Die neue Verantwortung Deutschlands - Finanzpolitik vor internationalen Herausforderungen - Rede von Bundesminister Dr. Waigel in Bonn (Teil zwei von zwei)

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(Teil zwei von zwei)

Der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theo Waigel, hielt
anläßlich des Wirtschaftstages 1995 des Wirtschaftsrates der
CDU am 21. Juni 1995 in Bonn folgende Rede:

Das deutsche Leistungsbilanzdefizit und damit
die Inanspruchnahme ausländischer Ersparnisse sind deutlich
zurückgegangen. Die deutsche Auslandsposition bleibt eindeutig positiv,
Deutschland ist weiterhin eine Gläubigernation! In den USA
haben wir dagegen im Ergebnis eine sehr hohe
Auslandsverschuldung. Der US-Vermögensstatus hat sich von
einer Gläubiger- in eine Schuldnerposition gewandelt. Allein in
den letzten 10 Jahren haben die USA ein kumuliertes
Leistungsbilanzdefizit von etwa 1200 Milliarden Dollar
angehäuft. In den Ländern mit einer niedrigen Sparquote und
einem hohen Kapitalimportbedarf muß es daher verstärkt zu
einem Umdenken kommen. Die Defizite im öffentlichen Sektor
müssen reduziert, das Sparen im öffentlichen und im privaten
Bereich gefördert werden. Die G 7 hat dies auf ihrem Treffen in
Washington noch einmal deutlich gemacht: Konkrete
Politikmaßnahmen "zu Hause" müssen auf Dauer für stabile
Währungsbeziehungen sorgen. Gemeinsame Aktionen zur
Stabilisierung der Weltwährungsmärkte können keine
fundamentalen Änderungen bewirken. Jedes Land muß sein
eigenes Haus in Ordnung bringen. Erfreulicherweise ist das
Bewußtsein hierfür in den
letzten Monaten gewachsen. Dies gilt insbesondere für die
USA. Präsident Clinton und der Kongreß haben sich eindeutig
zur Notwendigkeit einer dauerhaften Verringerung des
Haushaltsdefizits bekannt und Vorschläge vorgelegt. Es wird
jetzt darauf ankommen, den Haushaltsausgleich konkret auf
den Weg zu bringen. In einer Zeit, in der Kapitalströme
bedeutender als Handelsströme werden, ist es wichtig, die
Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland zu erhöhen.
Zukunftsweisend war es, wenn der Vorläufer einer
europäischen Zentralbank, das EWI, nach Frankfurt am Main
geholt werden konnte. Durch das EWI hat Frankfurt am Main
einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil im Wettbewerb mit
den anderen europäischen Finanzmetropolen bekommen. Mit
dem zweiten Finanzmarktförderungsgesetz ist es zu einer
Veränderung der Kultur des Wertpapierhandels in Deutschland
gekommen. Die Bestimmungen des Gesetzes werden mit Leben
erfüllt und haben bereits die Transparenz des Finanzplatzes
Deutschland gefördert. Meine Damen und
Herren, trotz der günstigen deutschen Position im
internationalen Vergleich muß auch Deutschland in Zukunft
seinen Beitrag für eine positive Entwicklung der Weltwirtschaft
leisten. Dies liegt in unserem eigenen Interesse, wenn wir den
Standort Deutschland auch im nächsten Jahrhundert mit in der
Weltspitze halten wollen. Zu einem konsequenten Kurs für
mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze gibt es keine
vernünftige Alternative. Nachdem wir die Übergangsphase der
Deutschen Einheit finanzpolitisch erfolgreich bewältigt haben,
müssen wir jetzt an die erfolgreichen achtziger Jahre
anschließen. Immerhin hat sich durch die Einheit die
Staatsquote und die Steuer- und Abgabenlast von den
günstigen Werten der achtziger Jahre entfernt und wieder ein
Niveau erreicht, das wir auf Dauer nicht hinnehmen wollen. Das
Ausmaß der Belastungen durch die Einheit zeigt sich, wenn
man die heute vorliegenden Daten einmal um die "Einheit"
bereinigt: - Die Staatsquote beträgt heute 501/2 Prozent. Ohne
die Einheit hätten wir einen historischen Tiefstand von 44
Prozent. - Die Steuerquote beträgt heute 25 Prozent. Ohne die
Einheit hätten wir sie auf dem niedrigen Niveau von 1990 bei
etwa 24 Prozent stabilisiert und noch Spielraum für weitere
Steuersenkungen gehabt. - Das Staatsdefizit beträgt heute
etwa 21/2 Prozent des BIP. Ohne die Einheit hätten wir einen
Überschuß von gut 1/2 Prozent. Die Re-Adjustierung des
Verhältnisses von Markt und Staat, die gleichzeitige
Rückführung von Staatsquote, Defiziten sowie der Steuer- und
Abgabenlast ist der Kern des Konzepts der Symmetrischen
Finanzpolitik. Für die Erreichung dieser auch von der Koalition
festgeschriebenen Ziele haben wir ein Konzept vorgelegt.
