Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Heiko Maas,

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Sehr geehrter Herr Präsident Baratta,
sehr geehrte Frau Staatsministerin Müntefering,
lieber Herr Prof. Dr. Raulff, lieber Herr Grätz,
liebe Frau Zólyom,
liebe Natascha Süder Happelmann,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

wenn man als Außenminister unterwegs ist in einem anderen Land, um eine Rede zu halten, wird einem vorher gesagt, dass man viel falsch machen kann.

Viele Personen, die begrüßt werden müssen. Eine Aneinanderreihung oft fremd klingender Namen und Titel wie "Seine Exzellenz", "sehr geehrter Herr Botschafter", "meine Damen und Herren Abgeordnete", natürlich alles streng nach Protokoll. Und so gibt bereits der Einstieg einer Rede einige Hinweise darauf, wo und vor welchem Publikum sie gehalten wird. Und vor allen Dingen, wem man eventuell auch noch auf den Schlips treten könnte.

Namen verraten eben Herkunft, Titel Zugehörigkeit und Biografie. Diese Parameter schaffen Stabilität und sie formen auch Identität – auf der einen Seite. Sie schaffen aber andererseits auch noch etwas, nämlich Grenzen.

Identität entsteht einfach oft durch die Abgrenzung gegenüber anderen – egal, ob das bewusst oder unbewusst geschieht. Was bleibt von einer Person, wenn man die Namen, die Titel oder die Ämter wegnimmt? Persönlichkeit.

Natascha Süder Happelmann, die den deutschen Pavillon in diesem Jahr gestaltet hat, lehnt jegliche Identitätsfestschreibungen durch Herkunft oder Biografie ab. Frau Happelmann, ich beschreibe Sie jetzt mal als eine in Budapest geborene Münchner Britin aus Teheran.

Frau Happelmann hat sich entschieden, zurückzutreten hinter ihr Werk, was bei den wenigsten Politikern denkbar ist. Die Biografie soll eben die Betrachter nicht ablenken. Die Aufmerksamkeit soll alleine der Kunst gehören. Darum wechselt sie ihre Identität ganz bewusst. Und dabei setzt sie auch auf andere. Ihr Stichwort lautet: Kollaboration. Daraus spricht die Überzeugung, dass Dinge besser werden, wenn man sich eben zusammentut. Gegenseitige Unterstützung, Sozialität, das ist kein Nebenprodukt ihrer Kunst. Ihre Kunst ist der Versuch, Vertrauen zu schaffen. Oder wie es ihre Sprecherin Helene Duldung heruntergebrochen hat: "Generell macht niemand irgendwas alleine."

Es geht auch um Integration. Gemeinsam mit der Kuratorin, Franciska Zólyom, nähert sich die Künstlerin Natascha Süder Happelmann der Frage, wie sich neue Räume aufmachen lassen, in denen sich Menschen anders als gewohnt begegnen können – frei von Diskriminierung durch Identitäten und frei von Hierarchien. Und wo ginge das besser als hier! Die Biennale ist dafür ein ganz geeigneter Ort.

Lieber Herr Präsident Baratta, bitte fahren Sie fort, diesen Freiraum mit Ihrer so beeindruckenden Energie und Hingabe zu verteidigen. Wir werden Sie dabei auf jeden Fall immer weiter unterstützen.

Neue Räume und vor allem der Zugang zu ihnen sind auch die herausragende Aufgabe unserer Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik in den kommenden Jahren. Gerade für Menschen aus und in Krisenregionen müssen wir künstlerische, wissenschaftliche und akademische Perspektiven schaffen. Deshalb haben wir zum Beispiel Stipendienprogramme für verfolgte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Künstlerinnen und Künstler auf den Weg gebracht, wie etwa die Philipp-Schwartz- oder die Martin Roth-Initiative.

Denn wir dürfen nicht wegschauen, wenn künstlerische Freiheit bedroht ist. Angefangen von Oleg Senzow über Jafar Panahi, aber auch in unseren westlichen Gesellschaften – wir müssen nicht immer weit in die Ferne blicken –, auch in unseren westlichen Gesellschaften wird der Freiraum immer dort kleiner, wo gerade Populisten Kunst und Kultur einteilen in nützlich und unnütz.

Die soziale Kraft der Kultur, der Kunst – das ist das, was wir gerade in der heutigen Zeit in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik stärken wollen. Kunst ist mehr als Ästhetik. Kunst ist Gesellschaft. Und Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik. Das heißt: Freiräume und Zukunftsperspektiven für neue Gemeinsamkeiten eröffnen. Und dabei im Sinn behalten, dass diese Räume nicht frei von Prägung sind. Zukunft braucht eben auch Reflexion und Erinnerung.

Das lässt sich hier an diesem Ort besonders gut erklären. Der deutsche Pavillon wurde 1909, also vor 110 Jahren, eröffnet – damals noch als Bayerischer Pavillon. Ich will gar nicht davon sprechen, was keine 30 Jahre später hier passierte, als der deutsche Pavillon von den Nazis umgebaut wurde. Also von jenen, die ihre Vorstellung von "Deutschsein" benutzten, um auszugrenzen. Und damit nicht nur Kunst und Kultur missbrauchten, sondern den Glauben an Deutschland als Nation der Kultur und der Wissenschaft zerstört haben.

Auch in der deutschen Politik gibt es wieder welche, die unsere deutsche Identität in einen Gegensatz zu anderen stellen wollen, die offen Stimmung machen gegen Minderheiten, und die die Schönheit unserer Verschiedenheit nicht zu sehen vermögen. Aber auch europaweit gibt es diese Tendenzen. Auch hier in Italien, in Ungarn, in Frankreich, in Großbritannien: Rechtspopulistische und nationalistische Verführer haben gerade Hochkonjunktur.

Für sie ist die Identität kein Wert nach innen. Es geht ihnen nicht darum, Zusammenhalt für alle zu stiften, sondern sie wollen Identität benutzen, um auszugrenzen. Und zwar nicht nur im übertragenen Sinn, sondern auch durch Mauern und Zäune. Wer jenen, die Schutz bei uns suchen, Hilfe verweigert, der begeht Verrat an unseren Werten und genauso auch an unserer Identität.

Die Populisten und Nationalisten versuchen, uns etwas anderes weiszumachen – gerade jetzt, drei Wochen vor der Europawahl –, nämlich, dass die Europäische Union unsere nationalen Identitäten auslöschen will. Man kann gleichzeitig und ohne Widerspruch ein stolzer Bürger Venedigs, Italiens und Europas sein. Und das Schöne an unserer europäischen Identität ist doch: Sie spaltet eben nicht, sondern sie vereint uns in all unserer Vielfalt.

Mir fällt dazu ausgerechnet ein Songtext von Daft Punk ein. Einem französischen House-Duo, das, um seine Identität zu verbergen, immer mit futuristischen Robotermasken auftritt: "We are human after all. Much in common after all."

Gegen Nationalismus und Abschottung wird letztlich nur eines helfen: die Welt kennenzulernen, die Augen zu öffnen für andere Kulturen und so auch auf diesem Weg unsere gemeinsame Humanität zu entdecken. Kunst ist dafür ein Schlüssel. Und die Biennale legt uns diesen Schlüssel in die Hand.

Herzlichen Dank!