Rede der Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt,

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Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mir kam gerade der Gedanke, dass das, was Sie, Frau Kollegin Bunge, zum Schluss gesagt haben, ein gutes Motto für die Arbeit der PDS wäre. Das zu befolgen täte Ihnen sehr gut.

Kommen wir zum heutigen Thema. Dafür, dass es doch angeblich keine Beratungsgrundlage gibt und dass auch im Arbeitsentwurf nichts festgelegt sei, gibt es in dieser Republik sehr lautes Geschrei. Das verwundert nicht, wenn man sich einmal anschaut, woher die Debatten kommen. Sie werden von Besitzstandswahrern angestoßen, die glauben, dass Reformen auf den Weg gebracht werden können, deren Motto lautet: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Das wird hiermit nicht geschehen.

Ich kann Sie aber beruhigen: Die Koalition wird die notwendigen Entscheidungen treffen. Wir werden im Oktober im Kabinett beraten. Dann haben wir ausreichend Zeit, den gesellschaftlichen Diskurs, aber auch die Debatten im Deutschen Bundestag – unter anderem in Anhörungen mit den Verbänden und all den anderen Betroffenen – zu führen, sodass das Gesetz zum 1. April 2007 in Kraft treten kann.

Dass wir hier nicht zu übereinstimmenden Auffassungen kommen, ist klar.

Sie als FDP wollen, dass das Gesundheitswesen privatisiert wird und dass Menschen mit geringem Einkommen allenfalls eine staatlich garantierte Basisversorgung erhalten. Das unterscheidet sich fundamental von den Zielen, auf denen die Koalition eine Reform aufbaut.

Diese Ziele sind:

Erstens sorgen wir mit dieser Reform dafür, dass jeder und jede eine gute medizinische Versorgung erhält, und zwar unabhängig vom Einkommen, Wohnort – auch das ist heutzutage ein Thema – und Alter.

Zweitens: Mit dieser Reform wollen wir erreichen, dass Patienten und Versicherte mehr Wahlmöglichkeiten erhalten. Sie sollen auch weiterhin den Arzt und das Krankenhaus frei wählen können; darüber hinaus sollen sie aber auch die Wahlfreiheit gegenüber Krankenkassen erhalten, die bei ihren Tarifen kosten- und gesundheitsbewusstes Verhalten belohnen.

Drittens: Eine bedeutende Neuerung dieser Reform ist, dass die Wahlfreiheit für jeden Bürger und jede Bürgerin in diesem Land mit dem Rechtsanspruch einhergeht, in eine Krankenversicherung aufgenommen zu werden, und zwar nicht nur in eine gesetzliche, sondern auch in eine private Krankenversicherung.

Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie halten das System der privaten Krankenversicherung für überlegen. Mir sind aber erst letzte Woche wieder Zweifel gekommen, als ich Folgendes lesen musste: Wenn die Koalition tatsächlich wolle, dass eine private Krankenversicherung auch zur Aufnahme kranker Menschen verpflichtet wird, dann würden die Beiträge um 70 Prozent steigen.

Eine solche Aussage spricht nicht dafür, dass dieses System überlegen ist; sie spricht vielmehr dafür, das weitere Reformen notwendig sind. Denn die gesetzliche Krankenkasse versichert seit ihrem Bestehen Menschen ohne Ansehen des Risikos, ohne dass von einer Erhöhung der Beiträge um 70 Prozent die Rede ist.

Viertens: Wir wollen mit der Reform erreichen, dass das System und die Gesundheit für die Menschen bezahlbar bleiben. Im Unterschied zu Ihnen verfolgen wir den Weg, dass breitere Schultern mehr tragen als schmale, wobei wir sicherstellen, dass der Einzelne durch unsere Reformen nicht überfordert wird.

