Rede der Bundesministerin des Auswärtigen, Annalena Baerbock,

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So hart und furchtbar die letzten sechs Monate waren, so stolz und dankbar können wir nicht nur darüber sein, die Menschen in der Ukraine und auch unsere Friedensordnung verteidigt zu haben, sondern auch darüber, wie unser Land, vor allen Dingen die Menschen in diesem Land, zusammengestanden haben und ohne Wenn und Aber Solidarität für diejenigen gezeigt haben, die aus der Ukraine flüchten mussten. Dieser Zusammenhalt, diese Geschlossenheit, das war und ist unsere gemeinsame Stärke.

Und ja, ich habe heute Morgen in der Debatte sehr genau zugehört. Da klangen ja auch so ein paar Zwischentöne an, und manche haben es deutlich ausgesprochen: Tun wir genug, und zwar in jeder Minute, um für den Frieden diplomatisch zu kämpfen? Ja, wir probieren das, jede Minute! Aber wir müssen uns gerade auch angesichts des Gedenkens an Michail Gorbatschow vergegenwärtigen, dass wir in dieser Situation nicht mit Michail Gorbatschow verhandeln, sondern mit dem russischen Präsidenten.

Es geht in diesen Zeiten darum, Menschenleben zu retten. Es geht in diesen Zeiten nicht darum, ob die deutsche Außenministerin eine Headline hat, weil sie auch mal mit jemandem in Russland telefoniert hat. Deswegen haben wir all unsere diplomatische Kraft in diesen sechs Monaten dafür eingesetzt, Menschenleben zu retten – hinter den Kulissen, über die Vereinten Nationen, weil sie in diesen Zeiten der einzige Schlüssel sind, der uns überhaupt nur einen Millimeter in Richtung Frieden bewegen kann.

Daher unterstütze ich, unterstützt mein Team, unterstützt die deutsche Bundesregierung, unterstützt der deutsche Bundeskanzler vor allen Dingen die Organisationen, die überhaupt noch Zugang haben: das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, um humanitäre Fluchtkorridore zu ermöglichen, die IAEO, um zu gewährleisten, dass es nicht noch eine Nuklearkatastrophe gibt. Das ist Diplomatie, die wirkt. Nicht schnelle große Schlagzeilen, sondern hinter den Kulissen zu arbeiten für die Menschen; denn es geht allein um die Menschenleben, die hier gefährdet sind.

Wir leben zum Glück in einem freien Land, wo jeder sagen kann, was er will, demonstrieren kann, für wen oder was oder gegen wen oder was er will. Aber ich bitte Sie: Lassen Sie uns es dem russischen Regime nicht so einfach machen, in diesen Momenten unsere größte Stärke anzugreifen. Und das ist unser Zusammenhalt; das ist der Moment, in dem wir gemeinsam stehen.

Ich finde es wirklich mehr als zynisch – es passiert ja nicht nur am heutigen Tag bei Social Media, dass einige Akteure etwas zwar nicht im Hohen Haus sagen, es aber ganz, ganz schnell auf Facebook oder Twitter verbreiten –, Menschen, die sich in Deutschland Sorgen darüber machen, wie sie ihre Strom- oder Gasrechnung bezahlen können, gegen Menschen in Afrika auszuspielen, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder in den nächsten Tagen versorgen können. Oder auch Gasrechnungen auszuspielen gegen ukrainische Mütter und Kinder, die jeden Tag nichts sehnlicher erhoffen, als endlich ihre Ehemänner wieder in die Arme zu schließen. Das halte ich, ehrlich gesagt, für mehr als zynisch.

Das ist keine Menschenrechtspolitik, sondern das ist Unterstützung für denjenigen, der hier nicht nur die Ukraine angreift, sondern die regelbasierte internationale Ordnung. Wir müssen uns vergegenwärtigen: Dieser Krieg wird auf verschiedenen Ebenen gespielt – nicht nur mit Waffen, nicht nur mit Gas und Öl, sondern auch mit Lügen und falschen Narrativen.

Und ja, da werden Videos sinnentfremdend zusammengeschnitten. Es gehört irgendwie zu unserem Job dazu, das aushalten zu können. Deswegen appelliere ich so eindringlich an alle, die an internationales Recht, die an die Stärke des Rechts und nicht an das Recht des Stärkeren glauben: Fallen Sie darauf nicht rein, sondern werben Sie dafür, dass wir es gemeinsam erkennen! Denn heute trifft diese Propaganda jemanden von uns, und morgen trifft sie andere, die schwächer sind als wir.

