erklaerung der bundesregierung ueber die gespraeche des bundeskanzlers mit generalsekretaer gorbatschow und ministerpraesident modrow

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bundeskanzler dr. helmut kohl gab in der 197. sitzung
des deutschen bundestages am 15. februar 1990 ueber
seine gespraeche mit generalsekretaer gorbatschow in
moskau und mit ministerpraesident modrow in bonn
folgende erklaerung der bundesregierung ab:

i.
frau praesidentin,
meine sehr verehrten damen und herren!

mit meinem amtseid auf das grundgesetz habe ich - wie
alle meine vorgaenger - die pflicht uebernommen, mit
besten kraeften darauf hinzuwirken, dass das deutsche
volk in freier selbstbestimmung die einheit und freiheit
deutschlands vollenden kann.
heute kann ich dem deutschen bundestag berichten:
noch nie, seit unser land geteilt, noch nie, seit unser
grundgesetz geschrieben wurde, sind wir unserem ziel,
der einheit aller deutschen in freiheit, so nahe
gekommen wie heute.
am vergangenen samstag wurden in moskau in den
gespraechen mit generalsekretaer gorbatschow die
weichen gestellt. das ergebnis dieser entscheidenden
begegnung lautet:
"generalsekretaer gorbatschow stellte fest - und der
kanzler stimmte ihm zu -, dass es jetzt zwischen der
udssr, der bundesrepublik deutschland und der ddr
keine meinungsverschiedenheiten darueber gibt, dass die
deutschen selbst die frage der einheit der deutschen
nation loesen und selbst ihre wahl treffen muessen, in
welchen staatlichen formen, in welchen fristen, mit
welchem tempo und unter welchen bedingungen sie diese
einheit verwirklichen werden." (tass, 11. februar 1990)
wer, meine damen und herren, fuehlt sich durch diese
worte in seinen gedanken, in seinen gefuehlen nicht
unmittelbar angesprochen?
dieses ergebnis macht deutlich, was wir immer gesagt
haben: wir sind ein volk.
wir freuen uns, dass wir diesen tag erleben duerfen. wir
sind entschlossen, die jetzt greifbar nahe chance mit
umsicht und mit entschlossenheit wahrzunehmen.
wir wissen, dass jetzt nicht ueberschwang der gefuehle,
sondern nuechternheit und augenmass geboten sind.
wir schulden dank an alle, die zu dieser geschichtlichen
wende beigetragen haben. unser dank gebuehrt in erster
linie unseren freunden und verbuendeten im
westen.
sie haben zu uns gehalten in den gefahrvollen zeiten, als
blockade, mauer und stacheldraht die teilung unseres
landes und seiner hauptstadt verewigen sollten.
sie haben zu uns gehalten in zeiten des kleinmuts, als
selbst hierzulande mancher das grundgesetz aendern
wollte, weil es angeblich eine "lebensluege dieser
republik" festschrieb.
sie haben zu uns gehalten in konflikttraechtigen zeiten,
als raketenruestung im osten und die westliche antwort
auch auf die deutschen dinge zurueckzuwirken drohten.
sie haben sich im deutschland-vertrag zum ziel der
deutschen einheit in freiheitlich-demokratischer form
bekannt, und sie haben beim eintreten in die
europaeische integration - in jenem zusatzprotokoll zu den
roemischen vertraegen - unseren beziehungen zur ddr eine
sonderstellung eingeraeumt. heute koennen wir darauf
aufbauen. dafuer sind und bleiben wir dankbar.
wir danken generalsekretaer michail gorbatschow,
der zusammen mit der tiefgreifenden umgestaltung
seines landes auch die sowjetische aussenpolitik in eine
neue richtung lenkte und neue dynamik und neues
denken vorgab.
jetzt veraendert dieses neue denken auch die
sowjetische deutschlandpolitik und erlaubt eine konstruktive
und zukunftstraechtige loesung der deutschen frage.
diese loesung - davon bin ich zutiefst ueberzeugt -
entspricht den wohlverstandenen sowjetischen interessen,
darin eingeschlossen auch die sicherheitsinteressen.
in unserer chance zur einheit liegt fuer die sowjetunion
die chance zur langfristigen partnerschaft mit einem
politisch stabilen und wirtschaftlich leistungsfaehigen
land in der mitte europas.
ja - und ich sage das mit bedacht - auch die chance,
dass das deutsche volk und die voelker der sowjetunion
endgueltig die schatten der vergangenheit hinter sich
lassen und sich die hand reichen.
lassen sie mich in dieser stunde hier vor dem hohen
haus - wie ich es auch im gespraech mit generalsekretaer
gorbatschow getan habe - den gefuehlen der menschen
in der sowjetunion respekt zollen, deren erinnerungen
aus persoenlichem erleben und erleiden in der
vergangenheit verhaftet sind. gerade auch ihnen gilt mein
wort: "von deutschem boden soll kuenftig nur frieden
ausgehen!"
wir danken in dieser stunde auch den polen und den
ungarn, den tschechen und den slowaken, die
mit tiefgreifenden reformen in politik, in wirtschaft und
gesellschaft vorangegangen sind. ohne ihr beispiel
waeren die juengsten entwicklungen in der ddr nicht
moeglich gewesen.
zum abschluss meines besuchs in der republik polen im
vergangenen herbst habe ich gesagt:
1980, auf der danziger lenin-werft, ging es um
ziele, die auch die deutschen in der ddr betreffen:
um freiheit, um menschenwuerde, um
menschenrechte, um selbstbestimmung.
bei meinem besuch, wenige wochen danach, im
dezember, in ungarn habe ich dankbar festgestellt:
ungarn hat den ersten stein aus der mauer
geschlagen.
gerade auch deshalb erneuere ich von dieser stelle aus
meine zusage: bei aller freude ueber die chance der
deutschen einheit, bei aller akuten sorge um die
lageentwicklung in der ddr werden wir unsere nachbarn
nicht vergessen. ihnen gilt heute und morgen unsere
unmittelbare solidaritaet.

