offizieller besuch des bundeskanzlers in chile und brasilien vom 19. bis 29. oktober 1991

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bundeskanzler dr. helmut kohl stattete der republik
chile vom 19. bis 22. oktober 1991 und der foederativen
republik brasilien vom 22. bis 29. oktober 1991 einen
offiziellen besuch ab.

besuch in der foederativen republik brasilien

erklaerung vor der presse in brasilia

bundeskanzler dr. helmut kohl gab auf einer
pressekonferenz in brasilia am 25. oktober 1991 folgende
einleitende erklaerung ab:

meine sehr verehrten damen und herren!

nach meinem ersten besuch in lateinamerika im jahre
1984, der mich nach argentinien und mexiko fuehrte, ist dies
meine zweite reise, die der grossen bedeutung dieses
subkontinents und dem gewicht unserer beziehungen zu ihm
rechnung traegt.
es ist meine erste reise nach lateinamerika nach der
deutschen wiedervereinigung. seit meiner damaligen
lateinamerikareise haben sich bei uns in europa ebenso wie in
lateinamerika grosse politische veraenderungen vollzogen,
die eine neuorientierung und anpassung unserer
beziehungen zu den staaten lateinamerikas an die veraenderten
verhaeltnisse erfordern.
die beilegung des ost-west-konflikts gibt uns die
moeglichkeit, unsere aufmerksamkeit nun verstaerkt der pflege
der nord-sued-beziehungen zuzuwenden. die ueberwindung des
wohlstandsgefaelles zwischen nord und sued wird langfristig
zu einer der wesentlichsten aufgaben der internationalen
politik werden.
auch die staaten lateinamerikas haben nach dem ende des
ost-west-gegensatzes mit der ueberwindung des
blockdenkens ihren standort in der weltpolitik neu bestimmt und
sich vielfach eine neue verfassungsmaessige ordnung gegeben.
fast alle staaten lateinamerikas haben sich inzwischen fuer
die regierungsform der pluralistischen demokratie, fuer die
prinzipien des rechtsstaates und fuer die marktwirtschaft
entschieden.
zugleich - und wir begruessen dies ganz besonders -
verstaerken sich auf dem lateinamerikanischen subkontinent die
ansaetze zu politischer und wirtschaftlicher integration.
wie schon frueher wir europaeer, werden sich die voelker
lateinamerikas zunehmend der tatsachen bewusst, dass sie
ihrer region nur dann eine angemessene rolle in der
weltpolitik sichern koennen, wenn sie geschlossen auftreten.
im gleichen masse waechst die erkenntnis, dass nur durch
integration die fuer eine wirtschaftliche produktion
erforderlichen groesseren maerkte entstehen und investitionen
im erforderlichen umfang moeglich werden.
brasilien, die zweite etappe meiner lateinamerikareise, ist
fuer die bundesrepublik deutschland der wichtigste partner
auf diesem subkontinent und einer der wichtigsten weltweit
ausserhalb des kreises unserer europaeischen und atlantischen
partner und verbuendeten.
unsere politischen beziehungen mit brasilien sind durch
traditionelle freundschaft und ein hohes mass an
menschlicher sympathie, die unsere laender und voelker seit
jahrhunderten verbindet, gekennzeichnet.
der politische dialog mit diesem bedeutendsten land des
subkontinents hat im dezember 1989 mit der direkten und
demokratischen wahl fernando collors zum praesidenten
seine alte bedeutung wiedererlangt. praesident collor ist es
gelungen, demokratie und rechtsstaat in brasilien wieder
zu stabilisieren. er hat die verpflichtung des staates fuer
die achtung der menschenrechte deutlich gemacht. er hat
notwendige wirtschaftliche reformen eingeleitet. praesident
collor stellt sich auch den oekologischen herausforderungen
- insbesondere der umfassenden aufgabe, die
tropischen regenwaelder zu schuetzen und zu erhalten.
bei zwei besuchen fernando collors in bonn im juni 1989
- damals noch als kandidat - und im februar 1990 vor
seinem amtsantritt als praesident - haben wir unseren dialog
begonnen und ihn hier jetzt fortgesetzt und vertieft.
der wirtschaftssektor ist ein schwerpunkt der deutsch-
brasilianischen beziehungen. mit einem volumen von rund
8 mrd. dm im jahre 1990 ist unser handelsaustausch mit
brasilien sehr bedeutend. und bemerkenswert ist der dabei
traditionell von brasilien erzielte ausfuhrueberschuss, der die
guten marktchancen brasilianischer erzeugnisse in
deutschland unterstreicht.
zugleich, meine damen und herren, ist deutschland nach
den usa groesster auslaendischer investor in brasilien. mit
einem bestand von ueber 9,5 mrd. dm ist brasilien das
mit abstand wichtigste anlageland deutscher investoren in
lateinamerika, asien und afrika.
ich wuensche mir zur weiteren vertiefung dieser
oekonomischen beziehungen, dass wir bald auch mit brasilien
einen investitionsfoerderungs- und -schutzvertrag abschliessen
koennen, um dadurch das engagement der deutschen wirtschaft
in brasilien zu intensivieren.
im bereich der wissenschaftlich-technologischen
zusammenarbeit unterhalten wir mit brasilien eine unserer
aeltesten partnerschaften. sie hat modellcharakter fuer unsere
internationale zusammenarbeit in forschung und technik mit
schwellenlaendern. in diesem rahmen findet auch ein
erheblicher technologietransfer zwischen wissenschaft und
wirtschaft statt.
auf entwicklungspolitischem gebiet arbeiten wir mit
brasilien enger zusammen als mit jedem anderen land
lateinamerikas. drei felder moechte ich hier hervorheben:

