ansprache des neu gewaehlten praesidenten des bundesrates, dr. walter wallmann

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meine herren kollegen,
meine sehr verehrten damen, meine herren!

sie haben mich zum neuen praesidenten des bundesrates
gewaehlt. fuer die wahl moechte ich ihnen herzlich danken.
diese wahl ist in zweifacher hinsicht ungewoehnlich: sie
haben mit mir einen ministerpraesidenten in das amt des
praesidenten gewaehlt, der bisher nicht mitglied des
bundesrates war, und es ist eine wahl ausserhalb des
ueblichen turnus.
der grund dafuer liegt in dem wahlmodus, auf den sich die
laender bereits 1950 in koenigstein verstaendigt haben.
danach wechseln sich die regierungschefs aller
bundeslaender in einer bestimmten reihenfolge in der
ausuebung des praesidentenamtes ab. fuer den zeitraum vom 1.
november 1986 bis zum 31. oktober 1987 ist nach dieser
absprache der ministerpraesident des landes hessen in das amt
des bundesratspraesidenten zu berufen.
dieser wahlmodus aus dem jahre 1950 ist ausdruck des
selbstverstaendnisses dieses hohen hauses. und
deswegen ist der bundesrat gepraegt von einer atmosphaere des
masses, des gegenseitigen vertrauens und der kollegialitaet.
der bevollmaechtigte preussens zum reichsrat - wie es
damals hiess -, arnold brecht, hat die verhandlungen im
reichsrat einmal mit worten beschrieben, die in etwa,
denke ich, auch die taetigkeit des bundesrates
charakterisieren koennen. es heisst bei ihm:
so ist in diesem raum in hohem masse tradition - und
zwar eine besondere deutsche tradition - zu hause. das
gilt auch fuer den geist der verhandlungen und fuer die
persoenlichen beziehungen zwischen den mitgliedern des
reichsrates und zwischen ihnen und der
reichsregierung. sachlichkeit, temperierte austragung sachlicher
gegensaetze, pflege guter persoenlicher beziehungen sind
die gewohnheit des reichsrates, von der uns keine
unterbrechung bekannt ist. diese atmosphaere, die sich
nur selten vor der oeffentlichkeit in gewittern entlaedt,
ist geboten durch die organische aufgabe des reichsrates.
meine damen und herren, dem praesidenten dieses hohen
hauses wird die ausuebung seines amtes durch jene
temperierte atmosphaere erleichtert. gleichwohl bitte ich sie
herzlich darum, mich bei der ausuebung des amtes ebenso
kollegial zu unterstuetzen wie meine vorgaenger.
die wahl ausserhalb des turnus der praesidentenwahlen hat
ihren wrund im ergebnis der jesshschen landtagswahlen
vom 5. april dieses jahres und der damit verbundenen
neubildung der hessischen landesregierung. dieses
ereignis ist in der einen oder anderen presseschlagzeile mit
dem signum des aussergewoehnlichen versehen worden.
mancherorts war von einem "machtwechsel" die rede. ich teile
eine solche einschaetzung nicht, und ich moechte ihr mit den
bemerkenswerten saetzen widersprechen, die vor jahren
walter seuffert in der festgabe fuer carlo schmid wie folgt
niedergelegt hat. es heisst dort:
nicht die bekaempfung des gegners, sondern gerade die
herstellung des gemeinsamen, die dialektische loesung
des gegensatzes, ist der sinn der politik. politische
gegner treten sich gegenueber, weil sie ein gemeinsames
haben und wollen, wenn sie nichts gemeinsames mehr
anstreben und anerkennen, ist auch die politik zu ende,
es findet nur kampf oder krieg statt.
und er fuegt hinzu:
. . . gar nichts ist gewonnen, aber vieles ist verschoben,
wenn immer wieder zum begriff des politischen schlicht
gesagt wird: politik ist kampf um die macht im staate.
wenn das dasselbe ist, wozu dann der eigene name
politik - warum nicht einfach von machtkampf sprechen?
was dahinter steht, ist die verwechslung der wirklichen
politik mit der staatskunst des machiavelli, der kunst des
herrschens.
meine damen und herren, ich moechte diesen worten mit
allem nachdruck beipflichten.
ein regierungswechsel in einem bundesland ist ausdruck
der normalitaet unseres politischen lebens, ein
demokratischer vorgang in der kontinuitaet unserer verfassungen. in
meiner regierungserklaerung vor dem hessischen landtag
habe ich deshalb betont, dass ich mich aufgehoben fuehle in
der tradition deutscher und hessischer demokratie. ich
habe ausgefuehrt:
ich stehe in der kontinuitaet. meine anerkennung gilt in
dieser stunde denen, die vor mir waren: dem ersten
gewaehlten ministerpraesidenten stock wie dem
ministerpraesidenten georg august zinn, der sich um unser land
verdient gemacht hat.
