Rede der Bundesministerin des Innern und für Heimat, Nancy Faeser,

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Liebe Margot Friedländer!
Sehr geehrter Herr Dr. Schuster!
Sehr geehrter Herr Botschafter, lieber Ron Prosor!
Auch ich darf Sie ganz herzlich von dieser Stelle begrüßen. Wir fühlen uns geehrt, dass Sie da sind.
Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Abgeordnete!
Frau Präsidentin!

„Es wird eine Zeit kommen, wo man […] sich fragt, wie ein bis dahin gesittetes, anständiges Volk sich zu solchen Greueltaten veranlassen konnte.“ Das schrieb der Düsseldorfer Jude Albert Herzfeld im Rückblick auf den 9. November 1938 in sein Tagebuch. Es war ein schwarzer Tag, der Beginn des größten Menschheitsverbrechens der Geschichte, der Shoah. Mehr als sechs Millionen Jüdinnen und Juden fielen ihr zum Opfer. Die Erinnerung an diesen Zivilisationsbruch ist konstitutiv für unseren Staat und unsere Gesellschaft, genau wie das Versprechen „Nie wieder!“.

Niemals darf sich wiederholen, was in diesen zwölf Jahren unserer Geschichte geschehen ist, was Deutschland, was Deutsche getan haben, was sie haben geschehen lassen, wozu sie geschwiegen haben. Diese Lehre bleibt fundamental für die Bundesrepublik Deutschland und ihre Verfassungsordnung. „Nie wieder!“ ist jetzt.

Und genau deshalb dürfen wir nicht wegschauen und schweigen, wenn Jüdinnen und Juden angegriffen und ermordet werden, so wie in Israel am 7. Oktober durch die islamistische Terrororganisation Hamas. Die Terroristen machten kaltblütig Jagd auf Männer, Frauen und Kinder. Ihr Ziel war es, möglichst viele Jüdinnen und Juden zu töten. Die Mörder der Hamas wüteten bestialisch, wahllos, gnadenlos. Noch nie wurden seit der Shoah an einem Tag so viele Jüdinnen und Juden ermordet wie an diesem 7. Oktober. Wir trauern um die Toten, wir fühlen mit ihren Freunden und Angehörigen, wir bangen mit den Geiseln, und wir stehen fest an der Seite Israels. Und ich sage es in aller Deutlichkeit: Dieser Tage darf es kein Aber geben.

Israel hat hier in Deutschland viele Unterstützer und Freunde. Das zeigen auch heute die Anträge der Abgeordneten; ganz herzlichen Dank dafür. Dennoch: Als Gesellschaft müssen wir viel lauter werden. Wir müssen uns dem Hass gegen Jüdinnen und Juden noch deutlicher entgegenstellen. Denn zur Wahrheit gehört auch: Der Terror der Hamas wurde noch am selben Tag auf unseren Straßen gefeiert. Es wurden Gräueltaten gebilligt und sogar bejubelt, antisemitische Parolen skandiert, Einsatzkräfte angegriffen. Hass und Hetze halten seither online wie offline an. Und immer noch droht auch physische Gewalt. Viele Juden wagen es dieser Tage nicht, sich in der Öffentlichkeit als jüdisch zu erkennen zu geben. Wer eine Kette mit Davidstern oder eine Kippa trägt, muss damit rechnen, zum Ziel von Beleidigungen und Übergriffen zu werden.

Nicht einmal vor den Jüngsten macht der neu aufflammende Hass halt. Wenn jüdische Kinder Angst haben müssen, zur Kita oder in die Schule zu gehen, wenn wir strengere Sicherheitskonzepte brauchen, um sie vor Übergriffen auf dem Weg zum Unterricht zu schützen, dann beschämt mich das, und es bricht mir das Herz. Das können und – ich sage das in aller Deutlichkeit an alle, die es hören müssen – das werden wir nicht hinnehmen, aus Respekt gegenüber der Geschichte, aus Verantwortung für die Gegenwart und aus Sorge um die Zukunft. Deshalb halten wir dagegen, deshalb ziehen wir Konsequenzen. Wer Menschen angreift, muss mit der ganzen Härte des Rechtsstaats rechnen. Wer Massenmord rechtfertigt, wer Freiheitsrechte missbraucht, um unmenschliche Straftaten und Hass zu propagieren, kann sich auf den Schutz der Meinungsfreiheit nicht berufen. Nein, diese Menschen begeben sich außerhalb unserer Werte, außerhalb des Rechts, und sie müssen sich dafür auch verantworten.

