Offizieller Besuch des Bundeskanzlers in Ägypten, Jordanien und Israel vom 2. bis 8. Juni 1995 - Besuch in der Arabischen Republik Ägypten - Erklärung vor der Presse in Kairo

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Offizieller Besuch des Bundeskanzlers in Ägypten, Jordanien und Israel vom 2. bis 8. Juni 1995 - Besuch in der Arabischen Republik Ägypten - Erklärung vor der Presse in Kairo

  • Bulletin 50-95
  • 20. Juni 1995

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl stattete vem 2. bis 4. Juni 1995 der Arabischen Republik Ägypten, am 4. und 5. Juni 1995 dem Haschemitischen Königreich Jordanien und vom 5. bis 8. Juni 1995 dem Staat Israel einen offiziellen Besuch ab.

Besuch in der Arabischen Republik Ägypten Erklärung vor der Presse in Kairo

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl gab anläßlich seines Besuchs in Ägypten im Anschluß an ein Gespräch mit dem Präsidenten der Arabischen Republik Ägypten, Hosny Moubarak, am 3. Juni 1995 vor der Presse in Kairo folgende Erklärung ab:

Herr Präsident, lieber Freund,

zunächst möchte ich mich sehr für den freundschaftlichen Empfang bedanken. Die deutsch-ägyptischen Beziehungen sind für mich von ganz besonderer Bedeutung. Ägypten ist eines der wichtigsten Länder der arabischen Welt, und mit Ihnen, Präsident Moubarak, steht hier ein Mann in der Verantwortung, der in hohem Maße zu Stabilität und Ausgleich in der Region beiträgt. Das verdient unsere besondere Sympathie und unseren Respekt.

Ungeachtet unserer sehr persönlichen freundschaftlichen Beziehungen ist es aber auch gemeinsames Interesse unserer beiden Länder, daß sich die guten Beziehungen zwischen Ägypten und Deutschland noch weiter entwickeln und vertiefen. In diesem Sinne ist unsere gemeinsame Initiative zur Förderung der Berufsausbildung hier in Ägypten von ganz besonderer Bedeutung. Sie ist zugleich eine gute Zukunftsinvestition.

Wir haben gerade auch in Europa und in Deutschland eine schwere Rezession hinter uns gebracht. Die Erfahrung dieser Jahre zeigt aber, daß ein gute Ausbildung die Chance erhöht, nicht arbeitslos zu werden. Die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland ist im Vergleich zu anderen Ländern der Europäischen Union mit Abstand die niedrigste. Dies hat nicht zuletzt seinen Grund in unserem bewährten Ausbildungssystem. Für die soziale Stabilität eines Landes ist entscheidend, daß der Jugendgeneration über eine bestmögliche Ausbildung eine gute Zukunft eröffnet wird. Auf diesem Weg möchten wir unseren ägyptischen Freunden helfen.

Wir werden in den nächsten Jahren eine fortschreitende Entwicklung hin zur Einigung Europas erleben. Neben diesem umfassenden Einigungsprozeß ist es auch wichtig, daß Europa seine Verantwortung hier in dieser Region wahrnimmt. In dem Maße, in dem diese Region zu einem inneren Frieden kommt, ist zugleich ein Stück Frieden für die Welt erreicht. Drei große Weltreligionen haben in dieser Region ihren Ursprung: das Judentum, der Islam und das Christentum. Gerade hier ist besonders spürbar, wieviel der Frieden dieser Region für, den Frieden der Welt bedeutet. Wir wollen, soweit wir dies können, mit unseren Mitteln dabei helfen. Ich hoffe auch, daß diese Reise hier nach Ägypten, Jordanien und Israel dazu einen kleinen Beitrag leisten wird.

Bei meinem letzten Besuch hier in Ihrem Land habe ich nicht wissen können, daß ich einmal als Kanzler des wiedervereinigten Deutschlands wiederkommen würde. Wir haben damals bei den Verhandlungen zur deutschen Einheit viel Hilfe und Zuspruch auch von außen erhalten. Wichtig war aber, daß die Beteiligten damals aufeinander zugegangen sind, daß sie miteinander gesprochen haben. Genau das ist es, was man hier in dieser Region vor allem braucht. Dann, da bin ich sicher, wird der Frieden in dieser von Krieg und Elend in der Vergangenheit so oft heimgesuchten Region ein guter und dauerhafter Frieden sein.

Besuch im Königreich Jordanien Empfang in Amman

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl hielt anläßlich eines Abendessens, gegeben vom König des Haschemitischen Königreichs Jordanien, Hussein Bin Talal, am 4. Juni 1995 in Amman folgende Ansprache:

Majestät, Exzellenzen, meine Damen und Herren, als erstes möchte ich Ihnen das Gefühl der tiefen Freundschaft, das wir Deutsche für Ihr Land empfmden, und das Gefühl des Respekts, Majestät, für Ihre großartige Leistung, die Klugheit und den Mut, den Sie in allen diesen Jahren so oft bewiesen haben, übermitteln. Sie haben rückblickend die Ereignisse im Mai 1945 und die 50 Jahre, die Sie hier in der Region erlebt haben, erwähnt. Es waren damals vor 50 Jahren schwierige Tage für uns Deutsche. Wir haben der Ereignisse vor 50 Jahren, aber auch der Ereignisse vor 60 Jahren gedacht. Wir haben uns an das Schreckliche erinnert, was im deutschen Namen geschehen ist. Wir Deutsche haben gelernt, nicht zuletzt infolge eigener Schuld, was der Verlust von Frieden und Freiheit bedeutet. Diese Lektion hat damals ein jeder für sich und ganz persönlich am eigenen Leib erfahren und daraus gelernt. Fast jeder Deutsche der damaligen Generation hat in einem der beiden Weltkriege engste Familienangehörige verloren. Mein Bruder ist Ende des Zweiten Weltkriegs im Alter von 19 Jahren gefallen. Andere waren Flüchtlinge, wie meine Frau, weitere haben in den Bombennächten Hab und Gut verloren. Wieder andere, und auch das war eine schlimme Erfahrung, haben in den Vernichtungslagern der Nazis Angehörige ihrer Familien verloren. Sprechen wir vom Frieden, so wissen wir aus dieser Erfahrung nur allzu gut, was das heißt, was die Abwesenheit von Frieden ausmacht und was Krieg bedeutet. Deswegen begreifen wir mit unserem Herzen und mit unserem Verstand die Sehnsucht der Menschen hier in Jordanien, in Israel, bei den Palästinensern, in der ganzen Region, endlich Frieden zu erleben. Die Geschichte hat uns gelehrt, daß jener große Prophet recht hat, der sagt: Friede ist ein Werk der Gerechtigkeit. Deswegen müssen wir jetzt handeln. Wir dürfen und können dieses Werk der Gerechtigkeit nicht auf eine spätere Generation vertagen. Dazu, Majestät, wollen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten, gemeinsam mit allen anderen, die guten Willens sind, beitragen. Gottes Segen möge bei diesem Friedensprozeß sein. Mögen diejenigen, die ihn begleiten, voller Mut und Entschlossenheit unbeirrt den Weg des Friedens gehen. Darauf möchte ich mein Glas erheben, und zugleich auf Ihr Wohl, Majestät, auf das Wohl Ihrer Majestät der Königin und auf die Freundschaft zwischen unseren Völkern. Trilaterales Treffen in Baqura