ich habe zugleich dem scheidenden ministerpraesidenten
holger boerner gedankt, von dem mich politisch vieles
getrennt hat, von dem ich aber zugleich weiss, dass auch er
das beste fuer das land hessen gewollt hat und dass er ihm
seine kraft, ja, seine gesundheit geopfert hat. ich moechte in
dieser stunde - wie schon herr kollege albrecht - herrn
ministerpraesidenten boerner auch fuer seine taetigkeit als
bundesratspraesident danken. er hat das amt des
bundesratspraesidenten mit grossem einsatz wie mit wuerde ausgeuebt,
und dafuer verdient er unser aller anerkennung und unseren
dank.
meine sehr verehrten damen, meine herren, im amt des
bundesratspraesidenten stehe ich auch in der kontinuitaet
meiner vorgaenger. georg august zinn hat als erster
hessischer ministerpraesident diesem hohen hause erstmals am
30. oktober 1953 praesidiert. in seiner antrittsansprache sah
er es als seine erste amtspflicht an, den herrn
bundeskanzler und die anwesenden mitglieder der bundesregierung zu
begruessen.
ich freue mich, dass auch ich bei meinem amtsantritt
gelegenheit habe, den herrn bundeskanzler in unserer mitte
herzlich willkommen zu heissen. mein gruss gilt ebenso allen
weiteren anwesenden mitgliedern des kabinetts.
herr bundeskanzler, georg august zinn hat konrad
adenauer damals mit den folgenden worten begruesst:
wir glauben in ihrer anwesenheit, herr bundesanzler,
eine bestaetigung der in ihrer regierungserklaerung zum
ausdruck gekommenen auffassung zu sehen, dass sich
die bundesregierung zu dem im grundgesetz
festgelegten foederativen aufbau der bundesrepublik bekennt und
bei der loesung der vor ihr liegenden aufgaben eine
vertrauensvolle zusammenarbeit mit dem bundesrat
erstrebt.
ich moechte diese worte ihnen gegenueber, herr
bundeskanzler, heute gerne wiederholen. sie haben in ihrer
regierungserklaerung vor dem deutschen bundestag am 18. maerz
dieses jahres hervorgehoben, dass foederalismus buergernaehe,
regionale vielfalt und kontrolle der macht sichert. sie
haben das gebot der gegenseitigen ruecksichtnahme von
bund und laendern im interesse des gesamtstaates ebenso
betont wie die bereitschaft der bundesregierung, auch in
zukunft die eigenstaendigkeit der laender sorgfaeltig zu
beachten und dafuer auch in der europaeischen gemeinschaft
sorge zu tragen.
gewiss spreche ich fuer alle mitglieder dieses hohen hauses,
wenn ich sage: der bundesrat wertet diese worte als
ausdruck eines von gegenseitigem respekt und achtung
getragenen guten verhaeltnisses zwischen den
verfassungsorganen.
herr bundeskanzler, der bundesrat hat von beginn an ihr
bemuehen um eine konstruktive zusammenarbeit mit
aufmerksamkeit wahrgenommen. es ist in diesem hause in
guter erinnerung, dass sie bereits kurze zeit nach ihrer
amtsuebernahme im jahre 1982 den bundesrat aufgesucht
haben. als ministerpraesident des landes rheinland-pfalz
waren sie ja selbst lange mitglied des bundesrates. sie
kennen also sein wirken, die atmosphaere, die art unserer
arbeit aus eigener anschauung. wohl deshalb haben sie
damals davon gesprochen, dass sie nicht nur die
verfassungsmaessigen aufgaben des bundesrates respektieren
wollen, sondern die mitarbeit der laender im interesse des
gemeinwohls fuer unentbehrlich halten.
ihre bemuehungen um eine verbesserung des bund-laender-
verhaeltnisses haben auch erfolge gehabt, und zwar nicht
nur im atmosphaerischen. es gibt vielmehr durchaus
greifbare ergebnisse. ich moechte ein thema ansprechen, das
sie, herr kollege albrecht, soeben schon angesprochen
haben, naemlich die ratifizierung der einheitlichen
europaeischen akte. dem wunsch, aus anlass dieser ratifizierung
die laendermitwirkung an entscheidungen auf europaeischer
ebene zu institutionalisieren kam fuer alle laender grosse
bedeutung zu.
