Abschied von Bundesminister a.D. Dr. h.c. Kurt Schmücker - Ansprache von Bundesminister Wissmann in Löningen am 12. Januar 1996

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Der Bundesminister für Verkehr, Matthias Wissmann, hielt als
Vertreter der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland
anläßlich des Staatsaktes zum Abschied von Bundesminister a.D. Dr.
h.c. Kurt Schmücker in Löningen am 12. Januar 1996 folgende
Ansprache:

In tiefer Trauer und großer Dankbarkeit nehmen wir Abschied von Dr.
Kurt Schmücker. In dieser Stunde gilt unser tief empfundenes
Mitgefühl vor allem Ihnen, liebe Frau Schmücker, Ihren Kindern und
den Angehörigen. Mit Kurt Schmücker verlieren wir eine der großen
Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegsgeschichte, einen
Politiker und Menschen, der durch sein Engagement die Geschicke
der Bundesrepublik über Jahrzehnte hinweg entscheidend beeinflußt
hat. Am 10. November 1919 geboren, gehörte er zu der Generation,
die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vor der Aufgabe stand,
aus den Trümmern heraus das Fundament für einen demokratischen
und freiheitlichen Staat zu schaffen. Kurt Schmücker hat sich als
überzeugter Demokrat dieser Aufgabe mit der ihm eigenen
Entschlossenheit und Tatkraft gestellt. Begonnen hat seine politische
Laufbahn hier in seiner niedersächsischen Heimat, der er sich
zeitlebens eng verbunden fühlte. Hier war er einer der Mitbegründer
der Jungen Union Oldenburgs und von 1948 bis 1954 deren
Landesvorsitzender. Als junger Mann von gerade 29 Jahren wurde er
1949 als jüngstes Mitglied in den ersten Deutschen Bundestag
gewählt. Über 20 Jahre, bis 1972, gehörte er als Abgeordneter dem
Bundestag an und hat eine ganze Epoche politischer Entscheidungen
und Entwicklungen mitgeprägt. Kennzeichnend für sein politisches
Engagement war das klare Bekenntnis zur Marktwirtschaft. Als
gelernter Buchdrucker und Verleger in der elterlichen Buchdruckerei
sah er vor allem in einem gesunden, wettbewerbsfähigen Mittelstand
die Basis für eine leistungsfähige, wachstumsorientierte Wirtschaft.
Nicht von ungefähr übernahm er daher die Verantwortung für die
Mittelstandspolitik seiner Partei und gestaltete zahlreiche
Mittelstandsinitiativen. So leitete er ab 1957 den
wirtschaftspolitischen Arbeitskreis der CDU/CSU-Fraktion im
Bundestag, ehe er Ende 1959 bis 1961 den Vorsitz im
Wirtschaftsausschuß des Bundestages übernahm. Die Akzente, die
er auch als wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion
und als Mitbegründer sowie langjähriger Vorsitzender der
Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU setzte, sind auch heute noch
beispielgebend für eine Wirtschaftspolitik mit Augenmaß und
Weitblick. Dabei war seine politische Arbeit stets von den konkreten
Auswirkungen auf die Menschen in unserem Land bestimmt. Ihm
gelang die Einbettung der Mittelstandspolitik in die Soziale
Marktwirtschaft als Grundpfeiler unserer modernen
Wirtschaftsordnung. Er war ein Praktiker der Wirtschaft und der
Politik. Doch es zeichneten ihn nicht nur praktischer Sachverstand
und konsequentes, ergebnisorientiertes Denken und Handeln aus, er
besaß auch die seltene Fähigkeit, zuhören zu können und sich den
Sorgen und Problemen der Bürgerinnen und Bürger, die in
vielfältiger Weise an ihn herantraten, zu öffnen und wo immer
möglich zu helfen. Seine Auffassungen und Überzeugungen hat Kurt
Schmücker dabei stets mit großer Leidenschaft vertreten, auch in
seinen politischen Funktionen und Ämtern. Nachdem ihm 1961 das
Amt des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden übertragen worden
war, trat Kurt Schmücker 1963 bis 1966 als zweiter
Wirtschaftsminister der Bundesrepublik die Nachfolge Ludwig
