Offizieller Besuch des Bundeskanzlers in Argentinien, Brasilien und Mexiko (Teil vier von sieben) vom 14. bis 21. September 1996 - Besuch in der Föderativen Republik Brasilien - Offizielles Abendessen in Brasilia

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Offizieller Besuch des Bundeskanzlers in Argentinien, Brasilien und Mexiko (Teil vier von sieben) vom 14. bis 21. September 1996 - Besuch in der Föderativen Republik Brasilien - Offizielles Abendessen in Brasilia

  • Bulletin 80-96
  • 11. Oktober 1996

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl hielt bei dem offiziellen Abendessen, gegeben
vom brasilianischen Staatspräsidenten Prof. Dr. Fernando Henrique Cardoso, im
Palácio do Itamaraty in Brasilia am 17. September 1996 folgende Ansprache:

Herr Präsident, verehrter Freund,
Exzellenzen,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich danke Ihnen sehr für Ihr freundliches Willkommen. Ich habe mich sehr über
die freundschaftlichen Worte der Begrüßung gefreut. Für die großzügige
Gastfreundschaft, die Sie – Herr Präsident – mir und meiner Delegation in
Ihrem Land zuteil werden lassen, danke ich Ihnen.

Nach meinen Besuchen in den Jahren 1991 und 1992 – zuletzt anläßlich der
Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro
– ist dies mein dritter Besuch in Ihrem Land. Auch bei dem Besuch von
Bundespräsident Herzog ist deutlich geworden, welch großen Wert Deutschland
auf gute Beziehungen zu Brasilien legt. Sie, Herr Präsident, waren im
vergangenen Jahr bei uns in Deutschland. Wir haben damals gute Gespräche
miteinander geführt. Brasilien und Deutschland sind Partner und Freunde, die
sich immer besser kennenlernen, eng zusammenarbeiten und sich verstehen.

Deutschland ist seit Jahren der wichtigste Handelspartner Brasiliens in
Europa. Brasilien ist der wichtigste Handelspartner Deutschlands in
Lateinamerika und zugleich ein wichtiger und attraktiver Investitionsstandort
für deutsche Firmen. Die Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftstage in Dresden
Anfang Oktober werden diese enge und intensive Zusammenarbeit sicher
eindrucksvoll belegen. Unsere langjährige bewährte Zusammenarbeit in den
wichtigen Bereichen der wissenschaftlichen Forschung und technologischen
Entwicklung hat mit dem im März 1996 in Brasilia unterzeichneten
Rahmenabkommen eine noch festere Basis erhalten.

Über alle wichtigen Fragen der politischen, wirtschaftlichen und
wissenschaftlichen Kooperation sollten wir aber die kulturelle, die
menschliche Dimension nicht aus den Augen verlieren. Brasilien hat über
Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg die Deutschen fasziniert: seine großartigen
Landschaften, sein Reichtum an Bodenschätzen – vor allem aber auch seine
Menschen, ihre Kunst und Kultur, ihre Fröhlichkeit, ihre Herzlichkeit und ihr
Temperament.

Brasilianische Musik und Musikkünstler finden seit langer Zeit ein
begeistertes Publikum in unserem Land. Brasilianische Tänze wie der Samba und
der Bossa-Nova gehören bei uns längst zu den Evergreens der Tanzkultur. Die
brasilianische Literatur erfreut sich in Deutschland wachsender Beliebtheit.
Brasilien stand vor zwei Jahren im Mittelpunkt der Frankfurter Buchmesse, die
weltweit die wichtigste ihrer Art ist.

Die deutsch-brasilianische Freundschaft hat eine lange Tradition: Viele meiner
Landsleute sind seit Anfang des letzten Jahrhunderts in dieses Land gekommen.
Sie haben sich hier eine neue Existenz geschaffen und haben hier eine Heimat
gefunden. Viele von ihnen bewahrten sich ihr kulturelles Erbe und wurden doch
„echte“ Brasilianer. Mit ihren Fähigkeiten, ihren Erfahrungen und ihrem Fleiß
haben sie zum Aufbau ihrer neuen Heimat beigetragen. Städte wie Blumenau – mit
seinem berühmten Oktoberfest – und Regionen wie Rio Grande do Sul, Santa
Catarina oder Paraná zeugen davon.

Seit Jahrzehnten gründen viele deutsche Firmen Niederlassungen in Brasilien.
Sao Paulo ist zu einem der wichtigsten Investitionsstandorte und zu einem der
größten Zentren deutscher Industrie weltweit geworden. Dies zeugt von dem
großen Vertrauen, das die deutsche Wirtschaft in Brasilien und seine
Zukunftschancen setzt.

Meine Damen und Herren, Stefan Zweig hat Brasilien einmal als ein „Land der
Zukunft“ bezeichnet. In Brasilien hat sich in den letzten Jahren vieles
verändert. Vieles ist auf gutem Wege. Aus dem „Land der Zukunft“ wird mehr und
mehr ein Land, das seine Möglichkeiten für die Gestaltung einer guten und
erfolgreichen Gegenwart nutzt.