die laender sehen in einer solchen mitwirkung eine
entscheidende weichenstellung fuer die zukunft unseres
foederativen systems. mein vorgaenger in diesem amt, herr
ministerpraesident boerner, hat daher die ratifizierung der
einheitlichen europaeischen akte in den mittelpunkt seiner
antrittsrede gestellt. er ist nachhaltig dafuer eingetreten, dass
auch und gerade in einem vereinten europa unsere
bundesstaatliche ordnung bewahrt bleibt, dass wir auf eine
europaeische union hinarbeiten muessen, in der wir uns mit
unseren ueberzeugungen und werten wiederfinden. er hat damit
das ausgesprochen, was wir alle empfinden, wofuer wir alle
gerade in diesem zusammenhang zu arbeiten verpflichtet
sind. herr kollege boerner hat deshalb im namen dieses
hauses an bundestag und bundesregierung appelliert, den
laendern durch entsprechende verfahrensregelungen das
notwendige gehoer in europa zu sichern.
dieser appell des deutschen bundesrates ist aufgenommen
worden. bundesregierung und bundestag haben diesem
anliegen der laender rechnung getragen. die laender haben
erreicht, was ihnen uebrigens bei der ratifizierung des
montan-vertrages und auch bei der ratifizierung der
roemischen vertraege versagt geblieben ist, wir sollten und wir
wollen dieses ergebnis auch nicht einfach als
selbstverstaendlich zur kenntnis nehmen oder zur tagesordnung
uebergehen.
ich sage ganz bewusst: es haette ja auch anders kommen
koennen. ich denke an den aufsatz von theodor eschenburg
vom oktober vergangenen jahres in der wochenzeitung
"die zeit", als er einen verfassungskonflikt ueber die
ratifizierung der einheitlichen europaeischen akte kommen sah,
und als er verstaendnis fuer diejenigen stimmen im
bundestag zeigte, die unserem, dem laenderanliegen reserviert
gegenueberstanden. und die bundesregierung haette -
unterstuetzt durch durchaus beachtliche kraefte in politik und
medien - ja auch den weg des konflikts beschreiten
koennen> sie hat es nicht getan. die bundesregierung hat den
weg des kompromisses,(des konsenses, der
gemueinsamkeiw gesucht. sie, herr bundeskanzler, sind diesen weg
durchaus auch gegen mancherlei widerstaende gegangen/
dafuer danken wir ihnen.
die bisherige haltung der bundesregierung stimmt mich
zuversikhtlich, dass wir auch die noch offenen fragen - es
sind ja noch nicht alle fragen geloest, ich meine die noch
abzuschliessende bund-laender-vereonbarung ueber details
der unterrichtung und beteiligung der laender - zuegig und
erfolgreich loesen koennen.
meine sehr verehrten damen, meine herren, die
beratungen zur einheitlichen europaeischen akte haben
veranschaulicht, dass alle bundeslaender fuer die erhaltung der
fuer ihre eigenstaatlichkeit unabdingbaren kompetenzen
streiten. bei diesem bemuehen geht es uns nicht nur um einfluss
und um die wahrung der interressen des jeweiligen
bundeslandes. es geht uns vielmehr auch und nicht zuletzt um
die erhaltung des bundesstaates, denn die
bundesstaatliche ordnung ist - mancher meiner vorgaenger im amt
des bundesratspraesidenten hat dies ja nachhaltig
unterstrichen - das ergebnis unserer geschichte und unserer
tradition. sie ist zum unverzichtbaren bestandteil unsererue
nationalen politischen kultur geworden.
meine damen und herren, der bundesstaat wuerde zur
leerformel, wenn wir nicht davon ueberzeugt waeren, dass er mehr
als der zentralistische staat den menschen in ihrer
individuellen gestaltungsmoeglichkeit dient. so wird durch die
foederative staatliche ordnung die freiheit unserer
mitbuergerinnen und mitbuerger besonders wirkungsvoll gesichert.
das foederative system wirkt der politischen machtkonzentration
und damit moeglichen gefaehrdungen der freiheit des
einzelnen entgegen. es ist eine zeitgemaesse ausdrucksform des
gedankens der "checks und balances".
aber auch dies ist wohl richtig: unsere gesellschaft birgt
natuerlich gefahren. sie koennte mehr und mehr zu einer
massengesellschaft werden. individualitaet und
eigenverantwortlichkeit koennen dabei beeintraechtigt werden. wie
koennen wir dieser gefahr besser begegnen als durch geistige
offenheit, politische pluralitaet und soziale vielfalt? auch
dazu leistet der foederalismus einen ganz wichtigen,
vielleicht sogar den entscheidenden beitrag.
die bundesstaatliche ordnung macht das handeln in
unserem staatlichen gemeinwesen ueberschaubar, erleichtert die
mitarbeit. nicht monotonie, sondern vielfalt ist fuer den
foederalismus charakteristisch, eine vielfalt, die sich in
persoenlicher eigenart, landsmannschaftlichen besonderheiten und
vor allem, meine damen und herren, in kulturellem
reichtum aeussert.
