recht und gerechtigkeit im freiheitlich-demokratischen rechtsstaat - ansprache des bundeskanzlers auf dem deutschen juristentag in hannover

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bundeskanzler dr. helmut kohl hielt auf der eroeffnungsveranstaltung
des 59. deutschen juristentages am 15. september
1992 in hannover folgende ansprache:

i.
herr praesident des deutschen juristentages,
herr ministerpraesident,
herr praesident des bundesverfassungsgerichts,
herr oberbuergermeister,
meine sehr verehrten damen und herren!

es ist fuer mich eine grosse freude, dass ich auf dem
ersten gesamtdeutschen juristentag nach 61 jahren
heute zu ihnen sprechen kann, und ich moechte ihnen
vorab die herzlichen gruesse und die guten wuensche
der bundesregierung zu dieser tagung uebermitteln.
seit nunmehr fast zwei jahren leben alle deutschen
endlich unter dem dach des grundgesetzes zusammen
- in dem freiheitlichsten gemeinwesen der deutschen
geschichte. die erfahrungen dieses jahrhunderts
lehren uns eindringlich, welch kostbares gut diese
gemeinsame freiheit ist. es ist die vornehmste und
wichtigste aufgabe des rechts, sie zu schuetzen.
die abkehr von dieser grundlegenden einsicht hat
den menschen in unserem land und in europa nur leid
und unglueck gebracht. dies ist die lehre aus den
jahren der nationalsozialistischen gewaltherrschaft.
dies ist aber auch die lehre aus den jahrzehnten
der sed-diktatur, denn in der ddr waren gesetzgebung,
verwaltung und rechtsprechung dem willen und der
willkuer einer partei unterworfen, die fuer sich in
anspruch nahm, "immer recht" zu haben.
meine damen und herren, seit dem letzten juristentag
in muenchen im september 1990 sind fuer die politik
neue aufgaben in den vordergrund getreten. dasselbe
gilt aber auch fuer viele andere bereiche, die im
oder fuer den rechtsstaat von bedeutung sind. ich
begruesse es deshalb sehr, dass sie sich am heutigen
nachmittag ausfuehrlich mit den rechtlichen problemen
der deutschen einheit befassen. sie wissen, dass
wir uns im rahmen der bundesregierung, aber auch
in gespraechen mit den laendern, den gemeinden und
den gesellschaftlichen gruppen gerade in diesen
tagen sehr intensiv mit eben diesen fragen beschaeftigen.
wir alle haben, was gesetzgebung und die anwendung
von gesetzen und verordnungen angeht, in den letzten
zwei jahren viel dazugelernt. ich hoffe sehr auf
viele gute ratschlaege aus ihrem kreis. manches von
dem, was ich fuer wichtig halte, haben sie ja bereits
angesprochen, herr praesident franzki. es freut mich,
wenn meine appelle von ihrer seite unterstuetzung
erhalten.
es gilt jetzt, gemeinsamkeit zu ueben bei einer wichtigen
aufgabe, die politiker und juristen gleichermassen
in die pflicht nimmt - unabhaengig davon, auf welcher
ebene oder in welchem bereich sie taetig sind. gemeinsam
stehen wir in der verantwortung, den menschen den
wert des rechtsstaates verstaendlich zu machen.
dies gilt heute ganz besonders fuer die menschen
in den neuen bundeslaendern. aber es gilt nicht nur
fuer sie. die allermeisten von denen, die ihr leben
in der ddr verbracht haben, leben seit 1990 zum
ersten mal in einem demokratischen rechtsstaat.
hieran knuepfen sich hohe - manchmal zu hohe - erwartungen.
besonders nachdenklich macht mich die bemerkung
von frau baerbel bohley, die gesagt hat: "wir haben
gerechtigkeit erwartet und den rechtsstaat bekommen."
ich kann die gefuehle, die in diesen worten zum ausdruck
kommen, gut verstehen. wir alle muessen sie sehr
ernst nehmen und daraus auch konsequenzen ziehen.
die menschen in den neuen bundeslaendern spueren in
besonderem masse die notwendigkeit, mit der geschichte
auch die menschliche schuld aus ueber vier jahrzehnten
diktatur aufzuarbeiten. sie haben im herbst 1989
die fesseln des unrechtsstaats abgeworfen und den
aufbau des rechtsstaats begonnen, um gerechtigkeit
zu erlangen. schon deshalb ist es nicht zulaessig,
gerechtigkeit und rechtsstaatlichkeit in einen gegensatz
zueinander zu bringen.
wahr ist allerdings, dass die herstellung von gerechtigkeit
und die aufarbeitung von unrecht keine aufgabe ist,
die staatliche organe alleine leisten koennen. wir
duerfen den rechtsstaat nicht ueberfordern.
es geht um eine herausforderung, die uns alle angeht
- die gesetzgebung, die politik, die verwaltung
und rechtsprechung, die rechtswissenschaft, die
historiker, alle bereiche unserer gesellschaft.
ueber das moralische versagen einzelner kann kein
gericht befinden. die rechtsprechung ist vielmehr an
die strengen voraussetzungen rechtlicher normen gebunden.
und das ist gut so. aber es wird vielerorts, wie
wir wissen, nicht verstanden. wir muessen immer wieder
verstaendnis dafuer wecken, dass dem rechtsstaat grenzen
gesetzt sind, die dem spontanen rechtsempfinden vieler nicht
immer entsprechen.
wir muessen akzeptieren, dass der rechtsstaat mit
dieser selbstbindung auch diejenigen schuetzt, die
es moralisch vielleicht gar nicht verdienen. diese
beschraenkung schuetzt uns alle, und sie schuetzt den
rechtsstaat selbst: ohne sie ist rechtssicherheit
und damit rechtsstaatlichkeit nicht denkbar.
ich habe bei gustav radbruch einen gedanken gefunden,
den er im jahr 1946 formuliert hat. aus der erfahrung
seines lebens im dienste des rechts und unseres
vaterlandes hat er in einer situation, die nicht
in allem mit der heutigen vergleichbar ist, aus
der wir aber vieles lernen koennen, geschrieben:
"wir haben die gerechtigkeit zu suchen, zugleich
die rechtssicherheit zu beachten, da sie selber
ein teil der gerechtigkeit ist, und einen rechtsstaat
wieder aufzubauen, der beiden gedanken nach moeglichkeit
genuege zu tun hat. demokratie ist gewiss ein preisenswertes
gut, rechtsstaat aber ist wie das taegliche brot,
wie wasser zum trinken und wie luft zum atmen, und
das beste an der demokratie gerade dieses, dass nur
sie geeignet ist, den rechtsstaat zu sichern."