nicht zuletzt, meine damen und herren, schulden wir
herzlichen dank unseren landsleuten in der
ddr: den menschen in berlin, in leipzig, in dresden, in
halle, in chemnitz und in plauen, die mit ihren parolen
"wir sind das volk" und "wir sind ein volk" mehr als alle
anderen getan haben, um diese chance fuer deutschland
zu erringen.
ihnen gelten in dieser stunde unser herzlicher gruss und
unser dank!
meine damen und herren, gerade das geschehen der
letzten sechs monate in der ddr hat auch bei der
sowjetischen fuehrung die einsicht reifen lassen, dass
richtung und tempo der entwicklung heute weder in der
ddr noch in den anderen reformstaaten mittel- und
osteuropas am gruenen tisch bestimmt werden koennen.
vielmehr haben die menschen ihr schicksal und ihre
zukunft selbst in die haende genommen.
generalsekretaer gorbatschow und ich waren uns einig,
dass den am 18. maerz anstehenden volkskammer-wahlen
schluesselbedeutung zukommen wird. angesichts der
wahlprogramme, mit denen die klare mehrheit aller
parteien und gruppierungen in der ddr antritt, konnte ich
meine feste ueberzeugung bekraeftigen - und der
generalsekretaer hat dem nicht widersprochen -, dass das
ergebnis dieser wahl nicht nur eine demokratisch legitimierte
und, wie wir hoffen, handlungsfaehige regierung sein
wird, sondern auch ein regierungsprogramm mit dem
klaren ziel: "einheit so bald wie moeglich!"
mit dem generalsekretaer war ich mir einig, dass nicht nur
wahlkampf und wahlen in geordneten bahnen verlaufen
muessen, sondern auch darin, dass der prozess der
einigung in einen stabilen europaeischen rahmen eingebettet
bleiben muss. nur auf diesen beiden gleisen kann das
ziel der deutschen einheit sicher erreicht werden.

mit den worten konrad adenauers
die deutsche frage kann nur unter einem
europaeischen dach geloest werden.

habe ich verdeutlicht, dass die bundesrepublik
deutschland von anfang an auf nationalistische alleingaenge
oder deutsche sonderwege verzichtet hat.
wir haben vielmehr von anfang an darauf gesetzt, die
trennung des eigenen landes zusammen mit der
teilung europas insgesamt zu ueberwinden.
ich habe deshalb in meinen zehn punkten davon
gesprochen, dass die architektur des kuenftigen deutschlands
in die architektur des kuenftigen europas einzupassen ist.
wir muessen neue, uebergreifende sicherheitsstrukturen
aufbauen.

das heisst fuer uns deutsche:

- wir achten die berechtigten sicherheitsinteressen aller
europaeischen laender, gerade auch der sowjetunion,

- und wir respektieren die sicherheitsbeduerfnisse und
die gefuehle aller europaeer, selbstverstaendlich und vor
allem auch unserer nachbarn.