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl gab auf der Pressekonferenz nach dem Dreier-Treffen mit dem jordanischen König Hussein Bin Talal und dem israelischen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin am 5. Juni 1995 in Baqura folgende einleitende Erklärung ab:

Majestät,
Herr Ministerpräsident,
Exzellenzen,
meine Damen und Herren,

dies ist für mich als Deutscher und als Europäer ein großer und bewegender Augenblick. Dieser Ort ist ja nicht irgendein Stück Land auf unserer großen Erde. Dies ist ein besonderer Ort. Hier ist Menschheitsgeschichte förmlich faßbar. Hier an diesem historischen Platz möchte ich zuallererst meinen tiefen Respekt und meine Bewunderung für die Männer zum Ausdruck bringen, die dieses Werk des Friedens ermöglicht und auf den Weg gebracht haben.

Ich spreche Sie an, Majestät, und Sie, Herr Ministerpräsident, und mit Ihnen alle Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit unendlicher Mühe und mit großer Geduld und Zielstrebigkeit diesen Tag möglich gemacht haben. Mut, gepaart mit Klugheit, hat zu dieser Friedensvision geführt. Die Vision ist dabei, Realität zu werden. Ich wünsche Ihnen von Herzen, daß Sie auf diesem Weg Unterstützung und Zustimmung finden und daß Gottes Segen bei ilmen sei.

Wir haben im Deutschen ein Wort, das besagt: Wo Wasser ist, ist Leben. Ich kann mir gut vorstellen, wie hier in Jahren und Jahrzehnten diese Landschaft, das Jordantal, aussehen wird, wenn dieses Wort seine Erfüllung fmdet. Von hier aus geht darum eine Botschaft in viele Teile der Welt aus. Diese Botschaft geht vor allem auch dorthin, wo es immer noch schreckliche Gewalt und blutende Grenzen gibt. Die Botschaft lautet: Last uns Grenzen überwinden. Last uns sie öffnen, damit Menschen zueinanderkommen.

Ich bin hierher gekommen, um deutlich zu machen, daß wir, die Bundesrepublik Deutschland, die Europäische Union und ich selbst dieses Wasserprojekt im Jordantal nach Kräften unterstützen wollen.

Meine Damen und Herren, wir sind dabei, in Europa ein gemeinsames wetterfestes „Haus Europa" zu bauen. Wir als Deutsche brauchen es mehr als alle anderen, gerade auch nach den schlimmen Erfahrungen in diesem Jahrhundert. Ein festes Haus soll dieses Europa sein, aber keine „Festung Europa".

Wir wollen ein offenes Europa. Offen heißt für mich auch, daß wir gerade mit dieser Region eine möglichst enge Beziehung aufbauen. Das gilt in geistig-kultureller wie übrigens auch in geistlicher Hinsicht. Das gilt nicht zuletzt im wirtschaftlichen Bereich, denn die Menschen in dieser Region, auch in diesem Tal, werden nur Frieden haben, wenn sie Arbeit finden, wenn sie sich selbst und ihre Familien ernähren können und wenn sie für sich und ihre Kindeskinder hier eine Zukunft sehen.

So hoffe ich, daß über dieses Wasserprojekt im Jordantal hinaus deutlich wird, daß sich die wirtschaftlichen Beziehungen der Länder Europas, namentlich Deutschlands, mit Israel und Jordanien noch intensiver gestalten werden. Ich hoffe, daß ein Austausch von jungen Wissenschaftlern stattfindet und daß wir gemeinsame Projekte auf den Weg bringen werden. Ich wünsche mir, mit einem Satz, daß das Wort „Friede" ausgefüllt wird mit jenem Leben, das die Menschen sich wünschen, um ihr privates Glück zu finden.

Majestät, Herr Ministerpräsident, ich brauche ilmen nicht zu sagen, daß ich als Freund hierher gekommen bin. Das wissen Sie. Aber ich nehme von hier vor allem die Gewißheit mit, daß wir den Weg in die Zukunft gemeinsam gehen werden.

Ich wünsche allen, die hier an diesem Werk des Friedens arbeiten, Gottes Segen. Der Geist des Friedens möge sich von hier auf die ganze Region ausbrniten. Er breite sich auch auf andere Regionen aus. Auf Regionen, in denen Schrecken und Not herrschen und für die wir beten wollen, daß dort endlich Vernunft einkehre.

Besuch im Staat Israel Empfang in Jerusalem

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl hielt bei einem Abendessen, gegeben vom Ministerpräsidenten des Staates Israel, Yitzhak Rabin, am 6. Juni 1995 in Jerusalem nachstehende Tischrede:

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr verehrte gnädige Frau,
Exzellenzen,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich danke Ihnen, Herr Ministerpräsident, sehr herzlich für die freundlichen Worte, die Sie soeben für mein Heimatland, die Bundesrepublik Deutschland, und für die deutsch-israelischen Beziehungen gefunden haben. Ich danke Ihnen und allen Ihren Mitarbeitern zugleich sehr herzlich für das freundliche Willkommen und für die freundschaftliche Offenheit unserer Gespräche.