ii.
ein politisches thema, das juristen naturgemaess in
ganz besonderem masse bewegt, ist die gegenwaertige diskussion
um die aenderung unserer verfassung. diese diskussion ist
notwendig, beispielsweise im hinblick auf die schaffung der
europaeischen union, aber auch als konsequenz der
wiedervereinigung deutschlands.
ausgangspunkt all dieser ueberlegungen muss sein,
dass es keinen grund fuer eine generalrevision unserer
verfassung gibt. das grundgesetz hat sich in ueber
vier jahrzehnten bestens bewaehrt. auch die grosse
mehrheit der menschen in der damaligen ddr hat sich
fuer das grundgesetz entschieden. dieser wille wurde
durch den beitritt der ddr zur bundesrepublik vollzogen.
wir muessen unser grundgesetz mit aller behutsamkeit
fortentwickeln und unsere staatliche ordnung vor
unnoetigen oder gar gefaehrlichen experimenten schuetzen.
ich sehe die notwendigkeit, unser grundgesetz zu
aendern, vor allem auf folgenden gebieten:

erstens: kernstueck der europabedingten grundgesetzaenderungen
ist die einfuegung eines neuen europaartikels in
unsere verfassung. durch diesen zukuenftigen artikel
23 werden die foederativen interessen der laender
gesichert und die elementaren prinzipien unserer
gesamtstaatlichen ordnung als ziel fuer die europaeische
union festgeschrieben.

