der chef des bundeskanzleramtes, bundesminister
friedrich bohl, erklaerte am 20.juni 1992 auf der
deutschlandpolitischen veranstaltung des bundes
der mitteldeutschen in bonn:

die jahre 1989 bis 1991 werden heute als schicksalsjahre
fuer europa bezeichnet - vergleichbar nur und in
eine reihe gestellt mit so bedeutenden revolutionaeren
oder schicksalstraechtigen jahren wie 1789, 1848
oder 1918.
es bleibt ein geschichtliches verdienst, dass in
dieser zeit die historisch einmalige chance der
deutschen wiedervereinigung von der bundesregierung
helmut kohl erkannt und zum richtigen zeitpunkt
genutzt wurde.
heute kann es keine ernsthafte diskussion mehr darueber
geben, dass das tempo zur deutschen einheit richtig
war. ich bin jedenfalls sehr froh, dass wir die staatliche
einheit vollenden konnten vor der zuspitzung der inneren probleme
in der sowjetunion - vor dem drohenden wirtschaftlichen
kollaps, dem umsturzversuch und dem zerfall. wie
waere wohl die geschichte in deutschland und mitteleuropa
verlaufen, wenn wir seinerzeit anders gehandelt
haetten?
waeren wir manchen forderungen des jahres 1990 gefolgt,
die das tempo verlangsamen wollten, dann haetten
wir manche probleme heute nicht. aber wir haetten
dann auch nicht die vollendung der deutschen einheit.
es gehoeren nicht viel sachverstand und phantasie
dazu, sich vorzustellen, dass die probleme in deutschland
und in osteuropa ohne die einheit heute sehr viel
groesser waeren - politisch, wirtschaftlich und nicht
zuletzt auch psychologisch.
nach vollendung der staatlichen einheit stehen wir
jetzt vor der historischen aufgabe, die innere einheit
deutschlands zu vollenden. dies ist ein gigantisches
unternehmen. es geht nicht ohne schmerzhafte anpassungsprozesse.
gleichzeitig stehen wir vor der geistigen herausforderung, in
deutschland zwei bisher gegensaetzliche gesellschaftsordnungen
zu vereinen. sie waren eben nicht nur durch einen
unterschiedlichen lebensstandard, sondern ueber viele
jahrzehnte hinweg durch ein unterschiedliches gesellschaftliches
bewusstsein gepraegt. wir werden unterschiede und
trennendes nur mit viel einfuehlungsvermoegen und
verstaendnis ausgleichen und ueberwinden koennen.
auch wenn immer noch viele arbeitsplaetze abgebaut
werden muessen, so hat der "aufschwung ost" doch
erkennbar begonnen. alle statistiken und umfragen
bestaetigen das. wer mit offenen augen durch die
neuen laender faehrt, der sieht, wie sich das raederwerk
der volkswirtschaft von monat zu monat zwar langsam,
aber mit zunehmender geschwindigkeit zu drehen beginnt.
westdeutsche unternehmen planen in diesem jahr investitionen
in hoehe von 44 mrd. dm. die treuhandanstalt hat im
zuge der privatisierung ein investitionsvolumen
von fast 130 mrd. dm fest vereinbart. mit unterstuetzung
von gegenwaertig etwa 25000 fachleuten aus dem oeffentlichen
dienst des westens konnte in den neuen laendern und
gemeinden eine verwaltung aufgebaut werden, die
allmaehlich zu funktionieren beginnt.
wir alle wissen, dass die einheit im inneren noch
nicht vollendet ist. der wiederaufbau der ruecksichtslos
ausgebeuteten und zugrundegerichteten jungen laender
erfordert unseren ganzen einsatz. ich bitte dafuer
um mitarbeit.
die deutsche einheit ist fuer viele die erfuellung
eines lebenstraumes. jetzt ist er wirklichkeit geworden,
und wir wollen die chance nutzen fuer unser volk,
fuer unser land und fuer europa!