Eine Reise nach Israel, meine Damen und Herren, ist für einen deutschen Bundeskanzler keine Reise in irgendein beliebiges Land. Diese Reise führt über den Abgrund einer Vergangenheit, die nicht vergessen werden kann, von der ich aber hoffe, daß sie uns den Weg in eine gemeinsame Zukunft nicht versperren wird. Dies ist mein zweiter Besuch im Staate Israel in meiner Amtszeit als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Es ist zugleich mein erster Besuch seit der Wiedererlangung der deutschen Einheit im Jahre 1990. Ich freue mich, daß ich bei Ihnen sein kann.

Israel, Ihr Land, Ihr Volks kann heute mit großem Stolz auf das blicken, was die Menschen hier unter schwierigsten Bedingungen in nicht einmal 50 Jahren aufgebaut haben. Dieser Besuch findet zu einem wichtigen Zeitpunkt statt. Vor einem Monat haben wir des 50. Jahrestages der Beendigung des Zweiten Weltkrieges und zugleich des Endes der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gedacht Wir haben kurz darauf den 30. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel gefeiert.

Diese beiden Daten sind im Bewußtsein unserer beiden Völker miteinander verbunden. Sie können nicht getrennt voneinander gesehen werden. Das erste Datum steht für das schlimmste Verbrechen der Menschheitsgeschichte, steht für den absoluten Tiefpunkt der deutsch-jüdischen Beziehungen. Das andere Datum vor 30 Jahren markiert ein Wagnis, das von einem schwierigen Neubeginn zu einer damals nicht für möglich gehaltenen Erfolgsgeschichte wurde.

Aus meiner Sicht sind es vor allem folgende wichtige Elemente, die unser Verhältnis prägen: Die besondere Beziehung Deutschlands zu Israel ist und bleibt durch die Erinnerung an die Shoah bestimmt. Niemand - und das muß jeder begreifen - kann aus der Geschichte seines Volkes, in das er hineingeboren wurde, beliebig aussteigen. Das Schicksal der Nation ist so gesehen immer auch eine Haftungsgemeinschaft. Die allermeisten Deutschen, auch jene, die nach dem Krieg aufgewachsen sind, und das sind jetzt zwei Drittel der heute lebenden Deutschen, wissen, daß sie sich der Vergangenheit stellen müssen. Sie wissen, daß sie die Geschichte nicht vergessen oder gar verdrängen dürfen. Ich finde, unsere jüdischen Mitmenschen haben das Recht, eine solche Haltung von uns zu erwarten.

Wir, die Deutschen, handeln nicht zuletzt in eigenem Interesse und im Interesse unserer Demokratie, wenn wir entschlossen alle Erscheinungen von Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und jede andere Form der Intoleranz gegenüber Minderheiten im eigenen Land entschlossen bekämpfen. Wir und nicht zuletzt die Bundesregierung sind uns der besonderen Verantwortung gegenüber Israel bewußt. Das galt für die Vergangenheit, das gilt für die Gegenwart, und das gilt für die Zukunft.

Unsere beiden Staaten verbindet aber mehr: Wir haben vielfaltige gemeinsame Interessen und Werte. Auf dieser Basis hat sich ein enger Dialog zwischen unseren beiden Ländern entwickelt. Mit kaum einem anderen außereuropäischen Land pflegen wir Deutschen derzeit so intensive Kontakte wie mit Israel. Wir freuen uns, daß in wenigen Wochen, im September dieses Jahres, Präsident Weizmann zu einem Staatsbesuch nach Deutschland kommt.

Meine Damen und Herren, so bedeutsam offizielle politische Kontakte auch sind, sie können in nichts die Begegnung zwischen den Menschen unserer beiden Völker, vor allem auch die Begegnung zwischen jungen Leuten ersetzen. Gerade auf diesem Gebiet sind unsere Beziehungen von einer außergewöhnlichen Intensität. Darüber freue ich mich ganz besonders. Das deutsch-israelische Verhältnis hat durch die Belebung des Nahost Friedensprozesses ein weiteres wichtiges Element hinzugewonnen. Ich möchte Ihnen, Herr Ministerpräsident, dem Herrn Außenminister und allen Ihren Mitarbeitern meinen Respekt aussprechen für Ihren mutigen Entschluß, zusammen mit den palästinensischen Vertretern deil Versuch zu unternehmen, den Teufelskreis von Haß und Gewalt, von Leid und Vertreibung in dieser Region zu durchbrechen und einen gemeinsamen Weg zum Frieden einzuschlagen. Ich wünsche Ihnen von Herzen Erfolg für diesen Friedensweg. Ihr Erfolg auf diesem Weg ist auch ein Erfolg für üns in Europa und für uns in Deutschland.

Wir haben versucht, mit den Möglichkeiten der deutschen Außenpolitik über die bilaterale Unterstützung Israels hinaus einen aktiven Beitrag zur Entwicklung des Friedens in der Region zu leisten. Wir treten für die Sicherheit Israels ein, aber wir sehen auch die berechtigten Interessen seiner Nachbarn, insbesondere auch die der Palästinenser. Wir habeii keine Ratschläge zur Gestaltung des Verhältnisses Ihres Landes zu seinen Nachbarn zu geben. Die Lösungen für die noch offenen Fragen des Friedensprozesses müssen von hier und aus dieser Region selbst kommen.

Es war und ist aber ein großes Glück, daß sich die Erkenntnis durchsetzte, daß sich israelische und palästinensische oder arabische Interessen mit gutem Willen und dem nötigen Weitblick zu einem vernünftigen Ausgleich bringen lassen. Dies haben die verantwortlichen Politiker in der Region erkannt. Der Friedensnobelpreis, den Sie, Herr Ministerpräsident, und Sie, Herr Außenminister, gemeinsam mit dem Vorsitzenden der palästinensischen Autonomieverwaltung, Vassir Arafat, im letzten Jahr erhalten haben, ist eine verdiente Würdigung dieser Politik. Wir, die Deutschen, wollen diesen Prozeß weiter fördern und unterstützen.

Meine Damen und Herren, unser Interesse an einer engen Verbindung zwischen Israel und der Europäischen Union ist ein ganz wichtiger Bestandteil unserer Beziehungen mit Israel. Für uns ist deutsche Nahost- und Israel-Politik im wachsenden Maße auch von einer „europäischen Dimension" gekennzeichnet.