zweitens: eine weitere notwendige verfassungsaenderung
betrifft die regelung des asylrechts im grundgesetz.
ich erwaehne die diskussion um den artikel 16. wenn
man - mit allem bedacht - ueber verfassungsaenderungen
spricht, muss man auch ueberlegen, wie haetten die
vaeter und muetter des grundgesetzes in unserer situation
entschieden.
es liegt doch ausserhalb jeden zweifels, dass ein
mann wie carlo schmid - um nur den einen zu nennen
-, wenn er im politischen alltag damals vor der
frage gestanden haette, die wir jetzt zu entscheiden
haben, eine formulierung gewaehlt haette, die heute
eine verfassungsaenderung nicht notwendig machen
wuerde.
wir werden selbstverstaendlich auch in zukunft in
deutschland politisch, rassisch oder religioes verfolgten
schutz und asyl gewaehren. es ist doch kein zufall,
dass ausgerechnet der parlamentarische rat, der mehr
als jede andere parlamentarische versammlung in
der deutschen geschichte erfahrungen mit diktatur
und barbarei zu verarbeiten hatte, dieses recht
im grundgesetz verankert hat.
die vaeter und muetter unserer verfassung haben nicht
zuletzt auf grund der bitteren erfahrungen unter
der nationalsozialistischen gewaltherrschaft das
asylrecht als elementares gebot der menschlichkeit
betrachtet. dies ist und bleibt auch meine ueberzeugung.
in dem ab 1. januar 1993 bestehenden europa der
offenen grenzen kann es aber fuer die loesung von
problemen wie dem der politischen verfolgung und
der weltweiten wanderungsbewegungen keine nationalen
antworten mehr geben. vielmehr bedarf es dazu gemeinsamer
europaeischer anstrengungen. hierfuer muessen wir die
nationalen voraussetzungen schaffen. ohne eine entsprechende
anpassung unseres asylrechts wird es kein einheitliches
europaeisches asylrecht oder auch nur eine harmonisierung
des asylrechts in europa geben.
sie kennen meine auffassung, dass die aenderung des
asylrechts im grundgesetz schon laengst haette geschehen
koennen und geschehen muessen. nahezu alle, die auf
kommunaler ebene fuer die unterbringung der asylbewerber
verantwortung tragen - und das gilt quer durch alle
parteien -, draengen zu recht auf eine solche entscheidung.
es schadet dem ansehen des staates, wenn die menschen
den eindruck haben, er sei unfaehig oder nicht gewillt,
die probleme zu loesen, die ihnen auf den naegeln
brennen. auch darum geht es, wenn ich seit langem
mit nachdruck auf eine einigung in dieser wichtigen
frage draenge.
mit ebenso grossem nachdruck wiederhole ich aber
zugleich, was ich in den vergangenen tagen und wochen
mehrfach oeffentlich erklaert habe: es gibt nicht
die geringste rechtfertigung fuer auslaenderfeindliche
ausschreitungen, wie wir sie in den vergangenen
wochen immer wieder erlebt haben. es darf keinen
beifall geben fuer solche akte der barbarei. sie
sind eine schande fuer unser land, und so empfindet
es auch die grosse mehrheit der deutschen.
ich moechte aber in diesem zusammenhang auch der
verschiedentlich zu hoerenden auffassung entgegentreten,
solche erscheinungen seien so typisch fuer die neuen
bundeslaender. dies ist zutiefst ungerecht. das,
was wir im osten erlebt haben, ist leider auch im
westen deutschlands moeglich und auch schon vorgekommen.
deswegen ist es wichtig, dass wir alles dafuer tun,
um dem rechtsstaat auch denen gegenueber geltung
zu verschaffen, die auslaenderhass schueren, haeuser
in brand setzen und leib und leben von menschen
gefaehrden. diese vorgaenge muessen uns auch mahnung
sein, die polizei bei ihrem vorgehen gegen radikale
gewalttaeter von rechts und von links nachhaltig
zu unterstuetzen. die erfahrungen von weimar zeigen,
dass beides, extremismus von rechts wie von links,
toedlich ist fuer die demokratie.

drittens: die internationale verantwortung der bundesrepublik
deutschland ist gewachsen. dem entspricht aber auch
eine hoehere erwartung der voelkergemeinschaft an
uns deutsche. unsere verantwortung laesst sich nicht
auf die bereitschaft zur teilnahme an blauhelmaktionen
der uno reduzieren. wir muessen bereit sein, alle
pflichten zu uebernehmen,
die sich aus unserer mitgliedschaft in den vereinten
nationen ergeben.
wenn wir ehrlich sind, muessen wir zugeben, dass wir
uns in ueber vierzig jahren mit dem argument der
teilung deutschlands recht bequem eingerichtet haben
im blick auf unsere internationale verantwortung.
niemand erwartet heute von uns ungewoehnliche taten,
aber fast alle ausserhalb der deutschen grenzen erwarten
von uns, dass wir in der voelkergemeinschaft unsere
pflicht tun.

