offizieller besuch des bundeskanzlers in kanada vom 15. bis 18. juni 1988

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verleihung der ehrendoktorwuerde
der universitaet toronto

bundeskanzler dr. helmut kohl hielt anlaesslich der
verleihung der ehrendoktorwuerde der universitaet toronto am
17. juni 1988 die folgende ansprache:

mister chancellor, mister chairman, mister president,
ladies and gentlemen!

ich bin mir der hohen ehre bewusst, heute von ihnen in
dieser festlichen versammlung die wuerde eines
ehrendoktors der universitaet toronto verliehen zu bekommen.
sie ehren in meiner person mein eigenes land. dafuer sage
ich ihnen meinen herzlichen dank.
mit dieser ehrung nehmen sie mich auf in die reihe der
persoenlichkeiten, die dieser universitaet besonders eng
verbunden sind. viele beruehmte kanadier sind aus ihr
hervorgegangen: ich denke an namen wie stephen leacock,
glen gould, margaret atwood, hier arbeiteten die
nobelpreistraeger banting, mcleod und polanyi.
ich erinnere nicht zuletzt an die grossartige persoenlichkeit
lester pearson, der als aussenminister und premierminister
ihres landes den grundstein der kanadischen aussenpolitik
nach dem zweiten weltkrieg gelegt und sie fuer ein
vierteljahrhundert bestimmt hat.
aus den bitteren erfahrungen des zweiten weltkrieges und
angesichts der heraufziehenden gefahren der totalitaeren
entwicklungen schoepfte er die ueberzeugung, dass frieden
und freiheit des westens nur durch ein buendnis der freien
laender, der freien demokratien nordamerikas und europas
gewahrt werden kann. er war einer der architekten des
nordatlantischen buendnisses.