Herr Ministerpräsident, Sie und Ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger, sollen wissen, daß Sie in der Bundesregiening einen verläßlichen Partner und Fürsprecher für Ihre Anliegen an die Europäische Union haben. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf die Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Essen im Dezember 1994 hinweisen. Dort wurde festgestellt, daß Israel im Verhältnis zur Europäischen Union einen privilegierten Status erhalten soll. Ich weiß, daß dies erst einmal in praktische Politik umgesetzt werden muß, aber ich bin sicher, daß uns dies gelingen wird. Ich bin zuversichtlich, daß die laufenden Verhandlungen über ein neues Kooperationsabkommen und ein wissenschaftlich-technologisches Abkommen zwischen Israel und der Europäischen Union bald erfolgreich abgeschlossen werden können.

Herr Ministerpräsident, Europas Unterstützung für Israel und seine Nachbarn wird sich schon bald dort manifestieren, wo die gemeinsamen Lebensgrundlagen und die Interdependenz aller Staaten der Region am deutlichsten sichtbar werden: bei der Verteilung von Wasser. Wir haben bei unserer gestrigen Begegnung gemeinsam mit König Hussein bekräftigt, daß wir hier einen Schwerpunkt europäischer Hilfe setzen wollen. Herr Ministerpräsident, meine Damen und Herren, ich möchte all denen sehr herzlich danken, die in den vergangenen Jahrzehnten zum Aufbau und Ausbau der deutsch-israelischen und der deutsch-jüdischen Beziehungen beigetragen haben. Nur durch den mutigen und unermüdlichen Einsatz vieler Menschen konnten unsere bilateralen Beziehungen in diesen Jahrzehnten jene Dichte und Intensität erreichen, die sie heute glücklicherweise haben.

Dies hätte vor fünfzig Jahren niemand für möglich gehalten. Das bewunderungswürdige Engagement der Pioniere des deutsch-israelischen Verhältnisses - ich nenne hier vor allem David Ben Gurion und Konrad Adenauer - sollte uns eine große Ermutigung sein, auf diesem Weg entschlossen voranzuschreiten. Einmal mehr haben sich die großen Visionäre von einst als die großen Realisten von heute erwiesen. Auf dieser guten und festen Grundlage können wir aufbauen. Wir sollten dies vor allem für unsere Kinder und Kindeskinder tun. Kinder wie jene, die hier diesen wunderschönen Brunnen in Jerusalem besuchen, den ein Künstler aus meiner engeren Heimat gestaltet hat, und die, wie Kinder eben sind, Freude am Leben haben. Wir wünschen uns alle, daß die Kinder in dieser Stadt, in diesem Land und in meinem Land in ein Jahrhundert hineinleben, in dem die Freude und nicht die Trauer das Wesentliche persönlicher Erfahrungen ausmacht. Ich erhebe mein Glas auf Ihr Wohl, Herr Ministerpräsident, und auf das Wohl und die Zukunft Ihres Landes. Ich wünsche mir und uns allen, daß die deutsch-israelischen Beziehungen sich auch in Zukunft vertrauensvoll und freundschaftlich entwickeln und daß Gottes Segen auf diesem Weg unserer Völker ruhen möge.

Besuch in Jericho

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl führte anläßlich seines Besuchs in Jericho im Anschluß an ein Gespräch mit dem Vorsitzenden der Palästinensischen Autonomieverwaltung, Vassir Arafat, am 7. Juni 1995 vor der Presse unter anderem folgendes aus: Herr Vorsitzender,

ich danke Ihnen für Ihr freundliches Wort des Willkommens. Dies ist für mich ein sehr wichtiger Besuch. Ich möchte damit meine Unterstützung und meine Sympathie für den Friedensprozeß klar zum Ausdruck bringen. Das gilt in ganz besonders hohem Maße für den Besuch hier bei Ihnen, Herr Vorsitzender. Ich möchte Sie vor allem ermutigen, auf diesem schwierigen Weg voranzugehen. Sicher, es ist ein Weg, auf dem Sie, wie auch Ihre Gesprächspartner, viele Anfeindungen erfahren. Demagogen sind auch hier dabei, ihr Werk zu tun. Aber Demagogen haben in der Geschichte immer nur Leid und Elend und nie Frieden gebracht.

Es ist wichtig, daß der Frieden jetzt vorankommt und daß die Menschen in dieser Region und nicht zuletzt bei Ihnen erkennen, daß dieser Friede für ihr persönliches Glück entscheidend ist. In einer Region mit über 50 Prozent Arbeitslosigkeit geht es jetzt aber vor allem um Arbeit und Brot, um die Zukunft für die jetzige und die kommende Generation zu sichern. Es ist daher besonders wichtig, den Weg, der durch die unter großen Mühen getroffenen Abmachungen vorgezeichnet ist, unbeirrt weiterzugehen. Hierbei kommt es auch darauf an, daß die angekündigten Wahlen bald stattfinden. Dies wäre ein wichtiges Signal für einen Weg der Normalisierung. Ich werde nach meiner Rückkehr den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union über diese Reise berichten. In Vorbereitung auf den EU-Gipfel Ende Juni in Cannes werde ich zudem in einem schriftlichen Bericht noch einmal niederlegen, was ich an konkreten Maßnahmen im Autonomiegebiet jetzt für notwendig halte. Als einen weiteren Schritt unserer Hilfsmaßnahmen haben wir im übrigen heute eine einmalige zusätzliche Aufbauhilfe in Höhe von 10 Miffionen DM für den Aufbau von Verwaltungsstrukturen vereinbart. Es gibt aber bereits eine Reihe weiterer Vorschläge. Wir haben darüber intensiv gesprochen. Ich denke an die Einrichtung von Industrieparks und Unternehmungen, die Arbeitsplätze schaffen. Das Problem der Wasserversorgung und -entsorgung muß gelöst werden. Die Frage des Baus eines Flughafens ist angesprochen worden. Diese wenigen Beispiele sollen genügen. Man muß jetzt Bewegung und Dynamik in diese Entwicklung bringen.