Ausgehend von den aktuellen wirtschaftlichen Projektionen
rechnen wir in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts mit einer
durchschnittlichen nominalen Wachstumsrate von etwa 51/2
Prozent jährlich. Die Staatsquote kann bis zum Jahr 2000 von
jetzt 501/2 auf 451/2 Prozent abgesenkt werden, wenn wir das
Wachstum der Staatsausgaben um gut 2 Prozent unter der
Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes halten, das
bedeutet eine Steigerungsrate von etwa 3 Prozent jährlich. Die
"2-Prozent-Differenzlinie" ist im Durchschnitt des betrachteten
Zeitraums auf jeden Fall umzusetzen. Herr Murrmann, Sie
haben durchaus recht: Wenn sich das Wirtschaftswachstum
abschwächen sollte, muß auch die Ausgabensteigerungsrate
entsprechend verringert werden. Dies ist ein ehrgeiziges Ziel.
Weiter muß man bedenken: In konjunkturellen
Schwächephasen führt bereits die Wirkung der automatischen
Stabilisatoren - beispielsweise der Ausgaben der
Bundesanstalt für Arbeit - zu einer spürbaren Erhöhung der
Staatsausgaben. Schon relativ geringfügige Abweichungen von
dieser "goldenen Regel" haben erhebliche Auswirkungen auf
den Abbau der Staatsquote. Eine Erhöhung oder Absenkung
der "2-Prozent-Differenzlinie" um nur 1/2 Prozent verändert die
Abbaurate um ein Jahr oder bewirkt eine um 1 Prozent
abweichende Staatsquote im Endjahr. Gelingt es, diesen Kurs
bei den Staatsausgaben zu fahren, erhält man theoretisch
einen Verteilungsspielraum von 5 BIP-Punkten bis zum Ende
des Jahrzehnts. Allerdings: Durch das Jahressteuergesetz
1996 und die sonstigen steuerlichen Maßnahmen wird die
Einnahmequote sinken. Dies wird den Spielraum verkleinern.
Vorsichtig veranschlagen wir den Spielraum mit etwa 3 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts. Unter diesen Voraussetzungen
könnte das staatliche Defizit in der volkswirtschaftlichen
Gesamtrechnung von jetzt 21/2 Prozent im Jahr 2000 auf 1
Prozent des BIP gesenkt werden. Damit würde ausreichender
Sicherheitsabstand zum Defizitziel des Maastricht-Vertrages
eingehalten und die Schuldenquote deutlich zurückgeführt.
Das strukturelle Defizit würde weiter gesenkt. Der
Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen
Entwicklung hält ebenfalls ein Defizit von etwa 1 Prozent des
BIP für unschädlich. Die andere Hälfte des Spielraums wollen
wir für weitergehende Steuerentlastungen nutzen, um
Wachstum und Beschäftigung noch zusätzliche Impulse zu
geben. Die Steuerquote soll im Jahr 2000 etwa 231/2 Prozent
des BIP betragen. Vorrang hat dabei der Abbau des
Solidaritätszuschlages und die Senkung der direkten
Besteuerung von Arbeit und Kapital. Wenn wir die
3-Prozent-Ausgabenlinie einhalten wollen, bedeutet dies real
fast konstante Staatsausgaben über den gesamten Zeitraum.
