Rede der Bundesministerin des Auswärtigen, Annalena Baerbock,

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Unser Frieden ist verletzlich. Unsere Freiheit ist kostbar. Unsere Sicherheit ist nicht selbstverständlich. Das sind entscheidende Einsichten, die wir in Deutschland aus dem letzten Jahr gezogen haben, aus Russlands brutalem Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dieser Krieg hat unser Land und ganz Europa in eine neue, gefährlichere Zeit katapultiert.

Es gibt einige, die sagen: Dieser Krieg zeigt, dass es in der Außenpolitik nur Macht und Interessen gibt – und von Werten zu reden ist naiv. Ich bin überzeugt: Das Gegenteil ist der Fall. Gerade wegen Russlands Krieg braucht deutsche Außenpolitik heute eine noch klarere Haltung. Einen Wertekompass aus Freiheit und Demokratie, aus der UN-Charta und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Vielleicht hat Andrew Young, als er dieses Zentrum vor 25 Jahren mitinitiiert hat, auch an die Worte seines Weggefährten Martin Luther King gedacht, der einmal gesagt hat: „Wer das Böse widerspruchslos hinnimmt, der unterstützt es in Wirklichkeit.“

Deshalb konnten wir bei Russlands Angriffskrieg nicht neutral bleiben. Deshalb wollten und werden wir nicht wegschauen. Wir mussten und wir wollten uns entscheiden: für das Recht und gegen das Unrecht, für die Freiheit und gegen die Unterdrückung.

Gemeinsam mit unseren Partnern stehen wir an der Seite des Opfers – der Menschen in der Ukraine und des ukrainischen Staats: finanziell, diplomatisch und ja – mit Waffen zur Selbstverteidigung, solange wie nötig.

Und ja, natürlich arbeiten wir jeden Tag daran, dass dieser Krieg endlich endet. Jeden Tag fragen wir uns: Was können wir noch tun? Aber zur Ehrlichkeit gehört auch – und das muss man aussprechen, um das Böse nicht zu unterstützen, indem man Dinge vereinfacht: Einen Frieden, der die Unterwerfung der Ukraine voraussetzt, werden wir nicht akzeptieren.

Ein Diktatfrieden wäre eine Manifestierung der Unfreiheit und würde nur noch mehr Tod und Leid für die Menschen in der Ukraine bringen – und eben keinen Frieden in Freiheit.

Gleichzeitig bedeutet eine klare Haltung in der Außenpolitik nicht, dass Deutschland alles besser weiß und anderen Lektionen erteilt. Nein – wertegeleitete Außenpolitik zu machen heißt, dass wir anderen zuhören und ihre Sichtweisen reflektieren, anderen auch einmal Recht geben, mit Rückgrat und klarer Haltung zu sagen: Ja, wir hatten in der Vergangenheit auch Unrecht. Ja, auch wir haben etwas falsch gemacht. Aber genau deswegen wollen wir es gemeinsam in der Zukunft besser machen.

Wertegeleitete Außenpolitik stellt sich Dilemmata. Erst recht, wenn wir sehen, dass es schnelle und einfache Lösungen nicht geben wird. Das gilt für den mutigen Kampf der Iranerinnen und Iraner für ihre Freiheit. Das Dilemma hier ist: Diesen Kampf können sie nur selbst führen und gewinnen. Aber was wir tun können ist, ihnen zur Seite zu stehen und ihre legitimen Forderungen nach fundamentalen Rechten unterstützen. Solange es das braucht. Und genau deswegen machen wir weiter mit gezielten Sanktionen, machen Druck auf die Verantwortlichen im iranischen Regime.

Und denjenigen, die sagen: „Aber ihr habt noch nichts erreicht – das sollte man sein lassen mit der feministischen Außenpolitik“ – denen sage ich klar: Nein – wenn wir noch nichts erreicht haben, dann müssen wir weitermachen – aber doch nicht das Ziel aus den Augen verlieren! Denn wertegeleitete Außenpolitik heißt, dicke Bretter zu bohren.

Wertegeleitete Außenpolitik heißt auch, dass Deutschland seine globale Verantwortung wahrnimmt als reiches Industrieland. Das sage ich vor allem mit Blick auf die Klimakrise. Denn es sind gerade die Länder – das ist mittlerweile zum Glück allseits bekannt –, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, die heute am meisten unter Dürren, Hitze und Fluten leiden.

Bei alledem ist mir eines besonders wichtig – etwas, das auch Sie im Zentrum für Globale Ethik in Ihrer Arbeit betonen: Unsere Werte und unsere Interessen widersprechen sich nicht. Im Gegenteil, sie sind zwei Seiten einer Medaille. Die Einhaltung unserer Werte ist unser allergrößtes Interesse, auch wirtschaftlich.

Denn wenn wir der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen den Aggressor beistehen, dann rettet das Menschenleben. Aber es dient auch unserem Interesse an einer Welt, in der alle Staaten das Völkerrecht respektieren.

Wenn wir den europäischen Binnenmarkt für Produkte aus Zwangsarbeit sperren, dann schützt das Millionen Kinder, Frauen und Männer – und es schützt unsere Unternehmen hier in der Europäischen Union, vor unfairer Konkurrenz, vor unfairem wirtschaftlichen Wettbewerb.

Und wenn wir uns mit einer feministischen Außenpolitik dafür einsetzen, dass Frauen weltweit in Friedensprozessen, auf Arbeitsmärkten und in Parlamenten gleichberechtigt teilhaben, dann fördern wir damit nachhaltigen Frieden und Stabilität in der Welt. Und wir sorgen für mehr Sicherheit, denn Friedensabkommen halten länger, wenn Frauen mit am Tisch sitzen.

All diese Beispiele zeigen: Zeitenwende heißt auch, was Hans-Dietrich Genscher einmal gesagt hat: „Keine Macht der Welt kann Menschenwürde und Freiheit auf Dauer stoppen.“ Auch oder gerade wenn es dafür einen langen Atem braucht.

Dafür stehen wir als Bundesregierung ein mit unseren Partnern in der Welt und vor allen Dingen in der Europäischen Union. Und dafür haben wir zum ersten Mal eine Nationale Sicherheitsstrategie geschrieben: Mit einer klaren Haltung, einem klaren Kompass, im Einklang mit unseren Werten und unseren Interessen, im Spiegel der Wirklichkeit.

Und ich glaube, in genau diesem Sinne haben damals Hans-Dietrich Genscher und Andrew Young auch das Wittenberg-Zentrum für Globale Ethik initiiert. Weil wir als Politikerinnen und Politiker den klugen Rat der Wissenschaft und von Expertinnen und Experten wie Ihnen brauchen. Um dem Bösen zu widersprechen, damit man es durch Schweigen nicht unterstützt.

Zu Ihrem 25-jährigen Bestehen gratuliere ich Ihnen sehr herzlich – und wünsche Ihnen heute gute Diskussionen.