unter diesen leitmotiven haben generalsekretaer
gorbatschow und ich - sowie bundesaussenminister genscher
und aussenminister schewardnadse - die wohl
schwierigste frage angesprochen: die zukunft der buendnisse.
ich habe meine ueberzeugung ausgedrueckt, dass auch bei
vernuenftiger wuerdigung der sicherheitsinteressen der
sowjetunion ein kuenftiges geeintes deutschland

- nicht neutralisiert oder demilitarisiert werden darf -
dies ist, kurz gesagt, "altes denken" -,

- sondern dass wir im westlichen buendnis eingebunden
bleiben sollen und wollen.

die geschichte dieses jahrhunderts, meine damen und
herren, zeigt: nichts ist der stabilitaet europas
abtraeglicher als ein zwischen zwei welten, zwischen west
und ost, schwankendes deutschland.
und umgekehrt gilt: deutschland im festen buendnis mit
freiheitlichen demokratien und in zunehmender
politischer und wirtschaftlicher integration in der
europaeischen gemeinschaft ist der unerlaessliche
stabilitaetsfaktor, den europa gerade auch in seiner mitte
braucht. ich habe zu diesem thema klargestellt,

- dass unser buendnis sich entsprechend seiner
zielsetzung verstaerkt auf seine politische rolle konzentrieren
muss und

- dass keine einheiten und einrichtungen des westlichen
buendnisses auf das heutige gebiet der ddr
vorgeschoben werden.

ich weiss mich in dieser zielrichtung mit dem praesidenten
der vereinigten staaten einig.
generalsekretaer gorbatschow und ich waren uns auch
einig, dass jeder anschein vermieden werden muss, dass
deutsche, aber auch die sowjets, fuer die anderen
europaeer sprechen - und schon gar nicht hinter deren ruecken
oder ueber deren koepfe hinweg. es kann deshalb nur
darum gehen, im gespraech mit allen beteiligten
tragfaehige loesungen zu finden.
zu den berechtigten interessen, die wir deutschen
achten wollen, gehoeren selbstverstaendlich auch die
besonderen rechte und verpflichtungen der sowjetunion, der
usa, grossbritanniens und frankreichs fuer berlin und fuer
deutschland als ganzes.

nach den beratungen der aussenminister in ottawa, ueber
die gleich anschliessend der bundesminister des
auswaertigen berichten wird, zeichnet sich folgender weg ab:
nach den wahlen am 18. maerz werden die
bundesregierung und eine demokratisch legitimierte regierung
der ddr ueber den weg der deutschen zu ihrer einheit
sprechen. wir deutschen werden uns dann mit den
amerikanern, den briten, den franzosen und den
sowjets ueber die aeusseren aspekte der schaffung der
deutschen einheit einschliesslich der sicherheitsfragen
der nachbarstaaten verstaendigen.
meine damen und herren, ich habe mit generalsekretaer
gorbatschow unsere analyse der wirtschaftslage und
der gesellschaftlichen entwicklungen in der ddr
besprochen. ich habe mit ihm das programm, das die
bundesregierung fuer die gespraeche mit ministerpraesident
modrow vorbereitet hatte, ausfuehrlich diskutiert.
wir waren uns einig - das gilt natuerlich nicht nur auf
wirtschaftlichem gebiet -, dass das mit der sowjetunion
erreichte nicht nur von einem geeinten deutschland
erhalten, sondern mit ihm weiter ausgebaut werden soll.
die wachstumsimpulse, die wir von der deutschen
einheit und von der europaeischen integration erwarten,
eroeffnen auch fuer unsere partner in mittel-, ost- und
suedosteuropa lohnende perspektiven.
dabei, meine damen und herren, ist unerlaesslich, dass
unsere partner ihre politik der oeffnung und der reformen
konsequent fortsetzen.
meine damen und herren, jeder weiss, dass reformen
auch schwierige uebergangsphasen kennen. bereits bei
unseren gespraechen in bonn im vergangenen juni habe
ich generalsekretaer gorbatschow angeboten, ihn im
rahmen unserer moeglichkeiten zu unterstuetzen.
ich freue mich, dass das letzte woche mit einer
nahrungsmittelaktion moeglich war. wir werden auch in
zukunft selbstverstaendlich unser wort halten!
meine damen und herren, in konstruktivem geist haben
wir auch ueber die lage der russland-deutschen
gesprochen. generalsekretaer gorbatschow versicherte mir
erneut, dass dieser teil der bevoelkerung grosses ansehen
geniesse.
die sowjetische fuehrung suche deshalb nach neuen
formen von autonomie, die den interessen der
betroffenen menschen gerecht werden. er strebe eine positive
loesung an, damit die menschen in der sowjetunion, in
ihrer heimat bleiben.
wir haben uns dann auch noch darauf geeinigt, dass im
naechsten jahr ein deutscher astronaut an einer
sowjetischen wissenschaftlichen raumfahrtunternehmung
teilnehmen wird. diese gemeinsame unternehmung im all
hat nicht nur ihre wissenschaftliche bedeutung, sie kann
auch zu einem symbol werden.
vertrauen, meine damen und herren, war auch in
moskau eine wichtige voraussetzung fuer den erfolg:

