Die EU und die Türkei haben sich geeinigt, dass ab 20. März illegal aus der Türkei einreisende Flüchtlinge zurückgeführt werden. Gleichzeitig werden die Beziehungen zur Türkei ausgebaut. Europa habe damit unter Beweis gestellt, dass es auch schwierigste Herausforderungen bewältigen könne, so Kanzlerin Merkel.
"Das Fazit des heutigen Tages ist, dass Europa es schaffen wird, auch diese schwierige Bewährungsprobe zu bestehen, und zwar mit allen 28 Mitgliederstaaten zusammen, gemeinsam auch mit der Türkei", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Abschluss des zweitägigen Gipfels der europäischen Staats- und Regierungschefs zur Flüchtlingskrise.
Die EU und die Türkei einigten sich in einer historischen Erklärung darauf, dass die Türkei künftig alle irregulär nach Griechenland kommenden Flüchtlinge zurücknimmt. Wie die Bundeskanzlerin nach den Beratungen mitteilte, sollen dabei alle internationalen Standards eingehalten werden. "Jeder Asylantrag wird individuell bearbeitet", so Merkel. Sollte sich nach der Prüfung herausstellen, dass es keinen Asylgrund gibt, würden die Asylsuchenden zurückgeschickt. Dieses Prinzip gelte bereits ab 20. März.
Die Rückführungen sollen am 4. April beginnen. Im Gegenzug will die EU für jeden illegal eingereisten Syrer einen syrischen Flüchtling aus der Türkei legal aufnehmen. Dabei wird die EU Griechenland logistisch unterstützen. Die Europäische Asylbehörde und die Grenzschutzbehörde werden verstärkt. Die Bundeskanzlerin sicherte "einen wesentlichen Beitrag" Deutschlands zu.
Die Ergebnisse im Einzelnen:
• Schleusern in der Ägäis wird die Geschäftsgrundlage entzogen und die irreguläre Migration aus der Türkei nach Europa nachhaltig reduziert.
• Alle Flüchtlinge, die seit dem 20.3. in Griechenland ankommen, werden zügig in die Türkei zurückgebracht.
• Im Gegenzug nimmt die EU für jeden illegal ankommenden syrischen Flüchtling, der in die Türkei zurückgeschickt wurde, einen syrischen Bürgerkriegsflüchtling auf.
• Gemeinsam mit der EU werden die humanitären Bedingungen für Syrer verbessert. Die Türkei erhält bis 2018 sechs Milliarden Euro für konkrete Flüchtlingsprojekte – damit beispielsweise Kinder eine Schule besuchen können oder für die Gesundheitsversorgung.
• Logistische und personelle Unterstützung für Griechenland, z.B. mit Dolmetschern und beim Grenzschutz, aber auch für die Versorgung etwa der Flüchtlinge in Idomeni durch das Soforthilfe-Programm.
• Ende Juni 2016 soll die Visafreiheit für die Türkei in Kraft treten, sofern die Türkei bis dahin alle erforderlichen Bedingungen erfüllt hat.
• Die Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei werden beschleunigt und weiterhin ergebnisoffen geführt.
Gemeinsames Ziel der EU und der Türkei sei es, die Geschäftsmodelle der Schmuggler und Schlepper hart zu treffen und zu zerstören, so Merkel. "Dieses Übereinkommen hilft nicht nur den Flüchtlingen, es ist auch ein wesentlicher Beitrag, den Schmugglern und Schleppern das Handwerk zu legen, dass die Außengrenze geschützt und Fluchtursachen bekämpft werden können."
Durch die Vereinbarung werden zunächst 72.000 syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen legale Wege nach Europa eröffnet. Wie die Bundeskanzlerin erklärte, hatten die EU-Mitgliedstaaten bereits im vergangenen Jahr vereinbart, aus Nachbarstaaten Syriens 22. 000 Flüchtlinge aufzunehmen. Davon sind bislang erst 4.000 aufgenommen worden. Legale Wege in die EU soll es zudem für weitere 54.000 Menschen geben. Sie sind Teil der Vereinbarung, 160.000 Flüchtlinge solidarisch innerhalb der EU zu verteilen.