Wir sind mit einem hohen Anspruch an die Reformen herangegangen, weil wir, wie es der Kollege Zöller schon formuliert hat, sicherstellen wollen, dass nicht die Versicherten oder die Kranken über höhere Zuzahlungen oder Leistungsausschlüsse die Last zu tragen haben. Im Gegenteil: Wir erweitern die Leistungen, wo dies notwendig ist und wo es sich aus der bisherigen Entwicklung ergibt. Wir erweitern die Leistungen für ältere und schwerstkranke Menschen wie auch für Väter, Mütter und Kinder, weil wir das für notwendig halten.

Wir wollen auch, dass die Bevölkerung insgesamt bis ins hohe Alter gut versorgt ist. Deswegen befassen sich 450 der 500 Seiten, die der Arbeitsentwurf umfasst, mit der Frage, wie das Geld der Versicherten im Gesundheitssystem zielgenau für die Versorgung kranker Menschen eingesetzt werden kann. Darin unterscheiden wir uns.

Das sind die Grundlagen, die wir mit dieser Reform auf den Weg bringen. Es wird eine gute Reform.

Im Rahmen der Gesamtreform – über die wir eine große Debatte führen, Frau Kollegin Bender – bringen wir vier große eigenständige Gesetze auf den Weg. Wir führen die umfassendste Strukturreform der letzten 25 Jahre durch. Wir führen darüber hinaus eine große Organisationsreform und eine Finanzreform durch und wir reformieren die private Krankenversicherung.

Bei den Strukturen geht es vor allen Dingen darum, wie wir ambulante und stationäre Versorgung besser verzahnen können. Deshalb fördern wir weiterhin die integrierte Versorgung und wir bauen sie aus, indem wir die Pflege und die nicht ärztlichen Berufe einbeziehen. Wir werden die Chronikerversorgung verbessern, indem wir sie besser auf die Patienten, insbesondere auf ältere Menschen, ausrichten. Wir werden die medizinischen Versorgungszentren weiter fördern. Wir werden die Krankenhäuser für die ambulante Versorgung von Schwerstkranken oder Menschen mit seltenen Erkrankungen öffnen; denn wir sind der Meinung, dass auch ein gesetzlich Krankenversicherter das Recht haben soll, sich von Spezialisten im Krankenhaus ambulant behandeln zu lassen. Das darf nicht alleine ein Vorrecht der Privatversicherten in diesem Land bleiben.

Wir leiten zudem strukturelle Maßnahmen ein, wie die Kosten-Nutzen-Bewertung bei Arzneimitteln und das Vier-Augen-Prinzip bei der Verordnung besonderer Arzneimittel und eine Änderung des ärztlichen Honorarsystems.

Bei der Organisationsreform wollen wir das starre System von Krankenkassen und Spitzenverbänden entschlacken und entbürokratisieren. Ich sage ganz deutlich: Für den Wettbewerb brauchen wir keine 250 Krankenkassen. Die sollen sich zusammenschließen. Wir brauchen auch keine sieben Spitzenverbände. Vielmehr wollen wir einen Spitzenverband haben.

Schließlich geht es um Beitragsgelder, Herr Kollege Bahr. Es sollte auch Ihnen zu denken geben, dass für die Finanzierung von sieben Spitzenverbänden bislang über 350 Millionen Euro an Beitragsgeldern ausgegeben wurden. Hier wollen wir beginnen, zu sparen, damit wir nicht bei den kranken Menschen sparen müssen.

Wir wollen, Frau Bunge, zudem eine Finanzreform, die daran ansetzt, dass die gesetzliche Krankenversicherung eine Solidargemeinschaft ist. Wir wollen, dass in Gesamtdeutschland die Menschen überall eine gute Versorgung haben und dass Krankenkassen, die viele ältere und kranke Menschen als Mitglieder haben, das Geld haben, um die Versorgung sicherzustellen.

Als Letztes: Wir werden die private Krankenversicherung nicht außen vor lassen. Auch sie muss sich dem Wettbewerb stellen und sich an der Versorgung aller beteiligen. Wir werden dafür sorgen, dass die privaten Krankenkassen in Zukunft auch ältere, kranke oder behinderte Menschen versichern. Das ist die große Aufgabe, die wir mit dieser Reform angehen. Das ist eine gute Reform.