Dies ist nur durch strikte Ausgabendisziplin bei allen Ressorts
zu erreichen. Für den Bund sollte in normalen Jahren das
Ausgabenwachstum auf deutlich unter 3 Prozent begrenzt
werden. Nur so halten wir einen ausreichenden
Sicherheitsabstand für konjunkturelle Schwankungen und
unabweisbare Entwicklungen in anderen Teilen des
Staatssektors. Mit dem Haushalt 1995 bleiben wir auf Kurs. Die
Steigerungsrate beträgt gegenüber dem Ist 1994 nur 1,4
Prozent, gegenüber dem Soll 1994 schrumpft der Haushalt
sogar um 1/2 Prozent. Das Defizit konnte gegenüber dem
ersten Entwurf aus dem Sommer 1994 um 20 Milliarden DM auf
knapp 50 Milliarden DM reduziert werden. Im Haushalt 1996
werden weitere erhebliche Einsparungen erzielt. Der Zuschuß
an die Bundesanstalt für Arbeit kann gestrichen werden, die
Zinsausgaben werden niedriger sein. Immerhin haben wir 1996
Steuerentlastungen von etwa 30 Milliarden DM vorgesehen.
Das Bundesdefizit wird daher leicht ansteigen, auf den Wert
des Finanzplans in Höhe von etwa 60 Milliarden DM. Nachdem
die Defizite in den Jahren 1994 und 1995 erheblich unter dem
Finanzplan lagen, muß es auch 1997/98 und folgenden wieder
deutliche Rückgänge bei den Defiziten geben. Dazu muß das
Haushaltsmoratorium unbedingt eingehalten werden: Keine
neuen Ausgaben ohne entsprechende Einsparungen! Und auch
wenn der Finanzplan jedes Jahr neu geschrieben wird, gibt es
zu dem in zwei Wochen kommenden Finanzplan 1996 bis 1999
in den Folgejahren keine Alternative. Die Eckdaten des
Finanzplans 1996 bis 1999 dürfen in den Folgejahren nicht
"nach oben" verändert werden. Alle Ausgabenbereiche müssen
dem Grunde und der Höhe nach überprüft werden. Ist die
Ausgabe wirklich noch notwendig, kann sie gesenkt werden?
Kann die Effizienz des Mitteleinsatzes erhöht werden, können
Mitnahmeeffekte und Mißbräuche vermieden werden? Hier sind
auch alternative Budgetierungsverfahren zu prüfen,
beispielsweise "zero base budgeting" oder "sunset legislation".
Diese ordnungspolitische Entschlackung des Staatssektors
muß auch bei den Subventionen weiter verfolgt werden. Sie
müssen zeitlich befristet und degressiv angelegt werden. Auch
die Ausgabendynamik dämpfende Strukturelemente,
beispielsweise Einkommensgrenzen bei Transfers, müssen
erhalten und noch ausgebaut werden. Ein schlanker Staat
äußert sich auch in einem weiteren Abbau des Personals. Wir
wollen den Personalabbau, bei dem in den letzten Jahren
bereits über 50000 Stellen eingespart worden sind, weiter
fortsetzen. Bis 1999 bauen wir noch einmal 12000 Stellen ab.
Auch die beim Bund bereits sehr weitgehende und erfolgreiche
Privatisierung werden wir engagiert fortsetzen. Alle
bedeutenden öffentlichen Unternehmen, ich erinnere an Bahn,
Post und die Lufthansa, werden bald vollständig privatisiert
sein. Länder und Gemeinden müssen hier noch nachziehen. Sie
haben ein sehr großes und bislang nicht genutztes
Privatisierungspotential. Ich freue mich, wenn dies auch der
Wirtschaftsrat so sieht und seine Forderung offensiv vertritt.
Bei den Sozialversicherungen muß in der Tat die
Ausgabendynamik gebrochen werden. Den
Sozialversicherungen muß es gelingen, die Beiträge auf Dauer
zu stabilisieren und wenn möglich zurückzuführen.
