61. Internationale Grüne Woche 1996 - Rede von Bundesminister Borchert in Berlin

  • Bundesregierung ⏐ Startseite
  • Bulletin

  • Schwerpunkte

  • Themen   

  • Bundeskanzler

  • Bundesregierung

  • Aktuelles

  • Mediathek

  • Service

Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten, Jochen Borchert, hielt anläßlich der Eröffnung der
Internationalen Grünen Woche 1996 am 18. Januar 1996 in Berlin
folgende Rede:

I.

Exzellenzen,
Herr Regierender Bürgermeister Diepgen,
Herr Kommissar Fischler,
Herr Präsident Heereman,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages,
des Europäischen Parlaments
sowie der Länder- und Kommunalparlamente,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

es ist wieder soweit. Berlin, die Drehscheibe zwischen Ost und West, die
pulsierende Metropole und aufstrebende Bundeshauptstadt des vereinten
Deutschland, wird für die nächsten zehn Tage wieder zur landwirtschaftlichen
Hauptstadt. Alles was in Deutschland, in Europa und rund um den
Erdball mit Land- und Ernährungswirtschaft zu tun hat, schaut nach
Berlin, viele kommen nach Berlin.

Im Namen der Bundesregierung
begrüße ich Sie herzlich. Mein besonderer Gruß gilt dem Vizeminister
für Landwirtschaft der Vereinigten Staaten von Amerika, Richard
Rominger, und unseren amerikanischen Freunden, die in diesem Jahr
zum vierzigsten Male an der Internationalen Grünen Woche
teilnehmen. Die Aussteller aus über fünfzig Ländern wissen, hier geht
es um die Zukunft der Land- und Ernährungswirtschaft, um neue
Herausforderungen durch neue Produkte und neue Technologien.
Wir brauchen uns in den Ausstellungshallen nur umzusehen, dann
werden die herausragenden Leistungen unserer Land- und
Forstwirtschaft, des Gartenbaus und der Fischerei sowie ihres
leistungsstarken Partners, der Ernährungswirtschaft, deutlich.

Die deutsche Ernährungswirtschaft ist der maßgebliche Träger dieser
Ausstellung. Sie stellt sich mit ihren hochwertigen Produkten und
interessanten Produktinnovationen auf der Internationalen Grünen
Woche alljährlich dem wachsenden Konkurrenzdruck und den
steigenden Ansprüchen der Verbraucher. Jährlich 1500 neue
Produkte der deutschen Ernährungswirtschaft sprechen für sich,
sprechen für den Unternehmergeist dieser Branche. Sie sind die
Grundlage des Erfolges für den drittstärksten Wirtschaftszweig
Deutschlands - heute und in Zukunft. Diese Spitzenposition wird die
deutsche Ernährungsindustrie aber nur dann sichern, wenn sie auch
alle Chancen innovativer Produktionstechnologien nutzen kann.

Innovative Produktionstechnologien müssen auch in der
Landwirtschaft genutzt werden. Dabei denke ich beispielsweise auch
an die Bio- und Gentechnologie. Wir haben - ebenso wie andere
Länder - hervorragende Wissenschaftler und große
Forschungskapazitäten, um die Entwicklung dieser
Zukunftstechnologie voranzutreiben. Und es gäbe bereits heute -
besonders aus ökologischer Sicht - interessante Einsatzfelder für die
Gentechnologie. So könnten mit ihrer Hilfe beispielsweise der
Gebrauch von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln weiter
eingeschränkt oder nachwachsende Rohstoffe für die industrielle
Nutzung angepaßt werden. In vielen anderen Ländern werden diese
Herausforderungen offensiv angenommen. Bei uns gibt es eher
Bestrebungen, sie offensiv zu verhindern. Während die Wissenschaft
in anderen Ländern Versuchsergebnisse auswertet, werden bei uns
Versuchsfelder verwüstet. Ich möchte damit nicht die Ängste der
Bevölkerung in Abrede stellen. Ihnen muß mit umfassenden
Informationen sowie einer weitgehenden Kennzeichnung begegnet
werden. Denn: Es geht um die Sicherung des Wirtschafts- und
Agrarstandortes Deutschland. Die Herausforderungen der Zukunft
können wir nur bestehen, wenn die Chancen neuer Technologien
genutzt und ständig neue Produkte entwickelt werden.