die bewahrung dieses kulturellen reichtums stellt die
laender in zukunft weiterhin, vielleicht ganz besonders, vor
wichtige aufgaben, denn kunst und kultur beruehren uns
nicht am rande, sie haben mit uns menschen ganz
existentiell zu tun. kunst und kultur formulieren fragen und geben
auch manche antwort, die dazu beitraegt, unsere welt
vielleicht ein wenig mehr zu verstehen und sie moeglicherweise
humaner zu machen. die entfaltung von kunst und kultur
ist damit ein gradmesser des geistigen reichtums, der
kreativitaet und - ich fuege hinzu - der toleranz eines
volkes.
es ist ja auch nicht zufaellig, dass das kernstueck der
eigenstaatlichkeit der laender gerade die kulturhoheit ist oder von
den menschen zumindest immer wieder so begriffen und
verstanden wird. dazu gehoert uebrigens auch die
ueberregionale foerderung von kunst und kultur. wenn es uns nicht
gelingt, gemeinsam mittel und wege zu finden, werden wir
uns unweigerlich dem verlangen ausgesetzt sehen, die
ueberregionale kunst- und kulturfoerderung auf die
bundesebene zu uebertragen, und das waere ein grosser nachteil,
meine damen und herren. aber ich bin guten mutes, dass wir
zu der notwendigen gemeinsamkeit finden. die einigung
ueber die errichtung einer kulturstiftung der laender weist uns
ja den weg.
meine damen und herren, viele wichtige aufgaben stehen
vor uns. dazu gehoert ganz besonders der umweltschutz.
dass wir hier mit draengenden problemen konfrontiert sind,
wissen wir alle. es ist das gebot unserer zeit, luft, boden,
gewaesser, tiere und pflanzen durch entschlossenes
politisches handeln vorsorgend in schutz zu nehmen. in kaum
einem anderen politischen bereich wirken sich
versaeumnisse, wirkt sich zu spaetes handeln so gravierend aus.
der bundesrat, meine damen und herren, wird sich dieser
grossen herausforderung wie in der vergangenheit so auch
in zukunft mit besonderem nachdruck stellen. eine richtige
antwort auf diese herausforderung sehe ich auch in den
bemuehungen, das staatsziel umweltschutz im grundgesetz
zu verankern. durch eine solche staatszielbestimmung soll die
besondere verpflichtung der oeffentlichen hand zum schutz
der natuerlichen lebensgrundlagen zum ausdruck gebracht
werden. der unter den laendern jedenfalls grundsaetzlich
bestehende konsens hierueber stimmt mich zuversichtlich.
schliesslich ein weiterer wichtiger punkt fuer uns alle in den
kommenden monaten: in der finanzpolitik werden wir die
arbeiten der bundesregierung und des bundestages zur
steuerreform und steuerentlastung mit aufmerksamkeit
begleiten und selbst unsere antworten zu finden haben. die
auch von uns begruessten entlastungen muessen dabei
sorgfaeltig auf ihre auswirkungen in bezug auf die
laenderhaushalte geprueft werden.
vor allem sind die laender bei der neuordnung des
laenderfinanzausgleichs gefordert. wir werden dabei einen
vernuenftigen weg finden muessen, ich denke, zwischen zwei
grundsaetzen, ueber die wir uns auch einig sind und den wir zu
beachten haben. tenn,wir duerfen einerseits nicht zulaaesew,
dass auf grund unterschiedlicher finanzkraft der
bundeslaender etwa ein schroffes gefaelle in lebensstandard und
oeffentlichen leistungen unter den laendern entsteht. andererseits
darf ein - ich zitiere - "angemessener ausgleich der
unterschiedlichen finanzkraft" auch nicht zu einer unreflektierten
nivellierung fuehren. beide grundsaetze gilt es zu beachten.
jede vernachlaessigung des einen zugunsten des anderen
wuerde notwendigerweise zu spannungen fuehren.
meine sehr verehrten damen, meine herren! es ist nicht das
erste mal, dass dieses hohe haus vos grossen und"vor
wichtigen aufgaben steht. ich werde das mir moegliche tun,
damit der bundesrat im geiste nutzbringenden miteinanders
seine aufgaben zum wohle des gesamtstaates erfuellt.
ich wiederhole meine herzliche bitte, mich dabei zu
unterstuetzen, denn wir alle stehen mit unserem tun und
unterlassen nicht nur in der verantwortung vor uns selbst, sondern
vor allem in der besonderen verantwortung gegenueber den
menschen, unseren mitbuergerinnen und mitbuergern in
unserem jeweiligen bundesland und gegenueber unserem
gemeinsamen gesamtstaat, der bundesrepublik
deutschland.