Leistungsverbesserungen können nur durch Umschichtungen
realisiert werden. Die Eigenverantwortung muß insgesamt
gestärkt, die Anreize zur mißbräuchlichen Nutzung des
Systems abgeschafft werden. Das System sozialer Sicherheit
darf eben nicht zur illegalen Beschäftigung oder zur
Schwarzarbeit einladen. Das Lohnabstandsgebot muß stärker
herausgearbeitet werden. Es kann nicht sein, durch Sozialhilfe
mehr Geld in der Tasche zu haben als mit
Arbeitslosenunterstützung oder in Einzelfällen sogar durch
Aufnahme einer regulären Beschäftigung. Das beste Rezept für
eine sichere Zukunft unseres sozialen Systems ist neben einer
effizienzsteigernden "Kur" eine wachstumsfreundliche Politik,
die auch in Zukunft das Wachstum der verfügbaren Einkommen
sichert. So hat sich seit 1960 der durchschnittliche
Nettoverdienst verachtfacht, die Lebenshaltungskosten haben
sie dagegen verdreifacht. diese "Schere" muß uns die Richtung
für die nächsten 30 Jahre geben. Ein Eckpfeiler unseres
Konzepts der symmetrischen Finanzpolitik ist die Steuerpolitik.
Mit dem Jahressteuergesetz 1996, den verbundenen
steuerlichen Maßnahmen und der Haushaltsfinanzierung des
Kohlepfennigs wollen wir die Bürger um rund 30 Milliarden DM
entlasten. Bei der Steuerpolitik sind wir auf einen konstruktiven
Dialog mit dem Bundesrat, in dem die SPD-Länder die Mehrheit
haben, angewiesen. In einigen Bereichen unseres
steuerpolitischen Pakets gibt es zwar inzwischen
Annäherungen. In wichtigen Bereichen sperren sich aber die
SPD-Länder - auch auf Grund von ideologischem und
parteitaktischem Druck aus der Bundestagsfraktion der SPD -
bei wichtigen steuerpolitischen Zukunftsentscheidungen. Ich
hoffe, die SPD erinnert sich in den anstehenden weiteren
Beratungen und insbesondere im Vermittlungsverfahren doch
noch an ihre Verantwortung für Deutschland. Es wäre für den
Standort Deutschland und die Konjunktur kein gutes Zeichen,
wenn es jetzt nicht zu einer verbrauchstützenden
Steuerentlastung in Höhe von etwa 30 Milliarden DM und zu
einer deutlichen Steuerstrukturverbesserung
kommt. Beim Existenzminimum ist die Grundentlastung jetzt in
den Tarif integriert worden. Sie mündet bei einem zu
versteuernden Einkommen von 55700 DM in Tarif 90 ein. Um die
Progression im unteren Einkommensbereich nicht zu schnell
ansteigen zu lassen, wurde der Eingangssteuersatz nach der
Steuerfreistellung des Existenzminimums auf 25,9 Prozent
angehoben. Damit sind die Grundvorgaben unseres
Vorschlages voll erhalten geblieben. Es bleibt bei der sozial
gerechten besonderen Entlastung der kleinen und mittleren
Einkommen. Es gibt keine zusätzliche Belastung für den
Haushalt 1996. Wir haben immer gesagt: Die Steuerfreistellung
ist mit rund 15 Milliarden DM zu schaffen. Das halten wir ein.
12000 DM beziehungsweise 24000 DM für Verheiratete sind
verfassungsfest. Wer mehr fordert, muß sich die
Konsequenzen klar machen: Eine Anhebung des steuerfreien
Existenzminimums auf 13000/26000 DM verursacht
Steuerausfälle von bis zu 81/2 Milliarden DM. Damit steigen die
Kosten für das Gesamtpaket Existenzminimum und
Familienleistungsausgleich auf rund 30 Milliarden DM. Besteht
die SPD zusätzlich auf ihrer Forderung nach einem
einheitlichen Kindergeld, das aus verfassungsrechtlichen
Gründen mindestens 267 DM pro Kind betragen müßte, kämen
noch einmal fast 10 Milliarden DM hinzu. Solche Summen sind
im Haushalt nicht umzusetzen. Die SPD-geführten Länder im
Bundesrat haben sogar gefordert, die Belastung der
öffentlichen Haushalte durch das steuerfreie Existenzminimum
und den Familienleistungsausgleich
dürfe nicht mehr als 10 bis 12 Milliarden DM betragen. Nun
werden von verschiedener Seite
Gegenfinanzierungsvorschläge gemacht. Sie zu machen ist
einfach - sie durchzusetzen eine andere Sache. Die
SPD-geführten Länder haben eine Streichliste vorgelegt.
Zunächst einmal reicht diese Liste überhaupt nicht aus, um die
eigene Vorgabe von 10 bis 12 Milliarden DM zu erreichen.
