kommuniqué der ministertagung des nordatlantikrats vom 6. bis 7. juni 1991 in kopenhagen

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auf ihrem gipfeltreffen in london im vergangenen juli
legten unsere staats- und regierungschefs unser buendnis
freier und demokratischer staaten auf einen
anpassungsprozess fest, angemessen den veraenderungen, die das
antlitz europas gewandelt haben. die von ihnen in auftrag
gegebene grundlegende ueberpruefung der politischen und
militaerischen buendnisstrategie wird auf allen ebenen
vorgenommen und naehert sich ihrem abschluss. unsere staats-
und regierungschefs werden am 7. und 8. november 1991 in
rom zusammentreten, um diesen prozess zu ende zu fuehren.
der mit der londoner erklaerung eingeleitete prozess ist ein
wichtiger beitrag zur staerkung der stabilitaet und sicherheit
in einem freien europa. unsere bemuehungen, stabilitaet in
frieden und freiheit zu gewaehrleisten, werden die
politischen, wirtschaftlichen, sozialen und oekologischen elemente
der sicherheit ebenso wie die unverzichtbare
verteidigungsdimension in rechnung stellen. das buendnis, die eg,
die weu, die ksze und der europarat sind die wesentlichen
institutionen in diesem bemuehen. unser hoechstes ziel, das
uns leitet, ist die schaffung einer gerechten und dauerhaften
friedensordnung in ganz europa.
in verfolg dieses zieles ist in juengster zeit viel erreicht
worden. nach inkrafttreten des vertrags ueber die
abschliessende regelung in bezug auf deutschland nimmt das
vereinte deutschland zum ersten mal an einer ministertagung
des nordatlantikrats als voll souveraener mitgliedstaat dieses
buendnisses teil. wie wir in unserer gestern abgegebenen
erklaerung festgestellt haben, ist die teilung europas
ueberwunden (s. s. 528).
in erfuellung der verpflichtungen aus der charta von paris
und der gemeinsamen erklaerung der 22 staaten, die im
vergangenen november unterzeichnet wurden und nun
immer groessere bedeutung erlangen, arbeiten wir mit der
sowjetunion und den anderen mittel- und osteuropaeischen
staaten enger als je zuvor zusammen. wir werden alles
daransetzen, die bevorstehende ksze-aussenministertagung
in berlin zu einem entscheidenden neuen schritt in
der entwicklung des ksze-prozesses zu machen.
in anpassung an die neue aera in europa und in dem
bestreben, kooperative sicherheitsstrukturen fuer das eine
und freie europa zu entwickeln, wird das buendnis auch
weiterhin seine staendigen grundlegenden aufgaben erfuellen.
wir haben heute eine gesonderte erklaerung mit den fuer
das buendnis massgeblichen sicherheitspolitischen
kernfunktionen verabschiedet (s. s. 527). sie werden eine
wesentliche grundlage bilden, die die verbuendeten in die lage
versetzt, vollen nutzen aus den sich beim bau des neuen
europa bietenden chancen zu ziehen.

1.
eine umgewandelte atlantische allianz ist ein wesentliches
element in der neuen architektur eines ungeteilten europa,
wir stimmen darin ueberein, dass die allianz die flexibilitaet
haben muss, sich kuenftig so zu entwickeln, wie die
sicherheitslage dies gebietet. eine wichtige grundlage fuer
diese umwandlung ist das einvernehmen der verbuendeten, die
rolle und die verantwortung der europaeischen
buendnismitglieder zu staerken. wir begruessen die bemuehungen,
im prozess der europaeischen integration die sicherheitsdimension
weiter zu staerken und erkennen die bedeutung des
fortschritts an, den die staaten der europaeischen gemeinschaft
auf dem wege zum ziel der politischen union gemacht
haben, einschliesslich der entwicklung einer gemeinsamen
aussen- und sicherheitspolitik.
diese beiden positiven prozesse staerken sich gegenseitig.
die entwicklung einer europaeischen sicherheitsidentitaet und
rolle in der verteidigung, reflektiert in der staerkung des
europaeischen pfeilers im buendnis, wird die integritaet und
wirksamkeit des atlantischen buendnisses verstaerken.

