Rede der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner,

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Sehr geehrte Damen und Herren Landräte und Bürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Mitstreiter für die Ländliche Entwicklung,
liebe Dorfkinder!

Herzlich Willkommen auf unserem 13. Zukunftsforum für ländliche Räume. Ich bin beeindruckt, der Saal ist voll. Das zeigt: Das Land ist in Bewegung. Es tut sich was, allerorts. Und diese Bewegung geht von Ihnen aus, den Menschen auf dem Land, den Akteuren vor Ort, den ehrenamtlich Engagierten.

Ich bin nicht nur von Berufs wegen viel auf dem Land unterwegs. Ich lebe dort, und zwar gerne! Die Nähe zur Natur, die Nähe zueinander, das gibt es in der Stadt so nicht. Ich lebe auf dem Land, und ich erlebe, dass es zunehmend aufwendiger wird: Der Dorfmetzger macht zu, weil er mit den Dumpingpreisen im Discount nicht mehr mithalten kann oder keinen Nachfolger findet oder beides, die Sparkasse schließt oder der Weg zum nächsten Hausarzt wird immer weiter, weil sich nicht genug jüngeren Ärzte auf dem Land niederlassen wollen.

Durch die Umbrüche, die wir gerade in der Wirtschaft – auch aufgrund der Digitalisierung – erleben, wird das nächste Jahrzehnt in vielerlei Hinsicht herausfordernd für uns alle, in Stadt und Land!

Ich erlebe aber auch etwas anderes, dass Gemeinsinn und ehrenamtliches Engagement eine immer wichtigere Rolle spielen und dass Umbrüche auch als Chancen verstanden und genutzt werden. Ich erlebe Vertreter aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Verbänden. Vielen von ihnen sitzen heute hier, die mit Herzblut die Ländliche Entwicklung vorantreiben, Menschen, die vor Ort etwas bewegen: Bürgermeister, Wirtschaftsförderer, Jugendarbeiter – kurzum: die Macher der Ländlichen Entwicklung.

Genau deshalb haben wir uns in diesem Jahr das "Du entscheidest!" als Motto für unser Zukunftsforum gewählt. Denn darin stecken Eigenverantwortung und Selbstbestimmung. Wir wollen gemeinsam etwas bewegen für gleichwertige Lebensverhältnisse in unserem Land. Wir wollen positive Bilder vermitteln und eine Bühne bieten, für neue und innovative Konzepte der Menschen vor Ort. Der Bund kann Ländliche Entwicklung nur flankieren, gemacht wird sie vor Ort. Und deshalb brauchen die Menschen vor Ort eine aktivierende Politik, die ihr Engagement unterstützt.

Das ist übrigens der Grundgedanke des BULE – unseres Bundesprogramms für Ländliche Entwicklung. Über 1.700 Projekte in ganz Deutschland haben wir bereits mit dem BULE in den vergangenen fünf Jahren unterstützt – ein Riesenerfolg! Die Bundesregierung setzt sich intensiv für die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse ein. In der gleichnamigen Kommission haben wir wesentliche Schlussfolgerungen für den Handlungsbedarf auf Bundesebene erarbeitet und im Sommer 2019 ein Maßnahmenpaket für gleichwertige Lebensverhältnisse beschlossen. Hier geht es nicht um Maßnahmen für wenige Jahre. Hier geht es um Weichenstellungen für das nächste Jahrzehnt und um langfristiges Umsteuern. Wir wollen, dass die 20er Jahre das Jahrzehnt der ländlichen Räume werden.

Dabei muss es auch darum gehen, Dinge wieder aktiv anzugehen und zurückzugewinnen, die in der Vergangenheit zu stark laufen gelassen wurden. Ich meine damit aktive Strukturpolitik für ländliche Räume, auch um die Ballungszentren zu entlasten und die Diskrepanz zwischen Stadt und Land nicht weiterwachsen zu lassen. Es freut mich sehr, dass ich meine Amtskollegen – die Minister Seehofer, Spahn, Scheuer und Altmaier – hierbei an meiner Seite weiß.

Der Bund tut was er kann, nicht nur mit den 1.700 BULE-Projekten, auch mit jährlich 200 Millionen Euro Bundesmittel zusätzlich für die Ländliche Entwicklung in der Gemeinschaftsaufgabe. Wir fassen die konkreten Gesetze an und verstärken dabei den Blick auf die ländlichen Räume: beim Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, beim Regionalisierungsgesetz und beim Personenbeförderungsgesetz im Verkehrsministerium, beim Terminservice- und Versorgungsgesetz, beim Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken und beim Digitale-Versorgung-Gesetz im Gesundheitsministerium, um nur einige Beispiele zu nennen.

Das wünschen wir uns auch von den Ländern, etwa in den Bereichen Bildung, Dezentralisierung oder Raumordnung. Von den Landkreisen, etwa bei der Wirtschaftsförderung und der konkreten Ausgestaltung des öffentlicher Personennahverkehrs (ÖPNV). Und von den Kommunen, etwa bei der Ortsentwicklung, der Schaffung von Begegnungsorten und bei der Unterstützung des Ehrenamtes.

