Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn,

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"Bildung und Forschung als Standortfaktor im internationalen Wettbewerb"

Sehr geehrter Herr Professor Landfried,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

im Juni ist hier in Berlin der Startschuss zur Konzertierten Aktion "Internationales Marketing für den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland" gefallen. Der Bund und die Länder, die Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die Außenhandelskammern und viele andere Partner werben in Zukunft gemeinsam für ein Studium, für Weiterbildung und für Forschung in Deutschland.

Angesichts der schrecklichen Terroranschläge in New York wird gelegentlich die Frage gestellt: Ist eigentlich die Internationalisierung unserer Hochschule der richtige Weg? Ich sage ausdrücklich: Ja. Es ist der richtige Weg. Gerade in einer Welt mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Traditionen aber auch vielen verbindenden Werten, wie den Menschenrechten, haben Hochschulen wichtige Orientierungsaufgaben.

Die Terroranschläge stellen die Grundprinzipien des menschlichen Zusammenlebens in Frage und sind, wie Bundeskanzler Schröder gesagt hat, "eine Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt". Sie sind ein Angriff auf unschuldige Menschen und auf Freunde. Nur mit wenigen anderen Ländern und ihren Menschen sind wir so eng durch wissenschaftlichen und kulturellen Austausch, durch politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit verbunden wie mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Erfolgreich bekämpfen können wir Terrorismus nur, wenn wir zusammenstehen und Werte wie Humanität und Toleranz, Demokratie und Freiheit gemeinsam verteidigen.

Es geht also um eine enge Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Es geht aber auch um Erziehung, Bildung und Wissenschaft. Es geht um Toleranz gegenüber anderen Kulturen, Religionen und Andersdenkenden, um gemeinsame Werte, die über alle Kultur- oder Weltanschauungsgrenzen hinweg ein friedliches Zusammenleben der Menschen erst möglich machen. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass der Nährboden für solche Terrorakte gar nicht erst entsteht.

Ich bin davon überzeugt, dass die internationale Hochschulzusammenarbeit hier eine wichtige Rolle spielen kann. Wir müssen die Verbindungen, die über viele Jahre gewachsen sind, weiter ausbauen und in der ganzen Welt gemeinsam für die Werte eintreten, die uns allen wichtig sind: für Humanität, Toleranz, für Frieden, für Sicherheit und für Demokratie.

Gerade Wissenschaftler, aber auch Studierende müssen sich besonders engagieren. Sie müssen ihre Kontakte in der ganzen Welt nutzen, um für diese grundlegenden Werte menschlichen Zusammenlebens zu werben, und hellhörig werden, wenn sie in Frage gestellt oder verletzt werden. Diese Dimension der internationalen Hochschulzusammenarbeit wird heute, wo wissenschaftliche und wirtschaftliche Zielsetzungen meist im Vordergrund stehen, leicht übersehen.

Warum ist die Internationalisierung unserer Hochschule als eine internationale Marketingstrategie für den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland so wichtig?

Erstens: Wissenschaft und Forschung finden im internationalen Kontext statt. Internationaler Wettbewerb ist entscheidende Triebkraft für Wissenschaft und Forschung. Wissenschaft lebt vom Austausch von Ideen, von Kooperation. Nationale Grenzen spielen dabei seit jeher eine geringe Rolle.

Zweitens: Etwas neuer ist die Entwicklung, die heute zu einer paradoxen Situation auf dem Arbeitsmarkt führt. Einerseits suchen bei uns viele Menschen einen Arbeitsplatz. Andererseits aber können viele Unternehmen in wichtigen Zukunftsbranchen wie der Biotechnologie oder der IuK- (Informations- und Kommunikations-) Branche offene Stellen für High-Potentials nicht besetzen, weil sie keine qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden. In FuE- (Forschung- und Entwicklungs-) intensiven Unternehmen bleibt in Deutschland fast jede zweite Stelle für technisch-naturwissenschaftliche Akademiker unbesetzt.

Wenn wir heute, gut ein Jahr nach Einführung der "Greencard" Bilanz ziehen, zeigt sich, dass durch jeden Spezialisten, der aus dem Ausland zu uns gekommen ist, im Durchschnitt drei neue Arbeitsplätze entstanden sind. Genau betrachtet sind also Fachkräftemangel und Unterbeschäftigung kein Widerspruch, sondern zwei Seiten derselben Medaille.