Dennoch: Wir werden uns bei den kommenden Beratungen
diese Liste sehr genau ansehen, sachlich Punkt für Punkt
erörtern, die Wirkung und Durchsetzbarkeit prüfen. Bei der
von uns vorgeschlagenen dritten Stufe der
Unternehmensteuerreform, malen die Kritiker
konjunkturschädliche Wirkungen an die Wand, behaupten
Nachteile für den Mittelstand oder besondere Vorteile für
Banken und Versicherungen. Außerdem wird dem
Finanzminister unterstellt, er wolle sich bei der
unverzichtbaren Gegenfinanzierung gleich die Taschen füllen.
Das ist falsch und kann anhand der verfügbaren Fakten
jederzeit widerlegt werden. Heute hat der Deutsche Bundestag
sich erneut in erster Lesung mit der Grundgesetzänderung
(Art. 106 GG) befaßt. Gestern habe ich mit Ministerpräsident
Lafontaine und Finanzminister Schleußer vereinbart, im Herbst
über die von allen für erforderlich gehaltene Unternehmens-
und Gemeindefinanzreform Gespräche zu führen. Bei einer
Einigung kann dann auf diesen Gesetzentwurf zurückgegriffen
werden. Die Ziele, die wir mit der dritten Stufe der
Unternehmensteuerreform verbinden - die Abschaffung der
Gewerbekapitalsteuer und die mittelstandsfreundliche Senkung
der Gewerbeertragsteuer, verbunden mit der
Gemeindefinanzreform, verfolgen wir weiterhin mit allem
Nachdruck. Die oftmals aus der Substanz zu zahlende
internationale Sonderbelastung für Unternehmen in
Deutschland gehört endlich abgeschafft. Der Bund der
Steuerzahler hat zu Recht von einer
"Arbeitsplatzvernichtungssteuer" gesprochen. Auch
verantwortungsbewußte SPD-Wirtschaftspolitiker wissen, an
der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer kommen wir
überhaupt nicht vorbei. Die Frage kann nur noch sein: Wann
kommt sie endlich? Die Beteiligung der Gemeinden am
Aufkommen der Umsatzsteuer bedeutet zugleich die
historische Chance, an einer dynamisch wachsenden und nicht
an einer konjunkturabhängigen schwankenden Einnahmequelle
teilzuhaben. Dies sagen auch die Vertreter der Kommunen. In
einem Brief an die kommunalen Spitzenverbände habe ich - um
noch verbliebene Bedenken auszuräumen - zusätzliche
Garantien zur Vermeidung einer Schlechterstellung für jede
einzelne Gemeinde vorgeschlagen. Dieses Angebot ist im
Präsidium des Deutschen Städtetages erörtert worden und in
einem Beschluß anläßlich seiner Hauptversammlung
ausdrücklich positiv bewertet worden. Meine Damen und
Herren, ein Schwerpunkt des Jahressteuergesetzes ist die
Fortsetzung der Investitionsförderung in den neuen Ländern.
Durch die bisherige Förderung haben wir eine solide Grundlage
für neue wettbewerbsfähige Strukturen und den Aufbau eines
leistungsfähigen Mittelstandes geschaffen. Der Aufschwung
Ost zeigt sich mit Wachstumsraten von fast 10 Prozent. Jetzt
wollen wir die Förderung unter Konzentration auf die noch
verbliebenen Problembereiche gestrafft und befristet
fortsetzen. Unter dem Strich bedeutet die Fortsetzung der
Investitionsförderung in den neuen Ländern, einschließlich der
Einbeziehung der westlichen Stadtteile von Berlin für die Jahre
1996 bis 1999 eine Steuerentlastung für die Unternehmen von
gut 23 Milliarden DM. Die Diskussion über die
Steuervereinfachung ist mit dem Jahressteuergesetz 1996
nicht abgeschlossen. Hier geht es um eine Daueraufgabe. Die
Unternehmen, die Bürger und die Verwaltung müssen entlastet
werden, die Steuer muß wieder einfacher und transparenter
gehandhabt werden. Bei allen steuerlichen Maßnahmen in der
Zukunft müssen wir Vereinfachungen voranbringen und uns
gegen neue Komplizierungen wehren. Im Jahressteuergesetz
schlagen wir eine Reihe weiterer Pauschalierungen und
Typisierungen vor, wir eröffnen die Möglichkeit einer
