Rede der Bundeskanzlerin anlässlich der Eröffnungsveranstaltung der Hannover Messe 2015 am 12. April 2015 in Hannover

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Sehr geehrter Herr Premierminister Modi, sehr geehrter Herr Ministerpräsident Weil, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, Herr Festge, Herr Professor Wahlster, liebe Bundesminister, meine Damen und Herren,

dass die Industrie in Deutschland traditionell einen hohen Stellenwert einnimmt, ist weithin bekannt. Aber das wäre nicht denkbar, wenn sich das produzierende Gewerbe nicht immer wieder weiterentwickeln würde. Unsere Bilder verändern sich in diesen Jahren: Aus den rauchenden Schloten und den stampfenden und dampfenden Maschinen sind Fertigungsprozesse modernster Informationstechnologien geworden. Folgerichtig lautet das Leitthema der diesjährigen Hannover Messe auch „Integrated Industry“ oder auf Deutsch: integrierte bzw. vernetzte Industrie.

Der Trend zur Vernetzung ganzer Wertschöpfungsprozesse fand schon auf früheren Messen in Hannover regen Anklang. Aber in diesem Jahr begegnen wir hier den verschiedensten Facetten von dem, was wir „Industrie 4.0“ nennen, gekoppelt mit Smart Factories - und das nicht nur in Einzelfällen, sondern an allen Ecken und Enden dieser Messe.

Die digitale Vernetzung mag in Produktionsabläufen immer mehr zum Standard werden. Eines jedoch macht sie immer noch nicht hinfällig, nämlich dass sich Menschen hier auch persönlich treffen. Es ist schön, dass bei dieser Eröffnungsveranstaltung der Andrang größer war denn je. Das heißt, persönliche Begegnungen und automatisierte Prozessabläufe scheinen sich nicht auszuschließen. Ich freue mich, dass diese Hannover Messe damit ein Ort ist, an dem die weltweit bedeutendsten industriellen Erfahrungen ausgetauscht werden können.

6500 Aussteller - mehr als die Hälfte kommt diesmal aus dem Ausland. Ein Land setzt in diesem Jahr besondere Akzente: Indien ist nach dem Jahr 2006 nunmehr zum zweiten Mal Partnerland der Hannover Messe. Und wir haben es schon erleben können: Indien präsentiert sich in neuer Stärke.

Ich begrüße ganz herzlich den indischen Premierminister Narendra Modi gemeinsam mit seinen Ministern und indischen Ausstellern. Seien Sie uns herzlich willkommen! Und danke, dass, bevor wir uns den Ausstellern zuwenden, Sie uns heute bei dieser Eröffnungsveranstaltung einen Einblick in den kulturellen Reichtum, in die Vielfalt und in die Kraft Ihrer Geschichte ‑ aus der auch der Mut für die Gestaltung der Zukunft erwächst ‑ gegeben haben. Das war für uns alle unglaublich beeindruckend - und ich freue mich, dass wir Deutschen unsere Flexibilität immerhin dahin gehend gezeigt haben, dass wir dem Löwen, den wir gerade gesehen haben, auch außerhalb eines Zoos anständige Bewegungsmöglichkeiten gegeben haben. Eine solche Flexibilität ist in Deutschland nicht immer selbstverständlich.

Das zeigt, lieber Herr Premierminister: Alle Vertreter Ihres Landes sind uns herzlich willkommen, egal wer es ist, inklusive des Löwen. Dieses herzliche Willkommen ist auch nicht nur ein Lippenbekenntnis. Es ist, wie Sie es schon dargestellt haben, gelebte Geschichte, und es soll auch gelebte Zukunft sein. Diese Erfahrung werden Sie auf dieser Messe machen, und Sie werden sie machen, wenn wir heute Abend noch mit Wirtschaftsvertretern zusammenkommen.