Unsere Demokratie weiß sich zu wehren. In der letzten Woche ist ein Betätigungsverbot für die Hamas und das Unterstützernetzwerk Samidoun in Kraft getreten. Den deutschen Ableger von Samidoun habe ich aufgelöst. Meine Warnung geht an alle, die mit ihnen sympathisieren: Diese Demokratie, unsere Demokratie toleriert keinerlei Judenhass. Ich kann Ihnen versprechen: Wir arbeiten schon an weiteren Verboten.

Denn 2023 ist nicht 1938. Wir stehen allen zur Seite, die von Antisemitismus, Hetzpropaganda und Gewalt betroffen sind. Heute können die angegriffenen Jüdinnen und Juden auf die Hilfe des Staates zählen, in dem sie leben.

Auch als gesamte Gesellschaft sind wir jetzt gefordert. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, Jüdinnen und Juden in Deutschland zu schützen. Jeder Angriff auf sie ist ein Angriff auf unsere freie Gesellschaft.

Wir nehmen sehr ernst, welche Gefahr aktuell von Unterstützern des Hamasterrors in Deutschland ausgeht. Unsere Sicherheitsbehörden beobachten deshalb genau, wie sich die Lage entwickelt. Wir hören, wie groß die Angst in den jüdischen Gemeinden ist. Deshalb halten wir auch engen Kontakt, lieber Herr Dr. Schuster, zum Zentralrat der Juden.

Als Reaktion auf den Hamasangriff vor einem Monat haben wir die Sicherheitsmaßnahmen in Deutschland umgehend überall hochgefahren. Die Behörden von Bund und Ländern arbeiten gemeinsam daran, jüdischen und israelischen Einrichtungen noch besseren Schutz zu bieten.

Dass sich die Sicherheitsbehörden auf Landesebene mit den jüdischen Gemeinden austauschen, unterstützen wir ausdrücklich. Dafür danke ich meinen Kolleginnen und Kollegen in den Ländern. Vor allen Dingen geht mein herzlicher Dank an die vielen Einsatzkräfte der Polizei, die jüdische und israelische Einrichtungen dieser Tage schützen.

Der 7. Oktober ist eine Zäsur. Seine Folgen betreffen uns alle. Einfach weiterzumachen wie bisher, das wird nicht gehen. Denn Antisemitismus, egal von welcher Seite, ist ein Angriff auf die Würde der Menschen. Ihn zu bekämpfen, ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Sie geht uns alle an. Deutschland ist ein Land der Freiheit und des Rechts. Seien wir alle einig darin, diese wichtigen Werte zu verteidigen.

Deshalb ist es so wichtig, dass wir gerade jetzt und mehr denn je jüdisches Leben in Deutschland stärken und fördern. Ein Schritt auf diesem Weg ist der Ehrenamtspreis für jüdisches Leben, den wir im vergangenen Jahr erstmalig verliehen haben. An dieser Stelle geht mein ganz herzlicher Dank – und er ist auch im Antrag enthalten – an den Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Dr. Felix Klein, dafür, dass er diesen besonderen Preis ausgelobt hat, aber vor allen Dingen für seine wertvolle engagierte Arbeit, die dieser Tage wichtiger denn je ist. Lieber Herr Dr. Klein, lassen wir alle das jüdische Leben in Deutschland noch sichtbarer werden – als Schimmer der Hoffnung in diesen dunklen Tagen.

Wir stellen uns gemeinsam gegen Antisemitismus, Hass und Gewalt. Wir stehen zusammen, und wir sind lauter als diejenigen, die Hass verbreiten.

Vielen Dank.