- generalsekretaer gorbatschow und ich haben an das
gute und vertraute persoenliche verhaeltnis anknuepfen
koennen, das wir bei unseren begegnungen im oktober
1988 und im juni 1989 aufgebaut haben,

- wir haben im sinn der damals unterzeichneten
gemeinsamen erklaerung unser ziel bekraeftigt, ein
verhaeltnis guter und verlaesslicher nachbarschaft dauerhaft
zu begruenden und damit an die guten traditionen
unserer jahrhundertelangen geschichte anzuknuepfen.

der generalsekretaer schloss unsere moskauer
unterredungen mit dem wort:

die beziehungen zwischen russland und deutschland
waren schon immer ein besonderes phaenomen - und
jede generation steht neu vor dieser herausforderung.
frau praesidentin, meine damen und herren, wir koennen
heute feststellen, dass die aktuelle situation durch drei
wichtige neue elemente gekennzeichnet ist:

- durch die ergebnisse des besuches in moskau,
- durch die weiterfuehrenden verabredungen in ottawa

- und durch unser angebot fuer eine waehrungsunion und
wirtschaftsgemeinschaft im rahmen der gespraeche
mit ministerpraesident modrow und seiner delegation.

es ist ganz offensichtlich: die lage in deutschland hat
sich qualitativ veraendert.
ii.
meine damen und herren, die gespraeche mit
ministerpraesident modrow und seiner delegation fanden in
einer sachlichen und sehr offenen atmosphaere statt. es kam
uns darauf an, hoffnungszeichen fuer die menschen in der
ddr zu setzen.

meine damen und herren, die lage hat sich deutlich
zugespitzt. die politischen parteien und gruppierungen
in der ddr am sogenannten runden tisch haben der
bundesregierung fuer das gespraech zwischen dem
ministerpraesidenten und mir ein positionspapier
uebermittelt, in dem sie von einer "lage" sprachen, "die
durch rasche destabilisierung gekennzeichnet ist".
fuer uns werden die zunehmenden probleme
insbesondere durch den anhaltend grossen zustrom von
uebersiedlern deutlich: ihre zahl belief sich 1989 auf
insgesamt rund 340 000. seit jahresbeginn, also in wenigen
wochen, sind rund 85 000 hinzugekommen. wenn sich
dieser zustrom in diesem monat fortsetzt, werden wir am
monatsende ueber 100 000 uebersiedler haben. ich will
das noch einmal im beispiel verdeutlichen: das
entspricht der einwohnerzahl der stadt dessau.
deswegen habe ich in den gespraechen mit
ministerpraesident modrow und seiner delegation unsere
wiederholt erklaerte bereitschaft hervorgehoben, kurzfristig
dort zu helfen, wo dies insbesondere aus humanitaeren
gruenden dringlich und notwendig ist.
entsprechende unterstuetzungsmassnahmen enthaelt der
nachtragshaushalt 1990.
ich nenne die stichworte devisenfonds, erp-kredit-
programm, schulung und technologietransfer,
umweltschutz, verbesserung der verkehrswege und hilfe im
bereich der medizinischen ausruestung.
insgesamt geht es um einen betrag von ueber 5 milliarden
dm.
eingeleitet worden ist ferner ein umfangreiches
programm technischer zusammenarbeit und konkreter hilfe
durch die post. die postpauschale wurde auf 300
millionen dm erhoeht. sie wird voll fuer den ausbau des
telefonnetzes der ddr verwendet.
das wird noch in diesem jahr - ich halte das fuer ein
wichtiges zeichen - zu einer spuerbaren verbesserung
des beiderseitigen telefonverkehrs fuehren.
all dies laesst klar erkennen: wir sind bereit, uns fuer
die menschen in der ddr zu engagieren, damit sie in ihrer
heimat bleiben und dort den dringend notwendigen
wirtschaftlichen wiederaufbau mitgestalten.
aber wir gehen einen entscheidenden schritt weiter:
ich habe ministerpraesident modrow das angebot
unterbreitet, sofortige verhandlungen zur schaffung einer
waehrungsunion und wirtschaftsgemeinschaft aufzunehmen.
beide seiten sind uebereingekommen, zu diesem zweck
eine gemeinsame kommission zu bilden, die ihre arbeit
unverzueglich beginnt.
fuer mich heisst unverzueglich: bereits in der naechsten
woche. die bundesregierung hat ihre mitglieder in dieser
kommission bereits benannt. ich will darauf draengen,
dass diese arbeit ohne jede verzoegerung und mit groesster
intensitaet vorangeht.
die dann notwendigen entscheidungen koennen aus
unserer sicht schon bald nach den wahlen am 18. maerz
durch eine frei gewaehlte volkskammer, und durch eine
frei gewaehlte regierung der ddr getroffen werden.