Kurzveranlagung. Aber: Die Diskussion über die
Steuervereinfachung - ich erinnere an die
Verpflegungsmehraufwendungen - hat erneut gezeigt:
Vollmundige Forderungen nach mehr Transparenz und
Vereinfachungen im Steuerrecht werden bei konkreten
Vorschlägen sehr schnell von den eigenen Interessen
eingeholt. Für Verpflegungsmehraufwendungen gibt es derzeit
10 verschiedene Pauschalen. Wir wollten auf eine Pauschale
reduzieren. Es gab massive Proteste. Jetzt werden es wohl
wieder drei verschiedene Pauschalen werden. Die
Gratwanderung zwischen Steuervereinfachung und
Einzelfallgerechtigkeit läßt sich nicht vermeiden. Der
Familienleistungsausgleich wurde noch in das
Jahressteuergesetz 1996 integriert. Nachdem die
Finanzministerkonferenz am 27. April eine Finanzamtslösung
abgelehnt hat, haben wir mit Hochdruck daran gearbeitet,
einen neuen ebenso sinnvollen Weg zu finden. Wir können und
wollen die Familien nicht vertrösten. Die Entlastung mit einem
Volumen von rund 6 Milliarden DM zum 1. Januar 1996 muß
kommen. In unserer Optionslösung soll der Kinderfreibetrag
auf 6264 DM angehoben werden. Gleichzeitig wird das
Kindergeld auf monatlich 200 DM für erste und zweite Kinder,
auf 300 DM für dritte und auf 350 DM ab dem vierten Kind
erhöht. Im jeweils laufenden Kalenderjahr wird das Kindergeld
gezahlt. Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer wird dann
der Kinderfreibetrag angesetzt, wenn das Kindergeld zur
Steuerfreistellung des Existenzminimums eines Kindes nicht
ausreicht. Um diese duale Familienentlastung aufeinander
abzustimmen, haben wir die Rechtsvorschriften zur
Kindergeldzahlung und zur Berücksichtigung des
Kinderfreibetrages harmonisiert. Allerdings konnte nicht immer
die jeweils günstigere Regelung der beiden Rechtsbereiche
übernommen werden. Dies hätte zu nicht vertretbaren
Mehrkosten von 4 Milliarden DM geführt. Ein für die Zukunft
wichtiges steuerpolitisches Thema ist die "ökologische
Steuerreform". Hier gibt es sehr viele verschiedene
Vorstellungen. Man sollte sehr genau prüfen, was der, der
darüber redet, konkret darunter versteht. Zunächst einmal:
Eine schrittweise, zielgenaue ökologische Ergänzung des
Steuersystems ist sinnvoll. Eine sachliche Auseinandersetzung
ohne ideologische Träumereien ist notwendig. Es ist ja auch
nicht so, als ob wir bisher die Ökologie in der Steuerpolitik
nicht berücksichtigt hätten. Ich erinnere daran, was wir unter
anderem bereits umgesetzt haben: - Spreizung bei der
Mineralölsteuer zwischen verbleitem und unverbleitem Benzin.
- Freistellung der reinen Biokraftstoffe und der Beimischungen
im Tank von der Mineralölsteuer. - Ermäßigter
Mineralölsteuersatz für Kraftwärmekopplung. - Differenzierung
der Kfz-Steuer für Fahrzeuge mit und ohne Katalysator.
Zusätzlich ist im Entwurf des Jahressteuergesetzes 1996 für
alle Fahrzeuge im öffentlichen Verkehr die Senkung des
Mineralölsteuersatzes auf Erd- und Flüssiggas enthalten. Die
Ideen der Grünen, die sicherlich auch bei SPD-Politikern
Sympathien finden, bedeuten drastische Steuererhöhungen auf
breiter Front. Im ersten Jahr sollen 69 Milliarden DM abkassiert
werden, insbesondere von den Autofahrern. 37 Milliarden
davon sollen für neue Ausgaben verwandt werden und damit
die Staatsquote weiter nach oben bringen. Eine Anhebung des
Benzinpreises auf 5 DM pro Liter führt bei einem
Durchschnittshaushalt zu Mehrbelastungen von rund 2500 DM
pro Jahr, selbst wenn man eine 10prozentige Abnahme der
Fahrleistung und einen Rückgang des Benzinverbrauchs um
ein Drittel einrechnet. Das ist völlig indiskutabel und geht an
der Lebenswirklichkeit vorbei. Öko-Steuern dürfen gerade
nicht zur Finanzierung anderer Aufgaben eingesetzt werden.