Ich habe vor allem den Wunsch, daß diese von Gewalt und Elend heimgesuchte Region auf Dauer zum Frieden findet. Das habe ich in diesen Tagen auch in Kairo zu Hosny Moubarak gesagt, in Amman zu König Hussein und in meinen Gesprächen mit Yitzhak Rabin und Shimon Peres in Jerusalem. Ich hoffe sehr, Herr Vorsitzender, daß unsere Begegnung den Menschen dieser Region ein Stück Optimismus und Hoffnung gibt. Dann hat sich die Reise mehr als gelohnt. Verleihung der Ehrendoktorwürde der Ben-Gurion-Universität

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl hielt anläßlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Ben-Gurion-Universität am 7. Juni 1995 in Sde Boker/Negev folgende Rede:

Herr Außenminister,
Herr Rektor der Universität,
Magnifizenzen,
meine Herren Professoren,
Studenten, Schülerinnen und Schüler,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich danke Ihnen für die große Ehrung, die mir heute zuteil wird. Es ist für mich ein bewegender Augenblick, daß wir uns hier gemeinsam am Grab David Ben Gurions versammeln und ich hier die Ehrendoktorwürde entgegennehmen darf. David Ben Gurion gehört zu den großen Staatsmännern, den prägenden Gestalten dieses Jahrhunderts. Sein Name steht weltweit für eine großartige Generation von Männern und Frauen, die den Staat Israel aufgebaut haben. Für uns Deutsche verbindet sich mit seinem Namen nicht zuletzt die Erinnerung an die entscheidenden Schritte der Annäherung zwischen dem Staat Israel und der Bundesrepublik Deutschland.

Vor 50 Jahren ging der vom nationalsozialistischen Regime in Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg zu Ende. Zugleich endete die Shoah - ein Verbrechen, das in der Geschichte ohne Beispiel ist. Nur noch ganz wenige können sich heute wirklich vorstellen, welch menschliche Größe, welcher Mut dazu gehörte, schon wenige Jahre später von jüdischer Seite wieder auf Deutschland zuzugehen. Ich weiß, daß in diesen Tagen - 50 Jahre danach - bei vielen Menschen Wunden wieder zu schmerzen beginnen, die längst verheilt schienen. Es gibt Wunden, die nie verheilen. Deshalb gilt unsere besondere Achtung den Überlebenden der Shoah. Ihr Zeugnis ist für uns alle und vor allem für uns Deutsche eine bleibende Mahnung. Ich erinnere an die historischen Begegnungen Nahum Goldmanns 1951 in London und David Ben Gurions 1960 in New York mit Konrad Adenauer. Nahum Goldmann und David Ben Gurion waren bereit, nur zu verständliche Gefühle der Bitterkeit und Ablehnung mit Menschlichkeit zu überwinden. Wie Konrad Adenauer waren sie von dem Willen beseelt, über die Abgründe der Vergangenheit Brücken zu bauen, um gemeinsame Wege in die Zukunft zu finden.

Ben Gurion hat dies vor 35 Jahren so formuliert: „Ich gehöre einem Volk an, das die Vergangenheit nicht vergessen kann. Wir denken an die Vergangenheit nicht, um darüber zu brüten, sondern um sicher zu gehen, daß sie sich nicht wiederholt." Dieser Grundsatz, meine Damen und Herren, hat seither all jene Männer und Frauen geleitet, die sich für den Ausbau der deutsch-israelischen Beziehungen eingesetzt haben. Dieser Grundsatz bleibt weiterhin gültig.

In seiner Erklärung vom 27. September 1951 vor dem Deutschen Bundestag bezeichnete es Konrad Adenauer in feierlicher Form als „vornehmste Pflicht des deutschen Volkes", im Verhältnis zum Staate Israel und zum jüdischen Volk den „Geist wahrer Menschlichkeit wieder lebendig und fruchtbar" werden zu lassen. Damit drückte er nicht nur seine persönliche Meinung aus. Diese Überzeugung und dieser Grundsatz werden vielmehr von allen demokratischen Kräften in der Bundesrepublik Deutschland geteilt.

In diesem Jahr des Gedenkens können wir auch auf dreißig Jahre diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland zurückschauen. In diesen drei Jahrzehnten hat Israel nicht nur schwerste Bedrohungen seiner Existenz überstanden, sondern auch in seinem inneren Aufbau eine beispiellose Entwicklung genommen.

Im Bereich der Hochtechnologie oder bei Forschung und Entwicklung hat Ihr Land einen großen Sprung nach vorn gemacht. Zugleich stand Israel vor der Herausforderung, die Integration von Ilunderttausenden jüdischer Zuwanderer, vor allem aus der ehemaligen Sowjetunion, zu meistern. Israels mutige Friedenspolitik eröffnet heute neue Chancen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit seinen Nachbarn und macht es zu einem attraktiven Platz für ausländische und ich hoffe auch für deutsche Investoren.

Meine Damen und Herren, als Konrad Adenauer 1966 - damals bereits im Ruhestand und in biblischem Alter - David Ben Gurion hier am Rande der Wüste erstmals besuchte, konnten beide von einer derartigen Entwicklung nur träumen. Der eine war 90, der andere 79 Jahre alt, aber sie dachten trotz vielleicht gerade wegen - ihres Alters über den Tag weit hinaus. Ich bin ganz sicher, beide würden mit großer Genugtuung heute auf das Erreichte blicken, könnten sie nur unter uns sein. Mit Stolz und Freude könnten sie die späten Früchte ihrer Arbeit betrachten. Nach den Vereinigten Staaten von Amerika ist Deutschland für Israel heute der zweitwichtigste Wirtschaftspartner.

David Ben Gurion würde feststellen, daß seine Vision von einem starken, von einem fruchtbaren Israel Wirklichkeit wurde. Konrad Adenauer könnte mit Freude auf den heutigen Stand der Beziehungen zwischen Israel und dem mittlerweile wiedervereinigten Deutschland blicken. Die Visionäre von einst - und das sage ich vor allem den jungen Menschen, die hier sind - haben sich als Realisten von heute erwiesen. Dankbarkeit, so hat es der deutsche Theologe Romano Guardini einmal formuliert, ist die Erinnerung des Herzens. Wir haben Grund, in diesem Sinne viel Dankbarkeit zu empfinden. Dankbarkeit für das, was uns durch diese beiden Männer geschenkt wurde und was so viele in unseren Völkern, Bekannte und Unbekannte, daraus zum Guten haben wachsen lassen.