in verantwortung fuer die wahrung des friedens weltweit
setzte er sich erfolgreich dafuer ein, den suez-konflikt
zu beenden. der friedensnobelpreis war die verdiente
anerkennung.
wir deutsche sind lester pearson zu besonderem dank
verpflichtet: denn er setzte sich als einer der ersten
dafuer ein, die neugeschaffene bundesrepublik deutschland
als gleichberechtigten partner in die gemeinschaft der
westlichen demokratien aufzunehmen.
dieses buendnis hat nunmehr fast 40 jahre in unserem
bereich frieden und freiheit gewahrt. 40 jahre - das
ist eine laengere friedensperiode, als sie die neuere
europaeische geschichte je erlebt hat.
in diesen 40 jahren sind die freien demokratien
nordamerikas und europas fest zu einer werte- und
sicherheitsgemeinschaft zusammengewachsen. sie bekennen sich
zu den menschenrechten und zur freiheitlich-demokratischen
verfassung ihrer laender.
gemeinsam sind sie entschlossen, die freiheit zu
verteidigen. wir teilen lasten, risiken und verantwortung.
die friedenswahrende leistung des buendnisses kommt allen
unseren laendern zugute. solidaritaet bestimmt unsere
politik.
die demokratien nordamerikas haben ihre solidaritaet mit
dem freiheitlichen europa vor allem durch die stationierung
ihrer soldaten auf unserem alten kontinent bewiesen. mit
grosser dankbarkeit wuerdige ich die anwesenheit
kanadischer soldaten, der soehne ihres landes, bei uns in
der bundesrepublik deutschland.
ich will diesen jungen soldaten, diesen jungen kanadiern
herzlich dafuer danken, dass sie gemeinsam mit unseren
soehnen, den soldaten unserer bundeswehr, den
verteidigungsauftrag in frieden und freiheit gewaehrleisten.
eine gesicherte verteidigungsfaehigkeit ist und bleibt
voraussetzung fuer die andere grosse aufgabe unseres
buendnisses - die militaerische konfrontation zwischen ost
und west durch wirksame abruestung und ruestungskontrolle zu
ueberwinden,
- die vertrauensgrundlage durch intensiven dialog und
konstruktive politik zu verbreitern und
- neue wege der zusammenarbeit mit den staaten des
warschauer paktes, insonderheit mit der sowjetunion, zu
erschliessen.
heute, da die sowjetunion ein "neues denken" in ihren
beziehungen verkuendet, stehen die chancen dafuer nicht
schlecht. die letzten jahre bis zum kuerzlichen moskauer
gipfeltreffen zwischen praesident reagan und
generalsekretaer gorbatschow haben unsere gemeinsame politik
im buendnis glaenzend bestaetigt.
seiner einigkeit, geschlossenheit und standfestigkeit ist zu
danken, dass der vertrag ueber die weltweite beseitigung der
nuklearen mittelstreckenflugkoerper zustande kam und jetzt
in moskau in kraft gesetzt werden konnte.
dies, meine damen und herren, ist der erste echte
abruestungsvertrag der geschichte und er ist zugleich
wegbereiter fuer weitere wichtige abruestungsschritte.
aber ich glaube, das west-ost-verhaeltnis darf nicht nur auf
fragen der sicherheit verengt werden, und seine verbesserung
liegt nicht nur in der verantwortung der grossmaechte.
vielmehr muessen alle staaten in west und ost ihre kraefte
vereinen, um trotz der unuebersehbar fortbestehenden
gegensaetze der systeme das west-ost-verhaeltnis auf breiter
front konstruktiv zu entwickeln: im politischen dialog, in
wirtschaftlicher zusammenarbeit, in kulturellem und
wissenschaftlichem austausch und nicht zuletzt auf
humanitaerem gebiet.
es gilt,
- den menschenrechten ueberall in europa und in der welt
geltung zu verschaffen,
- getrennte familien und freunde zu vereinen und
- die grenzen in europa und insonderheit auch die
grenzen, die deutschland und seine alte hauptstadt
berlin zerteilen, durchlaessiger zu machen und endlich zu
ueberwinden.
gemeinsam mit unseren freunden und verbuendeten
verfolgen wir das ziel, eine dauerhafte und gerechte
friedensordnung in europa aufzubauen, in der alle voelker in
sicherheit leben und in freier selbstbestimmung zueinander
finden koennen.
aber die verantwortung, die wir, deutsche und kanadier,
zusammen mit unseren freunden tragen, reicht weit ueber
europa und ueber das west-ost-verhaeltnis hinaus.
dies wird besonders sinnfaellig durch unsere teilnahme am
weltwirtschaftsgipfel, der in wenigen tagen in dieser stadt
zusammentritt.
gemeinsam mit unseren partnern stellen wir uns einer
umfassenden verantwortung.
- wir werden ein stabiles, das heisst vor allem
inflationsfreies wachstum der weltwirtschaft mit allen uns
zu gebote stehenden mitteln foerdern,
- wir werden den weltweiten protektionismus, in welcher
form er sich auch stellt, entschlossen bekaempfen,
- wir werden uns mit landwirtschaftlicher ueberproduktion
befassen muessen - dies um so mehr, als sich die
ernaehrungslage in vielen der aermsten entwicklungslaender,
insbesondere in afrika, dramatisch verschlechtert,
- wir muessen wege finden, die nicht minder bedrueckende
verschuldung von immer mehr armen laendern der dritten
welt in den griff zu bekommen.
- wir muessen allen entwicklungslaendern die chance
bieten, durch integration in ein weltoffenes handelssystem
ihre wirtschaftlichen probleme langfristig zu loesen.
all dies, meine damen und herren, sind zentrale fragen der
weltwirtschaft. diese fragen und insbesondere die der
internationalen verschuldung sind nicht von einem land,
und sei es noch so wirtschaftlich stark, allein zu loesen.
wir brauchen die zusammenarbeit aller!
ich denke dabei nicht nur an staaten und regierungen.
die von mir aufgezeigten problemfelder im west-ost-