II.

Den Blick nach vorne zu richten, bedeutet auch, sich den ständig
wachsenden Anforderungen des Umwelt- und Tierschutzes zu
stellen. Ich will keinen Zweifel aufkommen lassen: Unsere
Landwirtschaft will die Kulturlandschaft pflegen und besondere
Leistungen im Tier- und Umweltschutz erbringen. Nur, auch in der
Landwirtschaft gilt: Leistungen haben ihren Preis. Besondere
Leistungen verlangen eine besondere Entlohnung. Früher wurde mit
höheren Erzeugerpreisen zumindest teilweise die Pflege der
Kulturlandschaft über den Preis abgegolten. Bei den heute deutlich
niedrigeren Erzeugerpreisen ist das nicht mehr drin. Und deshalb
kann es für mich auch nur heißen: Landschaftspflegeleistungen
müssen bezahlt werden. Ich sage ausdrücklich: bezahlt. Kein Bauer
soll das Gefühl haben, er sei Almosenempfänger und er müsse Dank
sagen - Dankeschön für die Ausgleichszahlungen, die ihm zustehen.

Das möchte ich auch dem niedersächsischen Ministerpräsidenten,
Herrn Schröder, ins Stammbuch schreiben, der den Bauern die
Gelder wegnehmen will, wenn sie nicht neue, zusätzliche
Umweltauflagen erfüllen. In der Bewertung dieser Vorschläge möchte
ich mich heute - dem feierlichen Anlaß entsprechend - zurückhalten.
Nur soviel: Hier weiß offensichtlich jemand nicht, was unsere
Bäuerinnen und Bauern mit harter Arbeit zum Schutz der Umwelt
alles leisten. Dazu brauchen sie nicht, auch nicht von einem
bundespolitisch ambitionierten Ministerpräsidenten, verpflichtet zu
werden. Und: Für besondere ökologische Leistungen haben die
Bauern einen finanziellen Anspruch - genauso wie für die Auflagen,
die zu Einschränkungen bei der guten fachlichen Praxis zwingen.
Denn: Wir wollen doch mit unserer bäuerlich geprägten
Landwirtschaft unsere Kulturlandschaft, die lieb gewordene Heimat,
erhalten und Traditionen und Brauchtum bewahren. Und zum Leben
auf dem Dorf gehört eben der morgendliche Schrei des Hahnes
ebenso wie das vertraute Geläut der Kuhglocken. So freue ich mich,
daß nach dem letzten Richterspruch zum Kuhglockenstreit nun auch
in Bayern die Welt wieder in Ordnung ist: Kuhglocken und Schellen
gehören zur bayerischen Landwirtschaft wie die Knicks zur
schleswig-holsteinischen. Ich meine: Jeder, den es aufs Land zieht,
sollte sich auf jeden Fall vorher erkundigen, wie Landluft riecht und
was Landleben heißt.

Jeder sollte wissen, daß die Landwirtschaft ein
Wirtschaftsfaktor ist, der es ohnehin schwer hat, sich zu behaupten,
dessen Jahreslauf von der Natur bestimmt wird und der dabei nicht
immer den Wünschen der Nachbarschaft entsprechen kann. Im
landwirtschaftlichen Klartext: Wenn Regen angesagt ist, dann kann
es eben notwendig sein, daß nachts um 12 noch der Mähdrescher
läuft, damit das Korn vom Halm kommt, oder morgens um fünf der
Schlepper zum Säen rausgeholt wird, auch wenn die Nachtruhe der
Nachbarn dadurch etwas beeinträchtigt wird. Das ist kein böser
Wille. Jeder sollte bedenken: Mit unnötig vom Zaun gebrochenen
Klagen und Einspruchsverfahren entzieht man den Betrieben die
wirtschaftliche Zukunft. Dann haben wir zwar immer noch die
Möglichkeit, die Nahrungsmittel auf dem Weltmarkt zu kaufen. Nur -
was passiert mit der Landschaft? Kulturlandschaft kann man nicht
importieren. Ganze Landstriche würden dann veröden, Disteln und
Dornen nach biblischer Prophezeiung die satten grünen Wiesen und
Felder verdrängen. Ich appelliere daher an alle verantwortlichen
Politiker und die gesamte Bevölkerung, der Land- und
Ernährungswirtschaft nicht Stolpersteine, sondern Grundsteine zu
legen. Denn: Die deutsche Land- und Ernährungswirtschaft kann
sich im europäischen Wettbewerb nur behaupten, wenn ihr die
nötigen Zukunftsinvestitionen erleichtert werden. So, wie vieles in
den neuen Ländern in der Aufbruchsphase erleichtert wurde und
vieles mit weniger Reibungsverlusten bewältigt werden konnte.