2.
wir sind entschlossen, parallel zur herausbildung und
entwicklung einer europaeischen sicherheitsidentitaet und rolle
in der verteidigung die wesentliche transatlantische bindung
zu staerken, die das buendnis gewaehrleistet, und in vollem
umfang die strategische einheit und die unteilbarkeit der
sicherheit aller unserer mitgliedstaaten aufrechtzuerhalten.
die allianz ist das wesentliche forum fuer konsultationen
unter den verbuendeten und fuer die vereinbarung von
politischen massnahmen, die sich auf die sicherheits- und
verteidigungsverpflichtungen ihrer mitgliedstaaten nach dem
nordatlantikvertrag auswirken, wie in der diesem
kommunique beigefuegten erklaerung ueber die
sicherheitspolitischen kernfunktionen der nato ausgesagt (s. s. 527).
wir stimmen darin ueberein, dass die zur gewaehrleistung der
gemeinsamen verteidigung der verbuendeten notwendigen
militaerischen vorkehrungen aufrechterhalten werden
muessen. dies gilt insbesondere hinsichtlich der integrierten
militaerstruktur fuer die buendnisstaaten, die daran teilnehmen.

3.
wir sind uns darueber klar, dass es sache der betreffenden
europaeischen verbuendeten ist, darueber zu entscheiden,
welche massnahmen zur formulierung einer gemeinsamen
europaeischen aussen- und sicherheitspolitik sowie rolle in der
verteidigung erforderlich sind. darueber hinaus sind wir uns
einig, dass wir in dem masse, in dem die beiden prozesse sich
entwickeln, praktische vorkehrungen mit dem ziel treffen
werden, die gebotene transparenz und komplementaritaet
zwischen der europaeischen sicherheits- und
verteidigungsidentitaet, so wie sie sich unter den zwoelf und
in der weu herausbildet, und dem buendnis zu gewaehrleisten.
es wird insbesondere notwendig sein, geeignete
verbindungen und konsultationsmechanismen zwischen ihnen
einzurichten, um zu gewaehrleisten, dass die mitgliedstaaten,
die gegenwaertig nicht an der entwicklung einer europaeischen
identitaet zur aussen- und sicherheitspolitik sowie
verteidigung teilnehmen, angemessen an ihre sicherheit
betreffenden entscheidungen beteiligt werden.

4.
die verbuendeten sind davon ueberzeugt, dass
ruestungskontrolle und vertrauensbildende massnahmen eine
neue kooperative ordnung in europa, bei der kein staat
befuerchtungen bezueglich seiner sicherheit hegen muss, auch
kuenftig gestalten und festigen werden. der kse-vertrag ist
das fundament einer solchen stabilen und dauerhaften
friedensordnung auf dem kontinent.
in unserer gestrigen gesonderten erklaerung (s. s. 529)
brachten wir unsere hoffnung zum ausdruck, dass eine
verbindliche uebereinkunft erreicht werden kann, die
probleme zu loesen, die im zusammenhang mit dem vertrag
entstanden sind, so dass seine baldige ratifizierung,
inkraftsetzung und volle anwendung moeglich wird. sobald diese
uebereinkunft erzielt ist, wird uns das den weg oeffnen, in den
laufenden kse ia-verhandlungen unverzueglich neue
vorschlaege ueber militaerpersonal in europa vorzulegen. in den
vsbm-verhandlungen werden wir darauf hinarbeiten,
offenheit und stabilitaet weiter zu staerken.
im buendnis schreiten die arbeiten zur vorbereitung neuer
verhandlungen ueber konventionelle streitkraefte in europa
voran, verhandlungen, die nach dem ksze-folgetreffen
von helsinki im jahre 1992 vorgesehen sind und die allen
ksze-mitgliedstaaten offenstehen. wir erwarten informelle
vorbereitende konsultationen ueber dieses thema mit
unseren ksze-partnern im herbst.

5.
die verbuendeten messen der fruehest moeglichen
verwirklichung eines vertragswerks ueber "offene himmel" als
wesentlichen beitrag zur transparenz zwischen allen
teilnehmerstaaten grosse bedeutung bei. wir haben kuerzlich
neue vorschlaege hierfuer gemacht, und wir fordern alle
teilnehmer auf, gemeinsam mit uns rasch wieder
ergebnisorientierte verhandlungen aufzunehmen.

6.
in den verhandlungen ueber die reduzierung strategischer
waffen (start) unterstuetzen die verbuendeten die
bemuehungen der vereinigten staaten von amerika, zu einer
endgueltigen uebereinkunft zu gelangen, die fuer die
strategische stabilitaet bis in das naechste jahrhundert hinein
einen rahmen schaffen wird. die vorbereitungen der davon
betroffenen verbuendeten fuer einen ruestungskontrollrahmen
fuer die amerikanisch-sowjetischen verhandlungen ueber den
abbau ihrer nuklearwaffen kuerzerer reichweite machen
fortschritte.

