Rede von Kulturstaatsministerin Monika Grütters beim Forum Kultur- und Kreativwirtschaft

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Manchmal verrät schon die Sprache, dass der Raum für Kreativität, für revolutionäre Ideen, für bahnbrechende Veränderungen überschaubar ist. Ein schönes Beispiel ist das Wort „Innovationsmanagement“, das mir gelegentlich in der Zeitung oder in der Veranstaltungswerbung begegnet. Wikipedia definiert „Innovationsmanagement“ als – ich zitiere - die systematische Planung, Steuerung und Kontrolle von Innovationen in Organisationen“, und das Gabler Wirtschaftslexikon subsumiert darunter „Innovationspolitik“, „Innovationsplanung und –kontrolle“, „Innovationsführung“, „Innovationsorganisation“ und „Innovationsführungskräfteentwicklung“.

Puh …!

Planung, Steuerung, Kontrolle, Führung, Organisation, Entwicklung … das riecht für mich eher nach Verwaltung als nach Revolution.

Nun sagt man Ministerien zwar eine Kernkompetenz in Sachen Verwaltung nach, meine Damen und Herren, aber deren Ausübung beschränkt sich in der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft auf die Organisation und Finanzierung der Unterstützungsangebote für Unternehmerinnen und Unternehmen. Mit „ministeriellem Innovationsmanagement“ werden wir Sie gewiss nicht behelligen. Vielmehr wollen wir – mein Haus in Kooperation mit dem Bundeswirtschaftsministerium – im Rahmen der Initiative einen Nährboden für Innovationen schaffen: einen Boden, in dem Ihre Ideen, so verwegen sie auch sein mögen, wurzeln, wachsen und gedeihen können. Wir unterstützen Sie dabei, mit Ihren Ideen ökonomisch erfolgreich zu sein: durch Beratungsangebote etwa im Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft, dessen Träger, das u-Institut, tolle Arbeit leistet; durch Möglichkeiten der Netzwerkpflege wie bei der heutigen Veranstaltung; und nicht zuletzt mit Starthilfe in der wichtigsten Währung des Informationszeitalters – nämlich mit öffentlicher Aufmerksamkeit für 32 Kultur- und Kreativpiloten im Rahmen des gleichnamigen Wettbewerbs. Von ihren im besten Sinne gewagten Ideen habe ich mir gestern bei einem Empfang im Bundeskanzleramt ein Bild machen können – Ideen, bei denen man sofort erkennt, dass sie nicht das Ergebnis von Innovationsmanagement, von „systematischer Planung, Steuerung und Kontrolle“ sind, sondern von Neugier, Kühnheit und Fantasie, von der Lust, der Macht der Gewohnheit Aufbruchsstimmung und Experimentierfreude entgegen zu setzen, ganz nach dem Motto: „Arbeite nur, wenn Du das Gefühl hast, es löst eine Revolution aus.“

