Interview mit Björn Nagel vom DLR
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) forscht, wie Fliegen mit alternativen Flugzeugantrieben sauberer werden kann. „Der Klimawandel sorgt für großen Zeitdruck“, sagt Dr. Björn Nagel, Gründungsdirektor des Instituts für Systemarchitekturen in der Luftfahrt. Im Interview erläutert er, wie wir zukünftig klimaneutral fliegen könnten.
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Herr Dr. Nagel, der Flugverkehr ist nicht gut fürs Klima. Doch wie kann die Luftfahrt klimaneutral werden?
Die Dekarbonisierung der Luftfahrt kann erreicht werden, wenn anstatt Kerosin grüner Wasserstoff als Energieträger verwendet wird. Der kann wie Kerosin in Turbinen genutzt werden. Bei der Verbrennung entsteht kein CO2.
Um einen noch besseren Wirkungsgrad zu erzielen, kann Wasserstoff auch in Brennstoffzellen zu Strom gewandelt und zum Antrieb von Elektromotoren genutzt werden. Allerdings sind die Systeme schwerer und müssen aufwändig gekühlt werden.
In beiden Varianten wird vor allem Wasserdampf ausgestoßen. Aufgrund des großen Volumens von Wasserstoff muss er in verflüssigtem Zustand bei -253°C mitgeführt werden, was große und schwere Tanks erfordert.
Gibt es noch weitere Lösungen?
Ein direkter Ersatz für die Nutzung in heutigen Flugzeugen ist synthetisches Kerosin. Das wird aus Wasserstoff und CO2 hergestellt. Bei der Verbrennung entsteht weiterhin CO2. Wenn das CO2 für die Kraftstoffherstellung aus der Atmosphäre gewonnen wurde, entsteht ein geschlossener Kreislauf. Die Erzeugung erfordert jedoch mehr Energie als flüssiger Wasserstoff.
Es gibt also mehrere sehr unterschiedliche Möglichkeiten, CO2-neutral zu fliegen.
Welche Herausforderungen sind zu meistern?
In der Luftfahrt verursachen andere Emissionen wie NOx und Ruß eine sogar noch etwas größere Klimawirkung als CO2, indem sie die Bildung von Zirruswolken (Eiswolken in großer Höhe) induzieren. Diese Mechanismen insbesondere bei der Nutzung neuer Energieträger sind noch Gegenstand der Forschung. Es zeichnet sich aber ab, dass veränderte Flugrouten und insbesondere etwas tieferes Fliegen diese Wirkung vermeiden können. Weil dort eine größere Luftreibung herrscht, wollen wir die Energieeffizienz neuer Flugzeuge bis 2050 verdoppeln.
Solche Flugzeuge etwa mit hocheffizienten Flügeln, großen Propellern und Wasserstofftanks werden anders konstruiert sein und auf neuen, automatisierten Fertigungsverfahren basieren. Auch die nachhaltige Verwendung von Materialien und die Energieeffizienz der Flugzeugfertigung und der Kraftstoffproduktion sind zu beachten.
Es gibt also extrem viele Technologiebausteine, die im Entwurf und Betrieb von Luftfahrzeugen perfekt ineinandergreifen müssen. Gleichzeitig müssen wir noch offen sein für mehrere sehr unterschiedliche Technologieoptionen. Diese Gesamtsystemfähigkeit für die Luftfahrt wird auch dafür benötigt, um die unterschiedlichen Verwertungsperspektiven für Deutschland abzusehen.
Wie viele Wissenschaftler sind beim DLR mit der Forschung an wasserstoffbetriebenen Flugzeugen beschäftigt?
In seiner neuen Luftfahrtstrategie hat das DLR die Forschung zu Transportflugzeugen konsequent auf das Ziel der klimaneutralen Luftfahrt ausgerichtet. Da Wasserstoff sowohl direkt im Flugzeug mitgeführt werden kann als auch Ausgangsstoff für synthetisches Kerosin ist, arbeitet wohl der größte Teil der Kolleginnen und Kollegen direkt oder indirekt an dem Thema. Daneben gibt es aber natürlich auch noch andere wichtige Forschungsthemen in der Luftfahrt, wie beispielsweise im Kontext von Rettungshelikoptern oder unbemannten Luftfahrzeugen für Kriseneinsätze.