7.
die verbuendeten arbeiten seit vielen jahren daran,
fortschritte auf dem gebiet der nichtverbreitung und abruestung
auf regionaler und weltweiter grundlage zu beschleunigen.
die golfkrise hat bewiesen, was wir schon seit langem
erkannt haben: die verbreitung nuklearer, chemischer und
biologischer waffen und als deren traeger geeignete raketen
wie auch uebermaessige lieferungen konventioneller waffen
untergraben die internationale sicherheit und erhoehen das
risiko bewaffneter konflikte in aller welt.
um dieser herausforderung zu begegnen, bekennen wir uns
erneut zur raschest moeglichen verwirklichung von
fortschritten in den mit spezifischen verbreitungsproblemen
befassten internationalen foren. wir bejahen voll und ganz
das ziel, ein weltweites, umfassendes und wirksam
verifizierbares uebereinkommen ueber chemische waffen bis zur
jahresmitte 1992 abzuschliessen und unterstuetzen praesident
bushs initiative mit diesem ziel vom 13. mai. auf der
dritten ueberpruefungskonferenz zum b-waffen-uebereinkommen
im september 1991 werden wir uns das ziel setzen,
dieses uebereinkommen zu staerken und zu weiteren
beitritten anzuregen.
wir werden uns in den vereinten nationen und anderen
organisationen nachdruecklich darum bemuehen, das problem
uebermaessiger ansammlung konventioneller waffen durch
die wahrung von transparenz und zurueckhaltung in den
griff zu bekommen. einige unserer fuehrenden politiker
haben kuerzlich ruestungskontroll- und
nichtverbreitungsinitiativen vorgeschlagen, auch fuer den nahen
osten. diese initiativen sind ausdruck unseres bekenntnisses zu
den oben dargelegten zielen.

8.
der golfkonflikt bestaetigte die bedeutung von
konsultationen und informationsaustausch im buendnis, die zur
staerkung der politischen solidaritaet unter den verbuendeten
waehrend der gesamten krise beitrugen. die kollektiv bekundete
unterstuetzung fuer den verbuendeten, der sich einer
unmittelbaren bedrohung gegenuebersah, bewies unsere
entschlossenheit, zu unseren verpflichtungen aus artikel v des
nordatlantikvertrags zu stehen, und trug dazu bei, von einer
ausweitung der feindseligkeiten abzuschrecken.
obwohl das buendnis selbst nicht am golfkrieg beteiligt war,
verschafften die seit langem geuebte zusammenarbeit,
gemeinsame verfahren, gemeinsame verteidigungsvorkehrungen
und die von der nato aufgebaute infrastruktur
denjenigen verbuendeten wertvolle hilfestellung, die in
ihren jeweiligen anstrengungen zur unterstuetzung der
vn-sicherheitsrats-entschliessungen zum golf von ihnen
gebrauch machten.

9.
mit blick auf die zukunft sind wir der auffassung, dass
gerechte und dauerhafte loesungen der probleme am golf
und im nahen osten dringend vonnoeten sind. wir
unterstuetzen folglich die gegenwaertigen bemuehungen um
umfassende verhandlungsloesungen der probleme dieser region.

10.
die golfkrise unterstrich, dass wir in einer
interdependenten, zunehmend von technologischen fortschritten
gepraegten welt darauf vorbereitet sein muessen, uns mit anderen
unvorhersehbaren entwicklungen auseinanderzusetzen, die
ueber den rahmen herkoemmlicher buendnisanliegen hinausgehen,
sich jedoch unmittelbar auf unsere sicherheit auswirken.
mehr als je zuvor stellen weltweite, unsere sicherheitsinteressen
beruehrende entwicklungen legitime themen der konsultation,
und, wo erforderlich, der koordination unter uns dar.
wir werden uns deshalb mit umfassenderen problemen und
neuen weltweiten herausforderungen zunehmend
auseinandersetzen muessen. wir streben dieses in unseren
konsultationen und in den geeigneten multilateralen foren in
weitest moeglicher zusammenarbeit mit anderen staaten an.

11.
wir sprechen ihrer majestaet der koenigin und der regierung
daenemarks unseren tiefen dank fuer die uns liebenswuerdig
gewaehrte gastfreundschaft aus.