Diese Entwicklung, Herr Präsident, ist mit Ihrem Namen eng verbunden. Das von
Ihnen noch als Finanzminister ins Leben gerufene umfassende Stabilitäts- und
Modernisierungsprogramm – der „Plano Real“ – hat sich bewährt. Er hat Ihrem
Land neue Perspektiven eröffnet. Die Inflation wurde wirksam bekämpft,
strukturelle Reformen wurden in die Wege geleitet. Zugleich hat sich Brasilien
in den vergangenen Jahren kontinuierlich den Weltmärkten geöffnet und setzt
sich zudem für eine verstärkte Integration und Zusammenarbeit mit anderen
Ländern Lateinamerikas ein.

Mit der Gründung des gemeinsamen Marktes des MERCOSUL wurde – gemeinsam
mit Argentinien, Uruguay und Paraguay – ein wichtiger Beitrag zur politischen und
wirtschaftlichen Stabilisierung und Zusammenarbeit der Völker Lateinamerikas
geleistet. Im Dezember vergangenen Jahres hat der MERCOSUL mit der
Europäischen Union ein Rahmenabkommen abgeschlossen. Es sieht unter anderem
die Schaffung einer Freihandelszone zwischen beiden Zusammenschlüssen bis zum
Jahr 2005 vor. Im Zeitalter einer zunehmenden Globalisierung der Märkte und
der Internationalisierung der Produktion liegt diese Entwicklung im
gemeinsamen Interesse von Brasilien und Deutschland, von Lateinamerika und
Europa. Regionale Zusammenschlüsse können und werden zu der weiteren raschen
wirtschaftlichen Entwicklung Brasiliens und ganz Lateinamerikas ihren Beitrag
leisten.

Wir haben in bald 40 Jahren europäischer Integration selbst erfahren, welche
Vorteile es für die Menschen mit sich bringt, Grenzen abzubauen und Märkte zu
öffnen: Es sind bewährte Wege zu Wachstum und Stabilität, zu Frieden und guter
Nachbarschaft. Wir Europäer werden daher noch in diesem Jahrzehnt und in
diesen Jahren das Haus Europa bauen. Es wird ein offenes Haus sein. Wir
schaffen nicht unsere inneren Grenzen ab, um sie nach außen neu aufzubauen. Es
wird keine Festung Europa geben. Europa wird eine gemeinsame neue Währung, den
Euro haben. Unsere beiden Länder und unsere Kontinente brauchen den freien
Welthandel und die wirtschaftliche Offenheit. Im globalen Rahmen muß es um
Kooperation, nicht um Konfrontation gehen. Aus diesem Grund sollte kein Land,
und sei es noch so groß, Regeln aufstellen, die in den internationalen Handel
eingreifen.

Meine Damen und Herren, die Lösung vieler Zukunftsfragen der Menschheit ist
nur gemeinsam mit möglichst vielen Partnern und Freunden in der Welt zu
schaffen. Kein Staat der Welt kann die globalen Probleme wie Armut und Hunger,
aber auch der grenzüberschreitenden Kriminalität im Alleingang bewältigen. Ich
denke überdies an den Umweltschutz, an die Bewahrung der uns anvertrauten
Schöpfung. In Brasilien liegt der größte tropische Regenwald dieser Erde.
Seine Zerstörung würde uns alle treffen. Seine Erhaltung wird uns allen
nützen. Mir ist dabei sehr wohl bewußt: wo sich viele Menschen um ihre
tägliche Existenz sorgen, muß die Einsicht noch wachsen und gefördert werden,
daß wir heute handeln müssen, um die Zukunft der kommenden Generationen zu
sichern. Dabei schließt der Schutz des Regenwaldes die verantwortungsvolle,
nachhaltige Nutzung nicht aus – in einer Weise, die auch der seit jeher
lebenden Bevölkerung dort zugutekommt. Der Schutz der Umwelt und ein
schonender Umgang mit den natürlichen Ressourcen einerseits und eine gesunde
wirtschaftliche Entwicklung andererseits gehören unauflöslich zusammen.

Meine Damen und Herren, Herr Präsident, Lateinamerika ist eine der
dynamischsten Wachstumsregionen der Welt. Brasilien ist uns ein großer,
wichtiger und zuverlässiger Freund und Partner. Die Freundschaft unserer
Länder und Völker beruht aber auch auf unseren gemeinsamen Werten und
Prinzipien: Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der
Menschenrechte. Lassen Sie uns gemeinsam dafür einstehen und kämpfen! Am Ende
dieses Jahrhunderts wollen wir eine Welt schaffen, die eine gemeinsame Heimat
für alle Menschen sein soll – für uns, für unsere Kinder und Enkel und für
alle, die nach uns kommen.

In diesem Sinne erhebe ich mein Glas und stoße an auf Ihr Wohl, Herr
Staatspräsident, auf die Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern und
Völkern und auf eine glückliche Zukunft Brasiliens in Frieden, Freiheit und
Wohlstand.

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