Meine Damen und Herren, in der Europäischen Union sind wir stets mit besonderem Nachdruck für die vitalen Interessen des Staates Israel eingeiruten. Ich selbst halte es für entscheidend, daß die Europäische Union die Assoziierung mit Israel weiter vertieft. Ich denke dabei eben nicht nur an die ökonomischen Fragen. Ich bin vielmehr davon überzeugt, daß die politischen und vor allem auch die kulturellen Beziehungen und Bindungen zwischen Europa und Israel eine immer wichtigere Rolle spielen werden. Die europäische Kultur hat geistige Wurzeln im Judentum, genauso wie der Staat Israel historische Wurzeln in Europa hat. Dabei ist die Begegnung zwischen den Menschen von entscheidender Bedeutung. So wichtig gute offizielle Beziehungen sind, sie können auf keinen Fall die persönlichen Begegnungen zwischen den Menschen, vor allen Dingen zwischen jungen Leuten, ersetzen.

Viele Deutsche nehmen sehr engagiert Anteil am Schicksal Israels. Sie tun dies mit der Bereitschaft, sich ehrlich mit den düsteren Kapiteln in der Geschichte unseres Volkes auseinanderzusetzen, aber auch voller Bewunderung für Ihr Land, das soviel Dynamik und Vitalität ausstrahlt. Tausende deutscher Pilger, Urlauber, freiwilliger Hilfskräfte und junge Leute suchen Jahr für Jahr die Begegnung mit den hier lebenden Menschen in Israel. So ist ein dichtes Netz von persönlichen Beziehungen entstanden, das, da bin ich sicher, der eigentliche Schatz des deutsch-israelischen Verhältnisses ist und auch für die Zukunft sein wird.

Meine Damen und Herren, Sde Boker, dieser herrliche grüne Ort am Rande der Wüste, ist nicht immer so fruchtbar gewesen. Das, was hier entstanden ist, ist das Ergebnis von Kampf und harter Arbeit und vor allem von einem Glauben an die Zukunft und unbeirrbarem Optimismus. David Ben Gurion hatte den Traum, „die Wüste zum Blühen zu bringen". Sein Traum - und wir alle spüren es in dieser Stunde - ist hier in Erfüllung gegangen. Wenn ich von Optimismus spreche, wende ich mich besonders an Sie, liebe Studentinnen und Studenten. Sie wachsen jetzt hinein in eine Welt voll neuer Chancen und neuer Horizonte.

Natürlich weiß ich, daß wir wachsam bleiben müssen, um Rückfälle in vergangene Zeiten zu verhindern. Zugleich pläcliere ich mit Leidenschaft für einen realistischen Optimismus, für eine Überzeugung, wie sie David Ben Gurion und Konrad adenauer geprägt hst. Sie gab ihnen die Kraft, scheinbar Unmögliches Wirklichkeit werden zu lassen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam, Deutsche wie Israelis, unseren Garten bebauen und ergrünen [assen: zum Wohl unserer Völker, für den Frieden, für die Freiheit, den Wohlstand und eine glückliche Zukunft in der Welt. Dazu wünsche ich uns allen Gottes Segen.

Ansprache vor der Hebraischen Universität

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl hielt vor der Hebräischen Universität anläßlich der Umbenennung des Instituts für Europäische Studien in „Helmut-Kohl-Institut für Europäische Studien" am 8. Juni 1995 in Jerusalem folgende Ansprache:

Herr Ministerpräsident,
Herr Präsident der Universität,
meine Damen und Herren Professoren,
liebe Studentinnen und Studenten,

Exzellenzen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen sehr herzlich für diese hohe Ehrung. Die Verbindung des Instituts für Europäische Studien der Hebräischen Universität mit meinem Namen ist für mich eine große Ehre und Auszeichnung. Ich freue mich von Herzen darüber. Ich sage Ihnen ganz offen, ich hätte in meinen kühnsten Träumen nicht davon geträumt, daß ich heute hier als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland stehen würde, um eine solche Ehrung zu empfangen.

Meine Damen und Herren, diese Hochschule hat in den 70 Jahren ihres Bestehens einen ganz wesentlichen Beitrag zum Aufbau in Palästina und später in ihrem Staat, im Staat Israel, geleistet. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat diese Universität eine Pionierrolle im wissenschaftlichen Dialog zwischen dem Staat Israel und der Bundesrepublik Deutschland wahrgenommen. Heute arbeiten mehr als 500 deutsche Wissenschaftler mit Kollegen von der Hebräischen Universität zusammen. Die sehr vielfältigen Beziehungen und Kooperationsvereinbamngen mit deutschen Universitäten und Stiftungen sind ein wichtiger Beitrag zum wissenschaftlichen und kulturellen Miteinander unserer beiden Länder.

Sicher, Fragen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit sind in unserer heutigen auf Arbeitsteilung basierenden Welt von fundamentaler Bedeutung. Aber ich glaube, es würde ein armes 21. Jahrhundert sein, wenn die kulturelle und wissenschaftliche Dimension daneben verkümmerte und wir all das, was das Leben wirklich schön und lebenswert macht, sozusagen nebenher laufen ließen oder ganz als ein Werk von Spezialisten betrachteten. Ich freue mich daher über jeden weiteren Schritt der Zusammenarbeit zwischen deutschen und israelischen Universitäten, auch Ihrer Universität.

Meine Damen und Herren, in diesem Jahr besonderen Gedenkens an das Ende des Zweiten Weltkriegs und der NSGewaltherrschaft erinnere ich mit besonderer Dankbarkeit und großer Bewegung an die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel vor 30 Jahren. Für den Staat Israel, in dem viele tJberlebende der Shoah eine neue Heimat fanden, war dieser Schritt alles andere als selbstverständlich. Er brachte uns - nur 20 Jahre nach dem 8. Mai 1945 - auf dem von Nahum Goldmann, David Ben Gurion und Konrad Adenauer eingeschlagenen Weg der Verständigung und der Zusammenarbeit ein großes Stück voran.

Unsere Beziehungen sind in besonderer Weise von der Vergangenheit geprägt. Das den europäischen Juden von Deutschen in den Jahren der Barbarei der NS-Zeit zugefügte Leid ist ein unauslöschlicher Teil der Geschichte des Judentums. Es ist aber auch ein unauslöschlicher Teil deutscher Geschichte. Wir können aus dem Grauen dieser Vergangenheit für uns und künftige Generationen nur die Lehre ziehen, die Würde des Menschen und sein Lebensrecbt als höchstes Gut zu schützen und zu verteidigen.