- zunaechst den schutz der umwelt, insbesondere der
tropischen regenwaelder,
- den aufbau von gesundheitsdiensten in laendlichen
bereichen,
- die berufliche aus- und fortbildung zur qualifizierung
von handwerkern und facharbeitern als wichtige
grundlage zum aufbau eines gesunden mittelstandes.

bemerkenswert bei den deutsch-brasilianischen
beziehungen ist schliesslich das hier grosse und noch wachsende
interesse an der deutschen sprache und kultur, bei dem der
grossen zahl deutschstaemmiger brasilianer eine mittlerrolle
zukommt.
meine damen und herren, die politischen schwerpunkte
meines aufenthalts in brasilien waren meine gestrigen
gespraeche mit praesident collor sowie mein besuch bei dem
brasilianischen kongress, der mich eingeladen hatte, im rahmen
einer sondersitzung beider haeuser das wort zu ergreifen.
im mittelpunkt meiner gespraeche mit praesident collor
standen die innen- und wirtschaftspolitische entwicklung in
brasilien, die bilateralen beziehungen, die lage in
lateinamerika, und hier insbesondere der stand der regionalen
integration, sowie weltwirtschaftsfragen.
ich habe ferner praesident collor ueber die lage des vereinten
deutschland, ueber die entwicklungen in den staaten mittel-,
ost- und suedosteuropas, vor allem auch in der sowjetunion,
sowie ueber die fortschritte unterrichtet, die die europaeische
gemeinschaft auf ihrem weg zur wirtschafts- und
waehrungsunion sowie zur politischen union nimmt.
praesident collor hat mir die von ihm getroffenen
massnahmen zur wirtschaftlichen und politischen stabilisierung
brasiliens erlaeutert.
er ist, wie sie wissen, einer der vorkaempfer regionaler
integration in lateinamerika. dem projekt des "mercosul",
eines gemeinsamen marktes, dem neben brasilien noch
argentinien, uruguay und paraguay angehoeren, ist der
gleiche erfolg zu wuenschen, den die eg auf dem weg zum
grossen binnenmarkt erreicht hat und sicherlich noch
erreichen wird. gerade das europaeische beispiel lehrt, dass
wirtschaftliche integration und regionale zusammenarbeit die
besten wege sind zu wachstum und stabilitaet, zu frieden
und guter nachbarschaft.
ich habe in unseren gespraechen praesident collor zugesagt,
mich mit allem nachdruck dafuer einzusetzen, dass die
laufende uruguay-runde des gatt bald erfolgreich
abgeschlossen wird. die industrielaender stehen in der
besonderen verantwortung, den entwicklungslaendern eine chance
zu bieten, staerker als bisher am freien welthandel
teilzunehmen. gerade laender wie brasilien, die an der schwelle
zum industrieland stehen, setzen auf die gatt-verhandlungen
grosse hoffnungen. wir duerfen und werden diese nicht
enttaeuschen.
ich will das, was ich sage, ganz prinzipiell fuer die zukuenftige
entwicklung in europa sagen, weil ich gelegentlich auch in
diesem kontinent lese, dass die europaeer dabei waeren, eine
art "festung europa" zu bauen. dies wird nicht so sein. das
vereinigte europa, das sich in diesen jahren formiert, wird
ein offenes europa sein. wir werden nicht der gefahr
des protektionismus erliegen, sondern mit offenen grenzen
unseren beitrag zum welthandel leisten.