viertens: wir sollten in unserer verfassung zum
ausdruck bringen, dass fuer die bundesrepublik deutschland
die bewahrung der schoepfung ein herausragendes staatsziel
ist. das gilt schon jetzt sowohl national als auch
im hinblick auf unseren beitrag zu einer weltumspannenden
umweltpartnerschaft.
das ozonloch ueber der antarktis oder die vernichtung
der tropischen regenwaelder ruehren an den lebensnerv
aller voelker. deshalb muessen wir uns dafuer einsetzen,
dass das thema "umwelt und entwicklung" auf der tagesordnung
der internationalen politik bleibt. auf der vn-konferenz
in rio de janeiro im juni dieses jahres sind wir
hierbei ein gutes stueck vorangekommen. von dieser
konferenz ist eine wichtige botschaft ausgegangen
- die botschaft der solidaritaet, der gleichberechtigten
partnerschaft aller voelker und der gemeinsamen verantwortung
fuer die eine welt.
meine damen und herren, im rahmen der debatte ueber
die aufnahme neuer staatszielbestimmungen in unsere
verfassung werden aber auch vorschlaege diskutiert,
deren verwirklichung ich weder fuer notwendig noch
fuer wuenschenswert halte. mit seinem weitestgehenden
verzicht auf staatsziele gibt das grundgesetz dem
parlament einen weiten gesetzgeberischen gestaltungsspielraum.
diesen zustand sollten wir so weit wie moeglich erhalten.
es waere falsch und wuerde den demokratiegedanken
in unserer verfassung erheblich schwaechen, wenn
entscheidungen noch mehr als bisher von den parlamenten
auf die gerichte verlagert wuerden, die zu entscheiden
haetten, ob eine bestimmte politik einem staatsziel
gerecht wird oder nicht. unser grundgesetz ist ein
hohes gut. seien wir uns dessen bewusst, wenn wir
ueber die fortschreibung unserer verfassung sprechen.

iii.
der deutsche juristentag hat nach dem ende des zweiten
weltkriegs den aufbau der jungen bundesrepublik
deutschland mit konstruktiver kritik begleitet.
in den vergangenen zwei jahren haben juristen aus
den alten laendern in grossem umfang partnerschaftliche
hilfe fuer den aufbau in den neuen bundeslaendern
geleistet. sie tun dies bis auf den heutigen tag.
viele bekommen dabei nicht allzuoft ein wort des
dankes zu hoeren. diese aufbauhilfen durch juristen
aus dem westen sind unentbehrlich. ich will auch
an dieser stelle fuer diesen grossen einsatz meinen
dank aussprechen.
unser besonderes interesse gilt dem juristischen
nachwuchs in den neuen bundeslaendern. dort gibt
es ueberall einen grossen mangel an juristen. an diejenigen
unter ihnen, die als rechtslehrer taetig sind, richte
ich den appell: wecken und erhalten sie bei ihren
studenten die freude am recht, helfen sie ihnen
zu verantwortlichem umgang mit dem recht und foerdern
sie die bereitschaft und den mut, verantwortung
in unserem gemeinwesen zu uebernehmen.

