Wunsch, dass sich Geschichte nicht wiederholt

Gedenken an Flucht und Vertreibung Wunsch, dass sich Geschichte nicht wiederholt

Richtig verstandene Erinnerung sei ein wesentlicher Baustein, um Flucht und Vertreibung zu begegnen. Das sagte Minister de Maizière bei der Gedenkstunde der Bundesregierung für die Opfer von Flucht und Vertreibung in Berlin. Die Ansprache hielt mit Rumäniens Präsident Iohannis erstmals ein ausländischer Gast.

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Rumäniens Präsident Klaus Johannis spricht bei der Zentralen Gedenkstunde der Bundesregierung für die Opfer von Flucht und Vertreibung.

Sein Land ermuntere die deutschen Minderheiten, eine aktive Rolle zu spielen, so Rumäniens Präsident Iohannis.

Foto: BMI/Schacht

Zu Beginn erinnerte Bundesinnenminister Thomas de Maizière im Schlüterhof des Deutschen Historischen Museums in Berlin mit dem Gedicht "Mondnacht" von Joseph von Eichendorff an das Kulturgut der Vertriebenen. Eichendorff habe ebenso wie Kant und Herder die Kulturlandschaft Schlesiens und Ostpreußens geprägt. Und das sei es schließlich, was ein Land und seine Menschen prägt: Kulturräume, Landschaften, Religion. Richtig verstandene Erinnerung sei zudem ein wesentlicher Baustein, um Flucht und Vertreibung wirksam zu begegnen, so de Maizière weiter. Denn nur wer Frieden lebt, könne ihn auch weitergeben.

Nach der Begrüßung durch den Bundesinnenminister richtete der Erzbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche, Dietrich Bauer, ein Grußwort an die anwesenden Gäste. Das Schlusswort sprach der Präsident des Bundes der Vertriebenen, Dr. Bernd Fabritius (MdB). Musikalisch umrahmt wurde die Gedenkveranstaltung durch "Bridges - Musik verbindet", einem Musikprojekt von und für geflüchtete Musiker.

Erinnerung an Lager und Entwurzelung

Dass mit Rumäniens Staatspräsident Klaus Werner Iohannis erstmals ein ausländischer Würdenträger bei der 2017 zum dritten Mal veranstalteten Gedenkstunde sprach, bezeichnete de Maizière als "schöne, große Geste". Iohannis erinnerte in seiner Rede zunächst an den Zweiten Weltkrieg. In dessen Folge wurden 30 Millionen Menschen deportiert oder vertrieben verloren so ihre Heimat.

Die deutsche Minderheit stelle einen großen Anteil der Vertriebenen, viele seien "Gefangene der eigenen Erinnerung", so Iohannis. Er zitierte in diesem Zusammenhang aus dem ausgezeichneten Buch "Atemschaukel" der Deutsch-Rumänin Herta Müller: "Wie läuft man auf der Welt herum, wenn man nichts mehr zu sagen hat, außer dass man Hunger hat".

Rumänische Minderheitenpolitik vorbildlich für Europa

Der rumänische Staatspräsident würdigte die vielen deutschen Opfer durch Deportationen nach Russland. So seien nach dem Zweiten Weltkrieg 70.000 Angehörige der deutschen Minderheit von Rumänien nach Russland deportiert worden. 10.000 Menschen kamen dabei ums Leben. Diese historische Realität gehöre zu einer besseren Wahrnehmung, "über wer wir sind und was wir in Zukunft zu tun haben, dazu", betonte Iohannis.

Rumänien mache sich aus diesem Grund stark für die deutschen Minderheiten im Land und ermuntere sie, eine aktive Rolle zu spielen. Man habe nicht nur wichtige Maßnahmen zum Gedenken an die Opfer des Kommunismus getroffen. Vielmehr seien auch Entschädigungen gezahlt und breit angelegte Restitutionen durchgeführt worden. Die Minderheitenpolitik Rumäniens sei daher ein Vorbild für Europa, so Iohannis.

Lob für humanitäres Engagement Deutschlands

"Wir wünschen uns, dass sich die Geschichte nicht wiederholt", sagte Iohannis - auch wenn die Realität leider eine andere sei. Die aktuellen Herausforderungen ließen sich aber nur meistern, "wenn wir zeigen, dass wir aus der Geschichte gelernt haben". In diesem Kontext erinnerte der rumänische Präsident an die weltweiten Krisenherde wie etwa Syrien, Somalia, Jemen oder Nigeria, wo Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen seien. Europa sei ein Ort der Sicherheit für die Flüchtlinge. Kein Flüchtling setze sein Leben und das seiner Familie aufs Spiel, wenn er im eigenen Land sicher leben kann, unterstrich Iohannis.