Unsere beiden Länder haben bei aller Verschiedenheit vieles gemeinsam. Wir sind gleichen, auf Demokratie, Recht und Freiheit beruhenden Werten verpflichtet. Im Blick auf diese gemeinsamen Ziele ist das deutsch-israelische Verhältnis immer auch und ganz nachdrücklich auf die Zukunft gerichtet. Gemeinsam wollen wir uns für die Schaffung und Festigung eines sicheren Friedens einsetzen.

Ich betrachte diese heutige Ehrung nicht so sehr als eine Auszeichnung für eine bestimmte Person, sondern als eine Anerkennung für die Politik der europäischen Einigung, die seit Konrad Adenauer neben der Freundschaft mit unseren Partnern in Amerika zum Herzstück der deutschen Außenpolitik gehört. Das außenpolitische Vermächtnis Konrad Adenauers ist schon in seiner ersten Regierungserklärung nach seiner Wahl zum Bundeskanzler 1949 deutlich geworden, als er damals von der Aussöhnung mit den Gegnern und Feinden des Krieges sprach. Er nannte drei Staaten, mit denen die Deutschen aus historischen Gründen eine politische Beziehung besonderer Qualität haben müßten. Er sprach vom Verhältnis zu Frankreich, zu Polen und zum Staat Israel. Das war und bleibt Maxime deutscher Politik, auch und gerade weil es die Lektion deutscher und europäischer Geschichte beinhaltet. Die europäische Integration, die in jenen Tagen begann, war die Antwort weitsichtiger Männer und Frauen auf die schrecklichen Erfahrungen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Sie war immer gedacht als eine Abkehr von der nationalstaatlichen Machtpolitik ds vergangenen Jahrhunderts, einer Politik, auf der kein Frieden ruhte. Die Politik der rein hegemonialen Betrachtung hat bis zur Mitte dieses Jahrhunderts immer wieder zu gefährlichsten Instabilitäten geführt, sie hat zu den europäischen Bruderkriegen beigetragen.

Auch und gerade nach dem Ende des Kalten Krieges und auch und gerade nach der deutschen Wiedervereinigung halten wir Deutsche entschieden an der Fortführung der europäischen Einigung fest. Es gilt jener knappe Satz Konrad Adenauers, wonach deutsche Einheit und europäische Einigung zwei Seiten derselben Medaille sind. Wir Deutschen haben mehr Nachbarn als alle anderen in Europa. Was in unserer Nachbarschaft geschieht, berührt uns sehr unmittelbar, und das gilt auch umgekehrt. Gerade deshalb haben wir ein ganz besonderes elementares nationales Interesse an einer Europäischen Union, der eines Tages alle unsere Nachbarn angehören. Diese Union muß ein festes Haüs sein. Ein lockerer Zusammenschluß, etwa nach Art einer gehobenen Freihandelszone, ist mit Sicherheit keine Antwort auf die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft. Sie birgt vor allem das Risiko in sich, daß plötzliche Stimmungsschwankungen oder natürliche Gegensätze, die auch unter Freunden und Partnern auftreten, einzelne Länder in die Isolation führen - mit den negativen Konsequenzen, die wir endlich überwunden haben wollen. Die Euopäische Union hat die machtpolitischen Rivalitäten in Europa überwinden helfen. Wir sind jetzt dabei, meine Damen und Henen, in den nächsten zwei Jahren mit dem Folgevertrag von Maastricht den Prozeß des Baus des Hauses Europa irreversibel zu machen. „irreversibel" heißt für mich, daß man später wohl über das Tempo der Integration in einzelnen Politikbereichen diskutieren kann, daß sich aber die Richtung nicht mehr verändern läßt. Das ist unser und vor allem mein ganz persönliches Ziel.

Sie wissen, ich komme aus der deutsch-französischen Grenzregion, der Pfalz. In dieser Ländschaft haben die Menschen über 200 Jahre hindurch Generation auf Generation Zerstörung und Wiederaufbau erlebt. Oft genug haben die Menschen nach vielen Rückschlägen resigniert und ihre Zuflucht

in der Auswanderung in die Neue Welt gesucht. In unserer Generation ist aus Feindschaft und törichtem Gegeneinander Freundschaft zwischen Franzosen und Deutschen gewachsen, und zwar nicht nur zwischen Regierungen, sondern zwischen den Völkern und nicht zuletzt zwischen vielen Franzosen und Deutschen.

Ich denke, dies ist auch eine Botschaft für die Menschen hier. Die Botschaft, daß es trotz aller Widrigkeiten, Haß, Not und Leid möglich ist, einen neuen Anfang zu wagen. Wir möchten Sie auf diesem Weg, der Friede bedeutet, unterstützen. In diesem Jahr des Gedenkens wird den Menschen bei uns auf besonders eindringliche Weise bewußt, was es heißt, schon 50 Jahre in Frieden zu leben. Es ist die längste Friedensperiode in der jüngeren deutschen Geschichte. Um diesen Frieden zu erhalten, wollen wir den Weg zu einem geeinten Europa unumkehrbar machen. Wir wollen dieses Haus Europa als ein wetterfestes Haus, in dem alle europäischen Völker, je nach ihren Bedürfnissen, ihre Wohnung haben. Ich füge hinzu: Wir wollen in diesem Haus auch ein dauerhaftes Wohnrecht für unsere amerikanischen Freunde haben.

Unsere Hoffnungen auf Frieden in Europa haben sich noch nicht überall erfüllt. Tag für Tag und Abend für Abend sehen wir die schrecklichen Bilder aus dem ehemaligen Jugoslawien, und auch im Kaukasus herrscht blutiger Krieg. Es bedrückt mich, daß wir Europäer nicht in der Lege sind, die von uns in vielen Dokumenten feierlich bekräftigten Prinzipien für ein gedeihliches Zusammenleben überall auf unserem eigenen Kontinent durchzusetzen. Nach wie vor gibt es Chauvinismus und Fundamentalismus, nach wie vor gibt es Verfolgung ethnischer und religiöser Minderheiten. Wir werden uns nicht damit abfinden, und wir werden nicht in unseren Anstrengungen nachlassen, Frieden und Freiheit überall in Europa zu erreichen.