Wir profitieren sehr vom Technologietransfer aus unserem Raumfahrtbereich, in dem Wasserstoff schon lange verwendet wird. Auch die Erdbeobachtung ist wichtig, um die Klimawirkung zu beobachten und zu verstehen. Die Erzeugung und Verteilung von Energie sowie die Nutzung in den verschiedenen Transportmoden Schifffahrt, Schienen- und Straßenverkehr betrachten wir übergreifend über alle Sektoren der Energiewirtschaft und damit im Zusammenwirken aller DLR-Forschungsfelder.
Gibt es bereits erste Probeflüge mit Wasserstoff?
Die DLR Ausgründung H2Fly hat mit dem viersitzigen Forschungsflugzeug HY4 im April einen neuen Weltrekord für die größte Flughöhe mit einem Wasserstoffelektrischen Passagierflugzeug aufgestellt. Gemeinsam mit Partnern wie dem Triebwerkunternehmen MTU, Deutsche Aircraft und Diehl bereiten wir Flugexperimente mit Brennstoffzellen-Flugzeugen der Größenklasse bis circa 40 Passagiere vor. Airbus rüstet sogar einen Airbus A380 für das Testen von Wasserstoff in der Direktverbrennung um.
Diese Experimente sind erforderlich, um die Technologien unter realen Flugbedingungen zu erproben. Mit Lufthansa Technik entsteht das Hydrogen Aviation Lab, in dem Bodenbetrieb und Wartung von Wasserstoff an Bord eines Airbus A320 am Flughafen Hamburg erforscht werden. Wir müssen diese neuen Technologien gut verstehen, bevor die erste Generation klimaneutraler Verkehrsflugzeuge marktreif entwickelt werden kann.
Was zeigen Sie auf der ILA?
Auf der ILA geben das DLR und seine Partner spannende Einblicke in alle diese Themen. Es lohnt sich auf jeden Fall, vorbeizukommen.
Wann ist damit zu rechnen, dass erste klimaneutrale Flugzeuge auf kommerziellen Passagierflügen eingesetzt werden und in welcher Größenordnung?
Bereits vor einem Jahr fand mit einem Airbus A350 der erste Flug mit 100 Prozent nachhaltigem Kraftstoff statt. Es wird mit Hochdruck daran gearbeitet, die Kraftstoffherstellung in den industriellen Maßstab hoch zu skalieren. Mit synthetischem Kerosin kann die bestehende Flugzeugflotte klimaneutral betrieben werden. Für lange Strecken mit großem Energiebedarf wird das vermutlich auch langfristig die beste Lösung sein.
Bis hin zur Mittelstrecke hat Wasserstoff das Potenzial, trotz der aufwändigen Flugzeugtechnologien deutlich energieeffizientere Lösungen zu ermöglichen. Airbus verfolgt das Ziel, eine entsprechende Konfiguration bis 2035 an den Markt zu bringen. Die Ergebnisse der laufenden Forschung werden entscheidend für die Auswahl der Technologiebausteine aber auch für die Marktplatzierung des Produktes bezüglich Passagierzahl, Reichweite und Geschwindigkeit sein.
In den nächsten 20 Jahren werden auch batterieelektrische Flugzeuge verfügbar werden. Aufgrund der auch perspektivisch schweren Batterien sind das kleine Flugzeuge mit kurzen Reichweiten, die bisher keinen wesentlichen Beitrag zur Mobilität der Gesellschaft leisten.
Auf welche Umstellungen müssen sich Reisende einstellen?
Das sukzessive Erhöhen des Anteils von nachhaltigem Kerosin im Betrieb der Bestandsflotte wirkt sich nicht auf das Reiseerlebnis aus. Es ist aber wichtig, dass grüne Energieträger schnell und kosteneffizient verfügbar gemacht werden, damit der Preis für die Luftmobilität nicht unangemessen stark steigt.
