Rede von Kulturstaatsministerin Monika Grütters zur Eröffnung der 70. Internationalen Filmfestspiele Berlin

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Im Wortlaut Rede von Kulturstaatsministerin Monika Grütters zur Eröffnung der 70. Internationalen Filmfestspiele Berlin

Bis heute strahle die Berlinale als 'Schaufenster der freien Welt' in die Welt hinaus, erklärte die Kulturstaatsministerin zu Beginn der Eröffnungsgala im Berlinale-Palast am Potsdamer Platz. "Uns Fremdes vertraut machen, uns Mit-Fühlen lassen mit Menschen, mit denen uns nichts zu verbinden scheint, Verständnis wecken über alle Grenzen und Gräben hinweg: Das kann großes Kino, und dafür steht die Berlinale", so Grütters weiter.

Donnerstag, 20. Februar 2020 in Berlin

"Unsere Gedanken sind heute, einen Tag nach dem erschütternden, offenbar rassistisch motivierten Gewaltexzess in Hanau, bei den ermordeten Menschen und ihren Familien. Und doch hat die Berlinale es ehrlich verdient, dass wir ihr 70. Jubiläum gebührend begehen. Stellen wir uns also einfach einmal vor, die Berlinale selbst wäre eine Filmdiva. Wie würde sie ihren 70. Geburtstag feiern? Wäre ihr überhaupt nach einer glanzvollen Gala zumute, nachdem kürzlich bekannt wurde, dass ihr langjähriger Weggefährte – ihr Gründungsdirektor Alfred Bauer – womöglich tief in die totalitäre Kulturpolitik der Nationalsozialisten verstrickt war? Wäre die Berlinale eine Filmdiva, sie könnte über diese Nachricht nicht einfach hinweg lächeln – sie, die ihr ganzes Leben lang für Freiheit, für künstlerische Vielfalt, für Weltoffenheit eingetreten ist!

Genau deshalb, meine Damen und Herren, verdient die Berlinale hier und heute, zu Ihrem 70. Geburtstag, einen glanzvollen Auftritt. Deutschland, das sich Demokratie und moralische Integrität nach 1945 mühsam wieder erarbeiten musste, hat die Freiheit der Kunst aus gutem Grund in einen noblen Verfassungsrang erhoben – aus der Überzeugung heraus, dass Künstlerinnen und Künstler die Demokratie vor gefährlicher Lethargie bewahren: mit ihrer Fähigkeit zu berühren und zu irritieren; mit ihrer Fähigkeit, Verborgenes sichtbar zu machen. Die Berlinale war es, die diesen Kräften freier Filmkunst von Anfang an ein riesiges Publikum bescherte. Was der Theaterkritiker Alfred Polgar in den 1930er Jahren über die Berliner Filmdiva Marlene Dietrich schrieb, gilt auch für die Berlinale: „Sie erregte das Entzücken der Vielen, die sich den sinnlichen Wundern des Films ohne geistigen Vorbehalt ergeben, und das Entzücken der Wenigen, die auch ins Kino ihren künstlerischen Anspruch mitbringen.“

So ist es bis heute: Die Berlinale kriegt sie alle! Auf den Trümmern einer menschenverachtenden Diktatur gegründet, im Schatten der Berliner Mauer gewachsen und nach Ende des Kalten Krieges im Triumph der Freiheit über Unfreiheit gereift: So strahlt sie als „Schaufenster der freien Welt“ bis heute in die Welt hinaus – und in Berlin auch in jeden Kiez hinein: mit bewegenden Bildern und berührenden Geschichten. 340 Filme aus 71 Produktionsländern stehen in diesem Jubiläumsjahr auf dem Programm: Viele davon lassen unsere Gegenwart anders aussehen, als wir sie zu kennen glauben. Uns Fremdes vertraut machen, uns Mit-Fühlen lassen mit Menschen, mit denen uns nichts zu verbinden scheint, Verständnis wecken über alle Grenzen und Gräben hinweg: Das kann großes Kino, und dafür steht die Berlinale. Das „Schaufenster der freien Welt“ aus der Zeit des Kalten Krieges ist damit auch ein „Schaufenster der einen Welt“: Wir sehen darin, dass uns über alle Grenzen hinweg mehr verbindet als uns trennt. Wir nehmen Anteil an den Schicksalen hinter Krisen und Konflikten, die täglich als Schlagzeilen an uns vorbei rauschen. Feiern wir die Berlinale deshalb zum 70. Jubiläum auch als vielstimmige Demonstration gegen Abschottung und Ausgrenzung – gerade auch angesichts dieses entsetzlichen, offenbar fremdenfeindlich motivierten Verbrechens.

Dass die Berlinale ihren Werten auch mit 70 und darüber hinaus treu bleiben kann, dafür hat die neue Leitung mit viel Gespür und Enthusiasmus gesorgt. So dürfen wir uns auf ein künstlerisch vielseitiges Programm freuen, das dem Ruf der Berlinale als dezidiert politisches Filmfestival alle Ehre macht. Dafür danke ich Ihnen, liebe Mariette Rissenbeek, lieber Carlo Chatrian! Ausdrücklich danken will ich Ihnen auch dafür, dass Sie die notwendigen Konsequenzen aus den neuen Erkenntnissen über Alfred Bauer gezogen und die gründliche Aufarbeitung seiner NS-Vergangenheit auf den Weg gebracht haben.

Wie wichtig Aufklärung ist und wie beklemmend aktuell die Lehren aus der Vergangenheit sind, das – meine Damen und Herren – liegt angesichts rechtsextremistischen Terrors in Deutschland auf der Hand. Nie wieder sollten Menschen wegen ihrer Religion, ihrer Herkunft oder ihrer Hautfarbe in Deutschland um ihr Leben fürchten müssen! Die Wirklichkeit sieht anders aus: nicht zuletzt, weil neue politische Kräfte nationalsozialistische Verbrechen relativieren und mit Hetzparolen Ressentiments schüren. Niemals darf es eine wie auch immer geartete, politische Zusammenarbeit mit diesen rassistischen und völkischen Kräften geben!

Das war im Übrigen auch die Haltung jener Berliner Filmdiva, die Deutschland nach der Machtergreifung Hitlers verließ und später die Einbürgerung in den USA beantragte: „Es ist kein leichter Entschluss“, sagte Marlene Dietrich einmal, „seine Nationalität zu wechseln, selbst dann nicht, wenn man die Ansichten und Methoden, die das Geburtsland plötzlich gutheißt, verachtet.“ Marlene Dietrich fasste diesen Entschluss trotzdem. Sie widerstand den Avancen der Nazis. Man versprach ihr hohe Gagen und eine glänzende Karriere, wenn sie nur noch deutsche Filme drehte. Sie ließ sich auf keine Zusammenarbeit ein.
Im Krieg sang sie für die GIs und musste sich später in ihrem Geburtsland dafür bespucken lassen. Heute bewundern wir sie für ihre konsequente Abgrenzung gegen totalitäres Denken.

Das ist eine Geschichte, die auch Filmstoff wurde. Und vielleicht braucht es manchmal Geschichten wie diese, um eine klare Haltung zu finden und das Richtige zu tun. Kunst jedenfalls – gerade die Filmkunst, die sinnlichste aller Künste! – wirkt auch dort, wo Argumente kein Gehör finden. Ihre Freiheit zu schützen, heißt die Demokratie zu schützen. In diesem Sinne: Auf die Berlinale! Auf eine erfolgreiche 70. Jubiläumsausgabe!"