Meine Damen und Herren, in Europa und im Nahen Osten ist nach dem Ende des Ost-West-Konflikts das Bewußtsein dafür gewachsen, daß in der Welt von morgen beide Regionen sehr viel stärker als bisher voneinander abhängig sein werden. Friede, wirtschaftliche Entwicklung und soziale Gerechtigkeit sind ebenso ein gemeinsames Anliegen wie der verantwortliche Umgang mit Rohstoffen, Energiequellen und unserer Umwelt. Israel hat dabei eine Schlüsseirolle. Ich möchte Ihnen darum meine Botschaft erneuern: Wir, die Deutschen, engagieren uns mit großem Nachdruck für eine enge Zusammenarbeit der Europäischen Union mit Ihrem Land. Ich freue mich darüber, daß es auch dank unserer Initiative gelungen ist, auf dem Europäischen Rat im vergangenen Spätherbst in Essen auf diesem Weg ein gutes Stück voranzukommen. Der Europäische Rat hat in seinen Schlußfolgerungen auf meinen Vorschlag hin klar und deutlich festgehalten - ich zitiere-: „... daß Israel in Anbetracht seines hohen Entwicklungsstandes auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und des gemeinsamen Interesses im Verhältnis zur Europäischen Union einen privilegierten Status erhält." Das ist ein klares Wort. Diesen Beschluß gilt es nun in praktische Politik umzusetzen. Sie können fest damit rechnen, daß wir, die Deutschen, und auch ich selbst alles tun werden, um gemeinsam mit Ihrer Regierung rasch zu praktischen Ergebnissen zu kommen.

Der Mittelmeerraum stellt für die Europäische Union ein Gebiet von schicksalhafter Bedeutung dar. Bei einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, wie sie im Vertrag von Maastricht verankert ist, wird die künftige Mittelmeerpolitik eine zentrale Bedeutung haben. Natürlich müssen die Staaten in dieser Region zunächst selbst ihren eigenen Beitrag leisten für einen dauerhaften und gerechten Frieden. Dazu gehört nicht zuletzt der Abbau des zum Teil dramatischen sozialen Gefalles in und zwischen den verschiedenen arabischen Ländern. Armut und Übervölkerung sind überall - und das ist eine Lektion der Geschichte - Brütstatten des politischen Extremismus. Dieser Extremismus hat bis heute schon einen viel zu hohen Blutzoll gefordert. Die Bundesregierung ist bereit, auch in Zukunft bilateral und gemeinsam mit unseren Partnern das in unseren Kräften Stehende zu tun, um zu ökonomischer, sozialer und politischer Stabilität in dieser für Europa und Deutschland so wichtigen Region beizutragen.

Meine Damen und Herren, so wichtig wirtschaftliche Fragen auch sind, so sollten wir gleichwohl auch den kulturellen und geistigen Zusammenhang zwischen unseren Völkern und den Menschen, die hier leben, nicht vergessen. Mir liegt dabei ein Thema besonders am Herzen: der Dialog zwischen len großen monotheistischen Weitreligionen. Wir wissen aus der Erfahrung der Geschichte, daß keine Religionsgemeinschaft frei ist von der Gefahr des Fanatismus. Wer zum Dialog über die Grenze der eigenen Religion hinweg bereit ist, wirkt dieser Gefahr entgegen. Aber Dialog setzt immer auch Verständigungsbereitschaft auf beiden Seiten voraus, und die Anerkennung bestimmter Grundregeln.

Im Interesse des Friedens brauchen wir das Gespräch zwischen Juden, Christen und Muslimen. Ich nenne bewußt die großen Religionsgemeinschaften, die hier in Ihrer Region ihren Ursprung haben und die durch grundlegende Überzeugungen miteinander verbunden sind, vor allem durch den gemeinsamen Glauben an den einen Gott und gemeinsame ethische Überzeugungen. Ich weiß natürlich um die großeu Unterschiede, die immer wieder Quelle von Mißverständnissen, ja Konflikten sind. Aber gerade deshalb ist es gut, sich immer wieder daran zu erinnern, daß es auch Gemeinsamkeiten gibt. Juden und Christen und Muslime gehören als Kinder Abrahams zu einer großen Familie. Ich finde, das sollten wir nicht vergessen. Nur im gemeinsamen Dialog und indem wir lernen, stärker aufeinander zuzugehen, können wir bisher Trennendes wirklich überwinden.

Meine Damen und Herren, ich bin sicher, daß die gute Tradition der Hebräischen Universität auch in diesem Sinne fortgeführt wird. Lassen Sie uns das Gespräch miteinander pflegen, ausbauen und vertiefen. Wir reden ja jetzt soviel von modernster Kommunikation und sogar von sogenannten Datenautobahnen. Ich habe gelegentlich das Gefühl, daß wir darüber oft vergessen, ganz einfach miteinander zu reden. Dieses möchte ich für uns gemeinsam einfordern.

Erlauben Sie mir, noch ein Wort an die Studentinnen und Studenten zu richten. Alles das, was jetzt mit Mut und Klugheit getan wird, um hier in Ihrer Region Frieden zu schaffen, und alles was getan wird, um das Haus Europa zu bauen und einen dauerhaften Frieden in diesem alten Kontinent zu schaffen, macht nur einen Sinn, weil wir das Staffeffiolz an Sie, die nächste Generation, weitergeben werden. Denn Sie sind die Zukunft.

Ich wünsche Ihnen für Ihre Zukunft viel Glück und Gottes Segen. Ich wünsche Ihnen vor allem, daß Sie in einer friedlichen Zeit Ihr ganz persönliches privates Glück finden. Ich wünsche Ihnen aber auch, daß Sie erkennen, wie sehr Ihr privates Glück davon abhängig ist, daß Sie sich über Ihr eigenes Ich hinaus gemeinsam mit anderen für das Ganze, für das Wohl ihres Landes einsetzen. Ich wünsche den Pmfessoren und Studenten des Inslituts für Europäische Studien viel Glück bei Ihrer Arbeit. Ich wünsche dieser Universität, daß der Weg in die Zukunft gesegnet sei.

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