Der Mangel an hochqualifizierten Fachkräften ist heute eines der größten Innovations- und Wachstumshemmnisse in Deutschland. Vor diesem Problem stehen aber auch andere Industrieländer. Der weltweite Wettbewerb um begabte Nachwuchskräfte, um Naturwissenschaftler, Informatiker und Ingenieure steht uns also nicht erst bevor, er hat längst begonnen. Deutschland muss sich daran beteiligen. Wir müssen unsere eigenen Begabungsreserven besser und stärker mobilisieren. Wir sind aber auch zunehmend auf ausländische Nachwuchs- und Fachkräfte angewiesen.

Es geht dabei vor allem um drei Punkte:

Erstens: Wir brauchen mehr und besser ausgebildete Hochschulabsolventen. Bei der Zahl der Studienanfänger liegt Deutschland heute mit einem Anteil von 28 Prozent deutlich unter dem internationalen Durchschnitt. In den USA beginnen 44 Prozent aller Jugendlichen nach der Schule mit einem Studium, in Israel 49 Prozent und in Finnland sogar 58 Prozent. Im Gegensatz zu anderen Ländern ist in Deutschland die berufliche Bildung eine attraktive Alternative.

Zweitens: Wir brauchen eine arbeitsmarktorientierte Zuwanderung.

Drittens: Wir brauchen mehr internationalen Austausch. Studierende und Wissenschaftler, die aus anderen Ländern zu uns kommen, bringen neue Ideen mit und erleichtern Kontakte. Sie sind Botschafter für unser Land - auch wenn sie längst wieder in ihre Heimat zurückgekehrt sind.

Mein Ziel ist es deshalb, den gegenwärtigen Anteil von circa sechs bis sieben Prozent ausländischer Studierender an unseren Hochschulen in den nächsten Jahren erheblich zu erhöhen. Die Zahl der ausländischen Studierenden an unseren Hochschulen ist in den letzten Jahren zwar kontinuierlich gestiegen - von 100.000 im Jahr 1990 auf 170.000 heute. Allerdings sind ein Drittel der ausländischen Studierenden bei uns Bildungsinländer, die hier schon die Schule besucht haben.

Der Zuwachs bei Ausländern, die zum Studium nach Deutschland kommen, ist vor allem Studierenden aus anderen europäischen Ländern zu verdanken. Die Zahl der Studierenden aus Amerika oder Asien ist dagegen eher zurückgegangen. 90 Prozent aller Studierenden, die nicht im eigenen Land studieren, entscheiden sich heute für ein Studium in den USA, in Großbritannien oder Australien. Das darf uns nicht gleichgültig sein!

Ein weiteres Argument: Die Spitzenstellung der amerikanischen Forschung beruht heute zu einem beträchtlichen Teil auf ausländischen Wissenschaftlern. In den Vereinigten Staaten kommen 21 Prozent des wissenschaftlichen Hochschulpersonals aus anderen Ländern. Bei den Postdoktoranden beträgt der Ausländeranteil sogar über 50 Prozent. Ausländer stellen dort ein Viertel aller Hochschulprofessoren in den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fachbereichen.

Deutschland gehört dabei zu den wichtigsten Entsendeländern. Etwa zwölf bis vierzehn Prozent aller in Deutschland promovierten Nachwuchswissenschaftler wandern heute in die USA ab. Volkswirtschaftlich betrachtet subventionieren wir so - indirekt, aber nicht unbeträchtlich - die amerikanische Forschung. Der Grund dafür ist offensichtlich: Deutsche Hochschulen haben ihren Absolventen in den letzten Jahren zwar hervorragende Voraussetzungen für den Wettbewerb um interessante Stellen auf dem internationalen Markt geboten - aber zu wenig interessante Arbeitsplätze im eigenen Land. Bei meinem Besuch in Palo Alto Anfang des Jahres habe ich deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in den USA bleiben wollen, gefragt, was sie in Deutschland vermissen. Warum sie in den USA bessere Chancen für sich sehen.