Ich glaube, wir haben eine spannende Zeit vor uns, auch in unseren politischen Kontakten. Im Herbst diesen Jahres werden wir Deutsch-Indische Regierungskonsultationen in Ihrem Lande haben, und dann können wir all das, was wir jetzt an Erfahrungen sammeln, auswerten. Sie haben uns ja gebeten, die guten Erfahrungen, aber vielleicht auch die Probleme beim Namen zu nennen und daraus gemeinsam zu lernen. Ich habe auch Herrn Festge sehr wohl verstanden, der meinte, auch wir in Deutschland könnten in unserer Kooperation mit Indien noch einiges ändern.

Herr Premierminister, Sie haben auch noch etwas anderes gesagt, was mich besonders ermutigt. Sie haben von dem kooperativen Föderalismus in Indien, von der kooperativen Zusammenarbeit mit den Bundesstaaten gesprochen. Ich darf Ihnen mitteilen, dass wir im Allgemeinen auch einen kooperativen Föderalismus haben. Ministerpräsident Weil ist ein lebendiges Beispiel dafür. Aber auch da können wir noch miteinander lernen, auch da sind Deutschland und Indien sich sehr ähnlich.

Meine Damen und Herren, das Handelsvolumen mit Indien ist eine gute Ausgangsbasis, um unsere wirtschaftlichen Kontakte weiter zu pflegen. Es beläuft sich auf 16 Milliarden Euro. Deutschland ist damit Indiens wichtigster Handelspartner in der Europäischen Union. Wir wollen das natürlich auch bleiben. Das sage ich auch dem anwesenden Herrn Kommissar, den ich ganz herzlich begrüße. Ich weiß, dass wir durchaus Wettbewerber haben ‑ der Premierminister kommt gerade aus Frankreich ‑, aber Wettbewerb belebt ja das Geschäft.

Wir freuen uns, dass Ihre Wirtschaft auf Reformkurs ist. Auch wir wissen, dass wir uns jeden Tag ändern müssen. Deshalb hat sich die Bundesregierung mit ihrer „Digitalen Agenda“ des Themas Industrie 4.0 und der Rahmenbedingungen für die Digitalisierung in besonderer Weise angenommen. Es wird auf der Messe auch eine besondere Aktivität geben: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Bundesministerin Johanna Wanka werden gemeinsam mit dem VDMA, mit dem ZVEI und mit BITKOM die Plattform Industrie 4.0 vorstellen. Es gibt nicht nur „Make in India“, was wir sehr unterstützen, sondern es gibt dann auch eine Plattform „Made in Germany“, die wir gemeinsam entwickelt haben und die darauf hindeutet, dass bei allen Partikularinteressen der betroffenen wirtschaftlichen Unternehmen die Standardisierung nicht vergessen wird, eine gemeinsame Plattform, auf der dann auch gerade die kleineren und mittleren Unternehmen aufbauen können, die für die Wirtschaftskraft Deutschlands ja so besonders wichtig sind.

An anderer Stelle, bei der Eröffnung der CeBIT, haben wir darüber gesprochen, wie wichtig auch die innovativen Unternehmen der neueren Kategorie sind, die Startup-Unternehmen, die in der Kombination mit den klassischen Unternehmen die Innovationskraft entwickeln. Auch dort werden wir die Rahmenbedingungen insgesamt verbessern.

Eines ist aber auch klar: Alleine kann Deutschland die Vorteile, die uns der Europäische Binnenmarkt gibt, nicht nutzen. Deshalb wird es genauso wichtig sein, all das, was uns im Rahmen der Digitalisierung begegnet, auf europäischer Ebene möglichst schnell zu regeln. Auch darüber habe ich schon bei der Eröffnung der CeBIT gesprochen. Ich will Kommissar Sefcovic, der heute für das andere Standbein, die Hannover Messe, hier ist, ans Herz legen, unseren Kollegen Günther Oettinger in Brüssel sehr zu unterstützen. Ich weiß, dass der Kommissionspräsident es nicht mag, wenn wir von unseren Kommissaren sprechen. Es sind alles unsere Kommissare; Sie, Herr Sefcovic, sind genauso unser Kommissar, wie es Günther Oettinger ist. Aber wir müssen in Europa einfach einen Zahn zulegen, genauso wie wir in Deutschland einen Zahn zulegen müssen. Die Welt wartet nicht auf uns, sondern wir müssen selber sehen, dass wir vorne mit dabei sind. Betrachten Sie dies als Ermutigung.