iv.
es gibt fuer uns heute keine vernuenftige alternative
zu einer politik, die auf den immer engeren zusammenschluss
der europaeischen voelker und nationen setzt. auf
sich allein gestellt ist schon heute kein europaeischer
staat mehr in der lage, die grossen herausforderungen
an der schwelle zum 21.jahrhundert zu bestehen -
politisch und oekonomisch.
wir haben es heute in der hand, das geeinte europa
zu vollenden. nach der ueberwindung von ost-west-konflikt
und kaltem krieg bietet sich die chance, mit allen
voelkern und nationen europas eine dauerhafte europaeische
friedensordnung zu schaffen. wichtigster baustein
muss die europaeische union sein, die wir mit dem
vertrag von maastricht schaffen wollen.
wir alle wissen, dass es eine blanke illusion ist
zu glauben, dass eine wirtschaftsgemeinschaft in
europa fuer sich allein zukunft hat. eine
waehrungs- und wirtschaftsunion ohne eine politische union
wird auf dauer nicht existenzfaehig sein. aus diesem
grunde brauchen wir alle in europa - und wir deutschen
mehr als alle anderen - die politische union.
wir muessen dabei auch und vor allem eines tun: jenen
kraeften im in- und ausland widerstehen, die die
deutschen wieder isoliert sehen wollen. fuer mich
ist klar, dass der weg des wiedervereinten deutschland
in ein vereintes europa die einzige wirkliche chance
fuer dauerhaften frieden und gesicherte freiheit
unseres landes und europas ist.
dass die heutige eg nicht das ganze europa sein kann,
ist unbestritten. wir befuerworten deshalb nachdruecklich
einen moeglichen beitritt der efta-laender zur europaeischen
union, und ich hoffe, dass eine ganze reihe von ihnen
schon im jahre 1995 diesen beitritt vollziehen.
ich denke dabei insbesondere, herr minister michalek,
an unsere oesterreichischen nachbarn. auch fuer polen,
ungarn, tschechen und slowaken oder spaeter auch
fuer die staaten des baltikums muss auf dauer die
zugehoerigkeit zur union moeglich sein, wenn sie dies
wuenschen und wenn sie die notwendigen politischen
und oekonomischen voraussetzungen erfuellen.
vertiefung der integration und erweiterung der gemeinschaft
muessen hand in hand gehen. es gibt hier kein "entweder-
oder" sondern nur ein "sowohl-als-auch". es gibt in europa
kraefte, die die erweiterung wollen, um die vertiefung
zu vermeiden. dies kann nicht unsere politik sein.
deshalb haben wir in maastricht den grundstein zu einer
immer staerker demokratisch legitimierten europaeischen
union gelegt. dabei weiss ich sehr wohl, dass wir
nach unseren vorstellungen
in deutschland auch auf dem feld der demokratischen
legitimierung noch wesentliche schritte haetten weitergehen
koennen.
deutschland wird an dem vorgesehenen zeitplan fuer
die ratifizierung des maastrichter vertrages festhalten.
wir wollen eine europaeische union vollenden, mit
der sich unsere buerger identifizieren koennen. gerade
unsere foederale struktur bietet hervorragende chancen
dafuer, dass regionale probleme und besonderheiten
auch in einer europaeischen union wirkungsvoll zur
sprache gebracht werden. denn das bundesstaatliche
prinzip gewaehrleistet eine groessere buergernaehe als
zentralistische strukturen. diesen massstab hat die
bundesregierung auch bei ihrem vorschlag fuer den
zukuenftigen europaartikel in unserer verfassung
beruecksichtigt.
der wegfall der grenzen in westeuropa eroeffnet auch
fuer juristen weite bereiche neuer aufgaben. in dreieinhalb
monaten treten wir ein in den grossen europaeischen binnenmarkt
mit 340 millionen menschen. damit werden wir die
erste grundlegende etappe auf dem weg zur europaeischen
union zurueckgelegt haben. dies schafft eine vielzahl
von chancen zur betaetigung in wirtschaft und verwaltung
auch ausserhalb der grenzen deutschlands. es bedeutet
zugleich auch, dass juristen in deutschland einer
staerkeren konkurrenz der europaeischen mitbewerber
ausgesetzt sind.
hier muss die frage gestellt werden, ob unsere juristen
die angemessene ausbildung erhalten, um in diesem
wettbewerb bestehen zu koennen. in diesem zusammenhang
stellt sich natuerlich auch die frage der ausbildungsdauer.
haben unsere jungen juristen nach 13jaehriger schulausbildung,
studiendauer von durchschnittlich fast zwoelf semestern,
referendar- und pruefungszeit von mehr als drei jahren
wirklich gleiche startchancen? oder haben ihre juengeren
kollegen aus anderen eg-mitgliedstaaten nicht laengst
die besten plaetze besetzt, wenn deutsche juristen
ins berufsleben eintreten?
ich weiss, dass eine straffung und verkuerzung der
juristenausbildung seit jahren in der diskussion
ist, gelegentlich scheint mir jedoch, dass man sich
fuer diese diskussion zu viel zeit laesst. es muss in
unser aller interesse liegen, fuer unsere jungen
menschen die startchancen im grossen europa optimal
zu gestalten.
immer mehr junge leute werden uns fragen: was habt
ihr eigentlich getan, um uns in einem einigermassen
vernuenftigen zeitrahmen in das berufsleben zu helfen?
dies ist eine frage, die wir nicht weiter vertagen
koennen. sie muss jetzt vernuenftig beantwortet werden.
wenn ich dies sage, meine damen und herren, so ist
das natuerlich nicht nur eine frage an die juristenausbildung.
das ist eine frage an die ausbildungsdauer unseres
akademischen nachwuchses ueberhaupt. ich halte es
fuer auf die dauer nicht akzeptabel, dass wir beispielsweise
so tun, als muesse das 13.jahr im gymnasium unter
allen umstaenden erhalten bleiben, waehrend andere
laengst 12 jahre schulzeit bis zum abitur haben.
wir haben im gegensatz zu vielen partnerlaendern
auch noch die wehrpflicht. dies ist auch gut so,
aber es bedeutet im ergebnis eine weitere hinauszoegerung
des eintritts in das berufsleben.
ich fuege gleich ein anderes hinzu. ich glaube, es ist von
groesster wichtigkeit - das hat auch mit juristenausbildung
zu tun, das hat aber vor allem mit den chancen der
studenten und der schueler ganz allgemein zu tun
-, dass wir diejenigen, die als schueler fuer ein jahr
nach amerika, nach england oder frankreich gehen
oder als student an einer auslaendischen universitaet
studieren, nicht mit einem malus bestrafen, sondern
mit einem bonus belohnen.
es muss doch wieder selbstverstaendlich werden, was
in einer frueheren zeit gang und gaebe war, dass moeglichst
viele in das ausland gehen, um dort zu lernen. das
setzt voraus - und wir sind in der eg hierbei auf
gutem wege -, dass wir beispielsweise bei der gegenseitigen
anerkennung von zertifikaten weitere fortschritte
machen.
wir brauchen ueberhaupt nicht stolz zu sein, wenn
wir in den neunziger jahren dieses jahrhunderts
das schaffen, was im jahre 1910 noch selbstverstaendlich
war: dass naemlich einer in heidelberg sein studium
begonnen und an der sorbonne, in oxford, ja sogar
in harvard fortgesetzt oder beendet hat. wir muessen nur an
das wieder anknuepfen, was schon einmal selbstverstaendlich
war.