was bedeutet unser angebot konkret? das angebot
besteht im kern aus zwei teilen:

erstens: zu einem stichtag wird die mark der ddr als
waehrungseinheit und gesetzliches zahlungsmittel durch
die d-mark ersetzt.

zweitens: zeitgleich muessen von der ddr die
notwendigen rechtlichen voraussetzungen fuer die
einfuehrung einer sozialen marktwirtschaft geschaffen werden.

beide elemente, meine damen und herren, stehen fuer
die bundesregierung in einem unaufloesbaren
zusammenhang.
ich fuege hinzu: politisch und oekonomisch bedeutet
dieses angebot der bundesregierung, dass wir bereit sind,
auf ungewoehnliche ereignisse und herausforderungen in
der ddr unsererseits mit einer ungewoehnlichen antwort
zu reagieren.
ich sage dies auch im blick auf den einen oder anderen,
der - das ist aus seiner sicht verstaendlich - vor allem die
oekonomischen faktoren sieht und dabei die politische
lage in unserem land unzureichend beruecksichtigt.
ueber eines kann kein zweifel bestehen: in einer politisch
und wirtschaftlich normalen situation waere der weg ein
anderer gewesen, und zwar derjenige schrittweiser
reformen und anpassungen mit der gemeinsamen
waehrung erst zu einem spaeteren zeitpunkt.
vor diesem hintergrund - ich sagte es - gibt es kritische
stimmen von experten. auch der
wirtschaftssachverstaendigenrat hat sich in dieser weise
geaeussert. wir nehmen die argumente ernst.
und dennoch sage ich: wir entscheiden uns fuer den eben
skizzierten weg.
die krisenhafte zuspitzung der lage in der ddr macht
mutige antworten erforderlich. politische und
gesellschaftliche umwaelzungen haben zu einer dramatischen
verkuerzung des zeithorizonts gefuehrt, so dass fuer - wie
auch immer definierte und auch oekonomisch begruendete
- stufenplaene aus meiner sicht die voraussetzungen
entfallen sind.
in einer solchen situation geht es um mehr als um
oekonomie, so wichtig oekonomie ist. es geht jetzt darum,
ein klares signal der hoffnung und der ermutigung fuer
die menschen in der ddr zu setzen.
deswegen und nur deswegen haben wir in dieser
konkreten situation die in der tat historisch zu nennende
entscheidung getroffen, der ddr jetzt das angebot einer
waehrungsunion und wirtschaftsgemeinschaft zu
machen - ein angebot, fuer das es kein vergleichbares
beispiel gibt.

fuer die bundesrepublik deutschland - das sage ich auch
ganz bewusst an die adresse der kritiker in der ddr, von
denen ja nicht wenige hauptverantwortung dafuer tragen,
dass die ddr in diese katastrophale lage gekommen
ist - bedeutet das, dass wir damit unseren staerksten
wirtschaftlichen aktivposten einbringen: die deutsche
mark.
wir beteiligen so die landsleute in der ddr ganz
unmittelbar und direkt an dem, was die buerger der
bundesrepublik deutschland in jahrzehntelanger beharrlicher
arbeit aufgebaut und erreicht haben.
damit werden startbedingungen geschaffen, die eine
rasche verbesserung des lebensstandards der buerger
in der ddr ermoeglichen.
denn die d-mark - eine der haertesten, stabilsten und
allgemein akzeptierten waehrungen der welt - ist das
fundament unseres wohlstandes und unserer
wirtschaftlichen leistungsfaehigkeit.
entscheidend ist es, dieses fundament im beiderseitigen
interesse auch kuenftig tragfaehig zu halten.
die waehrungsunion macht deshalb nur dann sinn, wenn
in der ddr unverzueglich umfassende marktwirtschaftliche
reformen durchgefuehrt werden. hier handelt es sich
um zwei seiten ein und derselben entwicklung, die
parallel und eng verzahnt miteinander vorangetrieben werden
muessen.
es geht konkret

- um eine umfassende bestandsaufnahme finanzieller
daten und fakten. ich fuege hinzu: das, was die
delegation von herrn ministerpraesident modrow hierzu in
bonn an zahlen vorgetragen hat, ist dafuer in keiner
weise ausreichend.