Dieser schöne Satz von Joseph Beuys mag gesamtgesellschaftlich eher ungesund anmuten. Irgendjemand muss sich ja doch auch um Verwaltung kümmern; und selbst Revolutionäre schätzen Tradition und Verlässlichkeit, wenn es um ihre Frühstücksbrötchen oder, sagen wir, den Fahrplan der Deutschen Bahn geht. Doch er bringt auf den Punkt, warum Kreative, warum Künstlerinnen und Künstler für eine Gesellschaft nicht weniger wichtig sind als Bahn und Bäcker; warum eine Gesellschaft die Kultur- und Kreativwirtschaft ebenso braucht wie die Nahrungsmittel- und die Mobilitätsbranche. Denn es sind die Visionäre und Provokateure, die Querdenker und Gegen-den-Strom-Schwimmer, die das Neue in die Welt bringen. Das muss nicht immer gleich die Weltrevolution sein. Die kleinen Revolutionen im Denken, im Wahrnehmen, im Empfinden, im Bewusstsein sind es, die jeder kleinen und großen gesellschaftlichen Veränderung vorausgehen. In diesem Sinne tragen Kunst und Kultur den Keim des Revolutionären in sich; in diesem Sinne inspirieren und verführen Unternehmerinnen und Unternehmer der Kultur- und Kreativwirtschaftsbranche auch andere Unternehmen, unbekanntes Terrain zu erschließen; und bisweilen nötigen sie jene, die es sich in der eigenen Gewinn- und Komfortzone allzu gemütlich eingerichtet haben, zu neuen Ufern aufzubrechen. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass Fleischproduzenten mal mit fleischloser Wurst um die Gunst von Vegetariern und Veganern buhlen würden - oder dass Autokonzerne, die eigentlich möglichst viele Autos verkaufen wollen, plötzlich den Carsharing-Markt erobern? Carsharing und fleischlose Wurst: Das sind Einfälle, die man vor nicht allzu langer Zeit noch als Spinnereien abgetan hätte… so wie heute vielleicht die Idee, essbare Löffel aus Hirse oder Gerste anzubieten oder einen Online-Shop für Kinderspielsachen aufzubauen, die nicht den gängigen Familien- und Geschlechterrollenklischees entsprechen, um nur zwei Beispiele zu nennen, die mir gestern beim Empfang der Kultur- und Kreativpiloten im Kanzleramt gefallen haben. Spätestens wenn große Unternehmen aus ökonomischen Gründen nachahmen, was die kleinen mit Neugier und einem guten Schuss Idealismus vorgemacht haben, ist klar: Hier schreibt eine Idee Erfolgsgeschichte.

Ein Land, das seinen Wohlstand der Technologieführerschaft in vielen Bereichen verdankt, ein Land, das im globalen Wettbewerb den Anschluss nicht verlieren will, ein Land, das dabei auch Verantwortung übernehmen will für eine bessere Welt – Stichwort: Umwelt- und Klimaschutz! -, ein solches Land braucht diese Erfolgsgeschichten. Und dafür braucht es Vordenker und Revolutionäre, braucht es die Kernkompetenzen der Kultur- und Kreativwirtschaft. Deshalb freue ich mich über die beeindruckenden Zahlen im Monitoring-Bericht zur Kultur- und Kreativwirtschaft 2019; deshalb freue ich mich zu sehen, wie diese Branche prosperiert (… und das ganz ohne Innovationsmanagement!).

Damit das so bleibt, müssen wir vor allem Freiräume sichern: finanziellen Freiraum, um abseits des Mainstreams unterwegs zu sein und das Risiko des Scheiterns eingehen zu können, aber auch geistige Freiheit: Experimentierfelder fernab von Planung, Steuerung und Kontrolle und ein gesellschaftliches Klima der Offenheit für Neues, eine Willkommenskultur für Innovationen gewissermaßen. Das ist auch und insbesondere eine Frage der rechtlichen Rahmenbedingungen: Kreative brauchen und verdienen zum einen die verlässliche Rückendeckung der Solidargemeinschaft, eine soziale Absicherung, wie wir sie in Deutschland mit der Künstlersozialversicherung etabliert haben. Auch sie muss mit gesellschaftlichen Entwicklungen Schritt halten: Deshalb prüft die Bundesregierung gerade, inwieweit digitale Plattformen einbezogen werden können, die künstlerische und publizistische Leistung kommerziell verwerten.

Zum anderen – ich betone es gebetsmühlenhaft seit Jahren, weil es im digitalen Zeitalter leider vielfach kein Bewusstsein für den Wert geistiger Leistung mehr gibt – zum anderen müssen Kreative von ihrer Leistung leben können; und damit meine ich nicht nur: knapp überleben! Die in diesem Jahr endlich verabschiedete europäischen Urheberrechtsreform darf man mit Fug und Recht als Kern einer an diesem Grundsatz orientierten Wirtschaftsordnung für die Kultur- und Kreativwirtschaft im digitalen Zeitalter bezeichnen.