In fünf Jahren -mehr sind es noch nicht -ist der Aufbau einer
leistungsstarken Land- und Ernährungswirtschaft gut
vorangekommen. Die Ackerbauern in den neuen Ländern brauchen
die Konkurrenz ihrer stärksten europäischen Kollegen nicht zu
fürchten. Nur in der tierischen Veredlung will der Funke einfach noch
nicht überspringen. Was können, was müssen wir hier noch tun,
damit die Tierproduktion in den neuen Ländern endlich anspringt,
wenn wir wissen, daß die Förderbedingungen bereits außerordentlich
gut sind? Hier muß jetzt bald etwas passieren. Diese Mahnung, den
Veredlungsstandort offensiv auszubauen, richte ich gleichermaßen
auch an die Bäuerinnen und Bauern in den alten Ländern. Auch hier
gilt es, keine Zeit mehr zu verlieren. Besonders erfreulich hat sich die
Ernährungswirtschaft in den neuen Ländern entwickelt. Sie hat sich
im europäischen Binnenmarkt etabliert. Jetzt bleibt der Handel
aufgefordert, den oft traditionsreichen ostdeutschen Produkten ihre
verdiente Chance zu geben. Und, lassen Sie mich dieses offene Wort
anfügen: Der Handel bleibt aufgefordert seine konzentrierte
Marktmacht gegen die mittelständisch geprägte deutsche
Ernährungswirtschaft nicht weiter auszuspielen. Denn: Sonst
verlieren wir über kurz oder lang die Vielfalt unseres heimischen
Sortiments.

III.

Nach der Zeitrechnung der neuen europäischen Agrarpolitik befinden
wir uns im Jahre drei nach der EU-Agrarreform. Und wir stellen fest:
Die agrarpolitische Grundkonzeption stimmt. Die Lagerhallen sind
geräumt, der Weltmarkt ist von subventionierten EU-Überschüssen
entlastet und die Erzeugerpreise stabilisieren sich. Von daher sehe
ich auch keine Notwendigkeit, sich heute schon wieder Hals über
Kopf in eine völlige Neuorientierung der Agrarpolitik zu stürzen.
Ebenso halte ich die kürzlich geäußerte Forderung einer
renationalisierten und stärker national finanzierten Agrarpolitik weder
zur Verbesserung der landwirtschaftlichen Einkommen noch zur
Weiterentwicklung der Europäischen Union für erfolgversprechend.
Damit würde ein Grundpfeiler der Europäischen Union - die finanzielle
Solidarität - erschüttert. Die Weigerung der Bundesländer, sich an
der Finanzierung des Währungsausgleichs zu beteiligen, und der
Versuch der SPD, die Anhebung der Vorsteuerpauschale um 0,5
Prozentpunkte zu torpedieren, spricht nicht dafür, die
Transferzahlungen für die Bauern in die Kompetenz der nationalen
oder gar regionalen Finanzpolitik zu übertragen. Damit wären sie
weder einheitlich noch sicher. Oder, um diese Vorschläge mit einem
abgewandelten Zitat von Franz-Josef Strauß zu kommentieren: "Es
ist leichter, daß ein Metzgerhund einen Wurstvorrat anlegt, als daß
die Bundesländer umgeleitete Brüsseler Gelder dauerhaft für die
Landwirtschaft reservieren."