Die deutschen Postdoktoranden kritisieren einhellig, dass es erstens in Deutschland in den 90er Jahren keine oder nicht ausreichende Stellen gab, die ihnen eigenständige Forschung ermöglichten. Sie kritisieren zweitens das bestehende Ordinarien-System und den Mangel an Internationalität des deutschen Hochschulsystems. Im Zentrum der Kritik steht auch immer wieder das Habilitationsverfahren: Es ist zu langwierig, nicht transparent, und es zementiert verkrustete hierarchische Strukturen.

Genau an diesen Kritikpunkten setzt die Bundesregierung an: Wir stärken Bildung und Forschung mit erhöhtem Mitteleinsatz und schaffen zugleich mehr Leistungsfähigkeit und Effizienz durch strukturelle Reformen. Im kommenden Jahr werden wir 16,4 Milliarden DM für Bildung und Forschung investieren. Das ist gegenüber 1998 eine Steigerung von 15,5 Prozent. Unser Ziel sind lebendige und leistungsfähige Hochschulen, in denen hervorragend ausgebildet wird und neue Ideen entstehen. Hochschulen, die ein Magnet für Studierende aus aller Welt sind.

Dazu haben wir uns ein ehrgeiziges Reformpaket vorgenommen:

  • Wir haben das BAföG reformiert und damit echte Chancengleichheit geschaffen. Ein wichtiger Schritt, um unsere Bildungsressourcen besser auszuschöpfen.
  • Wir stärken die Förderung von Nachwuchswissenschaftlern zum einen durch neue Stipendien- und Forschungsprogramme und zum zweiten mit der Dienstrechtsreform.
  • Wir verfolgen ein ehrgeiziges Programm zu Steigerung des Frauenanteils an deutschen Hochschulen.
  • Wir fördern das virtuelle Studium und die weltweite Vernetzung der deutschen Hochschulen.
  • Wir treiben die Internationalisierung der deutschen Hochschullandschaft voran und werben offensiv um Studierende und Lehrende aus anderen Ländern. 
  • Und: Wir stärken Forschung und Entwicklung, zum Beispiel durch den Aufbau von Forschungszentren, und verbessern die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Wirtschaft, damit eine schnellere Umsetzung von neuen Ideen in Produkte und Dienstleistungen gelingt.

Um Deutschland zum bevorzugten internationalen Wissenschaftsstandort zu machen, richten wir immer mehr Studiengänge international aus. Dazu gehört die wechselseitige Anerkennung von Hochschulabschlüssen, die Akkreditierung von Studiengängen, die Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen. Hier kommen wir gut voran.

Ein Erfolg dieser Internationalisierungsstrategie ist auch die Einführung von englischsprachigen Studienangeboten an vielen Hochschulen. Menschen aus anderen Ländern können nun endlich auch in Deutschland ein Studium beginnen, wenn sie noch nicht Deutsch sprechen. Sowohl für Lehrende als auch für Studierende gilt: Auch in Deutschland forscht, lehrt und studiert man heute in einem internationalen Umfeld.

Ein weiteres wichtiges Reformprojekt ist die Dienstrechtsreform, die Anfang 2002 in Kraft treten soll. Damit wollen wir die Qualität von Lehre und Forschung verbessern und dafür sorgen, dass die besten "Köpfe" im eigenen Land bleiben beziehungsweise zu uns kommen. Wir schneiden den alten Zopf der Habilitation ab. Mit der Juniorprofessur ermöglichen wir jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Zukunft durchschnittlich zehn Jahre früher als bisher eigenverantwortlich zu forschen und zu lehren.

Die zweite wichtige Neuerung der Dienstrechtsreform ist mehr Leistungsgerechtigkeit bei der Besoldung. Vor allem nach Lebensalter zu besolden, passt heute nicht mehr in unsere Zeit.

Mit den Zinserlösen aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen geben wir Hochschulen einen kräftigen Schub in Richtung Internationalisierung: Für die "Zukunftsinitiative Hochschule" stellen wir gut eine Milliarde DM zusätzlich bereit, davon 210 Millionen DM, um unter dem Stichwort "Brain Gain" die Anziehungskraft unserer Hochschulen im Ausland zu erhöhen.