Wir müssen weniger "Schwarzer Peter" spielen, sondern uns selbst mehr in die Pflicht nehmen und diese Aufgaben wirklich als Gemeinschaftsaufgaben ansehen – weil wir etwas erreichen wollen. Und ja, wir brauchen die Grundgesetzänderung zur Erweiterung der Gemeinschaftsaufgabe. Denn dadurch können Bund und Länder gemeinsam dann auch ausdrücklich die Ländliche Entwicklung anpacken. Da bin ich mir im Übrigen mit meinen Kollegen Seehofer und Giffey einig.

Wenn es uns ernst damit ist, das neue Jahrzehnt zur Dekade der ländlichen Räume zu machen, dann ist jede Ebene, jeder einzelne gefragt, natürlich auch ich. Als zuständige Bundesministerin möchte ich Ihnen fünf zentrale Akzente vorstellen.

Erstens Mobilität: Wir stehen vor einer Verkehrswende. Als Bundesregierung müssen wir aufpassen, dass die ländlichen Räume bei diesem Umbruch – unter anderem zur Elektromobilität – nicht hinten runterfallen. Die Bahn will jetzt Strecken reaktivieren. Der Bund stockt die Mittel für den ÖPNV deutlich auf und das jetzt auch außerhalb der Ballungsräume. Die Länder und Landkreise als Träger des ÖPNV müssen diese zusätzlichen Möglichkeiten jetzt nutzen. Über eine Novelle des Personenbeförderungsgesetzes soll es auch Verbesserungen für flexible örtliche Lösungen geben, die den ÖPNV ergänzen. Wir werden das auch mit BULE-Projekten begleiten, bei LandMobil zum Beispiel werden innovative Lösungen gesucht und jetzt gefördert, die dazu beitragen, die Mobilität der Menschen in ländlichen Regionen zu verbessern.

Zweitens Wirtschaft: Das neue gesamtdeutsche Fördersystem macht keine Unterschiede mehr zwischen Ost und West, sondern richtet sich auf strukturschwache Regionen in ganz Deutschland. Wir sind uns in der Bundesregierung einig: Das nächste Jahrzehnt wird das erste Jahrzehnt für Deutschland sein, bei dem nicht mehr die Ost-West-Unterschiede, sondern die Disparitäten zwischen Ballungsräumen und ländlichen Räumen die größte Herausforderung für die Politik darstellen wird. Deshalb wird die Wirtschaftsförderung künftig die demografische Entwicklung unseres Landes stärker berücksichtigen.

Drittens Dorfentwicklung: Der Sonderrahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes "Ländliche Entwicklung" wird 2020 auf 200 Millionen Euro Bundesmittel aufgestockt und so verstetigt. Die Länder müssen diese Mittel aber auch nutzen. Mit den Ländern arbeiten wir daran, noch klarer Schwerpunkte für die Grundversorgung und gegen Gebäudeleerstände zu setzen, damit die Ortskerne lebendig und attraktive sind.

Viertens Ehrenamt: Fakt ist, dass da wo ehrenamtliche Strukturen lebendig sind, die Dörfer weniger Einwohner verlieren als dort, wo diese Strukturen nicht vorhanden sind. Auch deshalb müssen wir gemeinsam das Ehrenamt stärken und dort ausbauen, wo es nicht mehr da ist. Wir wollen das mit der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt umsetzen, bei der ich mir den Vorsitz künftig mit Herrn Seehofer und Frau Giffey teilen werde.      Ich werde dafür sorgen, dass nicht nur der Stiftungssitz, sondern auch der inhaltliche Fokus den ländlichen Raum nie aus dem Blick verlieren wird. Der Auftrag ist klar: Gerade sich neu bildende ehrenamtliche Strukturen sollen Unterstützung und Stärkung erfahren.

Auch im BULE haben wir die Stärkung des Ehrenamts zu einem Schwerpunktthema gemacht: In 18 Landkreisen läuft von 2020 bis 2022 das vom Deutschen Landkreistag und meinem Ministerium gemeinsam initiierte Verbundprojekt "Hauptamt stärkt Ehrenamt". Hier wird modellhaft erprobt, wie auf Landkreisebene Strukturen zur Stärkung des Ehrenamts aufgebaut und nachhaltig verbessert werden können. Das Verbundprojekt wird im Rahmen des Aktionsbündnisses "Leben auf dem Land" umgesetzt.

Fünftens Digitalisierung: Wenn das Land in den Offline-Modus geht, dann geht die Zukunft offline. Mit der Mobilfunkstrategie geht der Bund das mit Milliarden an. Es ist endlich akzeptiert, dass mit flächendeckendem Mobilfunk nicht nur fast alle Haushalte, sondern wirklich auch die Fläche zwischen den Dörfern und Städten gemeint sind. Derzeit wird viel über "Smart Cities" gesprochen und ich denke, dass wir allen Grund dazu haben, auch im positiven Sinne von "Smart Rural Areas" zu sprechen. Dieses positive Bild sollten wir künftig viel stärker betonen!