Der rumänische Staatspräsident sprach aber auch die Angst vor Terror in Europa an: "Wir sind Zeugen eines wachsenden Nationalismus in Europa". Deshalb müsse Europa seine Werte wie Toleranz und kulturelle Vielfalt schützen und Solidarität bei der Umverteilung der Flüchtlinge zeigen. Iohannis würdigte die "außerordentliche humanitäre Leistung Deutschlands" in der Flüchtlingskrise. Zum Abschluss seiner Ansprache zog Iohannis ein positives Fazit: der Gedenktag zeige, dass Welt aus ihren Fehlern gelernt hat.

Dank für die Heimat

Ghifar Taher Agha, ein syrischer Flüchtling und Teilnehmer in dem vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geförderten Programm "Integration durch Sport", berichtete anschließend von seinen Erfahrungen auf der Flucht nach Deutschland. 10 Monate habe seine Flucht gedauert. Dazu gehören viele Erlebnisse, die er nicht vergessen könne. Seine schwangere Frau habe er mit seiner eineinhalb Jahre alten Tochter in der Türkei zurückgelassen, um zunächst allein nach Deutschland zu fliehen.

Im März 2015 kam der Arzt dann in Deutschland an und machte erste Schritte zur Integration im Saarland. Im April 2016 konnte seine Familie schließlich nachkommen. Inzwischen seien sie "sehr glücklich" in ihrer neuen Heimat. Agha betonte, dass "Flucht, Vertreibung, Ankommen und Heimat" die Hoffnung aller Flüchtlinge sei. "Danke für das Ankommen in Deutschland und danke für die Heimat", beendete er seine Ansprache.

Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung
Der 20. Juni ist der Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung. Mit diesem Datum knüpft die Bundesregierung an den Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen an und erweitert das Flüchtlingsgedenken um das Schicksal der Vertriebenen.

Zeitzeugen und Schüler im Gespräch

Am Vormittag traf Bundesinnenminister de Maizière im Bundesinnenministerium Schüler aus dem Carl-Bechstein-Gymnasium in Erkner und dem Deutsch-Polnischen Haus in Gleiwitz. Er sprach mit den Schülern sowie mit drei Zeitzeugen, die am Ende des Zweiten Weltkrieges als deutsche Volkszugehörige aus den ehemaligen Ostgebieten beziehungsweise dem Wolgagebiet vertrieben worden waren. Die Schüler befragten die Zeitzeugen zu ihrem Vertreibungsschicksal. Anschließend diskutierten sie mit ihnen und de Maizière über die erinnerungspolitische Bedeutung des Gedenktages. Auch Parallelen und Unterschiede der deutschen Vertreibungserfahrung in Folge des Zweiten Weltkrieges mit aktuellen Fluchtbewegungen kamen zur Debatte.

De Maizière betonte, dass der Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung kein rückwärtsgewandter Tag einer alternden und verschwindenden Generation sei. Er gehöre vielmehr zur lebendigen Erinnerungskultur der jungen Generation. "Eine von Krieg und Vertreibung verschonte Generation wird den Willen und die Kraft zu einem versöhnten Europa und zum Zusammenhalt in einer freien Gesellschaft nur dann dauerhaft aufbringen, wenn sie sich immer wieder aufs Neue vergewissert, was Flucht und Vertreibung historisch und aktuell wirklich bedeuten. Nichts vermittelt dies eindringlicher als das Gespräch mit Opfern von Flucht und Vertreibung", so der Minister.

Flucht und Vertreibung
Flucht und Vertreibung haben die europäische Geschichte im 20. Jahrhundert geprägt. Die Bundesregierung unterstützt die historische Aufarbeitung sowie die Erinnerung und das Gedenken an die Opfer. Für Betroffene bedeuten Flucht und Vertreibung meist großes Leid. Weltweit sind derzeit 65 Millionen Menschen auf der Flucht, rund zehn Prozent mehr als 2016. Das belegt der aktuelle statistische Jahresbericht des UNHCR. Ursächlich dafür sind meist Kriege, Konflikte und Verfolgung. Bezogen auf die Weltbevölkerung von rund 7,3 Milliarden Menschen ist statistisch gesehen jeder 113. Mensch entweder asylsuchend, binnenvertrieben oder Flüchtling - so viele, wie nie zuvor.