Wir haben das doch schon mal erlebt zu den Zeiten, als viele Millionen Flüchtlinge nach Europa gekommen sind. Da sind ehrenamtliche Bürgermeister zurückgetreten, weil sie gesagt haben: Wir können das nicht mehr ertragen.

Das ist der Moment, wo wir gemeinsam zusammenstehen müssen, und zwar beginnend ganz oben bei denjenigen hier im Parlament, die alle Mittel haben, die alle Kanäle haben, die alle Öffentlichkeit haben, dieser falschen Propaganda entgegenzutreten.

Und das heißt eben nicht nur, Fake News entgegenzutreten, sondern – und ja, das ist die Aufgabe der Deutschen Bundesregierung – auch, denjenigen, die sich zu Recht sorgen machen: „Was passiert in diesem Winter? Was passiert, wenn ich die Stromrechnung nicht bezahlen kann?“, zu helfen über ein soziales Entlastungspaket.

Das haben wir heute eindringlich diskutiert. Aber dass wir uns nicht spalten lassen heißt eben auch, dass dieser Zusammenhalt nicht nur nach innen gilt, sondern vor allem nach außen gilt.

Deswegen wird es nicht reichen, wenn EU, Nato und G7 in den nächsten Monaten weiterhin so geschlossen zusammenstehen wie bisher, sondern es geht auch darum, dass die 141 Staaten – und, ehrlich gesagt, werden es mehr und nicht weniger, wenn wir hinter den Kulissen reden – weiter zusammenstehen können.

Daher ist so wichtig, dass im Entlastungspaket mit der einen Milliarde Euro für globale Ernährung, aber erst recht in diesem Haushalt deutlich gemacht wird: Jetzt, wo unsere europäische Friedensordnung angegriffen wird, unterstützen wir erst recht international diejenigen, die am meisten Unterstützung brauchen.

Ich möchte an dieser Stelle auch sagen – darüber haben wir heute auch im Auswärtigen Ausschuss diskutiert –, dass es mir sehr wichtig ist, dass wir es uns im Sahel nicht zu einfach machen.

Ich kann auf der einen Seite als deutsche Außenministerin, als Bundesregierung, aber eigentlich auch als gemeinsames Europa nur schwer an andere Länder appellieren: „Bitte, helft uns bei der Verteidigung unserer europäischen Friedensordnung“, wenn ich gleichzeitig sage: Aber wir haben gerade nicht genügend Kraft oder Ressourcen, uns weiter im Sahel zu engagieren. In einer vernetzten Welt hängt alles miteinander zusammen.

Ja, die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten ist zentral. Aber es ist eben auch zentral, dass wir gerade in diesem Moment verlässliche Partner sind, und auch daran arbeiten wir gemeinsam.

In diesem Sinne möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die konstruktiv überlegen: Wie können wir in diesen Zeiten, in denen wir priorisieren müssen, klare Prioritäten setzen bei der humanitären Hilfe, aber auch bei der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik?

Auch hier nehme ich sehr genau wahr, was einige von Ihnen mir mitgegeben haben: Passen Sie auf, dass das Geld nicht deutlich weniger wird. Das bedeutet aber insgesamt, dass wir uns vor Augen führen müssen, dass in einer der größten außenpolitischen Krisen nicht im Außenbereich und auch nicht bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gekürzt werden darf, sondern dass wir in diesen Bereichen entsprechende Etats auch in Zukunft sicherstellen müssen.

Ein Außenministerkollege vom afrikanischen Kontinent hat es mir sehr deutlich gesagt: Wir brauchen keine Partner, die uns nur gefallen wollen. Wir wollen überzeugte Partner haben. Überzeugen können wir nur, wenn wir weiter zusammenarbeiten, nicht nur zwischen den Außenministerien, sondern in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, in Forschungslaboren und in Journalisteneinrichtungen.

Jetzt ist der Moment, wo wir international zusammenstehen müssen. Jetzt ist der Moment, gemeinsam für eine Welt zu kämpfen, in der Regeln und Recht gelten und nicht Macht, Lügen und Willkür. Das ist auch der beste Schutz für unsere Demokratie und einen starken Sozialstaat.

Herzlichen Dank.