Erhards an. Im Kampf gegen die erste größere Rezession der
Nachkriegszeit bewies er hier wie auch in dem darauffolgenden Amt
als Schatzminister politisches Gespür und große Weitsicht. Schon
Ende 1966 trat Kurt Schmücker, der erkannt hatte, daß die Jahre
hoher Wachstumsraten vorbei waren, folgerichtig für einen
konsequenten Anpassungs- und Konsolidierungskurs ein. So sind
diese damaligen Forderungen heute aktueller denn je. Bei aller
Entwicklung und stetem Wandel hat er dabei Zeichen gesetzt und
Spuren hinterlassen: Herausragende Ergebnisse seines Schaffens
sind die Gründung der Stiftung Warentest, das Stabilitätsgesetz, das
die konjunkturpolitischen Ansatzmöglichkeiten vermehrte, und die
Berufung der "Wirtschaftsweisen", die seither die wirtschaftliche
Entwicklung begutachten und bis heute die wirtschaftspolitischen
Entscheidungen mit beeinflussen. Auch im wichtigen Prozeß der
europäischen Einigung spielte er eine nicht wegzudenkende Rolle,
denn er war es, der 1964 gegen viele Widerstände die Angleichung
der Getreidepreise in der EWG durchsetzte. Die Eingliederung der
Landwirtschaft in den gemeinsamen Markt war eine der
entscheidenden Voraussetzungen für die wirtschaftliche Integration
Europas, für die weitere Entwicklung der Europäischen
Gemeinschaft, für die Europäische Union. Sein Ausspruch vom
Januar 1973 - "Eine rein nationale Stabilitätspolitik kann keinen Erfolg
mehr haben!" -hat heute ebenso Gültigkeit wie damals und ist Beweis
einer hervorragenden Weitsichtigkeit. Zugleich war er ein echter
Niedersachse, bodenständig im besten Sinne des Wortes. Ich
erinnere nur an eine Geschichte, als er im April 1980 als
Bürgermeister hier in Löningen regionale Fußball-Funktionäre zu
einem "Feiertags-Spielverbot!" aufrief, denn "Kirchgang tue in
schweren Zeiten mehr not als Kicken auf dem Dorfanger". Es war
also nur konsequent und folgerichtig, daß er sich, nachdem er sich
1972 aus der Bundespolitik zurückgezogen hatte, mit all seiner Kraft
auf kommunalpolitischer Ebene den vielfältigen Aufgaben in seiner
Heimatregion, dem Oldenburger Münsterland, widmete. Manfred
Carstens übernahm damals seinen Wahlkreis und nahm seinen Platz
im Bundestag ein. Bereits im September 1976 konnte Kurt
Schmücker dann zufrieden feststellen, daß ihm auch auf lokaler
Ebene der Erfolg nicht versagt blieb: "Die Umstrukturierung
Löningens ist voll gelungen. Bei der Gewerbesteuer im Kreis
Cloppenburg haben wir im Kreis das höchste Pro-Kopf-Aufkommen."
Im Großen wie im Kleinen, ob nun als Abgeordneter, Bundesminister
oder Bürgermeister, hat er stets alle Kraft und seine ganze
Persönlichkeit in die politische Arbeit investiert. Er war einer der
Fleißigen, bereit, Verantwortung zu übernehmen, und er ist auch,
nachdem er seine politische Laufbahn als Bürgermeister 1986
beendete, ein wacher Beobachter geblieben, der seine
Grundprinzipien und - dies darf ich als Mitglied der Bundesregierung
sagen - die der CDU nie aus den Augen verloren hat. Wir alle, sehr
verehrte Frau Schmücker, haben Ihrem Mann viel zu verdanken. Als
Parlamentarier der ersten Stunde, als einer der großen Männer der
Christlich Demokratischen Union Deutschlands, als
Kommunalpolitiker und als liebenswerten Menschen werden wir ihn,
der sein ganzes Leben in den Dienst unseres Landes gestellt hat, in
Erinnerung behalten. Auch im Namen von Bundeskanzler Dr. Helmut
Kohl und der gesamten Bundesregierung zollen wir ihm und seinem
Lebenswerk höchsten Respekt, Dank und Anerkennung! Als Christen
denken wir an diesem Tag des Abschieds von Kurt Schmücker an
den Satz aus der Offenbarung des Johannes 14,13: "Selig sind die
Toten, die in dem Herrn sterben, von nun an. Ja der Geist spricht,
daß sie ruhen von ihrer Arbeit, denn ihre Werke folgen ihnen nach."