Ebensowenig dürfen sie zu einer Erhöhung der Steuerlast
führen. Zur Sicherstellung der Aufkommensneutralität muß
vorrangig ein Abbau bei den direkten Steuern erfolgen. Arbeit
und Kapital müssen entlastet werden. Auch eine Reduzierung
des Solidaritätszuschlages darf nicht mit der Einführung neuer
Belastungen einhergehen. Öko-Steuern sind auch keineswegs
automatisch sozial gerecht. Bei einem Benzinpreis von 5 DM
können sich nur noch "Reiche" Autofahren leisten. Viele
Arbeitnehmer sind, gerade in den Flächenländern, auf ihr Auto
angewiesen, um ihre Arbeitsstelle zu erreichen. Es ist schon
arg blauäugig, zu glauben, dies alles ließe sich mit einem
Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs quasi "über
Nacht" ändern. Einkommensabhängige oder berufsbezogene
Ausnahmen würden aber zu einem weiteren Wust von
Sonderregelungen und Ausnahmetatbeständen führen. Von
Steuervereinfachung kann dann keine Rede sein. Insgesamt
muß man auch aufpassen, das Steuersystem nicht mit
Lenkungsaufgaben zu überfordern. Der Hauptzweck der
Steuererhebung ist zunächst einmal der fiskalische Zweck.
Lenkungssteuern hingegen dürfen nicht auf ein dauerhaftes
Aufkommen gerichtet sein. Der Grenzertrag einer wirklich
funktionierenden Öko-Steuer ist Null. Der Schutz der
natürlichen Lebensgrundlagen muß auch für die
Unionsparteien ein wichtiges politisches Ziel sein. Wir müssen
aber sehr sorgfältig austarieren, was und in welchem Zeitraum
wir unserer Wirtschaft bei der harten internationalen
Konkurrenz auf den Weltmärkten zumuten können. Es wäre
auch grober ökologischer Unfug, Arbeitsplätze in Deutschland
mit hohen Umweltstandards zu vernichten, die dann in anderen
Ländern mit niedrigeren Umweltstandards wieder entstehen.
Neben dem Steuerrecht muß das Ordnungsrecht weiterhin
einen wichtigen Beitrag leisten. Und noch wichtiger als
Staatseingriffe ist das eigenverantwortliche Handeln der
Industrie. Die Verbraucher sind an umweltfreundlichen
Produkten interessiert. Es liegt im eigenen Interesse der
Industrie, nicht auf das Ordnungs- oder Steuerrecht zu warten,
sondern umweltfreundliche Produkte auf den Markt zu bringen.
Wir leben in einer Welt mit großen politischen, wirtschaftlichen,
technischen und ökologischen Umbrüchen, denen wir nicht
ausweichen, sondern denen wir uns mit Tatkraft stellen
müssen. Unsere Verantwortung für künftige Generationen
duldet weder ängstliches Abseitsstehen, noch hilfloses
Zuwarten, sondern verlangt, daß wir unserer Verantwortung im
Innern und nach außen gerecht werden. Deutschland hat eine
wichtige Brückenfunktion im Herzen Europas, eine
wirtschaftliche Spitzenstellung in der Welt und große innere
Stabilität. Deshalb muß Deutschland zu der Verantwortung für
unseren Kontinent, für die Weltwirtschaft und das
Weltwährungssystem sowie für die Krisenregionen der Welt in
dem Maß bereit sein, die seinem Gewicht in der
Völkergemeinschaft entspricht. Wir dürfen auch nicht abseits
stehen, wenn es darum geht, durch internationale Maßnahmen
Konflikte einzudämmen, Frieden zu erhalten und das Morden
unschuldiger Menschen zu verhindern. Wir haben in den
letzten 50 Jahren einen weiten Weg erfolgreich zurückgelegt -
wirtschaftlich und politisch. Der ehemalige englische
Premierminister Harold Macmillan hat gesagt: "Die
Vergangenheit sollte ein Sprungbrett sein, kein Sofa." Wir
wollen die Zukunft gestalten.