Die Vereinbarung der EU stärkt aber auch die Beziehungen der Türkei zur EU. Angestrebt wird eine schnelle Visa-Liberalisierung und die weitere finanzielle Unterstützung des Landes, in dem knapp drei Millionen syrische Flüchtlinge Zuflucht gefunden haben.
Damit bereits ab Juni die Visa-Freiheit gelten könne, müsse die Türkei jedoch die Forderungen der Visa-Roadmap bis Ende April erfüllen, erklärte die Bundeskanzlerin. Die bereits bewilligten drei Milliarden Euro für die syrischen Flüchtlinge in der Türkei sollen zudem schneller für Projekte in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Infrastruktur, Lebensmittel oder andere Lebenskosten ausgegeben werden. "Wir werden dann bis Ende 2018 weitere drei Milliarden zur Verfügung stellen."
Außerdem wird das Kapitel 33 in den Verhandlungen zum EU-Beitritt der Türkei eröffnet. Darin geht es um Haushaltsfragen.
Vor den EU-Türkei-Verhandlungen hatte die EU-Kommission einen Sechs-Punkte-Plan vorgelegt. Schwerpunkt dabei waren rechtliche Fragen und Verfahrensfragen. Die Rückführung aller neuen irregulären Migranten und Asylbewerber, die von der Türkei aus auf den griechischen Inseln ankommen, muss in vollem Einklang mit Europa- und Völkerrecht erfolgen.
Einen großen Platz in der Diskussion hätten die rechtlichen Grundlagen der Verhandlungen mit der Türkei eingenommen, so die Bundeskanzlerin. Der Wunsch nach Visa-Liberalisierung bedeute auch, dass Standards des internationalen Rechts in türkisches Recht überführt werden müssten, so Merkel weiter. Um die Visa-Freiheit für die Türkei umzusetzen, müsse die Türkei auch rechtliche Schritte einleiten für den internationalen Schutz von Flüchtlingen.
Seit 2005 laufen die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Sie werden ergebnisoffen geführt. Parallel zur Unterzeichnung des EU-Türkei-Rückübernahmeabkommens eröffnete die EU-Kommission am 16. Dezember 2013 einen Dialog mit der Türkei über die Visaliberalisierung. Auf dem EU-Türkei-Gipfel am 29. November 2015 gab es bereits die Zusage, die Zielvorgaben des Fahrplans gegenüber allen teilnehmenden Mitgliedstaaten zu beschleunigen. Die Visafreiheit sollte ab Oktober 2016 gelten, soll nun aber auf Ende Juni vorgezogen werden. Vorausgesetzt, die Türkei erfüllt bis dahin alle Anforderungen des Fahrplans.
Der Europäische Rat hat sich auch mit der Situation in Griechenland befasst und Mittel bereitgestellt, um die Unterbringungsmöglichkeiten von Flüchtlingen zu verbessern.
Die Bundeskanzlerin forderte die Flüchtlinge von Idomeni dazu auf, die von Griechenland bereit gestellten Unterkünfte anzunehmen. Sie betonte, dass die Beschlüsse des Europäischen Rats den Flüchtlingen helfen sollen.
Hervorgehoben wurde auch der Beginn der Nato-Mission in der Ägäis. Dieser soll ausgedehnt werden, um neue Fluchtwege über das Meer zu verhindern. Besonderes Augenmerk hat dabei Libyen. Die EU unterstützt deshalb zur Stabilisierung des Landes die Einheitsregierung.
Am ersten Beratungstag haben sich die Staats- und Regierungschefs auch mit Wirtschaftsfragen beschäftigt. Wie die Bundeskanzlerin mitteilte, wurden allgemeine Schlussfolgerungen zu Arbeitsplätzen, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit in Europa verabschiedet.
Eine besondere Rolle habe die "besorgniserregende Situation der Stahlindustrie gespielt", so Merkel. Denn die moderne Stahlindustrie sei ein tragender Pfeiler des Industriestandortes und Innovationsstandortes Europa.
Es wurde auch über die Krise in der Landwirtschaft gesprochen, insbesondere über die Entwicklung der Milchpreise. Beim Europäischen Rat im Juni wird es um die Fortschritte gehen, die auf dem Weg zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion erzielt wurden.