Werte und Überzeugungen redet, dann geht das nur mit Leidenschaft. Aber der Tonfall, mit dem das in der letzten Zeit teilweise geschehen ist, bereitet mir auch als Justizminister Sorgen. Wenn es um die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung geht, dann greifen manche Kritiker zu einer Rhetorik, die jedes Maß verloren hat. „Notstand“, „Rechtsbruch des Staates“, „Herrschaft des Unrechts“: Diese Parolen sind nicht nur juristisch hanebüchen, sie sind politisch brandgefährlich.

In der Flüchtlingspolitik wird zu Recht Realismus eingefordert. Zu diesem Realismus gehört für mich aber auch, dass man eben nicht in hysterische Krisenrhetorik verfällt. Solche Dinge, die dabei in den Raum gestellt werden, lösen kein einziges Problem, sie schüren dagegen viele, viele Ängste. Vor allen Dingen: Wer mit solchen Worten die Legalität des Staates permanent infrage stellt, der stärkt Recht und Gesetz nicht, sondern er schwächt sie.

Meine Damen und Herren, auch da haben wir als politisch Verantwortliche eine besondere Verantwortung für das, was wir in der Diskussion in Deutschland – die ich für notwendig halte – sagen. Ich halte es für gut, dass in Deutschland wieder über Werte diskutiert wird und nicht nur über Wachstumsprognosen. Aber wir alle, die wir uns an dieser Debatte beteiligen, haben auch eine besondere Verantwortung, mit den Worten, mit denen wir uns beteiligen, nicht dafür zu sorgen, dass die Spaltung größer wird, sondern dafür zu sorgen, dass das, was in diesem Land zurzeit geschieht, dazu führt, dass Menschen friedlich und gut zusammenleben.