breiten raum in meinem gespraech mit dem praesidenten
nahmen die fragen des umweltschutzes ein, fuer den
industrie- und entwicklungslaender eine gemeinsame
verantwortung tragen.
ich habe hier insbesondere die tropenwaldfrage
angesprochen und den praesidenten darin bestaerkt, an seiner
politik festzuhalten, mit der die zerstoerung der tropischen
regenwaelder gestoppt werden soll. ich halte diese politik fuer
eine weitsichtige, ausgewogene und kluge politik, die unser
aller unterstuetzung verdient.
ich will auch hier ganz offen sagen, angesichts mancher
stimmen, auch in diesem land: es geht hier nicht um
einmischung in innere angelegenheiten oder um eine art
von internationalisierung, sondern es geht um eine
verantwortung der gesamten menschheit. wenn wir hier, auch
angesichts der sozialen lage vieler betroffener, in brasilien
diese politik unterstuetzen, heisst das auch, dass die westlichen
industrienationen ihrerseits eine soziale unterstuetzung
mituebernehmen.
im juni kommenden jahres wird hier in brasilien die
uno-konferenz ueber umwelt und entwicklung (unced)
stattfinden.
ich bin mir der bedeutung dieser konferenz bewusst: sie soll
die voraussetzungen fuer eine weltweite tragfaehige
oekologische entwicklung schaffen. ohne ein partnerschaftliches
zusammenwirken von industrie- und entwicklungslaendern
ist dieses ziel nicht zu erreichen. in diese partnerschaft muss
jeder seinen ihm moeglichen und zumutbaren teil zur
erhaltung seiner natuerlichen lebensgrundlagen einbringen.
schon heute geht die bundesregierung mit ihrem beispiel
voran. wir haben der brasilianischen regierung fuer
massnahmen zum schutz der tropischen regenwaelder finanzielle
unterstuetzung in hoehe von 250 mill. dm zugesagt. dies
ist unser beitrag zum "pilotprogramm brasilien". wir
erwarten, dass dem auch die anderen industrielaender folgen
werden.
ich selbst werde auch in zukunft meine ganze kraft zur
verwirklichung dieser wichtigen ziele im bereich des
weltweiten umweltschutzes einsetzen.
das "pilotprogramm brasilien" muss zu einem erfolg
werden. dies wird nur dann gelingen, wenn auch die
bevoelkerung im amazonas-raum, vor allem die dort lebenden
naturvoelker sowie kleinbaeuerliche siedler einbezogen werden.
meine damen und herren, das programm meines besuchs
ist ihnen - auch im einzelnen - bekannt. die brasilianische
regierung hat keine muehe gescheut, mir ein moeglichst
umfassendes bild der vielfalt dieses grossartigen landes zu
vermitteln.
ich habe waehrend meiner reise gelegenheit, ausser mit der
bundesregierung auch mit einer reihe von
provinzregierungen gespraeche zu fuehren. als regierungschef eines
bundesstaates halte ich diese gespraeche auf regionaler ebene fuer
eine ganz wesentliche ergaenzung des mir hier in brasilia
vermittelten bildes.
ich moechte diese gelegenheit nutzen, praesident collor, der
von ihm gefuehrten bundesregierung und den gouverneuren
der von mir besuchten provinzen, vor allem aber auch den
buergern brasiliens, noch einmal sehr herzlich fuer die
gastfreundschaft zu danken, die mir und meiner begleitung hier
in brasilien zuteil wurde und sicherlich noch zuteil werden
wird.