Sie regelt (auch wenn die öffentliche Debatte sich vor allem darauf konzentrierte) nicht nur die urheberrechtliche Verantwortung digitaler Plattformen, sondern enthält – neben zahlreichen anderen Verbesserungen im Sinne kultureller und medialer Vielfalt – auch zahlreiche Neuerungen im Urhebervertragsrecht, die die Position der Kreativen gegenüber den Verwertern stärken und für die auch ich mich stark gemacht habe: zum Beispiel den Grundsatz der angemessenen Vergütung, orientiert an der deutschen Regelung, und das Recht Kreativer, regelmäßig über Erlöse aus ihren Werken informiert zu werden. Vor allem aber ist es ein großer Fortschritt, dass es in einer globalisierten Welt, in der grenzüberschreitende Zusammenarbeit längst gang und gäbe ist, nun endlich europaweit einheitliche urhebervertragliche Regelungen gibt.

Last but not least will ich noch erwähnen, dass in meinem Kulturetat auch Fördermittel bereitstehen, die guten Ideen national und international zum Durchbruch verhelfen sollen. So fördern wir beispielsweise das mehrsprachige Portal „touring artists“, das der Qualifizierung international tätiger Kreativer dient. Sie erhalten hier Informationen zu steuerlichen, sozialrechtlichen, versicherungsrechtlichen und administrativen Fragen. Ein weiteres Beispiel ist das Projekt „Kreativ-Transfer“, das es kleinen Unternehmen und Solo-Selbstständigen aus den Teilbranchen Darstellende Künste, Kunstmarkt und Games ermöglicht, Kontakte ins Ausland zu knüpfen und neue Märkte zu erschließen.

Finanzielle Unterstützung, soziale Absicherung und eine faire Beteiligung Kreativer an den Erträgen schöpferischer Leistung auch in der digitalen Welt: All das ist unverzichtbar, wenn aus originellen Ideen erfolgreiche Geschäftsmodelle werden und revolutionäre Veränderungen der ganzen Gesellschaft zugutekommen sollen. All das reicht aber nicht aus. Alles Geld der Welt nützt nichts, wenn Experimentierfreude in einem Klima der Angst verkümmert, wenn Mut und Neugier zwischen verhärteten Fronten und Mauern aus Vorurteilen zerrieben werden, wenn jede Fantasie erstickt in der geistigen Enge, die durch Ausgrenzung des (vermeintlich) Fremden entsteht.

Innovationen zu fördern heißt deshalb auch: politischen Kräften, die aus Hass, Hetze und Fremdenfeindlichkeit für sich Profit zu ziehen versuchen, beherzt entgegen zu treten – sei es in der Politik oder in den sozialen Medien, sei es auf öffentlichen Plätzen oder im privaten Kreis.

Sie, liebe Unternehmerinnen und Unternehmer der Kultur- und Kreativwirtschaft, kann ich darüber hinaus nur darin bestärken, neugierig zu bleiben und sich nicht entmutigen zu lassen von Kleingeistern und Bedenkenträgern. Fantasie und Vorstellungskraft können immer wieder im wahrsten Sinne des Wortes Mauern zum Einsturz bringen. Wer wüsste das besser als wir Deutschen, die wir vor ein paar Tagen den 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution gefeiert haben - den Triumph von Menschen, die neben Kühnheit und Kampfgeist vor allem eines besaßen: eine Vorstellung von einem besseren Leben, von einer besseren Welt. In diesem Sinne: Kultivieren Sie weiterhin Fantasie und Vorstellungskraft, bewahren Sie sich – frei nach Joseph Beuys - die Überzeugung, dass Ihre Arbeit eine Revolution auslöst und schreiben Sie damit Erfolgsgeschichten!