- es geht um die sicherung der bewaehrten
stabilitaetspolitik der deutschen bundesbank fuer das
dann gemeinsame waehrungsgebiet.

- es geht um die ueberzeugende und zuegige
durchfuehrung der angekuendigten wirtschaftsreformen mit
den stichworten gewerbefreiheit, eigentumsordnung,
wettbewerbsordnung, marktwirtschaftliches
preis- und lohnsystem sowie freiheit im aussenhandel.

- es geht um die neuordnung der staatsfinanzen
einschliesslich des steuer- und abgabensystems.

- es geht mir auch um die sicherung echter
mitwirkungsrechte der arbeitnehmer in den betrieben
der ddr.

ich bin aber sehr gespannt, was die redner der
sozialdemokratischen fraktion heute zu der vorlage zu
sagen haben, die der fdgb der ddr jetzt in die
diskussion gebracht hat.
meine damen und herren, was gegenwaertig vom
fdgb vorgeschlagen wird, laesst frei gewaehlte
betriebsraete und damit einen wesentlichen teil der
mitbestimmung der arbeitnehmer vor der tuer.
die diskussion zur sozialen dimension der
europaeischen gemeinschaft hat gezeigt: die
mitwirkungsrechte unserer arbeitnehmer in allen bereichen
sind wegweisend. es ist fuer mich selbstverstaendlich, dass
die mitwirkungsrechte der arbeitnehmer in der ddr hinter
diesen errungenschaften nicht zurueckbleiben duerfen.

- es geht um die notwendige soziale flankierung dieser
reformen zum beispiel durch den aufbau einer
arbeitslosenversicherung und durch das anpassen
des rentensystems.

- es geht um einen geeigneten rechtlichen
ordnungsrahmen fuer wirksamen umweltschutz in der ddr.

ich betone: gerade die soziale und oekologische absicherung
dieser reformpolitik ist fuer die bundesregierung von
zentraler bedeutung. ohne sie kann der wirtschaftliche
neubeginn in der ddr nicht erfolgreich sein.
das eklatante versagen der sozialistischen planwirtschaft
der ddr kann nur mit einer marktwirtschaftlichen
und zugleich sozial und oekologisch begleiteten
umgestaltung beseitigt werden.
nur so kann der zustrom privaten kapitals in gang
kommen. nur so koennen neue zukunftstraechtige betriebe
und arbeitsplaetze geschaffen werden.
es gibt keinen zweifel: dieser weg verlangt grosse
anpassungen und anstrengungen. es gibt risiken.
wir als bundesrepublik deutschland koennen der ddr
dieses angebot einer waehrungsunion und
wirtschaftsgemeinschaft machen, weil die wirtschaftliche
situation der bundesrepublik in vieler hinsicht
ungewoehnlich guenstig ist.
1982, als diese bundesregierung die amtsgeschaefte
uebernommen hat, waere dies gar nicht moeglich gewesen.
jeder, der von den dingen etwas versteht, weiss, dass wir
nach dem oktober 1982, nachdem wir die regierung
gerade uebernommen hatten - mit all den lasten, die sie
uns ueberliessen -, eine solche leistung gar nicht haetten
vollbringen koennen.
wirtschaftswachstum und arbeitsmarktentwicklung haben
in den letzten jahren eine dynamik gewonnen, die
anfang oder mitte der achtziger jahre von vielen nicht fuer
moeglich gehalten wurde und die uns inzwischen in die
internationale spitzengruppe gefuehrt hat.