Neue Flugzeugkonfigurationen können eventuell für geringere Flughöhen ausgelegt werden, wodurch die Nicht-CO2-Effekte signifikant reduziert werden. Dabei würden etwas geringere Fluggeschwindigkeiten die Energieeffizienz optimieren. Die Dauer der Flüge könnte um etwa 20 Prozent größer werden. Bezogen auf die Gesamtreisezeit von Tür zu Tür fällt die längere Flugzeit aber bis zur Mittelstrecke kaum ins Gewicht.
In diesem Entwurfspunkt wären große Propeller besonders gut für den Antrieb geeignet. Der Energiebedarf und damit auch die Energiekosten können dadurch um circa ein Drittel gesenkt werden. Offene Rotoren stellen eine Herausforderung bezüglich des Lärms in der Kabine und am Boden dar. Mit neuen Simulationsmethoden lässt sich dieses Problem im Entwurf signifikant verringern.
Das Bundesverkehrsministerium fördert mit 26 Millionen Euro das Projekt BALIS: Worum genau geht es und wie geht es voran?
In dem Projekt „BALIS“ entwickelt das DLR den weltweit ersten Brennstoffzellen-Antriebsstrang für Flugzeuge mit einer Leistungsklasse von bis zu 1,5 MW. Diese Leistung ist erforderlich für Flugzeuge in der Größenordnung von 40 Passagieren, wie zum Beispiel der Dornier Do 328.
Die bisher verfügbaren Brennstoffzellensysteme sind in Einheiten mit bis zu etwa 200 KW verfügbar. Um die Leistung auf das Achtfache oder mehr zu steigern, können nicht einfach sehr viele Systeme miteinander kombiniert werden. Die technologischen Randbedingungen erfordern ganz neue Systemarchitekturen, die in BALIS entwickelt und erprobt werden.
Dazu entsteht ein in dieser Form einzigartiger Teststand, in dem der Antriebsstrang mit all seinen Komponenten – das heißt dem Brennstoffzellensystem, den Wasserstofftanks, dem Elektromotor sowie der Steuerungs- und Regelungstechnik – im vollen Maßstab ab Boden getestet werden können. Der erste Spatenstich für den Aufbau des Testfeldes in Stuttgart erfolgte im Oktober 2021. Die Inbetriebnahme wird entsprechend der Planung im Herbst 2022 erwartet.
„Die Luftfahrt ist in ihrer grundlegenden Architektur neu zu gestalten. Und dabei sorgt der Klimawandel für großen Zeitdruck.“
Welche weiteren Herausforderungen sehen Sie im Hinblick auf die Transformation der Luftfahrt zur Klimaneutralität?
Für die klimaneutrale Luftfahrt müssen revolutionäre neue Technologiebausteine aus Entwurf, Bau und Betrieb von Luftfahrzeugen synergetisch ineinandergreifen. Das gelingt nicht durch evolutionäre Weiterentwicklungen, sondern die Luftfahrt ist in ihrer grundlegenden Architektur neu zu gestalten. Und dabei sorgt der Klimawandel für großen Zeitdruck. Eine entscheidende Rolle nehmen deshalb die digitalen Entwurfsverfahren ein. Wir haben das Ziel gesetzt, durch Technologien wie Model Based Systems Engineering, Künstliche Intelligenz und Quantencomputing die Produktentwicklung und den Innovationszyklus mindestens um den Faktor zwei zu beschleunigen.
Eine kritische Herausforderung bildet auch die Markteinführung von Wasserstoff, die nur erfolgreich sein kann, wenn die gesamte Wertschöpfungskette vorhanden ist. Hierfür sind Modellregionen wie Hamburg und das vom BMWK mit 52 Millionen geförderte Norddeutsche Reallabor von entscheidender Bedeutung, um Produktion, Import und Verteilung von Wasserstoff im Verbund der Partner in der Wertschöpfungskette über alle Sektoren der Energiewirtschaft hinweg zu verstehen und die technischen Anforderungen an optimale Produkte ableiten zu können.