Der Deutsche Akademische Austauschdienst - DAAD - kann nun Hochschulverbünde - "International Quality Networks" - und die Gewinnung von Gastdozenten für Zukunftsfächer fördern. Mit dem Programm "Export deutscher Studiengänge" können deutsche Hochschulen erstmals Studienangebote im Ausland einrichten. Die ersten off-shore Ausgründungen von deutschen Hochschulen sind in Vorbereitung. Mit den verschiedenen Preisen, die die Alexander von Humboldt-Stiftung ausgeschrieben hat, gewinnen wir Spitzenwissenschaftler und exzellente Nachwuchswissenschaftler.

Deutschland hat Forschern und Wissenschaftlern aus anderen Ländern viel zu bieten. Die meisten unserer Hochschulen sind zwar weltweit nicht so bekannt wie Harvard, Stanford, Yale oder andere amerikanische Spitzenuniversitäten. Sie sind aber weit besser als der Großteil der amerikanischen Universitäten, die nicht so bekannt sind. Forschungsorganisationen wie die Max-Planck-Gesellschaft oder die Fraunhofer-Gesellschaft genießen einen hervorragenden internationalen Ruf und die Forschungsleistungen der deutschen Industrie sind weltweit anerkannt.

Wir können uns also sehen lassen. – Aber: Wir tun es zu wenig! Unsere Bildungs- und Forschungseinrichtungen sind im Ausland bisher eher eigene als gemeinsame Wege gegangen. Das konnte auf Dauer nicht erfolgreich sein. Die Bundesregierung hat deshalb gemeinsam mit den Ländern, den Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Außenhandelskammern ein übergreifendes Marketingkonzept beschlossen, mit dem wir gemeinsam für den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland im Ausland werben - für seine wissenschaftlichen Qualitäten, seine kulturellen Vorzüge und auch für die Lebensqualität bei uns. Eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg des Marketingkonzeptes ist, dass unser Land für Menschen aus anderen Ländern wirklich offen ist.

Die "Konzertierte Aktion" setzt sich deshalb für ein Aufenthalts- und Arbeitsrecht ein, mit dem auch bei uns im Vergleich mit anderen Ländern wettbewerbsfähige Bedingungen geschaffen werden: Ausländern mit deutschem Hochschulabschluss müssen wir eine Perspektive zum Bleiben bieten. Diejenigen mit ausländischem Hochschulabschluss müssen bei uns arbeiten, lehren oder forschen können. Der Nachzug von Familienangehörigen und die Erwerbsmöglichkeiten von Ehegatten müssen erleichtert werden.

Ausländische Studierende müssen in Deutschland attraktive Rahmenbedingungen vorfinden. Eine bessere Betreuung, Beratung und Unterbringung sind dafür entscheidende Punkte. Dies insbesondere in Zeiten, wenn einzelne fremdenfeindliche Übergriffe zu Verunsicherung und Ängsten führen. Die Aufstockung des Betreuungsprogramms für ausländische Studierende von drei auf elf Millionen DM pro Jahr hat hier bereits zu sichtbaren Fortschritten geführt.

Als einen weiteren wichtigen Schritt hat die "Konzertierte Aktion" jetzt mit dem Aufbau einer gemeinsamen Plattform begonnen. Dazu gehören ein Logo, ein Slogan und eine Internet-Auftritt. Hier können sich unsere Bildungs- und Forschungseinrichtungen unter einem gemeinsamen Dach eigenständig präsentieren. Das Konsortium deutscher Hochschulen GATE, das der DAAD und die HRK initiiert haben, leistet dazu wichtige Beiträge.

Das alles sind wichtige Werbemaßnahmen für den Wissenschaftsstandort Deutschland. Bei aller Werbung dürfen wir aber eines nicht vergessen: Wir brauchen qualifizierte Fachkräfte und renommierte Wissenschaftler, die aus der ganzen Welt zu uns kommen, nicht nur für unseren wirtschaftlichen Wohlstand. Studierende und Wissenschaftler aus anderen Ländern sind auch menschlich und kulturell eine Bereicherung.

Ich bin sicher: Wenn wir es schaffen, ausländischen Gästen und Zuwanderern das Gefühl zu vermitteln, dass sie in Deutschland willkommen sind, können wir zu einem der gefragtesten Wissenschaftsstandorte überhaupt werden.