Vorschläge für neuerliche Reformen der
europäischen Agrarpolitik gibt es viele. Nur: Die meisten sind EU-weit
nicht mehrheitsfähig und schon gar nicht im Interesse unserer Land-
und Ernährungswirtschaft. Ich halte es daher nach wie vor für
richtig, an der bewährten Grundkonzeption der Agrarreform
festzuhalten, sie weiterzuentwickeln und zu vereinfachen. Ich kann
Sie, Herr Kommissar Fischler, daher nur unterstützen, wenn Sie in
dem "Strategiepapier zur künftigen Erweiterung" eine radikale
Reform der Agrarreform ablehnen. Ich stimme mit Ihnen überein, daß
wir mit der konsequenten Weiterentwicklung dieser neuen
Agrarpolitik auch in eine neue und größere europäische Welt
einbiegen können. Dabei halte ich auch die von Ihnen geforderte
Verstärkung einer integrierten Politik für den ländlichen Raum und
eine stärkere Förderung der ökologischen Leistungen über
flankierende Maßnahmen für einen wichtigen Ansatz. Das alles steht
auch nicht im Widerspruch zu den agrarpolitischen Leitlinien, die bei
der Agrarreform 1992 verankert wurden: voller Ausgleich für
unvermeidbare Preissenkungen durch verläßliche EU-Zahlungen,
Preisstabilisierung durch Produktionsrückführung und Nutzung aller
Chancen, die der Markt bietet. Und: Ich werde dabei bleiben, daß
unsere Bauern bis zum Eintritt in die Währungsunion vor abrupten
Währungsveränderungen geschützt werden müssen. Nach dem
anfänglichen Donnergrollen sind wir ja auch mit Ihnen, Herr
Kommissar, in diesem Punkt einig geworden:
Preisausgleichszahlungen werden nicht gekürzt,
Aufwertungsverluste werden ausgeglichen.

In einem Punkt bin ich
dann aber doch - nicht von Ihnen, Herr Kommissar, aber vom
Ministerrat - bitter enttäuscht worden, bei der Umsetzung einer
Mehrwertsteuerlösung. Ich weiß: Sie, Herr Kommissar Fischler, sind
hier nicht der richtige Adressat für Kritik. Sie hatten mir Ihre
Unterstützung zugesagt, sobald von den europäischen
Finanzministern die anderen Hürden weggeräumt worden wären.
Dazu ist es leider nicht gekommen. Ich danke Ihnen für Ihre
Unterstützung und daß wir wenigstens unsere zweitbeste Lösung -
die Auszahlung über die Unfallversicherung - möglich machen
können. Damit werden diese Einkommenshilfen jetzt schnell und
unbürokratisch an die Landwirte weitergegeben. Ich gehe davon aus,
daß in vier bis fünf Wochen jeder Betrieb weiß, mit welchen
Währungshilfen er rechnen kann. Herr Kommissar Fischler, an dieser
Stelle möchte ich Ihnen auch für Ihre eindeutig ablehnende Haltung
gegenüber dem Einsatz von Hormonen danken. Ich stimme Ihnen voll
und ganz zu: Wir brauchen keine Hormone im Tierfutter.

Mit der Weiterentwicklung der derzeitigen EU-Agrarpolitik, einer flexiblen
Handhabung der vorhandenen Instrumente und einer starken
europäischen Währung können wir unseren Bäuerinnen und Bauern
verläßliche Perspektiven bieten. Unsere Land- und
Ernährungswirtschaft bietet uns dafür eine vielfältige Produktpalette
und das Beste, was es an Qualität zu bieten gibt. Das können wir auf
dieser Ausstellung wieder hautnah erleben. Für mich ist es daher
selbstverständlich, daß wir in der Agrarpolitik den besten Weg
gehen, der unseren Bäuerinnen und Bauern gute Perspektiven bietet
und den ländlichen Raum stärkt.

Den Fachveranstaltungen und
Diskussionsforen während der Grünen Woche wünsche ich im
Wettbewerb um die besten agrarpolitischen Ideen einen guten
Verlauf. Allen, die auf dieser Ausstellung im Wettbewerb um Produkte
und Kunden stehen, wünsche ich viel Erfolg und gute Geschäfte. In
diesem Sinne eröffne ich die Internationale Grüne Woche 1996.