vor allem aber gewinnen unsere hohen
aussenwirtschaftlichen ueberschuesse im blick auf die ddr
eine neue bedeutung. um es genauer zu sagen: wenn es gelingt,
nur einen teil unseres jaehrlichen kapitalexports von rund
100 milliarden dm fuer die ddr nutzbar zu machen - wird
dies bereits ausreichen, um dort einen starken
wirtschaftlichen anschub zu bewirken.
kurz: an guetern und an kapital, die in der ddr fuer den
wirtschaftlichen neubeginn eingesetzt werden koennen,
fehlt es keineswegs.
ebensowenig fehlt es an der bereitschaft unserer
wirtschaft, sich fuer die ddr zu engagieren.
im gegenteil, aus vielen gespraechen wissen wir alle, dass
es bereits heute eine fuelle konkreter investitions- und
kooperationsvorhaben gibt, die kurzfristig verwirklicht
werden koennen. dabei wollen sich grosse unternehmen
sowie kleine und mittlere betriebe gleichermassen
engagieren.
dass in diesem zusammenhang die wirtschaftlichen
rahmenbedingungen in der ddr, ueber die allein dort - auch
das betone ich wegen der aktuellen diskussion - und
nicht hier bei uns bestimmt wird, eine entscheidende
rolle spielen, ist offensichtlich.
wenn die regierung modrow, wie ich nach meinem
gespraech vor weihnachten in dresden erwarten konnte,
noch im januar die notwendige gesetzgebung zum
schutz von investitionen herbeigefuehrt haette, wie dies
ungarn getan hat, waeren wir heute, was investitionen
in der ddr anbelangt, bereits in einer voellig anderen
situation.
die verantwortlichen in der ddr - regierung, runder
tisch - haben es selbst in der hand, die signale so zu
setzen, dass der wirtschaftliche neubeginn in gang
kommt.
unterbleiben diese entscheidungen, aus welchen
gruenden auch immer, dann werden alle oeffentlichen
milliarden-hilfen ohne die erhoffte wirkung bleiben.
deshalb bleibt richtig: die einfuehrung der d-mark in der
ddr und das einleiten marktwirtschaftlicher reformen in
der ddr sind ein und dieselbe seite der wirtschaftlichen
erfolgsmedaille.
wichtig erscheint mir aber auch, dass die groessenordnung
der wirtschaftlichen herausforderungen, mit denen wir es
jetzt zu tun haben, nuechtern gesehen wird.
bei den einwohnern erreicht die ddr nicht ganz die zahl
des bundeslandes nordrhein-westfalen. legt man die
wirtschaftskraft zugrunde, dann geht die deutsche
bundesbank davon aus, dass wir es mit dem gewicht eines
mittelgrossen bundeslandes in der bundesrepublik - wie
etwa des bundeslandes hessen - zu tun haben.
praesident poehl hat zusaetzlich darauf hingewiesen, dass
das in einem einzigen jahr in der bundesrepublik
deutschland neu gebildete geldvermoegen in etwa dem
gesamtbestand der spareinlagen in der ddr entspricht.
ich nenne diese vergleichsgroessen nicht, um die
probleme zu verniedlichen, das liegt mir fern. aber sie
duerfen auch nicht masslos uebertrieben werden. die
herausforderungen muessen so gesehen werden, wie sie
tatsaechlich sind, naemlich alles andere als einfach, aber
fuer ein land wie die bundesrepublik deutschland letztlich
doch loesbar und mit der ddr gemeinsam zu bewaeltigen.
ich sage dies vor allem an die adresse derer, die einmal
mehr - wie wir es oft genug erlebt haben - ein geschaeft
mit der angst machen wollen.
wir haben dies im jahre 1983 bei der nachruestung
erlebt, bei der durchsetzung des nato-doppelbeschlusses.
wir haben es in den vergangenen jahren bei
den notwendigen reformen in der bundesrepublik erlebt,
und wir erleben es jetzt hier in einer besonders perfiden
weise, indem man den menschen in der ddr angst um
ihre sparkonten macht, indem beispielsweise
behauptungen aufgestellt werden, die in keiner weise stimmen,
und indem man hier in der bundesrepublik propaganda
macht und so tut, als wuerden etwa die rentner oder
andere in ihrer existenz gefaehrdet. dieses perfide spiel
kennen wir seit jahren, und wir wissen ihm zu begegnen.
mit den aufgaben, die vor uns liegen, werden weder die
wirtschaftliche leistungsfaehigkeit noch die stabilitaet,
noch die soziale sicherheit in der bundesrepublik
deutschland in frage gestellt.
auch in der ddr bietet der uebergang zu einer sozialen
marktwirtschaft keinen anlass zu befuerchtungen, denn
marktwirtschaftliche ordnung und soziale absicherung
sind nach unserem verstaendnis und nach unserer
erfahrung in der 40jaehrigen geschichte der bundesrepublik
deutschland nicht voneinander zu trennen.
unser erfolgsweg war der weg der sozialen marktwirtschaft,
und wir haben in diesen jahrzehnten im vergleich
der systeme erlebt, dass der marxistische sozialismus
gescheitert ist und dass die soziale marktwirtschaft
ueberall in der welt eine renaissance erlebt.

die grundlagen unseres weges sind

- leistung und soziale gerechtigkeit

- wettbewerb und solidaritaet

- eigenverantwortung und soziale sicherung.