Damit bin ich beim zweiten Standbein dieser Messe: Ohne berechenbare Energieversorgung keine Zukunft der Industrie! Sie wissen, dass wir in Deutschland mit großem Tempo die Energiewende vorantreiben. Dabei machen wir sicherlich auch manche Erfahrung, aus der dann andere von uns lernen können. Wir sind im Augenblick in einer kritischen Phase, nachdem die erneuerbaren Energien aus der Nische herausgekommen und zur Hauptsäule unserer Energieversorgung geworden sind. All das, was damit an Umstellungen verbunden ist, wird uns zwar noch Jahre beschäftigen, aber die jetzige Legislaturperiode ist die zentrale Legislaturperiode dafür.

Deshalb, glaube ich, ist es auch ganz wichtig, dass sich sowohl die Wirtschaft als auch die politischen Rahmenbedingungen so darstellen, dass wir gemeinsam innovativ bleiben können, dass wir bezahlbare Energiekosten haben, dass wir zukunftsweisende Energiekosten haben. Denn bei allem, was sich bei uns tut, will ich auch darauf hinweisen, dass andere Länder ebenfalls beachtliche Fortschritte machen. Wir werden das im Dezember diesen Jahres bei der internationalen Klimakonferenz in Paris sehen. Es gibt 130, 140 Länder, die die Produktion erneuerbarer Energien fördern, die Schritt für Schritt von der fossilen Energieerzeugung auf erneuerbare Energien umsteigen. Auch hier sollte Deutschland seine führende Position weiter ausbauen.

Meine Damen und Herren, all das spricht dafür, dass dies eine spannende, eine interessante Hannover Messe wird - eine Hannover Messe, die in einer Zeit stattfindet, in der wir in Europa auch wieder positiver in die Zukunft blicken können ‑ die Wachstumsraten werden besser; sie sind zwar immer noch weit entfernt von denen Indiens zum Beispiel, aber immerhin! ‑, in der sich manche nationalen Reformen, aber auch Reformen in Europa bemerkbar machen und in der wir auch gerade in der Eurozone unsere Wirtschaftskraft so entwickeln wollen, dass das größte Problem, das wir nach wie vor haben, nämlich die Arbeitslosigkeit und hier insbesondere die Arbeitslosigkeit der jungen Menschen, möglichst schnell überwunden werden kann.

Dies alles wird erfordern, dass wir uns nicht gegenüber dem Wettbewerb abschotten, sondern dass wir offen sind. Das habe ich gegenüber dem Partnerland Indien gesagt ‑ wir würden uns in der Tat sehr freuen, wenn wir die weit fortgeschritten Handelsgespräche wieder aufnehmen könnten ‑, aber dies sage ich auch im Blick auf freien Handel mit den Vereinigten Staaten von Amerika, mit Kanada und mit anderen wichtigen Ländern. Von der Globalisierung werden wir am meisten profitieren und aus ihr werden wir den größten Nutzen ziehen, wenn wir uns offen zeigen, aber gleichzeitig natürlich auch auf unseren hohen Qualitätsstandards, die wir in der Europäischen Union entwickelt haben, beharren bzw. sie noch weiterentwickeln. Das bedingt einander. Das macht Freihandelsabkommen weltweit besser, und das gibt uns gleichzeitig die Möglichkeit zunehmender Wertschöpfung.

Danke für den heutigen schwungvollen Eröffnungsabend, der ganz wesentlich durch das geprägt war, was Indien uns aus seiner vielfältigen Geschichte und Kultur gezeigt hat. Mit diesem Schwung sollten wir in die nächsten Tage gehen.

Damit darf ich die Hannover Messe für eröffnet erklären und ihr viel Erfolg wünschen. Ich darf alle Aussteller herzlich begrüßen und ihnen sagen: Gehen Sie aufeinander zu, knüpfen Sie neue Kontakte, machen Sie diese Messe zu einem Erfolg!

Herzlichen Dank.