Mit dem BULE-Projekt "Land.Digital: Chancen der Digitalisierung für ländliche Räume" und den "Smarten LandRegionen" fördert mein Ministerium die Digitalisierung in den ländlichen Räumen – wir schaffen gemeinsam mit Ihnen positive Bilder! In mehreren Fachforen der nächsten beiden Tage wird dies ein wichtiges Thema sein.

Jeder, der auf dem Land großgeworden ist, weiß es: für Kinder ein Paradies, für Jugendliche, naja, geht so: Wie kommen wir hin? Wie kommen wir heim? Das waren in meiner Jugend die großen Fragen, vor denen wir standen. Ich weiß, wie es war. Und deswegen ist mir die Beteiligung der Jugend auch so wichtig. Denn von der Jugend hängt es ab, ob ländliche Räume eine Zukunft haben.

Die Jugendstrategie der Bundesregierung, die wir am 3. Dezember vergangenen Jahres beschlossen haben, ist hier ein wichtiges Signal. Die Jugendlichen in den ländlichen Räumen haben das Recht, mitzugestalten. Sie haben das Recht, gleiche Chance und Möglichkeiten zu haben wie die Jugendlichen in der Stadt. Und sie haben das Recht, dass die Politik ihnen eine gute Bleibe- und Rückkehrperspektive schafft.

Mit dem BULE fördern wir regionale und lokale Projekte, die gezielt die Lebensbedingungen von jungen Menschen verbessern und Jugendbeteiligung stärken. Zum Beispiel in der Land(auf)Schwung-Region im Landkreis Sigmaringen, wo kleinere Kommunen alle 14-Jährigen einladen, ein Jahr lang aktiv ihre Vorstellungen zur Entwicklung der Gemeinde einzubringen.

Und nicht nur die Jugend, alle Generationen in den ländlichen Regionen haben wir im Blick. So fördern wir Projekte, die mit multifunktionalen Angeboten Generationen zusammenbringen. Wie den mobilen generationenübergreifenden Treffpunkt im Landkreis Holzminden. Er ist gleichzeitig Spieltreff für Kinder, Generationencafé und mobiler Jugend- und Cliquentreff. Auf diese Weise kommen auch alte Menschen raus aus der Einsamkeit, die in unserer Gesellschaft immer mehr zum Problem wird.

Unser Zukunftsforum Ländliche Entwicklung ist eine Erfolgsgeschichte. Es lebt vom Austausch und den guten Ideen jedes einzelnen. Aber gute Ideen enden nicht an unseren Landesgrenzen. Deswegen wollen wir ganz bewusst auch über den Tellerrand gucken und sehen, wie es andere machen.

Den Auftakt macht dieses Jahr Österreich. Lieber Herr Fankhauser, willkommen bei unserem Zukunftsforum, schön, dass Sie da sind und das erste internationale Fachforum gestalten. Wir sind gespannt, wie Sie mit Herausforderungen umgehen. Denn das muss ich neidlos zugeben: Die Österreicher wissen schon sehr gut, wie Ländliche Entwicklung funktioniert. Danke, dass Sie uns daran teilhaben lassen.

Unter dem Begriff #Dorfkinder rücken wir in diesen Tagen die Menschen auf dem Land in den Mittelpunkt. Es ist unsere Liebeserklärung an das dörfliche Leben. Und unser Aufruf, es mit zu gestalten, zum Beispiel im Ehrenamt. Auf Twitter hat das zu heftigen Reaktionen geführt. Das ist in Ordnung, aber mein Eindruck war: Die echten Dorfkinder haben das gar nicht mitbekommen. Denn es wurde wieder über die Dorfkinder gesprochen, nicht mit ihnen. Deshalb: Lassen Sie uns das ändern! Zeigen Sie sich. Zeigen Sie ganz konkret, was das Leben auf dem Land für Sie bedeutet.

Ein Mitarbeiter meines Hauses hat mir ganz spontan ein Foto geschickt, das ihn in seinem Dorf zeigt, versehen mit dem Hashtag #Dorfkinder. So ein Statement gehört auch in die sozialen Netzwerke, auf Twitter, Instagram, in die WhatsApp-Gruppen. Es kann ganz einfach sein, sich zu zeigen. Lassen Sie uns alle gemeinsam den Dorfkindern ein Gesicht geben.

Lassen Sie uns die Situation nutzen, um die Debatte zu führen: sachlich, gemeinsam, differenziert – mit dem Ziel, gemeinsam etwas zu erreichen. Denn unsere ländlichen Räume sind in Bewegung. Sie haben sich selbst in Bewegung gesetzt und wir werden gemeinsam dafür sorgen, dass sie in Bewegung bleiben.

Vielen Dank.