v.
meine damen und herren, wir muessen diese oeffnung
nach und in europa nicht zuletzt auch deswegen vollziehen,
weil sich die hoffnungen unserer nachbarn in mittel-,
ost- und suedosteuropa auf uns richten. fuer sie geht
es - wie vaclav havel es ausdrueckte - um die "heimkehr"
nach europa. nach jahrzehnten kommunistischer herrschaft
muss es diesen laendern gelingen, die wiedergewonnene
freiheit fest zu verankern. dem aufbau des demokratischen
rechtsstaates kommt dabei eine zentrale bedeutung
zu.
wir alle wissen: ohne die friedensstiftende kraft
des rechts kann ein freiheitlicher staat nicht bestehen.
nur ein gemeinwesen, des dem recht und der gerechtigkeit
verpflichtet ist, kann auf dauer den frieden bewahren.
unrecht erzeugt unfrieden, im innern wie nach aussen.
es ist eine grossartige entwicklung, die es uns heute
ermoeglicht, durch hilfen an die laender des ehemaligen
kommunistischen machtbereichs die schaffung dauerhafter
rechtsstaatlicher strukturen zu unterstuetzen.
heute erkennen auch viele, die dieser aussage noch
vor wenigen jahren skeptisch gegenueberstanden, dass
der frieden zuallererst ein werk der gerechtigkeit
ist. abruestung und ruestungskontrolle allein garantieren
keinen dauerhaften und wirklichen frieden.
die verwirklichung einer dauerhaften friedensordnung
in europa wird nur gelingen mit der errichtung stabiler
freiheitlich-demokratischer rechtsstaaten ueberall auf
unserem kontinent.
ihr beitrag, meine damen und herren, zur wahrung
des rechts ist so auch ein beitrag zur sicherung
des friedens zwischen den menschen und zwischen
den voelkern. ich fordere sie auf, dies immer im
auge zu behalten bei ihrer arbeit zum wohle der
menschen.