und im nord-sued-verhaeltnis sind beispielhafte
herausforderungen fuer das zusammenwirken von politik und
wissenschaft. gemeinsame anstrengungen sind das gebot der
stunde:
- wir muessen den wissenschaftlichen fortschritt zum
wohle aller laender und voelker nutzen,
- wir muessen eine moderne und zugleich dem mass und der
wuerde des menschen verpflichtete welt aufbauen,
- wir muessen unsere natuerlichen lebensgrundlagen
erhalten und kommenden generationen bewahren und
- wir muessen menschenleben schuetzen und
menschenwuerde weltweit achtung verschaffen.
dazu brauchen wir wissenschaftlich-technische innovation.
- sie ist der lebensnerv einer modernen und weltoffenen
volkswirtschaft,
- sie entscheidet massgeblich ueber unseren wohlstand,
ueber unsere soziale stabilitaet und ueber unsere
leistungsfaehigkeit, wenn es um solidarische hilfe fuer
weniger begueterte geht.
wir brauchen auch den neuen beitrag der
geisteswissenschaften:
- sie entfalten das kulturelle leben unserer laender und
geben unserem leben seine humane qualitaet,
- sie erschliessen unser verstaendnis fuer kultur und
sprache unserer freunde in anderen laendern,
- sie analysieren wege und irrwege der geschichte und
leiten daraus wegweisungen fuer die zukunft ab.
beide grundrichtungen wissenschaftlicher forschung, die
ich jetzt hier nannte, sind unverzichtbare partner der politik.
ohne die hilfe beider wird die politik die herausforderung
der zukunft nicht bestehen.
ich will dies an drei beispielen deutlich machen:
- politik braucht wissenschaft als fruehwarnsystem: oft
erkennen wissenschaftler entwicklungen in natur,
technik und gesellschaft erheblich frueher als andere. dieser
informationsvorsprung verpflichtet sie, fruehzeitig auf
gefahrenquellen aufmerksam zu machen, aber auch
chancen, die es zum wohle der menschen gibt, zu
nutzen.
ich erinnere an die warnungen vor der zerstoerung
der ozonschicht in der erdatmosphaere durch bestimmte
chemische substanzen, ein thema, mit dem wir uns
auf dem wirtschaftsgipfel in toronto beschaeftigen
werden. diese warnungen haben weltweite bemuehungen
ausgeloest, produktion und anwendung dieser stoffe
weiter einzuschraenken. es ehrt kanada, dass es
gastgeber der ersten internationalen konferenz zu diesem
thema war.
- politik braucht den wissenschaftler als ratgeber. zwar
kann wissenschaft keine patentrezepte fuer wechselfaelle
des politischen lebens bieten, und der politiker waere
toericht, der dies erwartete. wohl aber kann die
wissenschaft ursachen analysieren und loesungsmoeglichkeiten,
auch loesungsalternativen, aufzeigen.
eine solche mitwirkung der wissenschaft an politischen
entscheidungsprozessen ist in allen laendern der freien
welt zur guten tradition geworden. gerade darin wurzelt
auch ein hohes mass politischer kontinuitaet und
berechenbarkeit ueber wahlen und regierungswechsel hinaus.
- politik braucht wissenschaft als beobachter und
kommentator. wissenschaft kann begriffe klaeren, politische
ereignisse mit wissenschaftlichem ruestzeug analysieren
und sine ira et studio kritisieren. gerade darin wirkt sie als
unerlaessliche ergaenzung zu einem schnellebigen,
manchmal auch notwendigerweise oberflaechlichen journalismus
des tages.
meine damen und herren, nach der verfassung meines
landes sind forschung und lehre frei. der abgeordnete ist
nur seinem gewissen unterworfen. aber zugleich stehen
politik und wissenschaft in der verantwortung der
gesellschaft. ihnen ist in besonderem masse aufgegeben,
zum wohle der menschen zu wirken und im rahmen ihrer
moeglichkeiten die zukunft zu gestalten.
ein politiker, der diese verantwortung darauf verkuerzt,
meinungsumfragen hinterherzulaufen, verfehlt diese
verantwortung genauso wie ein wissenschaftler, der sich mit
seinen erkenntnissen in einen elfenbeinturm einschliessen
wuerde.
gerade weil sie in der gesellschaft wirken muessen, werden
politiker und wissenschaftler immer wieder an
scheidewege kommen, wo sich die frage nach ihren ethischen
massstaeben stellt.
die oeffentlichkeit in unseren demokratischen
gemeinwesen, und insbesondere auch die junge generation,
stellt diese frage aus gutem grund immer draengender.
deshalb haben politiker und wissenschaftler die
gemeinsame aufgabe, die massstaebe ihres handelns im dialog
zu bestimmen und darueber rechenschaft zu geben.
in dieser verantwortung sind beide gleich: der gewaehlte
und verantwortliche politiker und der auf grund seiner
ausbildung und seiner einsicht in komplexe zusammenhaenge
hervorgehobene wissenschaftler.
genauso wie unsere freiheitlichen politischen systeme auf
der kontrolle, auf checks and balances, durch andere
politische kraefte beruhen, so stellt sich die frage nach den
ethischen massstaeben auch fuer den dialog der wissenschaft
untereinander. gemeinsam muessen natur- und
geisteswissenschaften fragen beantworten, die sich etwa aus
der gen-technologie und der fortpflanzungsmedizin ergeben.
im gemeinsamen handeln muessen sie den gesetzgeber
beraten.
ich wiederhole, wissenschaft, die sich im bewusstsein ihrer
verantwortung der aufgabe stellt, die politik zu beraten,
ist ein unverzichtbarer partner der politik.
hier, meine damen und herren, und an diesem punkt
moechte ich mich an die junge generation in diesem
auditorium wenden.
sie erhalten heute von dieser grossen universitaet ihre
abschlussdiplome. dazu gratuliere ich ihnen sehr herzlich!