unser materieller wohlstand ist einer der hoechsten,
unser soziales sicherungsnetz eines der dichtesten in
der welt.
fuer die meisten buerger in der bundesrepublik,
deutschland ist dies mittlerweile zur selbstverstaendlichkeit
geworden, nicht so fuer unsere landsleute in der ddr.
sie machen sich gedanken, ob der weg einer
waehrungsunion und einer wirtschaftsgemeinschaft sie nicht
ins soziale abseits draengen koennte.
ich nehme diese sorgen, die dort gerade aeltere und von
arbeitslosigkeit bedrohte mitbuerger haben, sehr ernst.
ich kann den buergern der ddr jedoch versichern:
soziale marktwirtschaft bedeutet immer auch sozialen
ausgleich.
es ist unser ziel, dass es bald auch zu einer sozialen
gemeinschaft kommt.
um dies zu erreichen, ist die bundesregierung bereit,
sofort beim aufbau einer modernen arbeits- und
sozialordnung mitzuwirken. nach unseren erfahrungen ist als
erster schritt die weiterentwicklung der sozialen
sicherungssysteme fuer alter und arbeitslosigkeit
erforderlich. beitrags- und leistungsbezogenheit sowie
umlagefinanzierung aus dem arbeitseinkommen sind die
garantie dafuer, dass mit der lohnentwicklung und dem
lebensstandard auch die sozialleistungen wachsen.
es ist unser selbstverstaendliches ziel, auch der
rentnergeneration in der ddr, die den aufbau nach dem
krieg bewaeltigt und die hauptlast der sozialistischen
misswirtschaft zu tragen hatte, den lebensabend zu
sichern. ebenso ist es unser ziel, den arbeitslosen einen
angemessenen ausgleich sowie berufliche qualifizierung zu
ermoeglichen. hierfuer bieten wir personelle und
technische hilfe an. ich bin mir auch darueber im klaren,
dass eine anschubfinanzierung notwendig werden wird.
in der bundesrepublik deutschland haben wir durch
anstrengung und leistung den durch technischen
fortschritt und internationale konkurrenz bedingten
strukturwandel erfolgreich bewaeltigt.
ich bin auch heute davon ueberzeugt, dass wir gemeinsam
die weitere wirtschaftliche und soziale entwicklung in
beiden teilen deutschlands positiv gestalten werden.
auf unsere solidaritaet - und zwar nicht in worten,
sondern in taten - koennen die mitbuerger in der ddr
rechnen.
den buergern der bundesrepublik deutschland moechte
ich zurufen: unser soziales netz bleibt dichtgeknuepft.
kein rentner, kein kranker, kein arbeitsloser, kein
kriegsopfer, kein sozialhilfeempfaenger braucht
leistungskuerzungen zu befuerchten. im gegenteil: die dynamik
der wirtschaftlichen entwicklung wird auch kuenftig den
sozialen sicherungssystemen zugute kommen.
meine damen und herren, wer also ueber wirtschaftliche
herausforderungen fuer deutschland insgesamt spricht,
der sollte dies verantwortungsbewusst und in kenntnis
der tatsachen tun.
in diesem zusammenhang begruesse ich es ausdruecklich,
dass sich der praesident der deutschen bundesbank, herr
poehl, auf verantwortliche weise auch zu diesem thema
oeffentlich geaeussert hat. ich danke ihm dafuer.
frau praesidentin, meine damen und herren, es kommt
jetzt darauf an, dass wir politisch und wirtschaftlich kurs
halten.
ein klarer kurs sozialer marktwirtschaft ist fuer die
bundesrepublik, aber auch fuer deutschland insgesamt,
von zentraler bedeutung.
wenn wir in diesen zeiten an den grundprinzipien
festhalten, die die bundesrepublik deutschland vom
oekonomischen nullpunkt nach dem zweiten weltkrieg in die
spitzengruppe der industrielaender der welt gebracht
haben, koennen wir auch die herausforderungen der
neunziger jahre bewaeltigen.
die koalition von fdp, csu und cdu hat bereits in den
aufbaujahren der bundesrepublik grosses geleistet. wir
haben nach der regierungsuebernahme 1982 wiederum
- in einer schwierigen lage - gezeigt, dass wir die
wirtschaftlichen und sozialen probleme unseres landes
vernuenftig loesen koennen.
wir sind entschlossen, auch in der kommenden zeit aus
diesen erfahrungen und aus diesem geist zu handeln.
das leitwort der kommenden monate lautet nationale
solidaritaet. solidaritaet ist in dieser stunde unsere
selbstverstaendliche menschliche und nationale pflicht.