mit ihren altersgenossen in anderen staedten und provinzen
werden sie die leistungselite sein, die die zukunft ihres
landes und damit auch unseres erdballs mitbestimmt.
sie werden wissenschaftler, maenner und frauen der
wirtschaft, politiker sein, die bis weit ins kommende, ins 21.
jahrhundert hin verantwortung tragen und dieser
verantwortung auch unter ethischen gesichtspunkten gerecht
werden muessen. die zukunft wird ihnen neue fragen stellen
und neue herausforderungen bringen.
ich moechte ihnen die botschaft des optimismus mitgeben:
- seien sie stolz auf ihre leistungen, die heute durch die
graduation belohnt werden, und auf den
lebensabschnitt, den sie jetzt abschliessen!
- gehen sie, so gross die aufgaben auch sein moegen, mit
idealismus, mut und tatkraft, mit menschlichkeit an die
arbeit!
- seien sie zuversichtlichue kaum eine generation, weder
in europa noch in nordamerika, konnte so berechtigte
hoffnung haben, ihr leben waehrend ihrer lebenszeit in
frieden und freiheit selbst zu gestalten!
- nutzen sie die chance, die unsere welt fuer sinnvoll
erfuelltes leben bietetue in persoenlicher initiative, in
beruflicher taetigkeit und im zusammenwirken mit
gleichgesinnten laesst sich viel gutes tun fuer den nachbarn,
den mitbuerger im eigenen lande und fuer die vielen draussen
in der welt, die not leiden und unterdrueckt sind.
- nutzen sie jede nur denkbare chance zur weltoffenheit,
zu internationaler begegnung!
zum schluss wende ich mich an die gelehrten dieser
ehrwuerdigen alma mater. ihre deutschen kollegen sind - und
gewiss ist das hier nicht anders - zutiefst ueberzeugt von
der notwendigkeit der internationalen wissenschaftlichen
zusammenarbeit. forscher kennen in ihrer arbeit keine
nationalen grenzen. deshalb gibt es schon jetzt bluehende
wissenschaftsbeziehungen zwischen kanada und der
bundesrepublik deutschland.
um diesen vielfaeltigen begegnungen an herausgehobener
stelle eine neue qualitaet zu verleihen und in dankbarer
verbundenheit mit ihrer universitaet gebe ich hiermit die
einrichtung des "konrad-adenauer-forschungspreises" fuer
geistes- und sozialwissenschaften bekannt.
die universitaet von toronto wird gemeinsam mit der royal
society of canada und unserer alexander von
humboldtstiftung fuer zunaechst fuenf jahre jaehrlich diesen
forschungspreis an hervorragende kanadische wissenschaftler
verleihen, die dann ein jahr an einem forschungsinstitut ihrer
wahl in der bundesrepublik deutschland arbeiten koennen.
ich bin sicher, dass der "konrad-adenauer-forschungspreis",
dessen traeger maenner und frauen von
internationalem rang sein werden, einen breiten strom
wissenschaftlicher begegnung zwischen unseren beiden laendern
in bewegung setzen wird. ich wuensche den forschern beider
laender, dass sie dabei erfolg haben moegen, zum ruhm der
wissenschaft und zum nutzen der menschen.
ich wuensche zum schluss noch einmal ihnen allen, den
absolventen dieser ehrwuerdigen universitaet, an diesem tag
viel glueck und segen.

dies ist eine wichtige stunde in ihrem leben, sie legen
einen wichtigen lebensabschnitt zurueck, und es ist fuer die
meisten von ihnen auch eine stunde der dankbarkeit
gegenueber ihren eltern, gegenueber ihren lehrern, und ich
bin stolz darauf, dass ich heute ihr zeuge sein kann.
ich wuensche ihnen viel glueck auf ihrem lebensweg, in einer
grossen zukunft, in einer friedlichen zeitue gottes segen!